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Kontraproduktive Drohpolitik: Russland drängt Finnland und Schweden näher an die Nato

Kurz gesagt, 04.02.2022 Forschungsgebiete

Moskau fordert Rücksicht auf seine Sicherheits­inter­essen, aber Helsinki und Stockholm erinnern an ihre freie Bündniswahl. Die Drohpolitik ist kontra­produktiv. Der Westen sollte das Momentum für neue Initiativen nutzen, meint Michael Paul.

Die Beziehungen des Westens zu Russland sind auf einem Tiefpunkt. Dies ist auch in Europas hohem Norden spürbar. Dort gilt die Nato als wichtiger Partner, ohne selbst Mitglied der Allianz sein zu müssen: In Finnland ist die »Nato-Option« fester Bestandteil der Sicherheits­politik und in Schweden hat das Parlament 2020 mit großer Mehrheit für einen etwaigen Beitritt in Zukunft gestimmt. An Weihnachten 2021 gab Russland jedoch bekannt, dass seine Forderung nach einem Ende der Nato-Osterweiterung auch Finnland und Schweden betrifft. In Finnland entflammte daraufhin erneut die Diskussion um einen Beitritt zum Militärbündnis und auf der geostrategisch wichtigen schwedischen Insel Gotland patrouillierten Panzer.

Immer deutlicher wird, dass der Konfrontationskurs des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht nur eine Bedrohung für die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine ist, sondern für die ganze europäische Friedensordnung. Der Kreml will sich einen Schutzraum mit Pufferstaaten schaffen, deren außenpolitischer Spielraum von Moskau bestimmt wird.

Bislang sind nordeuropäische Staaten um Ausgleich und Kooperation mit Russland bemüht. Norwegen suchte als Nato-Mitglied stets eine Balance zwischen Abschreckung durch Mit­glied­schaft in der Allianz und Rückversicherung für Russland aufrechtzuerhalten: Einer­­­seits fanden Übungen mit Nato-Mitgliedern statt, anderer­seits ließ Oslo keine dauer­hafte Präsenz von Nato-Einheiten zu. Solche Maßnahmen verlieren jedoch ihren Sinn, wenn Russland immer aggressiver auftritt und die Souveränität seiner Nachbarstaaten bedroht. Damit werden Prinzipien der auch von Russland unterzeichneten Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) infrage gestellt, darunter der Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt, die gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängig­keit eines Staates gerichtet ist.

Finnlands Freiheit der Wahl

Außen­politisch sind Finnlands Prioritäten von der verschlechterten Sicherheitslage in Europa gekennzeichnet. Die veränderten Rahmenbedingungen haben zur stärkeren Zusammenarbeit zwischen den nordischen Ländern geführt. Schweden ist Finnlands engster Partner, der im Konfliktfall strategische Tiefe verleiht. Die Präsenz und Aktivitäten der Nato im Ostsee­raum haben für Helsinki darüber hinaus eine wichtige strategische Wirkung. Dem­entsprechend sucht Finnland die enge Zusammenarbeit mit dem Atlantischen Bündnis. Dem diente im Juni 2021 das multinationale Manöver »Arctic Challenge 2021«. Dazu hatten Finnen und Schweden sieben Nato-Staaten eingeladen, darunter Deutschland. Aus finnischer Sicht verhalten sich EU, Nato und Nordische Kooperation komplemen­tär zueinander, so dass ein Beitritt zum Militärbündnis bislang nicht erforderlich erschien.

Deutlich an die Adresse Russland gerichtet war aber der Hinweis auf Finnlands »Freiheit der Wahl« hinsichtlich der Nato-Mitgliedschaft, womit der finnische Präsident Sauli Niinistö in seiner Neujahrs­ansprache 2022 an die Verpflichtungen der KSZE-Schlussakte erinnerte. »Wir wollen selbst entscheiden dürfen, ob wir einem Sicherheits­bündnis beitreten«, sagte er. Die russische Forderung, künftige Nato-Beitritte seien kategorisch auszu­schließen, stelle diese Souveränität infrage. Ein »finnisches Modell« – gewisser­maßen freiwillig seine Souveränität einzuschränken – gebe es nicht, was auch mit Blic­k auf die Ukraine gelte.

Die finnische Premierministerin Sanna Marin hält einen Beitritt in ihrer derzeitigen Amtszeit für »sehr unwahr­schein­lich«. Diese Haltung entspricht der Einstellung in Finnland: In einer aktuellen Umfrage sprachen sich 28 Prozent der befragten Finnen für und 42 Prozent gegen einen Nato-Beitritt aus. Im Vergleich zu 2019 ist die Zahl der Befürworter um acht Prozent gestiegen und die Ablehnung um 14 Prozent gesunken. Russlands Druck hat somit den gegenteiligen Effekt.

Schwedens Neutralitätspolitik unter dem Druck Moskaus

Bisher folgt Schweden einer außenpolitischen Linie, die auf den sozialdemokratischen Minister­präsidenten Olof Palme zurückgeht und eine tief im politischen Selbst­verständ­­nis verwurzelte Neutralitätspolitik verfolgt. Allianzfreiheit und Friedens­bemühungen stehen im Zentrum. Parallel dazu praktiziert Stockholm eine pragmatische Sicherheitspolitik, in der es so nahe wie möglich an die Nato rückt, ohne aber von Beitritt zu reden. Mittlerweile wirkt die von Russland geforderte Absage an jede Nato-Erweiterung nahe seiner Grenze aber auch in Schweden als »sicher­heitspolitischer Sprengstoff«, wie das Stockholmer Svenska Dagbladet schrieb. »In Schweden entscheiden wir selbst, mit wem wir kooperieren«, erklärte die seit November 2021 amtierende Premierministerin Magdalena Andersson und kündigte eine »Vertiefung der Partnerschaft zwischen Schweden und der Nato« an. Damit hat Moskau mit seinen Forderungen und Drohungen auch hier das genaue Gegenteil erreicht.

Neue Dynamik in Brüssel, altes Menetekel in Moskau

Das aggressive russische Auftreten verleiht der Nato und der Verteidigungskooperation im Norden neuen Schub und wird absehbar dazu führen, dass die Zusammenarbeit mit den USA und der Nato intensiviert wird. Russland befindet sich in einer Situation, die der Kreml stets als Menetekel beschwört, aber nun mit militärischer Machtdemon­stration als »etabliertes Mittel russischer Zwangsdiplomatie« selbst herbeiführt: die wieder notwendig gewordene Einhegung russischer Macht. Dabei geht es nicht darum, Russland kleinzuhalten, sondern die negativen Auswirkungen von Putins Politik zu begrenzen. Die Wiederaufnahme von Dialog­formaten allein ändert wenig, es bedarf konkreter transatlantisch abgestimmter Initiativen, um die Sicherheit in Europa im beiderseitigen Interesse zu erhöhen – so in der Rüstungskontrolle von offensiven Waffensystemen in der russischen Exklave Kaliningrad bis hin zur Raketen­abwehr auf Nato-Territorium.