Kahlschlag: Was bedeuten die Kürzungen der USA und anderer Geber für die Entwicklungszusammenarbeit?
SWP-Podcast 2025/P 28, 25.11.2025 ForschungsgebieteDie USA ziehen sich aus humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zurück. Nadine Biehler und Anne Koch erklären, welche Folgen das für Menschen auf der Flucht und in Krisengebieten hat und wie Kürzungen auch anderer Geberländer Entwicklungserfolge in ärmeren Weltregionen zunichtemachen.
Hinweis: Dieses Transkript wurde mithilfe von KI generiert. Es handelt sich somit nicht um einen redaktionell erstellten und lektorierten Text.
Moderatorin: Im Sudan passiert gerade die größte humanitäre Katastrophe in diesem Jahrhundert. Darüber sind sich Experten weitgehend einig. Und sie passiert, ohne dass die internationale Gemeinschaft wirklich eingreift. Bis zu 15 Millionen Menschen sind davon betroffen. Sie sind Opfer eines brutalen Bürgerkriegs zwischen der regulären Armee und Milizen. Sie leiden Hunger, müssen flüchten in die Nachbarländer, in denen die Versorgungslage auch mehr als prekär ist. Und gleichzeitig steht die internationale Gemeinschaft vor der Herausforderung, in einem aktiven Kriegsgebiet Nothilfe zu leisten, aber auch Hilfe für morgen zu sichern. Und das vor dem Hintergrund, dass die Gelder für diese Arbeit immer weniger werden, weil nicht nur die USA ihre Etats zusammenstreichen. Der Sudan ist nur ein Beispiel für die momentane Situation, wenn auch das Schlimmste. Wie geht es weiter mit der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und wo positioniert sich Deutschland? Das sind unsere Themen hier in unserem SWP-Podcast. Schön, dass Sie uns zuhören. Ich bin Nana Brink und ich sitze hier zusammen in unserem Studio mit Nadine Biehler und Anne Koch von der SWP-Forschungsgruppe Globale Fragen. Dort beim Projekt Flucht und Migration. Schön, dass Sie da sind.
Nadine Biehler, Anne Koch: Hallo und danke für die Einladung. Hallo, ich freue mich hier zu sein.
Moderatorin: Sind diese Entwicklungen, wie ich sie gerade geschildert habe, nicht nur im Sudan, gerade vor dem Hintergrund der drastischen Kürzungen seitens der USA? Sind die historisch? Wie würden Sie das einsortieren?
Nadine Biehler: Also ich würde sagen, weitgehend ja. Wir kommen zwar von dem historischen Hoch von ODA, also Official Development Assistance. So werden die Gelder, die für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ausgegeben werden, insgesamt bezeichnet. Aber die Geschwindigkeit, mit der diese Kürzungen jetzt durchgeführt wurden und auch der schiere Umfang, das ist tatsächlich neu. Vor allen Dingen auch in Kombination mit dieser performativen Grausamkeit, die wir gesehen haben. Also viele erinnern sich vielleicht Anfang des Jahres, als Elon Musk da bei der Behörde Doge, die dafür zuständig war, mit Kettensäge aufgetreten ist, die Mitarbeitenden verunglimpft hat und so weiter. Und das würde ich sagen, das ist schon neu.
Moderatorin: Anne Koch, wie sehen Sie das?
Anne Koch: Ja, das ist einerseits richtig. Andererseits sollte man aber auch sehen, dass die Trends, die diesen Entwicklungen zugrunde liegen, eigentlich schon länger zu beobachten sind. Also unter der ersten Trump-Regierung haben wir schon ein deutlich stärker transaktional ausgerichtetes Politikverständnis gesehen. Da sollten auch die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe stärker als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen eingesetzt werden. Und diese grundlegende Skepsis gegenüber Multilateralismus und internationaler Zusammenarbeit, das kennen wir auch schon länger. Ich denke, es ist wichtig zu sehen, dass so eine ähnliche Stimmungslage und gravierende Mittelkürzungen auch in wichtigen europäischen Geberländern zu beobachten sind. Also diese Stoßrichtung ist nicht komplett neu, die wirklich absichtsvolle Disruption, die Nadine Biehler beschrieben hat, jedoch schon.
Moderatorin: Ich möchte das noch ein bisschen genauer verstehen, weil Sie haben ja, wenn ich Sie richtig verstehe, es ja irgendwie auch ein bisschen kommen sehen. Was bricht denn alles weg und wo genau, damit wir das ein bisschen deutlicher machen könnten noch?
Anne Koch: Also aus den Medien wahrscheinlich hinlänglich bekannt ist die Tatsache, dass die US-Entwicklungsbehörde USAID Anfang des Jahres faktisch aufgelöst wurde. Hinzugekommen sind dann die massiven finanziellen Kürzungen bei den Vereinten Nationen. Außerdem sehen wir einen quasi ideologisch begründeten Rückzug der USA aus ganz unterschiedlichen Institutionen der internationalen Zusammenarbeit, darunter die Weltgesundheitsorganisation, die UNESCO, der UN-Menschenrechtsrat und das Pariser Klimaabkommen. Um noch ein bisschen konkreter zu werden, also die USA waren bislang größter Geber der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit. Und das reißt daher jetzt natürlich große finanzielle und organisatorische Lücken bei unterschiedlichen UN-Organisationen, beispielsweise dem UN-Flüchtlingskommissariat und der Internationalen Organisation für Migration, die ja für unser Arbeitsfeld besonders wichtig sind.
Nadine Biehler: Ja, in der Praxis muss man sagen, dass es ja wirklich auch sehr abrupte Kürzungen waren, also dann teilweise wirklich von einem Tag auf den anderen. Das bedeutet, die Angestellten wurden entlassen, auch in den Ländern des sogenannten globalen Südens, wo die tätig waren. Die Programme wurden eingestellt und damit bricht natürlich die gesamte Struktur für Unterstützung in Krisensituationen erstmal weg. Und das hat Auswirkungen vom ersten Tag an, wenn beispielsweise Nahrungsmittel nicht mehr ausgeliefert werden können oder Gesundheitsversorgung zusammenbricht. Aber zusätzlich fehlt dann auch die Finanzierung für systemische Strukturen und Funktionsverlust. Die USA waren historisch auch schon sehr, sehr lange immer einer der größten Geber und sie haben auch viele Strukturen finanziert, auf die sich andere Geber sozusagen gestützt haben. Ein viel zitiertes Beispiel ist der Humanitarian Air Service, der dafür gesorgt hat, dass Mitarbeitende von VN-Organisationen und von NGOs auch in unzugängliche Gebiete fliegen konnten tatsächlich und dafür vergleichsweise geringe Preise bezahlen mussten. Wenn die grundlegende Finanzierung jetzt nicht mehr da ist, dann ist natürlich auch diese Möglichkeit, sich dahin zu bewegen, weggefallen und das ist ein Problem. Anne hat den größeren Kontext aber auch schon angesprochen. Die USA sind nicht alleine mit diesen Kürzungen. Auch andere große Geber, also Großbritannien, Deutschland, Frankreich, die auch einen sehr wichtigen Anteil an diesen ganzen Geldern finanziert haben, die haben jetzt andere politische Prioritäten. Verteidigung wird immer wieder erwähnt und generell auch eine größere Skepsis gegenüber der Wirksamkeit und der Sinnhaftigkeit von internationaler Zusammenarbeit und insbesondere eben auch Entwicklungszusammenarbeit.
Moderatorin: Das wollen wir noch ein bisschen genauer verstehen. Haben Sie ein Beispiel vielleicht an einem Land, wo man das gut erklären kann nochmal, damit es auch in unseren Horizont kommt?
Nadine Biehler: Es wird so ein bisschen debattiert tatsächlich, in welchen Ländern die Auswirkungen am stärksten sind, weil es auch so ein bisschen darauf ankommt sozusagen, wo die USA besonders stark finanziert haben und wo andere Geber möglicherweise einspringen können. Aber grundsätzlich Länder in Sub-Sahara-Afrika und die am wenigsten entwickelten Länder, die sind besonders stark betroffen und die besonders stark eben auch abhängig waren von US-amerikanischer Finanzierung. Südsudan beispielsweise wäre so ein Land oder Malawi. Man darf aber auch nicht vergessen, dass in Lateinamerika, wo die USA oft der einzige Geber waren, weil die anderen europäischen Geber vor allen Dingen sich da nicht so stark engagieren, da die USA jetzt wegfallen und es sozusagen auch keinen Ersatz gibt, der einspringen könnte.
Moderatorin: Ich habe ja anfangs schon davon gesprochen, dass es nicht nur um akute Nothilfe geht, sondern natürlich auch um die Fragen einer längerfristigen Entwicklungszusammenarbeit. Was sind denn da die Auswirkungen oder mögliche Auswirkungen?
Anne Koch: Ja, ich denke, dass da wieder tatsächlich die Unterstützung von Geflüchteten ein sehr gutes Beispiel sind, um das zu verdeutlichen. Also das Gros der grenzüberschreitenden Flüchtlinge weltweit findet ja Aufnahme in Ländern mit niedrigem oder mittleren Einkommen. Tatsächlich sind drei Viertel aller Flüchtlinge in solchen Ländern. Und da geht es eben nicht nur um akute Nothilfe, da geht es ja auch darum, Perspektiven und dauerhafte Lösungen für diese Menschen zu schaffen. Und da werden dann die sogenannten Nexus-Ansätze auch relevant, also dass man einen sinnvollen Übergang von humanitärer Unterstützung zu langfristiger Entwicklungszusammenarbeit findet.
Nadine Biehler: Wie Anne schon gesagt hat, dieser Nexus, der HDP-Nexus, Humanitarian Development Peace Nexus, der ist in Fluchtsituationen besonders relevant, weil er eben versucht, diese drei Bereiche, also humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensbildung zusammenzubringen. Wieso ist das relevant in Fluchtkontexten? Ich denke, es leuchtet ein, dass Menschen auf der Flucht erstmal natürlich grundlegende Unterstützung brauchen. Ja, Unterkunft, Wasser, Gesundheitsversorgung, Bildung etc. Aber auf lange Sicht ist es schwierig und natürlich auch sehr, sehr teuer, die weiterhin über humanitäre Systeme, die parallel laufen, zu finanzieren. Daher macht es Sinn, die mittel- und langfristig in die nationalen Systeme der aufnehmenden Länder zu integrieren. Politisch ist das oft schwierig. Das geht auch manchmal mit Konflikten einher. Deswegen ist es sinnvoll, das mit Friedensbildung zu flankieren. Aber Entwicklungszusammenarbeit hat das natürlich meistens zum Ziel, also beispielsweise Gesundheitssysteme und Bildungssysteme zu unterstützen. Und da kann man die Menschen auf der Flucht sehr gut integrieren dann.
Moderatorin: Und deshalb ist es so entscheidend, dass auch die USA wegbrechen. Habe ich das dann in dem Zusammenhang auch richtig verstanden?
Anne Koch: Ja, das ist richtig. Also die USA, dass sie darauf bestehen, dass sich UN-Organisationen auf ihr Kernmandat zurückbesinnen. Das heißt jetzt im Fall von UNHCR, dem UN-Flüchtlingskommissariat, dass sie sich quasi auch weitgehend auf lebensrettende Hilfe beschränken sollen. Das heißt dann im Zweifel nur Nahrung und Unterkunft in Form von großen Flüchtlingslagern. Und das ist natürlich nicht nachhaltig.
Moderatorin: Das beschreibt ja genau dieser Nexus Passus ja, den Sie beschrieben haben. Warum, trotzdem frage ich mich, ist das so? Warum, Sie haben ja gesagt, das ist eine längerfristige, absehbare Entwicklung gewesen, auf die man nicht reagiert hat vielleicht international?
Nadine Biehler: Ich würde nicht sagen, nicht reagiert. Es ist schon so, dass sich diese Trends auch in anderen Ländern und bei anderen Gebern abzeichnen. Sicherlich nicht in der extremen Ausprägung und auch mit weniger ideologischem Unterbau. In den USA sehen wir ja nicht nur eine Abkehr, sondern tatsächlich auch eine Ablehnung dieser Zusammenarbeit, die dann als Vogue bezeichnet wird, als sinnlos und so weiter. Und das ist schon anders. Hätten die anderen Geber darauf reagieren können? Von Ihnen selbst hören wir jetzt aktuell vor allen Dingen, dass Sie nicht in der Lage sind, finanziell diese Lücke, die da entstanden ist, auszugleichen. Und ich denke, das ist auch ernst zu nehmen. Die USA haben historisch wirklich ein Drittel bis ein Viertel dieser gesamten Leistungen ausgemacht. Und das können die Europäer nicht ausgleichen.
Moderatorin: Also unmöglich, das auszugleichen. Warum ist das passiert? Ist Charity, sag ich jetzt mal so ein bisschen flapsig, nicht mehr en vogue?
Nadine Biehler: Ich bin nicht sicher, ob wir schon sagen können, dass da tatsächlich eine Veränderung stattgefunden hat. Aber diskursiv ist es zu beobachten, dass das, was auch in den USA früher teilweise ganz dezidiert als Soft Power, also als weiches Machtinstrument verstanden wurde sozusagen. Das sieht in den Bevölkerungen von den Entwicklungsländern natürlich auch gut aus, wenn man Hilfe leistet. Man kann so eine Grundlage für Zusammenarbeit schaffen, wenn man sich ein gemeinsames Thema sucht und eine Anfangsfinanzierung bereitstellt. Das wird jetzt in den USA nicht mehr so gesehen. Im Gegenteil, also die Ansicht scheint zu sein, dass es den USA eher schadet und man sich deswegen jetzt zurückzieht auf America first. Das glaube ich, haben alle schon gehört. Amerika zuerst. Und man sich auch sozusagen nur noch auf die sogenannte lebensrettende humanitäre Hilfe konzentriert. Und das ist ein sehr, sehr enges Verständnis von Lebensritten, das, wie Anne auch schon sagte, überhaupt nicht auf Nachhaltigkeit und Perspektiven eingeht.
Moderatorin: Gibt es da eine Lösung?
Anne Koch: Normalerweise versucht man ja bei Kürzungen, die nicht zu vermeiden sind, möglichst behutsam und geordnet die Zusammenarbeit zu beenden. Und bei den US-Kürzungen war jetzt das Gegenteil der Fall. Die waren, wie gesagt, maximal disruptiv, vielleicht auch bewusst. Und dadurch sind zum einen eben so grundlegende Logistikdienstleistungen weggefallen. Aber ein Punkt, auf den ich gerne noch eingehen würde, sind auch die Lücken, die das im Bereich Datensammlung und Analyse reißt. Also um sinnvoll und effektiv humanitäre Hilfe bereitstellen zu können und Entwicklungsprojekte planen und umsetzen zu können, braucht es eine Datenbasis, belastbare Informationen. Und entsprechende Daten gerade in fragilen Kontexten zu erheben, das ist aufwendig und schwierig. Und eine Reihe von kleineren Akteuren, die diese Arbeit geleistet haben, gerade in Fluchtkontexten, die werden jetzt aktuell nicht mehr oder deutlich reduziert, finanziert. Und damit droht man sozusagen, humanitäre Hilfe im Blindflug zu leisten. Dabei geht es jetzt nicht nur um absolute Zahlen. Man braucht auch sogenannte sozioökonomisch disaggregierte Daten. Man muss wissen, nicht mit wie vielen Menschen hat man das zu tun, sondern wie ist die Geschlechterverteilung, die Altersstruktur, im Zweifel der Bildungsstand, die Nationalität. Und da sind dann Akteure wie das Internal Displacement Monitoring Center oder der Joint IDP Profiling Service, beide speziell im Bereich Binnenvertreibung unterwegs. Die sind da im Moment sehr unter Druck, obwohl die eigentlich sehr wichtige Arbeit geleistet haben in den vergangenen Jahren.
Moderatorin: Weil sie keine Daten mehr liefern, also für die Hilfsorganisationen zum Beispiel, muss ich mir das ganz praktisch so vorstellen. Also wie viele Frauen, wie viele Kinder sind da, wie viele junge Menschen, wie Sie gesagt haben...
Anne Koch: Also diese zentralen Datensammlungsakteure, die müssen eben auch Personal entlassen und haben einfach weniger Kapazitäten, um alle Länderkontexte abzudecken. Und genau solche Informationen fallen dann weg.
Moderatorin: Jetzt haben wir eine Vorstellung davon, was alles weggefallen ist. Welche Länder, wie gesagt, wir haben uns ja nicht nur auf die USA konzentriert, sondern auch auf andere Länder, auch Deutschland. Was sind denn die Folgen dieser neuen Ausrichtung? Kann man das schon absehen?
Nadine Biehler: Also auf einer sozusagen globalen Ebene muss man tatsächlich befürchten, dass die Genfer Flüchtlingskonvention, die sozusagen die Grundlage auch rechtlich für Flüchtlingsschutz weltweit bietet, dass die praktisch und auch diskursiv untergraben wird. Und das hat natürlich dann auch Auswirkungen auf die Aufnahmebereitschaft der Länder, der Entwicklungsländer, die die größte Zahl an Menschen auf der Flucht aufnehmen. Negative Auswirkungen, weil die sich auch nicht mehr so stark in der Pflicht sehen, beziehungsweise durch die wegbrechende finanzielle Unterstützung auch weniger in der Lage sind, Menschen auf der Flucht aufzunehmen.
Anne Koch: Ja, ich würde vielleicht noch ergänzen, wenn die internationale Unterstützung in wichtigen Aufnahmeländern, Aufnahmeregionen wegbricht, steigt natürlich auch die Gefahr, dass die Aufnahmebereitschaft dieser Länder sinkt, auch perspektivisch. Zusätzlich, wenn es an lebensnotwendigen Dingen mangelt, dann kann es zu verschärften Spannungen zwischen Flüchtlingspopulationen und aufnehmenden Gemeinschaften kommen, zu Verteilungskämpfen und gesellschaftlicher Instabilität.
Moderatorin: Gibt es Beispiele für Länder, wo das schon aufgetreten ist oder wo es kann oder wo es gut funktioniert hat, wo es nicht so gut funktioniert hat?
Anne Koch: Also zwei gute Beispiele sind, denke ich, Äthiopien und Kenia. Die Regierungen beider Länder haben in den vergangenen Jahren eigentlich eine große, eine zunehmende Bereitschaft gezeigt, die große Zahl an Flüchtlingen in ihrem Land in lokale Systeme zu integrieren, also ihnen Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Bildungssystem, zum Gesundheitssystem zu verschaffen und genau diese Bemühungen, die natürlich ganz und gar nicht abgeschlossen sind, die sind jetzt in Gefahr, angesichts der Mittelkürzungen zum Erliegen zu kommen.
Nadine Biehler: Wir haben es natürlich schon auch mit einer Situation von großer Unsicherheit zu tun. Wir wissen, dass dieses Jahr eine ganze Menge Mittel fehlen werden. Die meisten gehen davon aus, dass es auch in 2026 und 2027 noch der Fall sein wird. Aber wie groß genau diese Kürzungen sein werden, das ist noch relativ unklar. Und das bringt natürlich eine ganze Menge Unsicherheit auch mit sich. Anna hat die fehlenden Informationen an verschiedener Stelle erwähnt. In manchen Fällen wurde da die Arbeit auch wieder aufgenommen, aber es ist natürlich unklar, wie lange das weiter finanziert werden kann. Und überall setzt jetzt sozusagen auch so ein bisschen Gerenne ein, zu versuchen, diese Lücken auszugleichen, die Mittel und das Personal woanders hinzubringen oder auch zu versuchen zu verstehen, was da überhaupt passiert ist, wo Counterparts weggebrochen sind, was genau da los ist. Und das ist natürlich was, was auf allen Ebenen stattfindet und was auch einen ganz großen Vertrauensverlust bedeutet für die Arbeit vor Ort, wenn da vom einen Tag auf den anderen die USAID-Mitarbeitenden weg sind und sozusagen den Stift fallen gelassen haben.
Moderatorin: Sind die denn wirklich weg? Muss ich mir das wirklich so vorstellen? Sind die dann wirklich so einfach weg?
Nadine Biehler: Also in vielen Fällen scheint das wirklich so gewesen zu sein, dass die wirklich von einem Tag auf den anderen weg waren und die Arbeit eingestellt haben. Durch die Presse gingen ja auch Beispiele von tatsächlich Lieferketten, die wirklich von einem Tag auf den anderen unterbrochen wurden, Lebensmittellieferungen, die in Lagerhäusern festsaßen, weil die nicht mehr ausgeliefert werden konnten und so weiter. Das ist schon, das ist nochmal eine stärkere Disruption. Anne hat die entstehenden Transaktionskosten erwähnt. Das macht einen Unterschied, ob man, massive Kürzungen sind immer ein Problem, aber ob man sie sozusagen auslaufen lässt, ankündigt, versucht das auszugleichen oder ob man die wirklich mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen umsetzt.
Moderatorin: Es ist vielleicht ein bisschen zynisch, wenn ich das jetzt frage, aber wenn Geld plötzlich wegfällt, kann es auch einen, wie sage ich, positiven Effekt bewirken. Gibt es so ein Beispiel?
Nadine Biehler: Wir haben das gehört. Manche Regierungen von Entwicklungsländern haben tatsächlich auch darauf hingewiesen, dass die Abhängigkeit, die auch bestanden hat von Entwicklungsgeldern, dass das ein Problem war und dass sie versuchen werden, das auszugleichen. Wir haben auch, das ist aber tatsächlich das einzige Beispiel, über das ich bisher gestolpert bin, für lokale Integration. Das ist von Menschen auf der Flucht. Das ist im Normalfall auch tatsächlich die günstigere Variante, weil es bedeutet, dass die Flüchtlinge Arbeit aufnehmen können und dann über mittel- und langfristige Zeithorizonte auch beitragen können zu ihrer Aufnahmegesellschaft durch Steuern und natürlich die Arbeit und die Beteiligung. Und das ist politisch oft schwierig umzusetzen. Da gibt es viele Widerstände, aber der Druck steigt natürlich finanziell, dadurch, dass jetzt internationales Geld wegbricht. Und das scheint zumindest in Thailand im begrenzten Rahmen schon dafür gesorgt zu haben, dass jetzt Flüchtlinge aus Myanmar erlaubt wurde, die Camps, in denen sie teilweise sehr, sehr lange gelebt haben, zu verlassen und Arbeit aufzunehmen, ganz regulär. Das ist ein leicht ermutigendes Zeichen. Die Hoffnung wäre ja, dass wir das woanders auch noch sehen, aber ich denke, es macht einen Unterschied sozusagen, wie stark die Aufnahmeländer betroffen sind und ob es sich um Schwellenländer oder um die am wenigsten entwickelten Länder handelt.
Anne Koch: Also wir haben jetzt viel über das Thema lokale Integration gesprochen. Ein weiterer Bereich, in dem die finanziellen Kürzungen auch negative Effekte haben, ist der Bereich Rückkehr, also die Möglichkeit für Geflüchtete in die Heimatländer zurückzukehren. Auch um die nachhaltig zu gestalten, braucht es ja Unterstützung und Reintegrationsmaßnahmen. Und wenn wir jetzt an ein Beispiel wie Syrien denken und die Rückkehrbewegungen, die da gerade aus der Nachbarschaft, aus Jordanien und dem Libanon stattfinden, um die nachhaltig zu gestalten und dafür zu sorgen, dass die Menschen sich nicht gleich wieder auf den Weg machen müssen, braucht es dann natürlich auch Unterstützung.
Moderatorin: Habe ich verstanden, dass internationale Entwicklungszusammenarbeit unter einem enormen Druck steht, enorme Unsicherheit irgendwie herrscht und dann gucken wir uns doch an, wie verhält sich denn Deutschland? Oder andersrum gefragt, wie sollte sich Deutschland vielleicht positionieren?
Nadine Biehler: Deutschland hat sich bisher bei den Kürzungen zumindest auch nicht zurückgehalten. Auch hier sind größere Kürzungen angekündigt und auch schon umgesetzt worden dieses Jahr. Die humanitäre Hilfe ist etwa um die Hälfte gestrichen worden. Und das ist natürlich schon auch ein Problem. Viele Länder rechnen mit deutscher Unterstützung und wenn die wegbricht, müssen sie die ausgleichen.
Anne Koch: Also zusätzlich gibt es sozusagen im breiteren Feld der humanitären Hilfe einige besorgniserregende Trends, die wir jetzt noch gar nicht im Detail besprochen haben. Es gibt so Beispiele einer zunehmenden Privatisierung und Militarisierung humanitärer Hilfe. Also die Bereitstellung durch private Dienstleister quasi, die nicht den humanitären Prinzipien von Neutralität und Unabhängigkeit zwingend entsprechen. Und ich denke, es ist ein ganz wichtiges Zeichen, dass sich Geberländer wie Deutschland dieser Entwicklung entgegenstellen.
Moderatorin: Da fällt mir sofort ein, es gibt ja eine Organisation, eine amerikanische Private, auch die im Gazastreifen ja zum Teil auch Hilfsgüter verteilt hat. Wäre das so ein Beispiel, was durch die Presse gegangen ist?
Anne Koch: Richtig. Die Gaza Humanitarian Foundation ist ein Beispiel, das mir auch direkt einfallen würde, das Logistikunternehmen mit leicht militarisierten Untertönen Fogbow, die sind in Gaza und im Sudan aktiv. Das ist ein weiteres Beispiel.
Moderatorin: Und Deutschland könnte durch seine Unterstützung dem entgegenwirken oder würden Sie das befürworten, dass man sich da dagegen positioniert, auch international?
Nadine Biehler: Ja, auf alle Fälle. Das ist auch die Linie der Bundesregierung. So bisher, dass man humanitäres Völkerrecht und humanitäre Prinzipien hochhält. Da bin ich weniger besorgt. Was wir in Deutschland allerdings auch sehen, ist zunehmendes Anliegen, dass Entwicklungszusammenarbeit auch deutschen Interessen, damit sind meistens wirtschaftliche Interessen gemeint, dient. Und das ist einerseits natürlich total verständlich. Wirtschaftliche Entwicklung ist ja ein zentraler Teil von Entwicklung. Und es ist absolut nicht nur denkbar, sondern auch absehbar, dass man da Modelle der Zusammenarbeit finden kann, von denen alle Beteiligten profitieren. Ich würde es aber grundsätzlich, und das fehlt mir in der Debatte so ein bisschen, sehr viel differenzierter betrachten. Es gibt natürlich schon Instrumente, die Exporte und Außenwirtschaft fördern. Exportgarantien beispielsweise, Investitionsgarantien des Bundes. Und Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe insbesondere sind natürlich aber Instrumente, die auch ganz stark auf Vertrauen beruhen. Da ist es wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, dass man das nur zum eigenen Vorteil macht, sondern dass auch klar ist, das folgt gemeinsam verabredeten Prinzipien, wie den humanitären Prinzipien oder den Zielen für nachhaltige Entwicklung, die ja auch auf globaler Ebene beschlossen wurden.
Anne Koch: Weitere Bereiche, in denen Deutschland sich engagieren sollte, sind einmal die schon eigentlich seit Jahren laufenden Bemühungen, um Effizienz- und Effektivitätssteigerungen in der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit beibehalten, sich da weiter zu engagieren, auch in dem aktuell laufenden UN-Reformprozess UN80. Es gibt da ein paar naheliegende Möglichkeiten, zum Beispiel Ressourcen bei Logistik und IT stärker zu teilen und gemeinsam zu nutzen oder schon länger verfolgte institutionelle Reformen, beispielsweise den in den Ländern verorteten UN-Beauftragten, den sogenannten Resident Coordinators, mehr Entscheidungsbefugnisse zuzusprechen. Dann, um noch einmal auf diese Nexus-Ansätze zu sprechen zu kommen, halte ich es für sehr sinnvoll, wenn die Bundesregierung sich weiter für eine bessere Verzahnung von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung einsetzt. Und, ja, das wurde vielleicht auch schon gesagt, aber angesichts der disruptiven Politik der USA ist es gerade jetzt besonders wichtig, als verlässlicher Pater aufzutreten, um auch diesem Vertrauensverlust in den Entwicklungsländern etwas entgegenzusetzen.
Moderatorin: Vielen Dank, Nadine Biehler und Anne Koch. Und Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, vielen Dank fürs Zuhören. Die Redaktion für diese Folge hatte Maya Dähne und mehr zum Thema finden Sie in den Informationen zu dieser Podcast-Folge. Am besten, Sie abonnieren den SWP-Podcast, zu finden auf den bekannten Plattformen. Ich bin Nana Brink und ich freue mich auf das nächste Mal.
Dr. Anne Koch ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und leitet das Projekt Strategische Flucht- und Migrationspolitik - Stiftung Wissenschaft und Politik. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die deutsche und europäische Flucht- und Migrationspolitik.Nadine Biehler ist Wissenschaftlerin im Projekt Strategische Flucht- und Migrationspolitik - Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie beschäftigt sich mit entwicklungsorientierter Flucht- und Migrationspolitik und humanitärer Hilfe in Fluchtsituationen.
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