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Von BRICS zu BRICS+: Suche nach Allianzen und neuer Identität

Kurz gesagt, 27.07.2022 Forschungsgebiete

Seit ihrer Gründung 2001 sah sich die BRICS-Staatengruppe als ein Verbund aufstrebender Ökonomien. Nun versucht sie sich als Alternative zur G7 zu positionieren und strebt mit einer möglichen Erweiterung zu BRICS+ nach mehr geopolitischem Gewicht. Der Westen sollte das nicht ignorieren, meint Günther Maihold.

Als die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – zu ihrem diesjährigen Gipfel zusammenkamen, bekräftigte Chinas Staatschef Xi Jinping den Wunsch, das Forum um weitere Länder zu erweitern. Unterstützung bekam der Gastgeber dabei von Russland, während die anderen Mitgliedstaaten das so nicht mittragen wollen. Denn eine Erweiterung würde die Gewichte im Innern verschieben und nach Außen eine geopolitische Wendung bedeuten. Brasilien, Indien und Südafrika sind jedoch aufgrund innenpolitischer Schwäche gegenwärtig nicht in der Lage, weltweite Gestaltungsrollen wahrzunehmen, auch wenn sie weiterhin bereit wären, sich von den G7 bei der Neuordnung der Weltpolitik abzusetzen.

Traditionell bemühen sich die BRICS-Staaten im Rahmen ihrer jährlich rotierenden Präsidentschaften darum, durch Einladung von Nachbarländern ihre regionale Reichweite auszudehnen, um dem Eindruck eines geschlossenen Clubs entgegenzuwirken. Die Verteilung der BRICS-Kerngruppe über vier Kontinente ist hier ein geopolitischer Vorteil. Institutionelle Verschränkungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wurden über die BRICS-Development-Bank gestärkt und gleichzeitig auch der Anspruch als Forum des Süd-Süd-Dialoges hochgehalten.

Das Interesse an einer BRICS-Erweiterung

Mit Chinas BRICS-Präsidentschaft hat sich nun die zweite Komponente des Outreach-Prozesses verstärkt, die unter dem Namen BRICS+ bekannt ist. Schon zum Außenministertreffen im Mai waren bereits Nicht-Mitgliedstaaten eingeladen worden – und die Liste war lang: sie reichte von Ägypten, Argentinien und Indonesien über Kasachstan, Nigeria und Senegal bis hin zu Saudi-Arabien, Thailand und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auf dem Treffen der Präsidenten im Juni wurde dann beschlossen, gemeinsame Kriterien und Verfahren festzulegen, um die Zusammenarbeit mit diesen nahestehenden Staaten zu verstärken.

Zentral ist dafür ein Konsens innerhalb der Kerngruppe zur Frage, ob eine Erweiterung möglich ist und wie sie aussehen könnte. So haben Argentinien und Iran bereits einen Antrag auf Mitgliedschaft in der BRICS-Gruppe gestellt. Argentinien will sich neben Brasilien und Indien als maßgeblicher Exporteur von Nahrungsmitteln positionieren, die eine ähnlich bedeutsame Rolle bei Soja beziehungsweise Reis einnehmen. Damit könnte dem Land mit Russland als großem Weizen- und Düngemittelexporteur sowie China als größtem Nachfragemarkt eine zentrale Koordinationsrolle bei der Gestaltung der Nahrungsmittelmärkte zukommen. Mit Blick auf die Politik der Notreserven für Ernährungskrisen könnte es eine regulierende Rolle  übernehmen. Ähnliches ließe sich hinsichtlich der Energiezusammenarbeit unter Beteiligung des Iran darstellen, womit die BRICS-Staaten zu einem zentralen Akteur in einem weiteren globalen Risikofeld heranwüchsen. Attraktiv erscheint auch ein gemeinsames Forschungs- und Entwicklungszentrum für Impfstoffe, das sich insbesondere um die Frage der Patente und des Technologietransfers zwischen den fünf BRICS-Staaten kümmern soll.  Solche Perspektiven würden auch den Beitrittswunsch anderer Staaten mit globalen Aspirationen wie Ägypten, Indonesien, Saudi-Arabien und der Türkei befördern.

Doch während sich mögliche Kandidaten warm laufen, ist ein Konsens zwischen den BRICS-Mitgliedstaaten in puncto Erweiterung bislang nicht in Sicht: Während China und Russland hier schnell vorankommen wollen, fürchten Brasilien, Indien und Südafrika einen relativen Bedeutungsverlust und spielen auf Zeit. Dafür ausschlaggebend sind auch traditionelle Konkurrenzverhältnisse zwischen China und Indien sowie Brasilien und einem möglichen Neumitglied Argentinien. Zudem möchten diese Staaten auch nicht in die wachsende Konfrontation zwischen den USA und China beziehungsweise Russland hineingezogen werden, weder im indopazifischen Raum noch in Afrika.

BRICS+ als Gegenmodell zu den G7

Neben der Erweiterungsdebatte standen beim virtuellen Gipfel auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine und seine Folgen auf der Tagesordnung: So sollen Intra-BRICS-Lieferketten auf den Weg gebracht werden, zum Beispiel für Düngemittel. Zudem soll der Zahlungsverkehr untereinander vom US-Dollar unabhängig und eine Alternative zum SWIFT-System für Finanztransaktionen aufgesetzt werden.

Die Abkehr vom Westen führt hier zu einem neuen Rollenverständnis: Stark angelehnt an den chinesischen Diskurs sollen die BRICS zur zentralen Plattform des Süd-Süd-Dialogs werden. Dabei nimmt Chinas Staatspräsident Xi die Mitgliedstaaten der G20 aus dem Globalen Süden und vor allem Afrika in den Blick, nicht zuletzt mit Perspektive auf den im September geplanten China-Afrika-Gipfel. Viele Staaten des Globalen Südens befürchten, dass sie die Kosten des Ukraine-Krieges durch steigende Zinsen, Erhöhung von Nahrungsmittelpreisen und Verwerfungen an den internationalen Rohstoffmärkten zu tragen haben. Sie wollen Protektionismus und die Sanktionspolitik des Westens vermeiden. Im BRICS-Verbund erwarten sie eine bessere Absicherung.

Wie schon auf dem G7-Gipfel in Elmau zeigte sich, dass viele Länder des Globalen Südens der internationalen Isolierung Russlands nicht zustimmen – und auch nicht bereit sind, dem vom Westen vorgetragenen Lagerdenken zu folgen. Damit ist noch nicht der Weg der BRICS oder BRICS+ als strategische Alternative zu den G7 beschritten, aber ein klarer Schritt von einer Gruppe aufsteigender Wirtschaftsmächte zu einem sich geopolitisch artikulierenden Akteur getan. Der Westen sollte nicht den Fehler machen,  diese neue Befindlichkeit im Feld der BRICS und BRICS+ zu übergehen.