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Russland in der Arktis

Entwicklungspläne, Militärpotential und Konfliktprävention

SWP-Studie 2021/S 19, 28.10.2021, 43 Seiten

doi:10.18449/2021S19v02

Forschungsgebiete
  • Russland will ein hohes Maß selbstbestimmter Stabilität in der Arktis erhalten. Das hält Moskau für nötig, um die vielen Probleme und Entwicklungshindernisse zu überwinden, die mit den eigenen ambitionierten Plänen, aber auch mit den Folgen des Klimawandels verbunden sind.

  • Der Rückgang des Meereises hat einen subjektiv empfundenen Verlust an Sicherheit zur Folge, der die traditionelle Belagerungsmentalität verstärkt. Zudem ist die russische Außenpolitik auch in der Arktis von einem reflex­artigen Primat der Sicherheitspolitik gekennzeichnet.

  • Moskau versucht, die nationale Sicherheit inklusive wirtschaftlicher Inter­essen mit einem breiten Spektrum rüstungs- und militärpolitischer Akti­vitäten zu gewährleisten, das neue nukleare Einsatzmittel einschließt. Dieses Bestreben werten die anderen Arktisanrainer und die Nato zuneh­mend als bedrohlich. Russland nimmt eine defensive Haltung in der Arktis ein, ist im Konfliktfall aber auf eine rasche Eskalation vorbereitet.

  • Arktispolitik ist ein Mittel der russischen Strategie für Europa, um wirt­schaftlich und politisch Einfluss zu nehmen. Dabei wird das Zusammenwirken von Nord- und Ostseeflotte immer wichtiger, wenn es darum geht, geostrategische Interessen zu wahren und das Hoheitsgebiet zu verteidigen.

  • Die arktischen Staaten müssen eine schwierige Balance halten: Sie wollen die Seewege und Ressourcen sichern, zugleich aber eine Eskalations­spirale in der Region verhindern. Um die Folgen des Sicherheitsdilemmas zu begrenzen, sollte der Dialog über militärische Sicherheit reaktiviert werden. Zudem gibt es weiterhin Kooperationsmöglichkeiten. Beispiele sind Klima- und Umweltprojekte, nachhaltige und umweltverträgliche Energienutzung, Infrastruktur, maritime Sicherheit und Wissenschafts­zusammenarbeit.

Problemstellung und Schlussfolgerungen

Das Verhältnis des Westens und der Nato zu Russland ist so schlecht wie lange nicht. Das ist besonders im Hohen Norden und in der Arktis spürbar – dort, wo der Nato-Staat Norwegen eine wenn auch kurze ge­meinsame Grenze mit Russland hat und wo sich die nicht zur Allianz gehörenden Staaten Finnland und Schweden überlegen, welchen Kurs sie gegenüber Mos­kau künftig steuern wollen. In Helsinki halten die Verantwortlichen sich die Nato-Mitgliedschaft offen, und in Stockholm hat das Parlament im Dezember 2020 mit großer Mehrheit für eine »Nato-Option« gestimmt.

Seit der russischen Invasion Georgiens 2008, der die völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 und der fortdauernde Krieg in der Ostukraine folgten, hat sich die Lage in der lange von friedlicher Kooperation geprägten Arktis grundlegend verändert. Exemplarisch konstatiert Schweden in seinem jüngsten Strategie­papier vom November 2020 eine neue militärische Dynamik in der Arktis. Dieser Lagebeurteilung liegt die Empfehlung eines überparteilichen Forums (Försvarsberedningen) zugrunde, in dem daran erinnert wurde, dass Schwedens sicherheitspolitisch relevante Nach­barschaft auch im Hohen Norden liege – nämlich Barentssee und Norwegische See. Eben dort häufen sich russische militärische Aktivitäten. Worin besteht diese militärische Betriebsamkeit in der Region, und inwiefern begründet sie eine neue militärische Dyna­mik im arktisch-nordatlantischen Raum? Schließlich ist dieser Raum auch für Deutschland von kritischer Bedeutung: Zum einen würde eine militärische Kon­frontation die Bundeswehr im Rahmen der Nato fordern. Zum anderen liegt Deutschland an den geo­ökonomisch und geostrategisch wichtigen Seeverbindungslinien in Nordeuropa. Jede mögliche Störung dieser Verbindungen hätte Konsequenzen für die Sicherheit und Stabilität der gesamten Region.

Russlands militärische Aktivitäten stehen zunehmend in Gegensatz zum allgemeinen Bestreben der Anrainerstaaten des Nordpolarmeers, die Arktis in einem Zustand friedlicher Zusammenarbeit zu halten. Dabei müsste Moskau in besonderer Weise an Frieden und Stabilität interessiert sein, um ein möglichst attraktives Investitionsklima zur Entwicklung der nördlichen Regionen und zur Förderung arktischer Rohstoffe zu bewahren. Die fossilen Energieträger Öl und Gas liefern einen wichtigen Beitrag zum Staats­haushalt und zur sozioökonomischen Entwicklung Russlands. Offenbar will Moskau eine möglichst gro­ße selbstbestimmte Stabilität aufrechterhalten, um das notwendige Maß an Kooperation nach Belieben er­höhen oder verringern zu können. Je mehr sich näm­lich die politischen Beziehungen zwischen Russ­land und China auf der einen, den USA sowie Nato-Staaten auf der anderen Seite verschlechterten, desto stärker hat sich die systemische und militärpolitische Rivali­tät bis auf die Arktisregion ausgedehnt. Wach­sende militärische Präsenz, mehr Manöver sowie unter­schwel­lige Konflikte um Ressourcen und Meeres­räume haben die Region in eine ungewollte Dynamik gera­ten und ein arktisches Sicherheitsdilemma ent­stehen lassen. Immer deutlicher tritt zutage, dass Russland, China, aber auch Alliierte ein zunehmendes Interesse hegen, die Arktis unter Einschluss mili­tärischer Fähig­keiten zu nutzen. Das genannte Sicherheitsdilemma hat seinen Ursprung maß­geblich in der Ent­wicklung der russischen, stark mili­tarisierten Arktis­politik, auf die der Westen nun energischer reagiert.

Die Arktisanrainer verfolgen aufmerksam jede Entwicklung der jeweils anderen Seite. Nicht alle arkti­schen Akteure besitzen die Fähigkeiten und das Potential, militärisch allein in dieser Region zu agieren. Daher hat sich die Nato nachdrücklicher als Gegenpol zu Russland, aber auch zu China positioniert. Neben ersten militärstrategischen Analysen und politischen Bekundungen zur Bedeutung der Arktis für die Nato sind auch Übungs- und Manövertätig­keiten der Allianz wie Russlands in der Arktis und im subarktischen Raum zahlreicher geworden.

Vor diesem Hintergrund werden fünf Themenkomplexe analysiert: Erstens hat die Arktis mit den angrenzenden maritimen Räumen des Nordatlantiks und der Ostsee besondere geostrategische und opera­tive Bedeutung, nicht nur aus Sicht der Nato-Staaten, sondern auch aus russischer Perspektive. Zweitens dient die Arktis Russland dazu, eine Reihe wichtiger Ziele zu verfolgen: Geopolitisch fungiert sie als Grundlage, um die Rolle als Großmacht abzusichern. Ökonomisch basiert das russische Wirtschaftsmodell überwiegend auf der Nutzung fossiler Ressourcen, die in der Arktis reichlich vorhanden sind. Militärisch bilden der arktische und der subarktische Raum eine strategische Bastion für Abschreckung und Verteidigung. Ein früheres weiteres Ziel, nämlich die Arktis als Ort der Zusammenarbeit und damit als stabilisierenden Faktor in der internationalen Politik zu be­wahren, verliert unter Putin zusehends an Bedeutung und existiert nur noch in vereinzelten außenpolitischen Deklarationen. Drittens sind die russischen Ent­wicklungspläne einseitig sozioökonomisch ausgerichtet, reduzieren die Nördliche Seeroute (NSR) praktisch auf eine Transportroute für fossile Energieträger und erzeugen kostspielige militärische Verteidigungs­maßnahmen gegen einen fiktiven Gegner. Insgesamt lassen fehlendes Kapital, selbstverschuldete Umweltkatastrophen und Verzögerungen bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels die russischen Ent­wicklungspläne nicht als realistische Strategie er­schei­nen. Viertens hat der Rückgang des Meereises einen subjektiv empfundenen Verlust an Sicherheit zur Folge, der die traditionelle Belagerungsmentalität ver­stärkt. Fünftens haben die wachsenden militärischen Aktivitäten der Russischen Föderation – und zum gewissen Teil die Ambitionen Chinas – große Un­sicherheit und damit ein Sicherheits­dilemma hervor­gerufen. Ein solches entsteht, wenn die Politik eines Staates, durch Steigerung der eigenen militärischen Macht mehr Sicherheit für sich selbst zu erlangen, andere Staaten verunsichert. Daraus lassen sich ver­schiedene Maßnahmen zur Konfliktprävention ablei­ten. Zuvorderst ist es geboten, den Dialog der Arktis­staaten über militärische Sicherheit wiederzubeleben.

Deutschland sollte angesichts dieser Entwicklungen zweigleisig vorgehen: Zum einen sollte es sicher­heits- und militärpolitische Fähigkeiten und ein entsprechendes Engagement im arktisch-nordatlanti­schen Raum konzentrieren. Zum anderen sollte es offene Bereitschaft und Initiative zu Dialog und Ko­operation in weniger sensiblen, nicht sicherheits­bezogenen Bereichen signalisieren. Beispiele für eine nicht sicherheitsbezogene Kooperation mit Russland sind Klima- und Umweltprojekte, nachhaltige und umweltverträgliche Energienutzung, Infrastruktur, maritime Sicherheit und Wissenschaftszusammen­arbeit. Deutschlands sicherheitspolitischer Beitrag zur Stabilisierung der Lage im arktisch-nordatlantischen Raum bestände in einer Mischung von Maßnahmen: Hierzu gehört, alliierte Verbündete rückzuversichern, etwa durch Übungen, aber auch durch rüstungspoli­tische Kooperation, zum Beispiel mit Norwegen. Dazu zählt weiterhin, Russland von aggressiven Handlungen abzuschrecken, indem Deutschland entsprechende Fähigkeiten wie etwa Seefernaufklärer bereitstellt. Dies verbessert auch die deutsche Mitwirkung im Nato-Rahmen.

Russland in der Arktis

Während Alaska für die USA eine weit entfernte Ex­klave ist, bilden Sibirien und die Arktis für Russland einen integralen, geostrategisch und wirtschaftlich wichtigen Bestandteil der Russischen Föderation, der eine zentrale, oftmals mystisch überhöhte Bedeutung besitzt. Die Arktische Zone der Russischen Föderation (AZRF) umfasst etwa 5 Millionen Quadratkilometer und erstreckt sich entlang der Küstengebiete von Barentssee, Karasee, Laptewsee, Ostsibirischer See und Tschuktschensee bis zur Beringstraße. Die Küstenlinie ist 24.140 Kilometer lang – über die Hälfte der gesam­ten arktischen Küste und zwei Drittel der gesamten russischen Küste von 37.653 Kilometern.1

Mystisch überhöht sind die russische Arktis und das Nordpolargebiet nicht nur aufgrund der menschen­feindlichen Lebensbedingungen. Vertreter der natio­nalistischen Denkschule in Russland sehen sich als Nachfahren der mythologischen Hyperboreer2 und wollen sich von der individualistisch und materiali­stisch geprägten Konsumkultur des Westens durch hohe Moralstandards, Spiritualität und Patriotismus unterscheiden. In der Orientierung nach Norden glauben sie dem alten Identitätsdilemma entfliehen zu können, dass Russland weder Teil des europäischen Westens noch des asiatischen Ostens sei.3 Als Wissenschaftler der staatlichen Lomonossow-Uni­versität in Moskau im Juni 2012 vorschlugen, das Nordpolarmeer in Russischer Ozean umzubenennen, folgten sie einem nationalen Pathos, das unter dem russischen Präsidenten Putin verstärkt als Mittel zur Legitimation seiner Herrschaft dient.4 Im russischen Diskurs wird die Arktis also nach innen identitäts­stiftend und nach außen abgrenzend instrumentalisiert, während die im internationalen Kontext früher übli­chen Attribute als Zone des Friedens und der Ko­operation in den Hintergrund rücken. Die Arktis als Kulminationspunkt von Russlands Macht, Prestige und Identität hat die Entschlossenheit bestärkt, ihre Entwicklung voranzutreiben. Deshalb gilt die AZRF in Moskau als strategische Priorität und Ressourcenbasis im 21. Jahrhundert. In dieser Zone konzentrieren sich laut Putin »praktisch alle Aspekte der natio­nalen Sicherheit – militärische, politische, wirtschaftliche, technologische sowie jene, die Umwelt und Ressourcen betreffen«.5 Es ist kein Zufall, dass das sorgsam inszenierte Bild des Präsidenten, der sich mit unbekleidetem Oberkörper beim Fischen präsen­tierte, in Sibirien6 aufgenommen wurde. Spätestens seit 2014 wurden »Traditionalismus, Nationalismus, starke Führung und Großmacht-Konfrontation mit dem Westen zum zentralen Legitimationsnarrativ des russischen Staates«.7

Längst befindet sich die Arktis im Fokus globaler geopolitischer Rivalitäten zwischen den USA, Russland und China.

Russland gilt als arktischer Hegemon,8 weil es in diesem Raum über den größten Anteil an Territo­rium, Ressourcen und Bevölkerung verfügt. Allein diese herausragende Position unter den Arktisstaaten sichert aber noch keine Herrschaft. Aufgrund der Veränderungen durch den Klimawandel richtet sich Moskaus hohes Sicherheitsbedürfnis besonders auf diesen Raum, zumal Staat und Wirtschaft auf die stetigen Einkünfte aus dem Geschäft mit fossilen Energieträgern angewiesen sind. Fördersteuern und Exportzölle auf Öl und Gas machten seit Mitte der 2000er Jahre in Russland rund die Hälfte der födera­len und etwa ein Viertel der gesamten Steuereinnah­men aus.9 Die Aufmerksamkeit des Kreml für den arkti­schen Raum hat klare Ursachen: Dort finden 90 Pro­zent der derzeitigen russischen Gasförderung und 60 Prozent der Ölförderung statt, außerdem befinden sich dort 60 Prozent der russischen Gas- und Öl­reserven.10 Laut Alexei Fadejew, Mitglied der Experten­gruppe »Geologie und Arktis« der Russischen Gas­gesellschaft, werden 2035 rund 60 Prozent der global geförderten Kohlenwasserstoffe aus arktischen Roh­stoffvorkommen stammen.11 Bei der Erschließung und Nutzung der Arktis muss Russland einen Spagat vollführen. Einerseits benötigt es ausländische Investitionen, um die dort vorhandenen Rohstoffe und Ressourcen zur Stabilisierung des Staatshaus­haltes und Entwicklung der eigenen Wirtschaftskapazitäten zu nutzen. Andererseits sind die Arktis und die wahrgenommenen Verwundbarkeiten im Hohen Norden derart tief im nationalen Bewusstsein ver­ankert, dass externer Einfluss und ausländische Prä­senz nur unter eigenen Bedingungen und zum eige­nen Vorteil akzeptiert werden. Vor diesem Hintergrund ist auch das sich ausweitende Zweckbündnis mit China in der Arktis zu verstehen. Noch existieren dort gemeinsame oder sich überlagernde Interessen. Schon längst aber befindet sich die Arktis im Fokus globaler geopolitischer Rivalitäten, in denen nicht nur die USA und Russland, sondern auch China teil­weise konfliktträchtige Ambitionen hegen. Moskau begrüßt chinesische Investitionen in den Ausbau der arktischen Infrastruktur und zur Erschließung der NSR, solange dies russischen Interessen dient. Ferner soll ein Technologietransfer in beide Richtungen stimuliert werden. Während Russland unter anderem China mit Militärtechnologie und entsprechendem Know-how beliefern kann, verfügt China wiederum über Erfahrung und Technologien für den Ausbau der maritimen Infrastruktur oder automatisierender Hightech. Aus chinesischer Sicht bildet die zukünf­tige polare Seidenstraße eine potentielle Verkürzung seiner Handelswege im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI). Kürzer heißt dabei nicht nur schneller, sondern auch billiger. Gleichzeitig wäre sie ein Gegenpol zu den maritimen Engstellen Suezkanal und Straße von Malakka, die im Falle einer Störung den Handel und die Rohstoffversorgung zum Erliegen bringen können. Ferner ist China daran interessiert, die fossilen Energieträger der Arktis zu nutzen, um seine Wirtschaft damit am Laufen zu halten – inso­fern diese rentabel erschlossen und abgebaut werden können. Aus einer militärpolitischen und strategischen Betrachtung ist die Arktis schon heute für China wichtig, und künftig könnten Flottenverbände vom Pazifik in den Atlantik schneller verlegt oder Unter­seeboote im Schutz der Arktis stationiert werden. Hier bieten sich Gelegenheiten, Distanzen zu und Reaktionszeiten gegenüber potentiellen Kontrahenten in einem sino-amerikanischen Konflikt zu verkürzen. Ein russisch-chinesisches Zweckbündnis in der Arktis wird sich aber nur weiterentwickeln, wenn es den Interessen beider Seiten gleichermaßen dient. Keine der beiden Seiten wird bereit sein, sich auf die Rolle eines Juniorpartners oder Steigbügelhalters zu beschränken.

Der geografische und operative Kontext von Arktis und Nordatlantik

Weltweit nehmen die Machtrivalitäten zu. Dabei ist die globale maritime Domäne der Raum, der die meisten sicherheitspolitischen Konfliktlinien, Span­nungen und potentiellen Eskalationsdynamiken aufweist. Dies gilt in besonderem Maße für die Arktis.

Die am häufigsten als geografische Abgrenzung benutzte Definition der Arktis richtet sich am Nörd­lichen Polarkreis (66°32'N) aus. Im Wesentlichen ist die Arktis ein Meer, das von Kontinentalstaaten umgeben ist.12 Das Europäische Nordmeer zwischen Grönland und Nordeuropa verbindet den Arktischen Ozean mit dem Atlantik, die Beringstraße bildet als Meerenge zwischen Asien und Amerika die Verbindung der Arktis mit dem Pazifik.13 (Siehe Karte 1, S. 10.)

Lage und Bedeutung des Arktischen Ozeans wechseln je nach Standpunkt des Betrachters. Der Blick (und die entsprechende Darstellung) aus Washington weicht naturgemäß erheblich von der Vorstellung Moskaus oder der bipolaren Sicht Pekings14 ab. Der von Norwegen geprägte Begriff des Hohen Nordens umfasst in einer rein geografischen Betrachtung den gesamten Raum vom Europäischen Nordmeer über Grönlandsee und Barentssee bis hin zur Petschorasee, inklusive der angrenzenden Küstenregionen und Landmassen sowie der eingeschlossenen Inseln.15 Im sicherheitspolitischen Zusammenhang kann außer­dem ein arktisch-nordatlantischer Raum identifiziert werden. Dieser arktische und subarktische Raum ist im operativen Nato-Kontext relevant. In der Nato wird hierfür seit einigen Jahren, ergänzend zum nahezu analog verwendeten Begriff Hoher Norden, häufiger wieder die Bezeichnung Nordflanke der Allianz bemüht.

Der Terminus Nordflanke ist ein wiederbelebtes Wortkonstrukt des Kalten Krieges, welches sich heute im Sprachgebrauch der Nato wie auch vieler Beobach­ter und Analysten wiederfindet. Besonders in den 1980er Jahren wurden die maritime Dimension und der Schutz der Nordflanke gegenüber dem sowjetischen Bastionskonzept16 in den Mittelpunkt gestellt. Damals bezeichnete »Nordflanke« das Gebiet, welches Norwegen, Dänemark sowie Teile der Norddeutschen Tiefebene umfasste und dem Verantwortungsbereich des Kommandos Allied Forces Northern Europe zu­geordnet war.17 Heute wird der Begriff als Sammel­bezeichnung in wechselnden Kontexten genutzt.

Karte 1

Quelle: Arctic Monitoring Assessment Programme (AMAP)

Im Nato-Zusammenhang werden zu den Ländern der Nordflanke in einer minimalistischen Auslegung Belgien, Dänemark, die Niederlande, Island, Norwegen und das Vereinigte Königreich gerechnet.18 In einer erweiterten Interpretation werden das Baltikum sowie die Nato-Ostseeanrainer dazugezählt.19

Schon in der geografischen Bestimmung der Nato wird klar, dass diese eine Rolle in der Arktis spielt.

Originäre Arktisanrainer – darunter die Mitglieder des Arktischen Rates – und Staaten mit einem starken Eigeninteresse an der Region sind dagegen deutlich weniger an der Zahl. Zwar ist die geografische Einengung auf den Arktisraum in der Nato eher unüblich, sowohl terminologisch als auch was seine Mitglieder betrifft. Dennoch erscheint in dieser Studie ein genauerer Blick angebracht, um ein mögliches geografisches und militärisches Interesse der Nato im arktischen Raum herauszuarbeiten. Zu den alliierten Arktisnationen sollten daher die westlichen Verbündeten gezählt werden, deren Hoheitsgewässer und ausschließlichen Wirtschaftszonen in der Polarregion und zugleich im Verantwortungsbereich des alliierten Oberbefehlshabers (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR) liegen. Das sind zum einen – in der nördlichsten Ausprägung im Atlantik – Kanada sowie Dänemark mit dem autonomen Territorium Grönland. Daran angrenzend liegt die demilitarisierte Inselgruppe Spitzbergen (Svalbard), die zu Norwegen gehört. Im weitesten Sinne zählen Island, welches an den nördlichen Polarkreis grenzt, und die USA, die mit Alaska einen direkten Übergang zum Arktischen Ozean besitzen, zu den arktischen Staaten der Allianz. Projiziert man dies auf eine Karte, so wird deutlich, dass die Grönlandsee, die Labradorsee, die Baffin-Bucht, das Europäische Nordmeer sowie das Nord­polarmeer als arktische Region zum Interessengebiet der Nato gerechnet werden können. Das Interessengebiet der Allianz beziehungsweise der Operations­bereich des SACEUR ist als jener Raum definiert, der die Terri­torialgebiete der europäischen Alliierten sowie die eingeschlossenen Seegebiete umfasst und sich dann im Nordatlantik vom Nordpol bis zum Nördlichen Wendekreis sowie in der Westausdehnung bis zur Ostküste Nordamerikas (ohne die Landfläche der USA) erstreckt.20 Es handelt sich um das geografische Gebiet, für das die Politik, also die Regierungen, dem alliierten Oberbefehlshaber schon in Friedens­zeiten das Mandat erteilt hat, bestimmte Aufgaben, Befug­nisse und Verantwortung wahrzunehmen.21 Demnach wird schon in der geografischen Bestimmung der Nato klar, dass diese eine Rolle in der Arktis spielt.

Der Zusammenhang der Arktis mit den angrenzen­den maritimen Räumen des Nordatlantiks und der Ostsee ist auch aus russischer Perspektive von beson­derer geostrategischer und militärisch-operativer Bedeutung. Geostrategisch stellt sich der europäische Kontinent als Verlängerung der eurasischen Landmasse in Form einer Halbinsel dar. Gleichzeitig hat Europa jedoch die überwiegend frei zugängliche Küstenlinie zum Atlantik. Russlands kürzester Zugang zum Atlantik erfolgt entweder über die Ostsee oder die Arktis. Dort sind wichtige maritime und militäri­sche Fähigkeiten disloziert, die jedoch in ihrer Be­wegungsfreiheit eingeschränkt sind. Drei der vier Flottenverbände der russischen Marine – die Ostsee­flotte, die Schwarzmeerflotte und die Pazifikflotte – liegen in Gewässern, die von der Hohen See abgetrennt sind. Deshalb können russische Kriegsschiffe die offene See nur über maritime Kanäle oder Eng­stellen erreichen und sind deswegen gut zu orten und zu verfolgen.22 In der Arktis scheint die Situation für die russischen Seestreitkräfte auf den ersten Blick günstiger zu sein. Limitierende Faktoren dort sind jedoch die rauen Witterungsbedingungen, das zeit­weilige Vorhandensein von Eismassen und militärisch-operative Engstellen, nämlich zwischen Grön­land, Island und dem Vereinigten Königreich (GIUK Gap) sowie vom norwe­gischen Festland über die Bären­insel bis Spitzbergen (Bear Gap). Gerade die GIUK-Eng­stelle spielt in militärisch-operativen Planungen der Nato eine zentrale Rolle und wird daher wieder rund um das Jahr beobachtet. Russlands Nordflotte wurde zum 1. Januar 2021 mit einem Erlass des Präsidenten in den Status eines eigenständigen Militärbezirks erhoben. Damit wurde dem Stellenwert vor allem der nuklearen Zweitschlagsfähigkeit, aber auch der Rolle der Nordflotte bei der Bewahrung der territorialen Integrität Russlands Rechnung getragen.23 Dieser Akt ist zunächst eine politisch-strategische Aufwertung, die jedoch gleichzeitig der Nordflotte mehr Unabhängigkeit, Flexibilität und Beachtung bei der Verteilung von Ressourcen einbringt. Aktuelle rüstungspolitische Entscheidungen deuten sogar darauf hin, dass die Nordflotte gegenüber der Pazifikflotte bevorzugt wird. Aufgrund ihrer strategischen Relevanz erhält die Nordflotte mehr neue Atom-U-Boote der vierten Gene­ration, der Borei-Klasse, als ursprünglich vorgesehen. Mit diesen U-Booten und ihren ballistischen Raketen wird die Nordflotte über das modernste und umfangreichste Arsenal an nuklearstrategischen Waffen­systemen verfügen.24 Zugleich wird sie die größte der vier russischen Flotten sein. Allerdings stammt der überwiegende Teil ihrer ungefähr 40 Überwasser­einheiten noch aus Zeiten des Kalten Krieges und wurde technologisch kaum modernisiert.25 Noch scheinen damit die Nato-Seestreitkräfte zahlenmäßig überlegen zu sein und über mehr moderne Waffensysteme zu verfügen. Jedoch will Moskau das Kräfte­verhältnis maritimer und vor allem strategischer Waffensysteme im Nordatlantik zu seinen Gunsten verändern.26

Moskau will das Kräfteverhältnis maritimer und vor allem strategischer Waffensysteme im Nordatlantik zu seinen Gunsten verändern.

Die neuen Atom-U-Boote sind Bestandteil eines komplexen Netzwerks aus konventionellen und stra­tegischen Waffensystemen sowie den dazu­gehörigen Sensoren, welche weit über russisches Territorium hinaus wirken können. Im Sinne des später noch zu erörternden Bastionskonzepts be­inhaltet die Verteidi­gung des russischen Territoriums die Kontrolle über einen weit vorgelagerten geografischen Raum, um möglichen Gegnern frühzeitig den Zugang dorthin zu verwehren. Der Verantwortungsbereich der Nord­flotte zum Beispiel erstreckt sich über die Barentssee bis hin in den Nordatlantik, ver­mutlich bis zur GIUK-Engstelle. Dieses Gebiet grenzt im Osten an die Nord­see, die Ostsee und den Ärmel­kanal. Auch wenn dies in keinem offiziellen und öffentlich zugänglichen Dokument der russischen Führung explizit erwähnt wird, handelt es sich hier augenscheinlich um den Verantwortungsbereich der russischen Ostseeflotte. Diesen Rückschluss erlauben deren Aktivitäten in den letzten Jahren, die abgehaltenen Übungen, die Sze­narien und Schwerpunkte.27 Zwar besteht die Haupt­aufgabe der Ostseeflotte laut Russlands Militärdoktrin darin, russisches Territorium in der Ostsee zu vertei­digen, doch sind auch maritime Operationen jenseits davon vorgesehen.28 Schon aus geografisch-operativen Überlegungen müssen sich Nordflotte und Ostsee­flotte in den ver­schiedenen Szenarien gegenseitig unterstüt­zen, da die Räume ineinander übergehen und wesent­liche Seeverbindungslinien durch sie verlaufen. (Siehe Karte 2.)

Aus russischer Sicht geht es dabei nicht nur um die Seeverbindungslinien zum eigenen Hoheitsgebiet, sei es in der Arktis oder in der Ostsee. Gemeint sind damit heute vielmehr auch die potentiellen Verkehrs- und Transportwege sowie Endpunkte einer zukünftigen arktischen und maritimen Seidenstraße. Im Zuge einer angestrebten Harmonisierung der Eurasischen Wirtschaftsunion und der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI) sieht Russland die Möglichkeit, sich geostrategisch, aber vor allem geoökonomisch profi­tabel als handelspolitische Drehscheibe und weltpolitischer Akteur vom Rande Europas und Asiens in das Zentrum Eurasiens zu rücken.29 Das Denken in geo­strategischen Räumen und die Verknüpfung mit geo­ökonomischen Vorteilen bestimmen die russische außen- und sicherheitspolitische Doktrinenlandschaft. Bereits in seinem 2016 erlassenen außenpolitischen Konzept verfolgt Russland das Ziel, einen umfassenden Wirtschaftsraum vom Atlantik bis zum Pazifik30 in Gestalt eines größeren und bedeutungsvolleren Eurasiens zu etablieren.31

Karte 2

Quelle: Wikipedia-Artikel, »Russian Navy«, <en.wikipedia.org/wiki/Russian_Navy>

Für einen solchen Kooperations- und Sicherheitsraum warb der russische Präsi­dent in einem Artikel der deutschen Wochenzeitung »Zeit« vom Juni 2021.32 In einem derartigen Szenario erwächst vor allem der Enklave Kaliningrad und mit ihr der Ostseeflotte eine herausgehobene Bedeutung. Kaliningrad befindet sich dann an der nördlichen Schnittstelle zu einem geo­strategischen Gebiet, welches im slawischsprachigen Raum durch das Konzept des Intermarium – eines zusammenhängenden geostrategischen Raumes zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Adria – in den letzten hundert Jahren wiederholt bekannt wurde.33 Schon in unterschiedlichen strategischen und poli­tischen Konstellationen des 20. Jahrhunderts spielte dieser Raum, der je nach Betrachtung die Staaten Osteuropas oder alternativ nahezu sämtliche Staaten Ost- und Mitteleuropas umfasst, eine besondere Rolle.34 Geoökonomisch manifestieren sich in diesem Konzept heute die see- und landseitig geführten Über­gänge und Endpunkte der BRI für Zentraleuropa so­wie der russischen Öl- und Gaspipelines nach Europa.35 Geostrategisch zählt dieses geografische Gebiet zu den direkten und un­mittelbaren Inter­essensphären russischer Außen- und Sicherheits­politik. Es bildet die verbindende Landmasse zwischen dem Hohen Norden, der Ostsee und dem Schwarzen Meer beziehungs­weise dem Mittelmeer. Bestehende und ehemalige Einflussgebiete russischer und sowjetischer Außen­politik in dieser Region gehören nunmehr zu Nato und EU. Deshalb besitzt Russland an seiner Westgrenze kaum noch eine strategische Pufferzone.

Russlands Arktispolitik, sowohl ökonomisch als auch sicherheitspolitisch, ist also auch ein Mittel seiner Strategie, seinen politischen und wirtschaft­lichen Einfluss in Europa auszuweiten.36 Für Russland wird daher das gemeinsame und koordinierte Zu­sammenwirken zwischen Nordflotte und Ostseeflotte immer wichtiger, wenn es darum geht, seine geo­strategischen und geoökonomischen Interessen zu wahren und sein Hoheitsgebiet zu verteidigen. Diese enge Verknüpfung der beiden regionalen Groß­verbände wurde zuletzt bei der Übung Ocean Shield 2019 erprobt. Der Hohe Norden ist weder aus rus­sischer Perspektive noch aus Sicht der Nato ein deut­lich eingrenzbarer geografischer Raum. Vielmehr steht er und mit ihm die Arktis in enger Wechsel­wirkung mit den angrenzenden geografischen und geostrategischen Räumen des Atlantiks, der Ostsee und des Intermariums sowie deren militärischer, poli­tischer und ökonomischer Nutzung.

Die funktionale Bedeutung der Arktis für Russland

Die Arktis hat für Russland im Wesentlichen drei Funktionen. Erstens verfügt die Russische Föderation über den größten Anteil an Bevölkerung, Küstenlänge und Territorium aller Arktisstaaten. Geopolitisch fungiert die Arktis daher als Grundlage, um die Rolle Russlands als Großmacht zu behaupten und abzu­sichern. Zweitens beruht das russische Wirtschaftsmodell überwiegend auf der Nutzung fossiler Res­sourcen, die in der Arktis reichlich vorhanden sind und damit die Rolle als Energiemacht (nach den USA) begründen. Drittens dienen der Russischen Födera­tion der arktische und der subarktische Raum mili­tärisch als strategische Bastion für Abschreckung und Verteidigung. Diese drei Funktionen verhalten sich zueinander keineswegs konfliktfrei. So erfordert die zivile Entwicklung der Arktis als zentrale Res­sourcenbasis für Russlands Zukunft eine friedliche und stabile internationale Lage, während das russi­sche Streben nach militärischer Überlegenheit im Arktisraum dies erheblich erschwert.

In seiner Außenpolitik betont Moskau schon seit den 1980er Jahren in Anlehnung an die historische Rede Michail Gorbatschows am 1. Oktober 1987 in Murmansk, dass die Arktis als Zone des Friedens und der Kooperation erhalten werden soll.37 Russische Präsidenten und Regierungsvertreter haben diese Formel häufig verwendet, aber viele Elemente der damaligen Vorschläge wären russischen Großmachtambitionen aus heutiger Sicht abträglich. Das wären vor allem eine nuklearfreie Zone in Nordeuropa (in­klusive eines etwaigen Abzugs der mit Nuklearwaffen bestückten U-Boote), die Einschränkung militärischer Aktivitäten in Ost- und Nordsee, Norwegischer See und Grönlandsee sowie das Verbot von Marineaktivitäten in bestimmten Wasserstraßen und schließlich die Öffnung der Nördlichen Seeroute für alle ausländischen Schiffe. Eine freiwillige Beschränkung oder ein Verzicht auf wichtige Elemente nationaler Macht würde Putins vierter Amtszeit ein ähnliches Negativimage verleihen, wie es Gorbatschow zugeschrieben wird, weil mit seiner Öffnungspolitik das von Putin beklagte Ende der Sowjetunion verbunden ist.

Erstrebenswert, aber wenig realistisch wäre es, wenn die Arktis eine vierte Funktion für Russland wiedererlangen könnte, nämlich als Ort der Zusammenarbeit und damit als stabilisierender Faktor in der internationalen Politik. Allein die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit (darunter eine Expedition zum Nordpol) floriert weiterhin und bildet eine der Prioritäten des russischen Vorsitzes im Ark­tischen Rat.38 Konkrete Kooperation strebt Russland im Zusammenhang mit den Küstenwachen an, und zwar im Arctic Coast Guard Forum (ACGF). Daher ist eine Fortsetzung der guten Kooperation im Bereich maritime Sicherheit wahrscheinlich.39 Hier fungierte Russland 2011 als aktiver Partner, um das Abkommen zur Seenotrettung (Agreement on Cooperation on Aeronautical and Maritime Search and Rescue in the Arctic) zu ermöglichen.40 Inwiefern die Wiederaufnahme des Dialogs über militärische Sicherheit eine Chance bietet, die Beziehungen zu Nato-Staaten zu verbessern, wird später dargelegt. Weitergehende Projekte im wirtschaftlichen Kontext wie die Öffnung der Nördlichen Seeroute (dies war von Gorbatschow angeregt worden, erscheint heute aber als utopisches Szenario41) sind dagegen mit der nationalistischen Politik des Kreml schlecht vereinbar. Aus sicherheitspolitischer Perspektive als unwahrscheinlich gelten muss auch, dass in naher Zukunft eine inklusive euro-atlantische Sicherheitsarchitektur geschaffen wird.

Aufgrund der andauernden Militarisierung kann die Arktis stattdessen selbst zum Ausgangspunkt eines eskalierenden Konflikts werden. Die militärischen Bedrohungsszenarien lassen sich unter zwei verschiedene Eska­lationsarten subsumieren. Zum einen ist eine horizontale Eska­lation denkbar, wo ein Konflikt, der jenseits der Arktis entsteht, sich durch eine militärisch-geografische Ausdehnung, ein geo­politisches Übergreifen (spillover) und den Einsatz der dort bereits vorhandenen Fähigkeiten auf die Arktis­region ausweitet. Eine andere Möglichkeit wäre eine vertikale Eskalation, wo ein unterschwellig existierender lokaler Konflikt, zum Beispiel um natürliche Ressourcen, die Kontrolle der Seewege oder strittige Gebietsansprüche, militärisch eskaliert.42 Der immer wiederkehrende Streit um die geologische Nutzung der Ressourcen sowie der Zugang zu diesen auf dem administrativ zu Norwegen gehörenden Archipel Spitzbergen (Svalbard) ist ein plausibles Szenario.43 Dafür sprechen schon der Aufbau militärischer Infrastruktur in der Region und die Nutzung der Arktis für die Erprobung militärischer Fähigkeiten.

Die alte russische Rede von der Arktis als Zone des Friedens und der Kooperation tritt immer mehr in den Hintergrund.

Aufgrund der hohen Bedeutung und gemäß der zentralistischen Ordnung des Landes wird die russi­sche Arktispolitik direkt vom Kreml gesteuert. Aller­dings erleichtert dies weder das Management der unterschiedlichen Akteure und Interessen in den diversen nördlichen Regionen, noch verbessert es die Fähigkeit, administrative und politische Vorgaben durchzusetzen. Beispielsweise forderte Putin 2004 eine klare Definition der Regionen, die »der Norden« beinhaltet. Dieses Puzzle konnte bis heute nicht zusam­mengefügt werden.44 Russlands Arktispolitik weist also, wie jene anderer Länder, unterschiedliche Narra­tive und Facetten auf, in denen sich diverse politische, wirtschaftliche und militärische Interessen zei­gen.45 Die zum Teil gegensätzlichen oder inkohä­renten Anliegen – im Falle der Nördlichen Seeroute etwa die Bemühungen, strikte nationale Kontrolle aufrechtzuerhalten und zugleich internationales En­gagement und Investitionen anzustreben – spiegeln sich in einer zwiespältigen russischen Arktispolitik. Sie enthält konfrontative wie kooperative Elemente, begünstigt also je nach Lage der Dinge entschiedene Konkurrenz oder pragmatische Zusammenarbeit.

Ein Beispiel liefert die Agenda der Arktis-Kommis­sion, die dem Präsidenten direkt unterstellt ist und im Oktober 2020 tagte, um den russischen Vorsitz im Arktischen Rat (2021–2023) vorzubereiten. Dabei machte Dmitri Medwedew in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates deutlich, dass die nationale Sicherheit ganz oben auf der russischen Agenda steht. Russland werde von seinen Nato-Nachbarstaaten bedroht, sagte Medwedew und verwies auf militärische Aufrüstung und westliche Sanktionen.46 Es sei »kein Geheimnis, dass eine Reihe von Ländern aktiv versucht, das russische Engagement in der Arktis aufzuhalten, die Bodenschätze des Arktischen Ozeans zu beanspruchen und die Kontrolle über strategische See- und Luftverbindungen in der Region anzustreben«, ergänzte er im Juni 2021.47 Die alte russische Rede von der Arktis als Zone des Friedens und der Kooperation tritt dem­gegenüber immer weiter in den Hintergrund.

Entwicklungspläne, fossile Ressourcen und Klimawandel

Die Arktische Zone der Russischen Föderation (AZRF) hatte – ähnlich wie Alaska in Washington – in den Jahren nach Auflösung der Sowjetunion keine politi­sche Priorität in Moskau. Die russische Führung unter­schätzte das wirtschaftliche Potential und betrachtete die Arktiszone mit ihren vielfältigen sozioökonomischen Problemen mehr als Belastung für den Staats­haushalt denn als erfolgversprechende Region. Neues Interesse zeigte sich 2001 im Entwurf einer Arktis­strategie, die aber erst sieben Jahre später in einer Endversion vorlag.48

Am 18. September 2008 unterzeichnete Medwedew (der Putin als Präsident für die Zeit von 2008 bis 2012 ablöste) die »Grundlagen der Staatspolitik der Russi­schen Föderation in der Arktis für den Zeitraum bis 2020 und darüber hinaus«.49 In dieser ersten Arktis­strategie wurden die nationalen Interessen aufgezählt: Entwicklung der Ressourcen, Umwandlung der Nörd­lichen Seeroute in einen nationalen Transportkorridor und Erhaltung der Region als Zone der Koopera­tion. Als erstes Hauptziel und strategische Priorität der Staats­politik wurde festgelegt, die Res­sourcenbasis der AZRF zu erweitern. Sicherheits­politisch galt es sowohl Küstenschutz wie militärische Verteidigung zu gewährleisten.

In Gegensatz zu diesem optimistisch formulierten Grundlagendokument konstatierte Moskau in seiner nächsten Arktisstrategie von 201350 große Heraus­forderungen aufgrund inkohärenter wirtschaftlicher Entwicklung, ungenügender Finanzierung, Mangel an moderner Technologie, Innovation und Investitionen sowie geringer Produktivität und schwerwiegender Umwelt­probleme. Russland mangelt es gemäß dieser selbstkritischen Darlegung an der Fähigkeit, die Ener­gieressourcen im russischen Kontinentalschelf selbst effektiv zu fördern. Private russische und ausländische Investitionen und Know-how seien nötig, um die nördlichen Regionen zu entwickeln. Obgleich in diesem Dokument die Vorteile von Kooperation und Teilhabe regionaler und lokaler Akteure betont wer­den, scheitert die Umsetzung häufig an strukturellen Problemen und widersprüchlichen staatlichen Politik­ansätzen.51 Am Ende sind die Zeitpläne oft zu knapp bemessen, und die Bevölkerung kommt zu kurz.

In den oftmals vernachlässigten nördlichen Regionen wurden 27 Gebiete identifiziert, in denen auf­grund industrieller und militärisch bedingter Umwelt­verschmutzung eine erhöhte Morbidität unter der Bevölkerung herrscht, darunter Murmansk, Norilsk, Westsibirien und Archangelsk. Speziell das Gebiet an der Barentssee birgt die weltweit größte Konzen­tration nuklearer Reaktoren – zeitweilig befanden sich dort 80 nuklear betriebene U-Boote und 200 Kern­reaktoren – mit entsprechenden Langzeitfolgen.52 Zwar hat die Regierung, oft in Gemeinschaftsprojekten des Arktischen Rates und des Euro-arktischen Barentssee-Rates (Barents Euro-Arctic Council, BEAC), Maßnahmen ergriffen, um die militärischen Hinter­lassenschaften zu beseitigen. Bei der industriell ver­ursachten Verschmutzung steht sie aber vor dem Pro­blem, dass deren Begrenzung die eigenen Wirtschafts­ziele zu beschädigen droht.

Das Ergebnis ist eine Abstimmung mit den Füßen: Jährlich verlassen 18.000 Einwohner die russische Arktis, deren Gesamtbevölkerungszahl bei 2,4 Millio­nen liegt. Murmansk beispielsweise zählt nur noch knapp 750.000 Einwohner, etwa 450.000 weniger als vor 30 Jahren, und dabei genießt die Stadt noch Vor­teile durch ihre Lage und Bedeutung für die Nord­flotte. Ein Drittel der Bevölkerung ist seit den 1990er Jahren aus der AZRF fortgezogen.53 Das Ziel sozioökonomischer Entwicklung mittels arktischer Ressourcen ist damit ebenso naheliegend wie notwendig, um die russische Arktis als Lebens- und Wirtschaftsraum zu bewahren, zumal die russische Wirtschaftsleistung und der Lebensstandard sich in den letzten Jahren allgemein verschlechtert haben.54 Dieses Ziel findet sich daher folgerichtig in den »Grundlagen der staat­lichen Politik der Russischen Föderation in der Arktis für den Zeitraum bis 2035«, die Putin am 5. März 2020 unterzeichnete.55

Die übergeordnete und umfassendere »Strategie zur Entwicklung der Arktischen Zone der Russischen Föderation und zur nationalen Sicherheits­vorsorge für den Zeitraum bis 2035« zielt dagegen auf die För­derung arktischer Ressourcen; sie wurde von Präsi­dent Putin am 26. Oktober 2020 in Kraft gesetzt.56 Darin wird darauf verwiesen, dass die AZRF die Förde­rung von mehr als 80 Prozent des brenn­baren Erd­gases und 17 Prozent des Erdöls (einschließlich Gas­kondensat) in der Föderation sicherstelle. Der Fest­landsockel beherbergt nach Einschätzung von Exper­ten mehr als 85,1 Billionen Kubikmeter brenn­baren Erdgases und 17,3 Milliarden Tonnen Erdöl (einschließlich Gaskondensat) und bildet die strate­gi­sche Reserve für den weiteren Ausbau der Mineralrohstoffbasis. Da ausländisches Kapital aufgrund der bestehenden Sanktionen fehlt (eine Differenz in drei­stelliger Milliardenhöhe),57 sollen Steuergelder ge­nutzt werden, um Projekte der Energiewirtschaft zu finanzieren und Migration in die russische Arktis zu fördern. Ferner sollen wissenschaftliche und ingenieurtechnische Lösungen erarbeitet werden, um Schäden für die Infrastruktur infolge des Klimawandels zu verhindern.58 Auch wenn ausländische Investitionen wirtschaftspolitisch notwendig sind und angestrebt werden, fällt es der russischen Führung offenbar schwer, die russische Arktis dafür international zu öffnen. Aus sicherheitspolitischen Abwägungen sowie zur Absicherung der eigenen Rohstoffe und mög­lichen Gewinne tendiert Moskau dazu, die Arktis ab­zuriegeln, obwohl die immensen Kosten der Arktis­erschließung und die Knappheit von Kapital59 zur Öffnung geradezu zwingen. Die mehr als 100 geplan­ten Projekte zum Bau von Häfen, Flughäfen, Verkehrs­wegen, Pipelines, Verarbeitungskapazitäten, Energieanlagen, IT-Ausrüstung und Tourismus erfordern ein Finanzvolumen von etwa 125,5 Milliarden Euro.60

So hat der seit Januar 2020 amtierende russische Ministerpräsident Michail Mischustin im Februar 2021 sechs Investitionsprojekte mit Schwerpunkt auf dem Gebiet Murmansk, dem Archipel Nowaja Semlja und der Halbinsel Taimyr geneh­migt, die Investitionen in Höhe von 200 Milliarden Rubel (2,7 Milliarden US-Dollar) anziehen sollen. Die daran beteiligten Unternehmen sollen Subventionen von bis zu 20 Pro­zent der Summe zum Aufbau der Infrastruktur erhalten. Das Ziel ist es laut Mischustin, im Sinne der Arktisstrategie »mehr Arbeitsplätze zu schaffen und die nördlichen Territorien zu einem attraktiveren Platz zum Leben zu machen«. Damit sollen auch die strategischen Ziele, bezogen auf die Entwicklung lokaler Logistik, die Modernisierung der Hafen­infra­struktur sowie die Transportsicherheit entlang der Nördlichen Seeroute, umgesetzt werden.61

Allerdings lösen neue Projekte nicht die durch den Klimawandel verschärften Probleme der Infrastruktur in der russischen Arktis. Viele Projekte sind auch nicht neu, sondern haben weiter wenig Aussicht auf Verwirklichung, weil für sie der Zugang ausländischer Firmen liberalisiert werden müsste. Das wider­spräche aber nicht nur der nationalistischen Politik, sondern würde auch die einheimischen Firmen unter Wettbewerbsdruck setzen. Deshalb bleibt es schwer kalkulierbar, wie neben der Arktisstrategie das Ziel erreicht werden soll, die jährliche Transportleistung der Nördlichen Seeroute (NSR) bis 2024 auf 80 Millio­nen Tonnen zu steigern. Einem russischen Experten zufolge bilden die Projekte außerdem eine ernste Herausforderung für die lokalen Eliten in den benach­barten Regionen. Da sie mit weniger strategisch wich­tigen Ressourcen ausgestattet und weniger relevant für die NSR sind, werden diese Eliten frustriert über ihren Ausschluss sein.62 Wirtschaftlich bedingte soziale Spannungen könnten sich leicht in politische Proteste verwandeln, und die Rivalität um sinkende Mittelzuweisungen aus Moskau63 könnte zentrifugale Dynamiken im Norden und Fernen Osten der Födera­tion auslösen.

Vorrang für die Nutzung fossiler Energieträger

Zentralen Stellenwert für Russland haben seine fos­silen Energieträger: Öl und Gas waren 2020 die mit Abstand wichtigsten Exportgüter und bilden über 60 Prozent der Exporte.64 Schon in der Arktisstrategie 2013 galten die Ressourcen der russischen Arktis als Sicherheitsgarantie für die nationale Entwicklung und die Wahrung der internationalen Bedeutung. Im Vordergrund steht daher weniger der Klimaschutz beziehungsweise die Eindämmung des menschen­gemachten Klimawandels durch Dekarbonisierung, sondern vielmehr die Förderung der fossilen Energie­wirtschaft.65 In diesem Sinne haben deren Vertreter, nämlich die Konzerne Rosneft, Lukoil and Gazprom Neft, im Januar 2021 die Regierung aufgefordert, Umweltgesetze zu ändern, um die Exploration und Förderung fossiler Energieträger in der Arktis zu erleichtern (auch weil dies die Entwicklung der NSR behindere).66

Als Rohstoffexporteur ist Russland zunehmend asiatisch ausgerichtet.

Neben der Entwicklungsstrategie hat Moskau im April 2020 die »Energiestrategie bis 2035« gebilligt. Russlands Position auf den Weltenergiemärkten soll gefestigt und die Versorgung des Binnenmarkts gewährleistet werden. Fossile Energieträger sollen bis 2035 einen Anteil von über 92Prozent an der Primär­energieerzeugung und von 84 Prozent an der Binnen­versorgung behalten. Erneuerbare Energien finden wenig Beachtung, eine aktive Klimapolitik ist ebenso wie in der Arktisstrategie nicht enthalten.67 Als Roh­stoffexporteur ist Russland zunehmend asiatisch ausgerichtet, in der Hoffnung, dass China und andere Länder Asiens länger fossile Energieträger nachfragen werden als Europa.68

Da die russische Führung das Ziel verfolgt, die Energieressourcen des Landes maximal zu nutzen, müsste sie an größtmöglicher Stabilität und Kooperation in der Arktis interessiert sein. Um bestehende Förder­plattformen langfristig zu verwenden, wie bei der nötigen aufwendigen und teuren Erschließung und Förderung neuer Lagerstätten, bedarf es nämlich ausländischer Investitionen, die sich im Falle des Baus eisgängiger Tanker für verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) durch asiatische Staaten wie beim Kauf von Anteilen russischer Firmen nur langfristig rentieren. Schließlich sind die Zeiträume zwischen Entdeckung und Produktion in der russi­schen Arktis bei der Öl- und Gasförderung auf See (offshore) mit durchschnittlich 28,5 Jahren extrem lang. In Norwe­gen dagegen betragen sie nur etwa die Hälfte, näm­lich 14 Jahre.69

Die russische Arktis verfügt über ein großes wirtschaftliches Potential mit Lagerstätten von Kohle, Erd­öl und Erdgas, aber auch Diamanten, Gold, Nickel, Kobalt, Kupfer, Palladium, Platin, Zink sowie Metallen der Seltenen Erden. Schon heute werden fast 60 Pro­zent der exportierten Rohstoffe Russlands in Sibirien gefördert. Weitere reiche Lagerstätten werden auf dem Sibirien vorgelagerten Lomonossow-Rücken im Nordpolarmeer vermutet. Doch um sie aufzuspüren und zu fördern, wären »ungeheure Investitionen erforderlich, die auf absehbare Zeit nicht wirtschaftlich sein können«, urteilte Christian Reichert von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).70 Fast alle Erdgaslagerstätten befinden sich vor der Küste, größtenteils in einer Tiefe von mehr als 500 Metern. In der Arktis lagern 80 Prozent der nach­gewiesenen abbaubaren Gasmengen. Das macht diesen Raum existentiell bedeutsam. Moskau will 20 bis 30 Prozent seiner fossilen Ressourcen bis 2050 offshore fördern, um dadurch die Erschöpfung anderer Quellen zu kompensieren.71 Doch bleibt die teure, risikoreiche und langwierige Förderung vor der Küste rentabel?

Um die Abhängigkeit von Peking zu reduzieren, ist Moskau an Investitionen weiterer asiatischer Staaten interessiert.

Außerdem muss die Infrastruktur in der Arktis erneuert werden, wenn es gilt, dort neue Lagerstätten zu erschließen sowie die Rohstoffe zu verarbeiten und zu transportieren. China, das von Russland statt westlicher Partner umworben wird, kann nur ein­geschränkt erforderliche Technologien (beispielsweise zur seismischen Erkundung von Ölfeldern in der Kara- und der Barentssee) und das dafür notwendige Kapital zur Verfügung stellen. Schließlich will Moskau die Kontrolle über Öl- und Gasfelder nicht verlieren und keine oder allenfalls begrenzte fremde Beteiligung an strategisch bedeutsamer Infrastruktur zulassen. Chinas einstige Pläne für Investitionen auf der Krim72 und die »Hafendiplomatie« im indo­pazifischen Raum dienen dabei als warnende Bei­spiele, denn dort gerieten Staaten durch chinesische Kredite in Abhängigkeit von Peking.73 Gemäß der nationalen Gesetzeslage dürfen sich zwar private russische Energiefirmen in der Arktis betätigen, aber nicht die Kontrolle an ausländische Firmen abgeben. Dementsprechend liegt der chinesische Anteil am LNG-Projekt auf der Jamal-Halbinsel bei 29,9 Prozent und jener des französischen Mineralölkonzerns Total bei 20 Prozent, während die russische Gasfirma Novatek 50,1 Prozent hält. Der private Gaskonzern Novatek verwirklicht mit einem Konsortium fran­zö­sischer, chinesischer und japanischer Firmen den etwa 20 Milliarden Euro teuren Bau des Gasverflüssigungswerks Arctic LNG-2 auf der Halbinsel Gydan. Novatek hält 60, China 20 und Total zehn Prozent; die verbleibenden zehn Prozent befinden sich in Händen eines japanisches Konsortiums. Ab 2025 sollen 37 Millionen Tonnen und ab 2030 55 bis 70 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr produziert werden. Daneben errichtet Novatek bis 2023 mit Obski-LNG am Westufer des Obbusens ein weiteres Gasverflüssigungs­werk.74 Um die Abhängigkeit von Peking zu reduzieren, ist Moskau an Investitionen weiterer asiatischer Staaten interessiert.

Klimawandel und Umweltschutz vs. Energiewirtschaft

Der Klimawandel verschärft die Lage der russischen Energiewirtschaft, weil die Arktis davon in besonders hohem Maße betroffen ist. Dort liegt der Temperaturanstieg dreimal so hoch wie im weltweiten Durchschnitt.75 Putin erklärte im Juni 2019 beim G20-Gipfel in Osaka, sein Land wolle die Ziele des Pariser Klima­schutzabkommens verwirklichen. Moskau nutzte das Thema, um sich als verantwortungsvoller Akteur dar­zustellen. Die politische Rhetorik ändert indes wenig daran, dass in der Praxis verstärkt fossile Energie­träger wie die besonders klimaschädliche Kohle geför­dert werden. In den letzten zehn Jahren hat Russland die Kohleförderung um mehr als 30 Prozent erhöht und ist nun der drittgrößte Produzent weltweit.76 Dementsprechend haben im Mai 2021 an der Küste der Taimyr-Halbinsel in der Region Krasnojarsk die Bauarbeiten für Russlands größtes Rohstoffprojekt begonnen.77 Offensichtlich soll dem Klimawandel nicht durch Dekarbonisierung, sondern gemäß der Entwicklungsstrategie bis 2035 durch technologische Lösungen noch unbekannter Art begegnet werden. Dieser Lösungsansatz resultiert daraus, dass in Moskau eine widersprüchliche Haltung zum Klimawandel vorherrscht, den manche (wie Putin)78 als natürliche und nicht als menschengemachte Entwicklung ansehen. Vorrangig soll nicht Schaden für Klima und Umwelt, sondern für die Energiewirtschaft vermieden werden. Dafür spricht die im Januar 2021 bereits in Gesetzesvorlagen umgesetzte Forderung von Rosneft, Gazprom Neft and Lukoil, die Umweltauflagen in der Arktis aufzuweichen.79

In der neuen Arktisstrategie bekundet die russische Führung ihren Willen, arktische Ökosysteme zu schützen. Das ist dringend nötig, denn die oftmals marode Schwerindustrie, das Auftauen der Permafrostböden und lokales Staatsversagen sind eine toxi­sche Mischung für die empfindlichen Ökosysteme. Das verdeutlichte die schlimmste Ölverseuchung in der modernen russischen Geschichte, als am 29. Mai 2020 nahe der Industriestadt Norilsk nördlich des Polarkreises etwa 21.000 Tonnen Diesel in den Ambar­naja-Fluss gelangten, nachdem der Boden unter dem Tank einer Tochtergesellschaft des weltgrößten Nickelproduzenten Nornickel nachgegeben hatte. Noch in 30 Kilometer Entfernung wurden Verschmut­zungen durch Öl nachgewiesen. Der Grund war in diesem Fall allerdings nicht schmelzender Permafrost, sondern Miss­management – und nur einer von drei Vorfällen, an denen Nornickel binnen eines Monats beteiligt war.80 Schon 2009 hatte der norwegische Pensionsfonds, einer der größten Investoren weltweit, den bis 2016 unter dem Namen Norilsk Nickel firmie­renden Konzern wegen »schwerer Umweltschäden« auf eine schwarze Liste gesetzt.81

Mehr als 40 Prozent der Gebäude in den nörd­lichen Regionen haben bereits strukturelle Schäden, und der schmelzende Untergrund soll für 23 Prozent der Fälle von technischem Systemversagen verantwortlich sein. Außerdem können 29 Prozent der Öl- und Gasproduktionsstätten nicht länger betrieben werden.82 Eher die Ausnahme als die Regel ist ein regionales Gesetz, das im Mai 2018 zum Schutz der Permafrostböden verabschiedet wurde.

Nördliche Seeroute und Eisbrecher

Der günstigste Transportweg für fossile Energieträger ist die See. Das macht die Nördliche Seeroute zum wichtigsten russischen Infrastrukturprojekt in der Arktis. Im Rahmen der Entwicklungsstrategie bis 2035 ist unter anderem die Digitalisierung des See­wegs (Arctic Connect) durch ein 14.000 Kilometer langes Glasfaserkabel geplant, womit auch sanktionsbedingte Defizite in Hochtechnologie substituiert werden sollen.83

Gemäß der russischen Planung soll die jährliche Transportleistung der Nördlichen Seeroute von 33 Millionen (2020) auf 80 Millionen Tonnen im Jahr 2024 erhöht werden. Überwiegend handelt es sich dabei um ver­flüssigtes Erdgas (LNG), das immer häufi­ger durch eisgängige Tanker nach Asien transportiert wird. Nur ein kleiner Teil der Öl- und Gastanker sowie Kohle­frachter verfügt über die notwendige Eisverstärkung, so dass eine große Zahl Eisbrecher nötig ist, um möglichst ganzjährig Energieträger exportieren zu können. Außerdem erfordert es die von Moskau angestrebte stärkere Nutzung der NSR, die maritime Infrastruktur wie etwa Häfen, Leitstellen und anderes aufwendig und teuer zu modernisieren. Da die NSR als nationale Wasserstraße gilt, sollen nur begrenzt ausländische Investitionen zugelassen werden.

Das Dilemma besteht darin, dass es ohne Infrastruktur kein Wachstum, ohne Wachstum aber auch keine Infrastruktur gibt. Tatsächlich steigt die Zahl der Fahrten auf der NSR im Vergleich zu den Vorjah­ren kaum. Weder ist die Seeroute durchgängig mit Handelsschiffen passierbar, noch existieren die unter­stützende maritime Infrastruktur sowie die notwendigen Kapazitäten an Eisbrechern. Daher handelt es sich meist um Tanker- und Frachtschiffsverkehr innerhalb der russischen Arktis und nur um wenige Transitfahrten.84

Russland nimmt hohe Kosten auf sich, um eine möglichst ganzjährige Nutzung der Nördlichen Seeroute und deren Sicherheit zu gewährleisten.

Die NSR-Infrastruktur zu modernisieren dürfte ein Vielfaches der Summe erfordern, die vom Mitbetreiber Rosatom als Kosten für den Ausbau 2019 geschätzt wurde (11,7 Milliarden US-Dollar). Rosatom-Chef Alexei Lichatschow äußerte sich sibyllinisch zu den Zukunftsperspektiven: Sobald kommerziell attraktive Möglichkeiten für den Transport geschaffen seien, werde die Bereitschaft wachsen, in Straßen, Eisenbahnen, Häfen und Anlegestellen sowie Kraftwerke zu investieren.85 Ob eine noch stärkere Nutzung der Route für Tanker erreicht wird, hängt entscheidend davon ab, wie sich die globale Nachfrage entwickelt. China und Indien wollen von Kohle auf Gas umsteigen. Daher wird sich die Nachfrage erhöhen. Des­wegen wird das größte Wachstum in Asien erwartet, auch wenn Europa bislang den größten Anteil der LNG-Produktion absorbiert.86

Der exklusive Anspruch auf die NSR ist politisch verständlich, weil er dem russischen Nationalismus entspricht, aber aus wirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll. Um rentabel zu sein, müsste die NSR zur inter­­nationalen Route, also für ausländische Schiffe geöffnet werden. Dies hat schon Gorbatschow 1987 vorgeschlagen und empfiehlt heute Rosatom-Chef Lichatschow.87 Die Rentabilität der NSR ist mithin eine geopolitische Frage. Der Druck auf Moskau dürf­te den Einfluss Pekings weiter vergrößern, das sich in der russischen Arktis entgegen früheren Widerständen – auch Russlands – noch stärker etablieren kann, weil es einer der wenigen verbliebenen Inve­storen ist. Doch der Bau eigener chinesischer, auch nuklear betriebener Eisbrecher lässt darauf schließen, dass Peking ein schwieriger, auf Autonomie bedachter Partner bleibt.

Die großen Eisbrecher sind das unersetzliche Mittel für die Nutzung arktischer Seewege und das mächtige Symbol der russischen Herrschaft über die Arktis. Putin lässt es sich daher nicht nehmen, große Eis­bre­cher persönlich in Dienst zu stellen und dabei zu bekräftigen, dass Russland seine Überlegenheit in der Arktis bewahren wolle. Passend dazu ist das dieselelektrisch angetriebene Schiff Tschernomyrdin das welt­weit größte seiner Art.88

Russland hat mit 40 Schiffen die größte Flotte von Eisbrechern der Welt, darunter vier nuklear angetriebene Schiffe. Allerdings sind nicht alle in einwandfreiem Zustand und manche nur noch lokal einsetzbar. Nach jahrzehntelanger Pause soll daher eine Reihe neuer Eisbrecher gebaut werden, ein Nachfolger für den legendären Atomeisbrecher Arktika eingeschlossen. Das Schiff der künftigen Arktika-Generation (Projekt 22220) ist der erste neue nuklear betriebene Eisbrecher seit 30 Jahren. Mit einer Länge von 173 Metern und einer Breite von 34 Metern hat das Schiff eine Verdrängung von 33.500 Tonnen. Damit ist es größer als die meisten Kriegsschiffe der Nato-Mitglied­staaten mit Ausnahme von Hubschrauber- und Flug­zeugträgern. Vier weitere Schiffe dieses Typs sollen bis 2024 folgen, ein fünftes ist bestellt. Sie sollen besonders die Gewässer der Nördlichen Seeroute für den Schiffsverkehr offen halten. Dazu sind sie in der Lage, drei Meter dickes und durch Rammung sogar noch dickeres Eis zu durchbrechen.89 Das erste, von Rosatom betriebene Pilotschiff der neuen Lider-Klasse nuklear betriebener Eisbrecher soll ab Dezember 2027 gewährleisten, dass die NSR ganzjährig zugäng­lich ist. Als Teil der »Eisbrecher-Diplomatie« sollen weitere drei solcher Schiffe gebaut werden und ab 2030 die regionale Überlegenheit des Landes symbo­lisieren.90

Militärisch einsetzbar sind sogenannte Patrouillen-Eisbrecher (Projekt 23550). Die Iwan Papanin verfügt über Artilleriebewaffnung auf dem Vorschiff und kann mit acht Kalibr-Marschflugkörpern ausgerüstet werden. Vom Stapel lief dieses 8.500 Tonnen verdrän­gende Schiff 2019 in der Admiralitätswerft Sankt Petersburg, aber nur zwei Schiffe wurden in Auftrag gegeben.91 Die Ilja Muromez war der erste Neubau eines Eisbrechers der Marine seit mehr als 40 Jahren. Auch dieses Schiff kann mit Artillerie und Marschflugkörpern bestückt werden. In Auftrag gegeben wurde der Bau von drei weiteren Eisbrechern (Projekt 21180M), die etwa 2.000 Tonnen kleiner sein sollen.92

Russland nimmt also hohe Kosten auf sich, um eine möglichst ganzjährige Nutzung der NSR zu gewährleisten und dabei maritime und militärische Sicherheit entlang der Route aufrechtzuerhalten. Allerdings hat die zunehmende Zahl eisgängiger LNG-Tanker dazu geführt, dass Rosatom nun weniger neue Eisbrecher plant.93 Das bestätigt, dass nicht wie ursprünglich vorgesehen der Güter- beziehungsweise Containerverkehr, sondern Energietransporte die Zukunft der NSR sind. Die ambitionierte Vorstellung, die NSR könne eine Alternative zu südlichen Routen wie dem Suezkanal werden, löst sich zusehends auf.

Festzuhalten ist, dass die russischen Entwicklungspläne für die Arktis eher als Wunschliste denn als realistische Strategie erscheinen. Gründe dafür sind die einseitige Ausrichtung sozioökonomischer Ent­wicklungspläne auf fossile Energieträger, die prakti­sche Reduzierung der NSR auf eine LNG-Transport­route, die hohen Kosten für militärische Verteidigungs­maßnahmen gegen einen fiktiven Gegner, selbst­verschuldete Umweltkatastrophen und admini­strativ bedingte Verzögerungen.

Die Arktis als Angriffsfront: Bedrohungsperzeptionen und Strategie

Grundlegend für die russische Militärpolitik ist die Behauptung, die USA und Nato-Staaten bedrohten Russland. Der stellvertretende Vorsitzende des Sicher­heitsrates, Medwedew, bekräftigte diese Haltung 2020 bei der Vorbereitung des russischen Vorsitzes im Arktischen Rat. Ein wichtiges Element dieses Narrativs ist der immer wieder geäußerte Vorwurf, westliche Staats- und Regierungschefs hätten im Zusammenhang mit der Nato-Osterweiterung wich­­tige Zusagen an Russland nicht eingehalten.94 Er findet sich in vielen Reden und Dokumenten, so in der 2010 neu verfassten Militärdoktrin95 und an erster Stelle der in der Militärdoktrin 2014 genannten hauptsächlichen militärischen Risiken.96 In der Natio­nalen Sicherheitsstrategie vom Juli 2021 werden die USA und die Nato, die angeblich schon jetzt weit­reichende feindliche Aktivitäten gegenüber Russland entfalten, sogar als die größte militärische Bedrohung identifiziert.97 Putin selbst wird nicht müde, dieses Narrativ auch international zu streuen.98 Den Vor­wurf des Wortbruchs dementierte allerdings schon 2014 der ehe­malige sowjetische Präsident Gorba­tschow, der »in vollem Verantwortungsbewusstsein« erklärte, das Thema Nato-Expansion sei »überhaupt nicht disku­tiert« worden.99 Dennoch gilt der Vorwurf nach wie vor als Begründung für die russische Hand­lungs­maxime, die darauf angelegt ist, die Nato auf­zulösen oder zumindest zu schwächen.

Im Jahr 2007 beendete Moskau auch in der Arktis seine kooperative Politik gegenüber dem Westen.

Das Jahr 2007 markiert in diesem Kontext den Zeitpunkt, an dem die kooperative Politik gegenüber dem Westen auch in der Arktis beendet wurde. Im August 2007 wurden die russischen Lang­strecken­flüge entlang der russischen und europäischen Arktis wiederaufgenommen, nachdem Putin im Februar erstmals auf der Münchner Sicherheitskonferenz ge­sprochen hatte und dabei nicht nur den Protest gegen die Osterweiterung der Nato wieder aufleben ließ, sondern auch die Rückkehr Russlands als Weltmacht erklärte.100 Die zivile Inbesitznahme des Nordpols, die der russische Polarforscher und ehemalige Ab­geordnete Artur Chilingarov im August desselben Jahres symbolisch mit einer Flagge auf dem Meeresboden und rhetorisch mit dem Satz »Die Arktis ist russisch«101 vornahm, fand ihr Gegenstück in der Re­militarisierung der Arktis. Folgerichtig wurde 2008 die frühere Praxis der Patrouillen russischer Atom-Unterseeboote wiederbelebt,102 die im Kalten Krieg die nukleare Zweitschlagskapazität gewährleistet hatten.

Die 20 Jahre zuvor von Gorbatschow als »Zone von Frieden und Kooperation« ausersehene Arktis, die niemals wieder eine »Arena des Krieges« werden sollte, bildet so den Hintergrund für die unfriedliche Rückkehr Russlands als Großmacht. Allerdings wies Gorbatschow schon damals explizit darauf hin, dass »der Norden auch ein Problem für die Sicherheit der nördlichen Grenzen der Sowjetunion«103 sei. Ohne Infrastruktur für die maritime Sicherheit kann weder der zivile noch der militärische Schiffsverkehr zu­verlässig betrieben werden. Russlands Regierung hat es als notwendige Schritte zum Schutz nationaler Interessen gerechtfertigt, dass sie die in der Arktis stationierten Streitkräfte modernisiert, die militärische Infrastruktur ausbaut und Basen aus dem Kalten Krieg reaktiviert – unter anderem die nahe dem Nordpol gelegenen Militärstützpunkte auf Franz-Josef-Land und Nowaja Semlja.104 Schließlich zählt es zu den wichtigsten Aufgaben der Streitkräfte, die natio­nalen Interessen Russlands in der Region zu wahren. Aber dazu gehört eben wesentlich auch die Sicherung des Schiffsverkehrs zum Transport fossiler Energieträger als wichtiges Exportgut und Quelle staatlicher Fördersteuern und Exportzölle.

Darüber hinaus ist Russlands Strategie das Produkt einer anhaltenden Bedrohungsperzeption, die seine Beziehung zur Außenwelt seit Jahrhunderten be­stimmt. Die Grundlagen dafür sind in der universellen, wenn auch banalen Bedingung der geopolitischen Unsicherheit zu finden, welche die realistische Denk­schule prägt. Das anhaltende Gefühl der Verwundbarkeit, »das im Bewusstsein von Russlands Herrschern nie weit unter der Oberfläche liegt«,105 resul­tiert erstens aus geografischen Gegebenheiten, die bewirken, dass Russlands Territorium nur schwer gegen eine Invasion auswärtiger Mächte zu verteidigen ist, zweitens aus der Nähe zu anderen Groß­mächten und drittens aus eigenen expansionistischen Tendenzen, die im Laufe der Geschichte häufig die Sicherheit des Landes eher verringert als gestärkt haben.106 Die daraus entstandene »Belagerungsmentalität«, die sich durch die russische Großstrategie zieht, findet sich in vielen Dokumenten und Reden, wie etwa als Putin im März 2014 die Annexion der Krim ankündigte.107 Diese Vorstellung einer von Feinden belagerten Festung illustrierte Putin im Mai 2021 bei einer Konferenz zur Förderung patriotischer Gesinnung mit drastischen Worten, als er drohte, »jedem die Zähne einzuschlagen«, der sich an russischem Territorium vergreife. Jeder wolle sich ein Stück Russ­lands abbeißen, klagte Putin und bezog sich dabei auf die ebenfalls anscheinend unausrottbare Legende, die USA wollten sich Sibirien einverleiben.108

Russlands Weltsicht ist durch die Wahrnehmung angetrieben, von gegnerischen Großmächten ein­gekreist zu sein, vor allem den USA. Putin fungiert als opportunistischer Vollstrecker der russischen Großstrategie und als Treiber der historischen russi­schen Bedrohungsperzeption. Russlands geopolitische Gegebenheiten werden sich nicht ändern. Deshalb werden seine strategischen Ziele in absehbarer Zu­kunft – auch nach Putin – eine zentrale Rolle in der russischen Außen- und Sicherheitspolitik einnehmen. Die friedlichen 1990er Jahre bildeten insofern eine Ausnahme von der Regel struktureller geopolitischer Konkurrenz großer Mächte in Eurasien.

Generell lassen sich demnach viele militärische Aktivitäten und Rüstungsprojekte Russlands damit erklären, dass es sich als Großmacht versteht, eine Einkreisung im Sinne der Einhegung seiner Handlungsoptionen verhindern will und ein ebenbürtiges Verhältnis zu den USA anstrebt. Dabei bildet die Arktis ein wichtiges Element in Moskaus Gesamt­strategie. Der Schutz nationaler Interessen in der ark­tischen Region ist gemäß der Militärdoktrin vom Dezember 2014 eine der Hauptaufgaben der russi­schen Streitkräfte.109

Wenn sich das »ewige Eis« auflöst, verliert Russland den natürlichen Schutz seiner nördlichen Küste.

Bislang wurde der Schutz der langen Küste durch die extremen Klima­bedingungen gewährleistet, die als natürliche Barriere wirkten. Wenn sich nun das »ewige Eis« auflöst, weckt dies Besorgnisse, da das Streben nach sicheren Außengrenzen tief in der stra­tegischen Kultur des Landes verankert ist. Durch das Auftauen des Meereises wird ein ehemals von der Eisfläche geschützter Teil der russischen Nordgrenze mit einer maximalen Küstenlinie von über 24.000 Kilometern freigelegt und lassen sich künftig die nördlichen Seewege intensiver (auch durch fremde Schiffe) nutzen. Als Landmacht musste sich Russland über Jahrhunderte hinweg kaum um diese nördliche Außengrenze zwischen der Kola-Halbinsel in der Barentssee und der Tschuktschensee kümmern. Nun aber fürchtet es, dass entlang dieser künftig zugäng­lichen Seewege neue Verwundbarkeiten, Flanken und Einfallswege für potentielle Feinde entstehen. Kriegs­schiffe könnten theoretisch einen Angriff aus dem Osten, nämlich durch die Beringstraße, oder aus dem Westen über Grönland und Norwegen starten. Deshalb bildet der Auf- und Ausbau militärischer Schutz­einrichtungen entlang der neuen Flanke durch eine Wiederbelebung des Bastionskonzepts zunächst ein legitimes Interesse im Sinne der Landesverteidigung. Neue Radarstellungen zur Überwachung des vor­ge­lagerten Seegebietes, der Ausbau von Verteidigungs­stellungen und die Reaktivierung ehemaliger Stütz­punkte sind nicht per se als aggressives Verhalten zu werten. Sie besitzen dann einen grundlegend defen­siven Charakter, wenn sie auf den Schutz vor Ver­letzungen des Territoriums, die Überwachung der arktischen Seewege oder gar die Erkennung etwaiger ballistischer Flugkörper und anderer Bedrohungen ausgerichtet sind. Jedoch hat Russland (wie auch China) die dem Bastionskonzept zugrunde liegende Strategie in den letzten Jahren genutzt, um den mili­tärischen Einflussbereich in immer größere Entfernung vom Heimatland auszudehnen.

Während auch die USA und Kanada (sowie die Nato) Stück für Stück eine strategische Pufferzone verlieren, öffnet der Rückgang des Eises aus russischer Sicht eine neue, vierte Angriffsfront.110 Außer­dem wächst die politische und wirtschaftliche Bedeu­tung der russischen Arktis. Wertvolle Terminals zur Förderung von Öl und Gas sind aus russischer Sicht potentielle Angriffsziele, die es zu verteidigen gilt. Viele der nach 1990 geschlossenen Stützpunkte aus Sowjetzeiten wurden daher reaktiviert und neue Basen errichtet. Gebaut wurden 16 Tiefwasserhäfen, zehn neue Flugplätze (von insgesamt 14) und zehn Radarstationen für die Luftverteidigung. Laut Vertei­digungsminister Sergei Schoigu sollen die Streitkräfte in der Arktis in den kommenden Jahren weitere Aus­rüstung erhalten, darunter Unterseeboote, Fregatten und andere Schiffe sowie arktistaugliche Fahrzeuge für die Infanterie.111

Langfristig laufen die USA Gefahr, durch russische Waffensysteme in der Arktis konventionell und nuklear bedroht zu werden.

Das Zusammenwirken umfangreicher russischer Aufrüstung und schmelzenden Meereises lässt all­mählich selbst für die USA die Vorteile ihrer günsti­gen geografischen Lage schwinden: Russische Marsch­flugkörper auf Unterseebooten in der Beaufortsee können bei entsprechender Reichweite die Westküste der USA und den Mittleren Westen sowie die Haupt­stadt Washington abdecken. Langfristig laufen die USA Gefahr, nicht nur Handlungsoptionen in der Arktis zu verlieren, sondern zunehmend selbst durch russische Waffensysteme in der Arktis konventionell und nuklear bedroht zu werden.112 Neue hyperschallschnelle Raketen könnten die Vorwarnzeit extrem verringern, da sie bisher übliche Warnketten und Abwehrmaßnahmen aushebeln und die Reaktions­zeiten dramatisch verkürzen. Es sei die »absolute Waffe«, meinte Putin – weil es aus seiner Sicht keine Abwehrmöglichkeiten gibt. Zuletzt testeten russische Militärs im Juli 2021 die hyperschallschnelle Lenk­waffe Zirkon, indem sie diese von einer Fregatte im Weißen Meer abfeuer­ten.113 Das Ziel befand sich dabei etwa 350 Kilometer entfernt in der Barentssee, und der Flugkörper wurde quer über die Kola-Halbinsel verschossen. Im Zuge dieser militärischen Erprobungen sperrte Russland große Teile des Weißen Meeres und der Barentssee, unweit norwegischer Territorialgewässer.114

Mehr als Putins »Superwaffen« muss die »Kalibrierung« russischer Unterseeboote und kleinerer mili­tärischer Einheiten militärischen Planern in USA und Nato Sorge bereiten. Der Mangel an eher großen Über­wasserkriegsschiffen und ihr zahlenmäßiger Rückgang wird ausgeglichen, indem Marschflugkörper vom Typ Kalibr auf vergleichsweise kleinere Einheiten der Flotte – einschließlich Unterseeboote – verteilt werden und dadurch die Kampfkraft beträchtlich erhöht wird. Russische Neubauten sind oftmals kleiner als die entsprechenden kampfkräftigen Ein­heiten der Nato.115 Gleichzeitig steigt die Anzahl der Kalibr-Träger erheblich und damit der ernstzunehmenden Bedrohungen für potentielle gegnerische Überwasserverbände und Landziele. Diese Strategie der Diversifizierung moderner, weitreichender und durchsetzungsfähiger Flugkörper auf viele kleine, schnellere, aber auch schwerer zu erfassende Einhei­ten macht die russische Marine zu einer ernsthaften Gefahr für die Streitkräfte der Nato, obwohl sie theo­retisch zahlenmäßig unterlegen ist. Während des Kalten Krieges war die Situation umgekehrt: Zu jener Zeit war es die nordatlantische Allianz, die weniger Schiffe besaß, aber ihre durchsetzungsfähigen Lenk­flugkörper besser auf kleinere Einheiten verteilt hatte.116 In Nordeuropa verfügten die norwegische, die dänische und die deutsche Marine über zahlreiche kleine und kampfstarke Flugkörperschnellboote. Sie hatten den Auftrag, einen möglichen Angriff der zahlenmäßig überlegenen sowjetischen Marine zu verlangsamen und auf Abstand zu halten, bevor die Verbände der alliierten Zerstörer und Flugzeugträger in die Kampfhandlungen eingreifen konnten. Russ­land scheint aus dieser Zeit seine Lehren gezogen zu haben. Offenbar ist es Moskau gelungen, die ökono­mischen Zwänge und Limitierungen bei der Modernisierung seiner Seestreitkräfte zu kompensieren, indem es sich auf den Bau kleinerer Einheiten konzentrierte.

Die Nordflotte verfügt heute über eine Kombina­tion kleiner Kriegsschiffe (Fregatten und Korvetten) und Unterseeboote, bestückt mit nuklearwaffenfähigen Marschflugkörpern vom Typ Kalibr, die – wie im Syrienkonflikt praktiziert – gegen potentielle Ziele in über 2.000 Kilometern Entfernung einsetzbar sind.117 Marschflugkörper des Typs Kalibr 3M14 können aber nicht nur von Überwasserschiffen, sondern auch von getauchten U-Booten der Kilo-Klasse und der neuen Jasen-Klasse gestartet werden.118 Die anhaltende Verbreitung offensiver Raketenkapazitäten zwischen größeren Schiffen sowie kleineren Einheiten wie Kor­vetten und U-Booten ist vielleicht die bedeutend­ste Entwicklung der russischen Marinefähigkeiten, auch im Sinne einer Abhaltestrategie. Komplementär dazu ist die chinesische Marine weltweit führend im mari­timen Einsatz ballistischer Raketen. Das unterstreicht die Bedeutung des potentiellen Zusammenwirkens der beiden Marinen,119 die sich in Zukunft auch im arktisch-nordatlantischen Raum erweisen könnte.

Russland ist der Anrainer mit den meisten und am besten für die Arktis geeigneten Einsatzmitteln. Das Militär dient dabei häufig als günstige Arbeitskraft anstelle teurer ziviler Ressourcen. Die von den Streit­kräften auf­gebaute, zivil und militärisch nutzbare Infrastruktur für Such- und Rettungsmaßnahmen auf See und aus der Luft spart Moskau (und russischen Firmen) Zeit und Geld.120 Mit der zunehmenden Öff­nung der Arktis ergibt sich schließlich eine ganze Reihe nichtmilitärischer Sicherheitsrisiken – seien es illegaler Tourismus, Schmuggel, Unglücksfälle oder gar Terrorismus oder Katastrophen –, mit denen rus­sische Sicherheitsdienste konfrontiert sind und die unter anderem 20 neue Grenzposten nötig machten.121

Russland hat seine militärischen Aktivitäten in der Arktis deutlich ausgeweitet.

In den letzten Jahren ist ein deutlicher Anstieg militärischer Aktivitäten Russlands in der Region zu verzeichnen, von denen Anrainerstaaten betroffen waren. Dazu gehörten simulierte Luftangriffe auf Radaranlagen im norwegischen Vardø sowie der Ein­satz von GPS-Störsendern im Grenzgebiet der balti­schen Staaten und gegenüber Finnland, außerdem verstärkte U-Boot-Patrouillen nahe norwegischen Hoheitsgewässern. Im Oktober 2019 passierten zehn russische U‑Boote das Europäische Nordmeer auf ihrem Weg in den Nord­atlantik – der größte der­arti­ge Einsatz seit dem Kalten Krieg. Ein russisches Kampfflugzeug verfolgte während der Nato-Übung Allied Sky einen US-Bomber bis in den dänischen Luftraum, und Schweden beschwerte sich über zahl­reiche Verletzungen seines See- und Luftraums.122 Im August 2020 veranstaltete die russische Marine Militärmanöver im Beringmeer vor der Küste Alaskas, wobei ein amerikanisches Fischerboot in der aus­schließlichen Wirtschaftszone der USA von einem russischen Kampfflugzeug bedrängt wurde, so dass die Besatzung sich bedroht fühlte. Die russischen Streitkräfte hielten dabei zwar internationale Regeln ein, aber ihre Mitteilung über baldige Manöver wurde nicht weitergegeben. Auf diese Weise entstand eine potentiell eskalierende Situation, die hätte vermieden werden können, wenn Verhaltensregeln befolgt wor­den wären.123 Die notwendige Kommunikation auf allen Seiten – und besonders mit Moskau – wird umso dringlicher, als das Nordpolarmeer von immer mehr Schiffen frequentiert wird.

Seit dem Georgienkrieg 2008 hat Moskau ein be­eindruckendes Tempo bei der Reform seiner Streitkräfte gezeigt. Für die nächsten zehn Jahre wurde in einer schwedischen Studie prognostiziert, dass die bisherigen Errungenschaften der russischen Streitkräftereform konsolidiert werden, darunter die Fähig­keit, einen regionalen Krieg zu führen. Darüber hinaus wird erwartet, dass Russland seine aggressive Außenpolitik fortsetzt und weiterhin das Völkerrecht nicht respektiert. Außerdem wird Russland demnach militärische Gewalt einsetzen, um seinen Großmacht­status aufrechtzuerhalten und seine Interessen zu schützen.124 Das dafür wichtigste militärische Instru­ment ist die Nordflotte mit ihren konventionellen und nuklearen Einsatzmitteln.

Priorität für die Nordflotte

Das schmelzende Meereis schafft nicht nur neue Verwundbarkeiten, sondern eröffnet Russland auch die Chance, in Zukunft die schon von Peter dem Großen angestrebte größere Rolle als Seemacht zu erlangen. Derzeit sind Russlands Fähigkeiten dazu noch begrenzt und auf »braune« (das heißt küsten­nahe und eher flachere) Gewässer reduziert. Daher sollen die Fähigkeiten als Seemacht gemäß der maritimen Doktrin gestärkt werden. Laut Russlands Selbstverständnis als Großmacht soll seine Flotte jenseits regionaler Gewässer in die Lage versetzt werden, weltweit zu agieren und Präsenz zu zeigen. Entsprechend breit angelegt ist der Anspruch, der sich zurzeit aber praktisch auf Arktis und Atlantik konzentriert. Der eigenen Flotte soll im Konfliktfall der Zugang zum Atlantik (und zum Pazifik) gesichert, gegnerischen Streitkräften wiederum ein Vordringen zur russischen Arktis verwehrt werden.125

Die Nordflotte ist die größte Militär­macht in der Arktis und genießt absolute Priorität für Moskau.

Die Nordflotte ist die größte Militärmacht in der Arktis und genießt absolute Priorität für Moskau, um über Kernaufgaben wie nukleare Abschreckung und Verteidigung entlang der Nördlichen Seeroute hinaus auch die Ressourcen und Wirtschaftsinteressen zu schützen. Neben der Hauptbasis in Seweromorsk hat die Nordflotte weitere Basen und Werften auf der Halbinsel Kola, wobei der Stützpunkt bei Murmansk als einziger eisfreier russischer Hafen in der Arktis zu den größten zählt. Die drei größten Marineformationen sind die Flottille der Halbinsel Kola, die Marinebasis im Weißen Meer und die U-Boot-Kräfte sowie Marine­flieger und ein Armeekorps. Die Land­streitkräfte bestehen aus sechs Brigaden mit jeweils 4.000–5.000 Mann und sind hauptsächlich für die Verteidigung der Halbinsel sowie Einsätze im größe­ren Arktisraum vorgesehen. Andere Militärdistrikte verlegen regelmäßig Einheiten in die Arktis. Dazu zählen Luftlandetruppen, die dort jährlich üben, Abfangjäger der Pazifikflotte und zudem strategische Bomber, die zeitweise in der Arktis stationiert werden. Die militärische Infrastruktur wurde zu diesem Zweck in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet. Zu ihr gehören neue oder modernisierte Lande­bahnen, Radaranlagen und Basen.126 (Siehe Karte 3.)127

Die nukleare Komponente der Nordflotte bilden die mit ballistischen Raketen (Sea-Launched Ballistic Missiles, SLBMs) bestückten strategischen Unterseeboote, welche etwa zwei Drittel der maritimen nukle­aren Zweitschlagfähigkeit Russlands gewährleisten. Dabei handelt es sich unter anderem um sechs Delta-IV-Boote, die mit jeweils 16 SLBMs ausgerüstet sind und sukzessive durch Boote der neuen Borei-Klasse abgelöst werden.128 Gleichermaßen Signalcharakter und spektakuläre Bilder schaffte die russische Marine im März 2021, als es erstmals dreien dieser Atom-U‑Boote gelang, im Abstand von wenigen hundert Metern unter dem anderthalb Meter dicken Eis auf­zusteigen und es zu durchbrechen; die Besatzung machte schließlich an der offenen Luke ihre Mel­dung.129 Dies war nicht nur ein historisches Ereignis, sondern demonstrierte auch die andauernde Fähig­keit, im Kriegsfall nach dem Durchbrechen des Eises die ballistischen Raketen zu starten. Das aus Sowjet­zeiten reaktivierte Bastionskonzept sieht für diese Unterseeboote einen Schutzraum vor, der sich über die Barentssee bis nach Grönland erstreckt. Neben anderen Einsatzmitteln, auf die noch einzugehen sein wird, sind dafür nuklear betriebene Angriffs­unterseeboote wichtig. Derzeit sind 15 solcher Boote unterschiedlicher Baureife in Entwicklung.130

Karte 3

Quelle: Nicole Franiok, Russian Arctic Military Bases, American Security Project, 22.4.2020,
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https://www.americansecurityproject.org/russian-arctic-military-bases>

Putins »Weltuntergangswaffe«, deren Existenz er im März 2018 publik machte, soll im Verantwortungs­bereich der Nordflotte stationiert, aber einer Orga­nisation außerhalb der Marine zugeordnet werden. Dabei handelt es sich um die nuklear angetriebene Unterwasserdrohne Poseidon, die 24 Meter lang ist und mit einem Sprengkopf von 100 Megatonnen aus­gestattet werden könnte. Zum Vergleich: Die stärkste bislang über dem arktischen Testgebiet Nowaja Semlja 1961 zur Explosion gebrachte Nuklearwaffe war die Tsar Bomba mit 58 Megatonnen, etwa der 3000-fachen Sprengwirkung der Hiroshima-Bombe. Bis zu sechs dieser Drohnen soll das Unterseeboot Belgorod transportieren, das im Juni 2021 zur ersten Probefahrt in das Weiße Meer auslief. Poseidon-Drohnen sollen in der Lage sein, autonom tausende Kilometer zurückzulegen, vor der Küste des gegne­rischen Landes zu detonieren und dieses auf Jahre hinaus durch radioaktive Kontamination unbewohnbar zu machen.131 Ziel dieser »Wunderwaffe« sind im Vergeltungsfall die USA, deren Raketenabwehr­system damit überwunden werden kann. Wie im Falle des ebenfalls nuklear angetriebenen und bestück­ten Marschflugkörpers Burevestnik findet die Erprobung im Raum zwischen Nowaja Semlja, Weißem Meer und Barentssee statt. Dabei wurden mehrere Unglücks­fälle verzeichnet, etwa eine Explosion bei einem Bure­vestnik-Test.132 Als strategische Nuklearwaffen wären nuklear angetriebene Drohnen und Marschflug­körper ähnlich wie SLBMs einem Nachfolgeabkommen von New START zuzuordnen, das bis 2026 zu verhandeln ist.

Zum 1. Januar 2021 wurde die Nordflotte, die bis­lang dem westlichen Militärdistrikt angehörte, zu einem eigenständigen Militärdistrikt aufgewertet. Auf diese Weise hob Moskau die besondere Bedeutung dieser Region in der Verteidigung hervor. Laut Admi­ral Alexander Moissejew, Kommandeur der Nord­flotte, bleibt es die vordringlichste Aufgabe, ständige Einsatzbereitschaft aufrechtzuerhalten, um vor einer Aggression abzuschrecken. Neben ihren militärischen Aufgaben dient die Flotte zur Erkundung arktischer Gewässer. So bestätigte die russische Marine im Som­mer 2019 die Entdeckung von fünf Inseln in Franz-Josef-Land, die bisher von Gletschern verborgen waren, und im Sommer 2021 war in Zusammenarbeit mit russischen Geografen eine Expedition in den Archipel Nowaja Semlja geplant.133

Bastion, Militärbasen und maritime nukleare Abschreckung

Die Wiederbelebung des aus Sowjetzeiten stammenden Bastionskonzepts tangiert direkt Russlands euro­päische Anrainer. Denn in diesen mehrschichtigen, überlappenden und dem russischen Hoheitsgebiet weit vorgelagerten Verteidigungszonen kommen unterschiedlichste Fähigkeiten zum Einsatz, die einander ergänzen. Dieses Konzept gestattet es den russischen Streitkräften, mit ihren Sensoren und Waffensystemen unter anderem weit in das norwegische Hoheitsgebiet hineinzuwirken, sowohl auf See als auch auf dem Festland.134 Das Bastionskonzept umfasst die sinnbildliche Fortifikation bestimmter, dem russischen Hoheitsgebiet vorgelagerter geo­grafischer Räume durch den verbundenen Einsatz ver­schiedenster Fähigkeiten, um damit auch ein geschütztes Wirken gegen einen Gegner auf Distanz zu ermöglichen.135 Hier geht es um die Konzentra­tion, Zusammenziehung und Wirkung im Verbund technischer Fähigkeiten zum operativ-taktischen Einsatz, um dem Gegner Zugang zu oder Zugriff auf ein geografisches Gebiet zu verwehren. Dieses wird als Anti-Access/Area Denial (A2/AD) bezeichnet und bildet die Operationalisierung des Bastionskonzepts. Während der letzten Jahre hat Russland solche Fähig­keiten im arktischen Raum massiv ausgebaut, beson­ders im Gebiet auf der und um die Kola-Halbinsel, wo die strategisch wichtige Nordflotte, Kernelement der nuklearen Zweitschlagsfähigkeit, beheimatet ist. Russische Streitkräfte sind in der Lage, den See- und Luftraum der russischen Arktisregion sowie angrenzender Gebiete nahezu lückenlos zu überwachen, und besitzen die Option, jederzeit mit Waffengewalt gegen Flugzeuge und Schiffe, aber auch landbasierte Ziele zu wirken. Die Verfasser des Berichts zur Bedro­hungslage, den der dänische Auslandsgeheimdienst jedes Jahr erstellen lässt,136 analysieren unter ande­rem Ausbau und Modernisierung der militärischen Stützpunkte auf der Inselgruppe Franz-Josef-Land und sehen darin eine direkte Bedrohung für Grönland und die auch von Alliierten genutzte Thule Air Base.

Im Jahr 2007 wurde die sowjetische Praxis der Langstreckenflüge über der Arktis erneut aufgenommen, im Jahr darauf gab es auch wieder Patrouillen entlang der Nördlichen Seeroute. Der direkten Vertei­digung dient ein gestaffeltes System von Flugzeugen, Sensoren, U-Booten, Schiffen sowie land- und luft­gestützten Waffensystemen. Dazu zählt auch die Sta­tionierung von Kampfflugzeugen des Typs MiG-31 BM auf Franz-Josef-Land, der ersten Überschallflugzeuge in der Arktis: Die Luftwaffenbasis Nagurskoje ist mit 14.000 Quadratmetern die größte und am weitesten nördlich gelegene Militärbasis. Ferner sind auf dem Luftwaffenstützpunkt auf Nowaja Semlja MiG-Kampfflugzeuge disloziert.137 Mobile S-350-Flug­abweh­rsysteme sowie S-300 PM and S-400 sind auf Sewernaja Semlja, den Neu­sibirischen Inseln, Nowaja Semlja, Alexandraland und der Wrangelinsel statio­niert.138 Die Reichweite des Gesamtsystems deckt die Inseln und Archipele entlang der Nördlichen Seeroute und angrenzender Gewässer ab. Außerdem wurden mobile Antischiffsraketen vom Typ K-300P Bastion-P an zwei Schlüsselstellungen der NSR disloziert, und zwar zum einen auf der Insel Alexandraland, die Teil von Franz-Josef-Land ist und nahezu mittig zwischen dem russischen Festland und Grönland liegt, zum anderen auf dem Neusibirischen Archipel.139

Die russische Abhaltestrategie wird durch eine Reihe neuer Waffensysteme unterstützt. Dazu zählt die hyperschallschnelle Antischiffsrakete Zirkon, die Ziele in einem Umkreis von rund 1.000 Kilometern anpeilen und diese mit bis zu neunfacher Schallgeschwindigkeit innerhalb weniger Minuten erreichen kann. Auch die ballistische Luft-Boden-Rakete Kinschal soll auf arktischen Stützpunkten stationiert werden. Damit kann Russland nicht nur das Bastionskonzept umsetzen, sondern auch die sogenannte Bärenlücke (Bear Gap) kontrollieren, also das Gebiet zwischen dem Nordkap, der Bäreninsel (Bjørnøya) und Spitz­bergen (Svalbard), das ähnlich bedeutsam ist wie die GIUK-Engstelle bei Grönland.140 Diese müssen russi­sche Kriegsschiffe passieren, wenn sie in den Nord­atlantik gelangen möchten.

Russland nimmt eine defensive Haltung in der Arktis ein, ist im Konfliktfall aber auf eine rasche Eskalation vorbereitet.141 Die vorhandene mili­tärische Infrastruktur und die Waffensysteme des Bastionskonzepts können nahtlos von einer defensiven Opera­tionsform in eine offensive überführt werden. Die zunehmende Konfrontation russischer und skandinavischer Schiffe und Flugzeuge legt nahe, dass sich die Nordflotte im Übergang zu einer Strategie befindet, die effektive Angriffsoptionen ermöglicht.142 Dies kann offensive Operationen ein­schließen, etwa die Eroberung von Teilen Nord­skandinaviens.143 Anders formuliert: Russische Streit­kräfte sind im­stande, zügig geografische Schwer­punkte zu setzen, und mit­hin fähig, zeitlich und räumlich begrenzte Wirkungs­überlegenheit zu erzie­len. In diesem Sinne ist zu er­warten, dass Russland im Konfliktfall ver­suchen wird, rasche Landgewinne sicherzustellen, bevor US-Streit­kräfte und Nato-Ver­bündete wirkungsvoll reagieren können. Davon geht auch die US-Marine in ihrer neuen Strategie aus.144

Die Nato im Hohen Norden: Abschreckung, Verteidigung und Dialog

Als Verteidigungsbündnis haben die Allianz sowie ihre arktischen Mitglieder spätestens seit 2014 immer häufiger sicherheits- und militärpolitische Bedrohun­gen und Herausforderungen in dieser Region identifi­ziert. Die meisten nordeuropäischen Alliierten haben bereits eine Arktisstrategie formuliert. Norwegen, das sich selbst als Auge und Ohr der Nato im Hohen Norden betrachtet,145 nimmt eine Vorreiterrolle in diesem Bereich der Nordflanke ein. Im periodisch veröffentlichten norwegischen Langzeit-Verteidigungs­plan aus dem Jahr 2016 wird Russland als die wesent­lichste Herausforderung benannt. Gründe dafür sind seine wachsenden militärischen Fähigkeiten, seine Bereitschaft zum Einsatz von Streitkräften sowie sein aktiveres, aggressiveres und unberechenbares außen- und sicherheitspolitisches Auftreten.146 Zwar sieht sich Norwegen als Nation nicht direkt von Russland bedroht, etwa durch eine Invasion. Als Nato-Mitglied jedoch erkennt es die zunehmenden sicherheitspoli­tischen Spannungen und hält deren Verlagerung in den Hohen Norden durchaus für möglich. Noch 2016 wertete Norwegen den arktischen Raum grundsätzlich als Region der Kooperation aller. In der jüngsten Version des norwegischen Verteidigungsplans 2020 musste Oslo indes anerkennen, dass der Hohe Norden und die Arktisregion zu einem Schauplatz der Groß­machtrivalität und wachsender Instabilitäten gewor­den sind.147 Entsprechend aufmerksam beobachteten die Arktisanrainer das russische Manöver Ocean Shield im Jahr 2019. Daran nahmen 70 Schiffe und 58 Flug­zeuge teil, von denen einige unmittelbar vor norwegi­schen Hoheitsgewässern operierten. Neben dem Ver­schuss von Flugkörpern übten die russischen Streit­kräfte eine Blockade der Ostsee, des Ärmelkanals und des Europäischen Nordmeeres sowie die Vorbereitung amphibischer Operationen zur Einnahme territorialer Räume.148

Als ähnlich gravierend schätzt eine Expertengruppe die möglichen Bedrohungen im Hohen Norden ein. Im Auftrag des Nato-Generalsekretärs hat sie eine Bestandsaufnahme mit Empfehlungen zur politischen Positionierung der Nato bis 2030 erstellt.149 So plädie­ren die Experten in ihrem Abschlussbericht dafür, die Nato möge ihre Aufmerksamkeit für die Lage im Hohen Norden und in der Arktis erhöhen und zu­gleich eine Strategie für diese Region entwickeln. Sie solle sich an den schon erarbeiteten Plänen für die Verteidigung und Abschreckung orientieren, um die­sen Pfeiler in der Region zu stärken und dem aggres­siven Vorgehen staatlicher Akteure dort entgegen­zuwirken. Entworfen werden solle die Strategie für den Hohen Norden in Abstimmung mit den alliierten arktischen Anrainern. In diesem geografischen Raum solle eine Balance zwischen Abschreckung und Ver­teidigung bewahrt werden. Gleichzeitig gelte es die Arktis und den Hohen Norden in ihrer Gesamtheit als Raum geringer Spannungen zu erhalten.

Die Vorschläge der Expertengruppe gehen in die Richtung der Graduated Response Plans (GRP), welche die Nato seit dem Gipfeltreffen in Wales 2014 erstellt und als geheim eingestuft hat. Darin widmet sich die Allianz der Vorausplanung für qualitative und quan­titative Fähigkeiten sowie für Truppenbewegungen in unterschiedlichen Szenaren und Regionen.150 Auch für den Hohen Norden soll es derlei Konzepte geben. Ihr Zweck ist es, gleichermaßen die Bereitschaft und die Vorbereitungen der Nato auf etwaige Krisenszenarien und Konfrontationen sowie ihr Abschreckungspotential zu stärken.151 Noch immer gilt die alte For­mel aus dem Kalten Krieg, der zufolge Abschreckung ein Produkt aus Fähigkeiten einerseits und der glaub­haften Kommunikation andererseits ist, diese Fähig­keiten im Ernstfall auch einzusetzen.

Im Jahr 2018 hielt die Nato in und vor Norwegen sowie im Europäischen Nordmeer unter der Bezeichnung Trident Juncture das größte alliierte Manöver seit Ende des Kalten Krieges ab. Spätestens seit diesem Zeitpunkt demonstriert auch die Allianz ihre militäri­sche Entschlossenheit und Bereitschaft in der Region. An dem Manöver waren 50.000 Soldaten, 250 Flug­zeuge und 65 Schiffe beteiligt. Geübt wurde nicht nur die Verlegung der damals deutsch geführten Land­anteile der schnellen Eingreiftruppe der Nato (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF). Bestandteile des Manövers waren auch die Rückeroberung eines besetzten Teils Norwegens und die Einbindung eines US-Trägerverbandes, um das Seegebiet zwischen Island, Grönland und Norwegen zu kontrollieren.152 Das Signal scheint angekommen zu sein, werten doch zahlreiche Beobachter das Manöver Ocean Shield der russischen Streitkräfte von 2019 als direkte Antwort auf Trident Juncture.153 Diesen Schluss legen der ungewöhnliche Umfang des Manövers und die darin geübten operativ-taktischen Szenarien nahe, selbst wenn große Manöver in Russland wie in der Nato gemeinhin über mehrere Monate und Jahre vorausgeplant sind und entsprechende Planungs­zyklen für die Logistik benötigen. Eher selten, dafür umso überraschender und wirkungsvoller sind kurz­fristig angesetzte Übungen.154 Russland nutzte sie gelegentlich, um die Mobilität und Bereitschaft seiner Streitkräfte an der Ostflanke der Nato hervorzuheben. Aber auch im arktischen Raum finden vermehrt solche unangekündigten Übungen statt. Dabei geht es mehr um die Signalwirkung als darum, militärische Schlüs­sel­fähigkeiten zu trainieren und durchzuexerzieren.155

Diese Signalwirkung wurde 2020 durch einen US-Zerstörerverband mit begleitendem Versorgungsschiff sowie einer britischen Fregatte deutlich. Die USS Donald Cook, die USS Roosevelt, die USS Porter zusammen mit der USNS Supply und der HMS Kent nutzten einen unvorhergesehenen Freiraum zwischen verschiedenen Manövern im Mai 2020 zu einer Patrouillenfahrt in die Barentssee.156 Das russische Verteidigungs­mini­sterium wurde am 1. Mai 2020 kurzfristig darüber informiert, um entstehenden Fehlwahrnehmungen zu begegnen.157 Es war das erste Mal seit dem Ende des Kalten Krieges, dass alliierte Schiffe in der Barents­see patrouillierten. Bereits im September 2020 wurde die Region erneut befahren, diesmal durch die HMS Sutherland, die RFA Tidespring und den Zerstörer USS Ross. Dieses Signal fand im Westen unterstützende Resonanz. Es wurde ein Trend gesetzt, der sich in den kommenden Jahren verstetigen dürfte.158

In ihrem Schlusskommuniqué zum Nato-Gipfel­treffen vom Juni 2021 in Brüssel widmen sich die Staats- und Regierungschefs des Bündnisses ungewöhnlich ausführlich den Aktivitäten von und Bedrohungen durch Russland. Allein in 16 der 79 Abschnitte des Dokumentes befassen sie sich mit konventionellen, nuklearen und hybriden Handlungen Russlands gegenüber den Mitgliedern der Allianz.159 Aus Sicht der Nato soll Abschreckung mit einem möglichst geringen militärischen Fußabdruck in der arktischen Region aufrechterhalten und die Gefahr sicherheitspolitischer Konfrontation klein gehalten werden.160 Als neues Hauptquartier für den Atlantik und damit für den maritimen Raum der Arktisregion fungiert seit Juli 2021 das Joint Force Command Norfolk, das künftig die regionalen Aktivitäten in dem ihm zuge­wiesenen Verantwortungsbereich leiten soll. Dem US-geführten Nato-Hauptquartier ist die amerikanische 2. Flotte beigeordnet, was einen spürbaren Fähigkeits­zuwachs und mehr Flexibilität für die Nato verspricht. National oder unter Nato-Flagge wird die 2. Flotte auch in der arktischen Region aktiv sein. Die Unter­scheidung zwischen unilateralem amerikanischem und alliiertem Vorgehen wird aus Sicht Russlands weiter verschwimmen. Unilaterale oder gar bilaterale Aktivitäten einzelner Nato-Staaten sind bisher kaum mit den gemeinsamen Maßnahmen der Allianz abgestimmt oder gar synchronisiert, wie jüngst das Bespiel des Abzugs aus Afghanistan demonstrierte.

Die Verteidigungsplanung der Nato muss gesamteuropäisch gedacht werden.

Im Sinne des Postulats, die Abschreckung der Nato zu stärken, geht es nicht nur darum, Fähigkeitslücken zu schließen, sondern auch Lücken in der Geografie. Die Verteidigungsplanung der Nato muss gesamt­europäisch gedacht werden. Aus Sicht des Bündnisses wird sich daher eine Abschreckung ohne Militarisierung der Arktis kaum vermeiden lassen. Militärische Fähigkeiten müssen entwickelt, trainiert und posi­tioniert werden. Schon seit einigen Jahren wird in den Nato-Stäben erwogen, die Reaktionskräfte (Nato Response Forces, NRF) an die Sicherheitslage und die Bedrohungen anzupassen, so wie die Allianz sie wahrnimmt. Die von den USA initiierte Bereitschaftsinitiative, welche die Nato 2018 übernommen hat, sichert dem Bündnis theoretisch eine Verfügbarkeit bestimmter Kontingente und Einheiten in einer Abruf­zeit von 30 Tagen (30 Bataillone, 30 Schiffe, 30 Flug­zeugstaffeln). Das heißt aber nicht, dass dem alliier­ten Oberbefehlshaber fest verfügbare und nahezu nahtlos einsatzbereite Kontingente oder Einheiten mit kon­kreten Fähigkeiten an die Hand gegeben würden. Dies geschieht nur im Rahmen der schnellen Eingreif­truppe (VJTF) sowie im maritimen Bereich mit den dazugehörigen stehenden Einsatzverbänden. Für den Hohen Norden erscheint es aus diesem Blickwinkel nur konsequent, entweder die bereits existierenden maritimen Einsatzverbände stärker regionalisiert zu verwenden oder einen zusätzlichen Verband mit entsprechenden Fähigkeiten für eine Präsenz und Patrouille in der Region aufzustellen. Bereits heute sind die vier bestehenden Einsatzverbände stark belastet, sei es durch Übungen, sei es durch Beiträge zu Nato-geführten Operationen. Hinzu kommt, dass abgestellte Einheiten nicht allen geografischen und klimatischen Ansprüchen des möglichen Einsatzspektrums gerecht werden. Hier sollte das Augenmerk stärker auf Einheiten und Fähigkeiten speziell für den Hohen Norden gerichtet werden. Dies wäre eine stringente Ableitung der Erkenntnisse und Empfehlungen, welche die Reflexions­gruppe des Nato-2030-Prozesses unterbreitet hat.

In jedem Fall werden die Manöver der Nato und Russlands in der Region weiter zunehmen. Der Aus­tausch damit verbundener strategischer Signale und Botschaften in der Arktis wird sich intensivieren und – wie jüngst im Falle Irlands und Islands – ausweiten.161 Eine etwaige stärkere Rolle der Nato muss mit Blick auf russische Sicherheitsinteressen vorsichtig kalibriert werden, und Veränderungen sind klar zu kommunizieren. Um vorhandene Bedrohungsperzeptionen nicht aktiv zu befördern, erscheint es sinnvoll, für bestimmte Regionen der Allianz wie die Arktis eine Art von Aufsicht, Koordi­nation und Steuerung alliierter sowie unilateraler Aktivitäten im Sinne der gesendeten strategischen Botschaften einzurichten. Analog zur Black Sea Task Group und zur im Aufbau befindlichen Baltic Mari­time Coordination Function der Nato wäre auch für den arktisch-nordatlantischen Raum eine Koordi­nierungsfunktion vorstellbar, bei der vorzugsweise Norwegen die Hauptrolle spielen sollte. Regionale Verantwortlichkeiten und Kräfteansätze erlauben es, Ressourcenplanung und -nutzung zu optimieren. Zu diesem Zweck sind verbesserte Aufklärungsfähigkeiten (situational awareness) ebenso geboten wie eine Anpassung der maritimen Strategie.162

Das arktische Sicherheitsdilemma

Die wachsenden militärischen Aktivitäten der Russi­schen Föderation – und zu einem gewissen Teil die Ambitionen Chinas – haben große Unsicherheit über die künftige Entwicklung und damit ein Sicherheitsdilemma entstehen lassen.163 Exemplarisch konstatiert Schweden in seinem jüngsten Strategiepapier vom November 2020 eine »neue militärische Dyna­mik in der Arktis«.164 Der schwedische Verteidigungs­minister Peter Hultqvist erklärte, dass ein »bewaff­neter Angriff auf Schweden ... nicht ausgeschlossen werden« könne, und begründete damit die militärische Aufrüstung seines Landes. Von 2021 bis 2025 werden die Rüstungsausgaben um 40 Prozent steigen, gegenüber dem Niveau von 2014 sogar um 85 Pro­zent.165 Im Falle eines Sicherheitsdilemmas ist es eine typische Reaktion, dass verunsicherte Staaten sich gezwungen sehen, ihre militärischen Fähigkeiten zu stärken. Das erzeugt eine Spirale des Machtwett­bewerbs und führt dazu, dass sich die Sicherheit aller beteiligten Akteure letztlich eher verringert als er­höht.166 So haben die USA und andere Nato-Staaten die Frage bereits teilweise beantwortet, wie sie auf das verstärkte Engagement Russlands im arktisch-nordatlantischen Raum reagieren sollen. Die ausge­führten Maßnahmen, nämlich Aufrüstung, Übungen und Verlegung von Einsatzmitteln, müssen ihrerseits aber in eine möglichst ausgewogene Kombination von Abschreckung, Verteidigung und Dialog ein­gebettet werden.

Konfliktprävention durch Dialog und Kooperation

Je mehr die Aktivitäten und der Wettbewerb um Zugang und Einfluss in der Arktis zunehmen, desto stärker wächst der Bedarf an Mechanismen, um Spannungen zu bewältigen, den Dialog aufrecht­zuerhalten und die Zusammenarbeit zu verbessern. Ohne einen solchen Rahmen besteht die Gefahr, dass ein Missverständnis oder eine Fehlwahrnehmung infolge eines Unfalls zu einem unbeabsichtigten bewaffneten Konflikt eskaliert. Daher ist es für die arktischen Staaten essentiell, einen Dialog über Fragen der militärischen Sicherheit zu führen. Wird ein solcher Austausch institutionalisiert, steigen die Chancen, dass die Absichten hinter der arktischen Sicherheitspolitik einzelner Staaten transparenter werden. Damit lässt sich idealiter das Sicherheits­dilemma für alle Beteiligten entschärfen, der weitere Aufbau militärischer Kapazitäten verlangsamen und das Fundament für eine künftige Sicherheits­architektur schaffen.

Bereits heute existiert ein verzweigter institutio­neller Ordnungsrahmen, der inhaltlich nicht nur regionale Anliegen zum Gegenstand hat, sondern auch überregional einen Ansatz für Kooperation in verschiedenen politischen, wirtschaftlichen, sozia­len und ökologischen Aspekten bietet. Zu den betei­ligten Institutionen zählt zuvorderst der Arktische Rat mit seinen acht Mitgliedstaaten, dessen rotierenden Vorsitz im Mai 2021 Russland übernommen hat. Sicherheitspolitische Aspekte werden bisher in diesem Forum nicht thematisiert, allerdings wird deren Rele­vanz von verschiedenen Mitgliedern – darunter auch Russland – zunehmend betont.

Übersicht 1

Im Sinne eines umfassenderen und politikfeldübergreifenden Verständnisses von Sicherheit haben die Themen des Arktischen Rates direkte Auswirkungen auf die gegenseitige Vertrauensbildung, die Bearbeitung grenzübergreifender Herausforderungen, die Minimierung von Missverständnissen und eine ge­meinsame Ent­wicklung der Region. Ähnlich verhält es sich beim Barents Euro-Arctic Council (BEAC), dessen beson­deres Augenmerk dem angrenzenden Gebiet Nord­skandinavien und Barentssee gilt. Gegrün­det maß­geblich, um die Region durch gemeinsame Initiativen und den Diskurs zu stabilisieren, beschäftigt er sich heute in zahlreichen Arbeitsgruppen mit verschiedenen, auch sicherheitspolitisch relevanten Themen und Politikfeldern.167 Einen vergleichbaren regio­nalen Schwerpunkt hat der Nordische Rat, der als Forum für Parlamentarier der nordischen und skan­dinavischen Länder (mit Ausnahme Russlands) dient. Sein Ziel ist es, die Kooperation bei bestimmten Themen und Aspekten zu verstärken.168 Als rein sicherheits- und militärpolitisches Forum derselben beteiligten Staaten wiederum versteht sich die Nordic Defence Cooperation (NORDEFCO), die im Jahr 2009 ins Leben gerufen wurde. Sie soll die militärische Zusammenarbeit der im regionalen Vergleich eher kleineren Streitkräfte der Mitgliedstaaten in den Bereichen Fähigkeiten, Beschaffung und Ausbildung verstärken und ausbauen.169 Geografisch angrenzend und überlappend, konzentriert sich überdies der Ostseerat (Council of the Baltic Sea States, CBSS) in seinem Wirken auf drei Themen: Sicherheit in einem weiter gefassten Verständnis, regionale Koope­ration und Identität sowie Entwicklung einer florie­renden und zukunftsfähigen Region.170 Vor allem infolge Russlands Annexion der Krim im Jahr 2014 richtet auch die Nato ihren Blick wieder verstärkt auf den Hohen Norden und auf Aspekte der Bündnisverteidigung.

Ein Dialog über militärische Sicherheit in der Arktis

Trotz der Spannungen im Verhältnis zu Russland läuft die multilaterale Kommunikation mit Moskau weiterhin über verschiedene Kanäle, wie den Sicher­heitsrat der Vereinten Nationen, die OSZE, die G20, um nur einige zu nennen. Derzeit gibt es jedoch kein Forum für einen inklusiven Sicherheitsdialog, der eigens auf die Arktis ausgerichtet wäre. Seit Beginn des russisch-ukrainischen Konflikts 2014 war Russ­land nicht an den jährlichen Treffen des Runden Tisches der arktischen Sicherheitskräfte (Arctic Secu­rity Forces Roundtable, ASFR) beteiligt, und die Generalstabschefs der Arktisstaaten (Arctic Chiefs of Defense, ACHOD) haben seit 2013 nicht mehr getagt. Andere regionale Plattformen, an denen Russland weiterhin teilnimmt, nämlich der Arktische Rat, der Euro-arktische Barentssee-Rat (Barents Euro-Arctic Council, BEAC) und das Forum arktischer Küsten­wachen (Arctic Coast Guard Forum, ACGF), sind wichtige Dialogformate, befassen sich aber nicht mit Fragen harter Sicherheit. Über die Notwendigkeit, Russland wieder in den militärischen Sicherheits­dialog zur Arktis einzubeziehen, sind sich Experten weitgehend einig.171 Allerdings darf der Dialog kein Selbstzweck sein, und es gehen die Meinungen aus­einander, welches der geeignete Ort dafür ist. Eine naheliegende Option wäre, das Mandat des Arktischen Rates um Aspekte der militärischen Sicherheit zu erweitern. Jedoch gibt es Bedenken, dass harte Sicherheitsfragen weiche untergraben könnten und die Zusammenarbeit zwischen den Arktisstaaten gefährden würden. So meinte der norwegische Arktis­beauftragte Bård Ivar Svendsen, dass der Dialog mit Russland im Arktischen Rat nur deshalb (noch) gut sei, weil die Sicherheitspolitik dort nicht Gegenstand der Beratungen ist. Andere haben die Idee eines erweiterten Mandats klar unterstützt: Islands Premier­ministerin Katrín Jakobsdóttir auf der Arktiskonferenz im Oktober 2019 und der finnische Regierungschef Antti Rinne sprachen sich für eine solche Initia­tive aus.172 Beim Ratstreffen im Mai 2021 in Reykjavik befürwortete es der russische Außenminister Sergei Lawrow ausdrücklich, den Dialog zwischen militärischen Befehlshabern der Arktisstaaten wiederaufzunehmen.173

Als ein Forum, das seit mehr als zwei Jahrzehnten aktiv ist, verfügt der Arktische Rat über einen hohen Grad an Institutionalisierung. Sein Mandat auszudehnen bietet daher einen schnelleren Weg als ein neues Format zu schaffen. Darüber hinaus versammelt er alle regionalen Hauptakteure, was ihn als vernünftigere Option zur Diskussion über militärische Sicherheit in der Arktis erscheinen lässt als den Nato-Russland-Rat oder die OSZE. Der Erweiterung des Mandats müssten aber alle Mitgliedstaaten des Arktischen Rates zustimmen. Ob ein solcher Konsens erreicht werden kann, ist offen, und es gibt andere Ansätze, um den Dialog über militärische Sicherheit zu reaktivieren. So hat der russische Botschafter im Arktischen Rat, Nikolai Kortschunow, erklärt, den Dialog zunächst auf informeller Ebene zwischen militärischen Experten der Arktisstaaten wiederaufnehmen zu wollen.174

Der militärische Dialog mit Russland sollte reaktiviert und die Transparenz erhöht werden, um Eskalations­risiken vorzubeugen.

Der Dialog sollte wiederhergestellt und die Transparenz erhöht werden, um Missverständnissen – und damit Eskalationsrisiken – vorzubeugen. Dabei könnten die Empfehlungen des Expertendialogs Nato-Russland175 aufgegriffen werden. Sie sind in großen Teilen auf den arktisch-nordatlantischen-Raum anwendbar. So sollten die Planungen für militärische Übungen offengelegt werden. Vertrauliche Vorab­informationen wären geeignet, um Fehldeutungen im Falle russischer Alarmübungen zu vermeiden. Auch die Nato könnte Russland vertraulich über unangekündigte Bewegungen multinationaler Verbände ins Bild setzen. Größere militärische Bewegungen und Übungen, die in den betreffenden Gebieten statt­finden, sollten strikten Informations- und Verifika­tionsregimen unterworfen werden. Allerdings muss vermieden werden, einzelne Regionen oder Länder zu isolieren. Außerdem sollten sich Nato und Russ­land bei der Stationierung und Bewegung von Marsch­flugkörpern und neuen weitreichenden Systemen gegenseitige Transparenz und Zurückhaltung zu­sichern. Zudem sollten die beiden Seiten ihre Gesprä­che über die Raketenabwehr wiederaufnehmen. Diese Vorschläge zielen nicht darauf ab, zur politischen Tagesordnung wie vor der Ukraine-Krise zurückzukehren. Sie dienen vielmehr dazu, eine Eskalation zu verhindern und die Sicherheitslage zu verbessern.176

Darüber hinaus wären entsprechende spezifische Verhaltensregeln in der Arktis hilfreich (Arctic Code for Unplanned Encounters at Sea) und im Weiteren ein militärischer Verhaltenskodex für die Arktis (Arc­tic Military Code of Conduct, AMCC).177 Ein Dialog­forum zu militärischer Sicherheit böte den Arktis­staaten (und anderen betroffenen Ländern) die Mög­lichkeit, zu erörtern und festzulegen, welche militä­rischen Praktiken in der Arktis als akzeptabel gelten. Ähnliche Vereinbarungen bestehen schon in anderen Bereichen, so etwa für Such- und Rettungseinsätze (Search and Rescue, SAR) und die Umweltzusammenarbeit, doch der militärische Bereich blieb bislang außen vor. Ein militärischer Verhaltenskodex könnte dazu beitragen, die Transparenz zu fördern und das Risiko von Fehleinschätzungen zu senken. Auf diese Weise ließe sich ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber den militärischen Absichten der jeweils anderen Seite schaffen, was das Sicherheitsdilemma abschwächen würde.

Als vertrauensbildendes Instrument könnte sich der AMCC auf das Wiener Dokument der OSZE über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) stützen. Ein mögliches Modell für den Kodex ist auch das Fischereiabkommen für die Hohe See des zentralen Arktischen Ozeans. Es bietet ein Format für Verhandlungen zwischen den Küstenstaaten der Arktis, vier weiteren Ländern, die Fischerei in der Arktis betreiben können, und der Europäischen Union. Der AMCC könnte in ähnlicher Weise neben den arktischen Anrainerstaaten auch Länder außerhalb der Region einschließen, die zu militärischen Opera­tionen in der Arktis fähig sind, wie China, Groß­britannien und Frankreich. Zweck des Verhaltens­kodexes wäre, die Kooperation zu fördern und die Region konfliktfrei zu halten. Daher wäre der Arkti­sche Rat, der im gleichen Geist arbeitet, ein geeig­neter Ort, um die Diskussion darüber zu beginnen, welche militärischen Praktiken hinnehmbar sind und welche nicht. Zuvorderst obliegt es den Mitgliedern des Arktischen Rates, zu entscheiden, ob ein Format für Fragen militärischer Sicherheit sinnvoll wäre, und wenn ja, welches. Es gibt gute Gründe, den Dialog zu reaktivieren, ohne damit Moskau zu signalisieren, dass das aggressive russische Verhalten zu entschuldi­gen ist.

Bilanz und Perspektiven

»Die Zukunft ist sicher, nur die Vergangenheit ist unvorhersehbar.« So etwa lautet ein sowjetischer Witz, der auf das ewige Versprechen von Prosperität im Sinne einer sicheren Zukunft und die damals übliche propagandistische Neuschreibung der Geschichte ab­hebt, die unter Präsident Putin wiederbelebt wurde.178

Moskau hat eine lange Tradition der Beschwörung von Eskalationsgefahren, die für Russland nützliche Ängste oder Bedrohungsgefühle in der westlichen Öffentlichkeit hervorrufen. Die Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte hat deutlich gezeigt: Wo Moskau die militärische Eskalationsdynamik weitgehend kon­trolliert, wie etwa im Fall der Ostukraine, kann eine Zuspitzung auch als Instrument der russischen Politik dienen. Diese Handlungsmaxime kann für den außen- und sicherheitspolitischen Bereich, für wirtschaft­liche Aspekte und zur Stärkung der Innenpolitik ein­gesetzt werden. Im Denken der russischen Eliten sind dies legitime strategische Handlungsoptionen, welche in der eigenen Wahrnehmung defensiven Charakter haben. Tatsächlich ist Sicherheit ein Produkt, das sowohl den kommerziellen wie den militärischen Interessen des Landes dienen soll.

Die Ambitionen des Präsidenten in der Arktis sind hoch. Ihre Grenzen finden sie in der einseitigen Aus­richtung sozioökonomischer Entwicklungspläne auf fossile Energieträger, der Reduzierung der Nördlichen Seeroute auf den Rohstofftransport, den hohen Kosten für militärische Maßnahmen gegen einen fiktiven Gegner, selbstverschuldeten Umweltkatastrophen und administrativ bedingten Verzögerungen. Darüber hin­aus hat das am 26. Mai 2021 ergangene Urteil gegen den Erdöl- und Erdgaskonzern Shell auch Folgen für Russland, denn es erhöht den bereits wirksamen Druck auf Investoren, noch stärker auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit bedacht zu sein. Es ist ein un­sicherer Wechsel auf die Zukunft Russlands, dass ein steigendes Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum in Afrika, Asien und Süd­amerika noch weitere Jahre die Gewinne aus dem Geschäft mit fossilen Energien sicherstellen soll, nachdem zuvor Europa jahrzehntelang verlässlich für solche Einkünfte gesorgt hatte. Russland hat zwar Erfolg bei der Erschließung arkti­scher Rohstofflager, aber eine negative Gesamtbilanz. Großer Aufwand ist nötig, um die Ressourcen in der Arktis zu erschließen und auszubeuten sowie gleich­zeitig die Infrastruktur auf der maritimen Haupttransportroute auszubauen. Das kann Russland allein nicht leisten. Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern als geoökonomische Grundlage des Großmacht­status einerseits und von China als geostrategischer Abstützung andererseits schafft eine fragile Lage.

Sicherheitspolitisch nimmt Russland eine defen­sive Haltung in der Arktis ein. Sie resultiert gleichermaßen aus der geografischen Lage wie aus der eige­nen Schwäche. Angesichts dessen hilft es Moskau, in der westlichen Öffentlichkeit als besonders bedrohlich angesehen zu werden.179 Das illustrieren militä­risch zweifelhafte und gefährliche Projekte wie der »Weltuntergangs­torpedo« oder Putins Bezeichnung für hyperschallschnelle Systeme als »absolute Waffe«. Zugleich ist es in Moskaus Sinne, die Arktis friedlich und stabil zu halten. Anders als etwa im anhaltenden Krieg gegen die Ukraine ist die russische Führung daher an Maßnahmen zur Konfliktprävention inter­essiert. Das Problem ist allerdings, dass Moskau zwi­schen zwei widerstreitenden Interessen und Politik­ansätzen – Kooperation vs. Sicherheit – schwankt und dass am Ende üblicherweise die Sicherheits­politik siegt.180

Außenminister Lawrow sprach sich auf dem Ministertreffen des Arktischen Rates am 20. Mai 2021 in Reykjavik dafür aus, den Dialog zwischen militä­rischen Befehlshabern der Arktisstaaten neu zu be­leben.181 Dass er dies als designierter Vorsitzender er­wähnte (obwohl sich der Rat explizit nicht mit Fragen militärischer Sicherheit befasst), unterstreicht, wie wichtig dieses Anliegen Moskau ist. Das spiegelt sich auch in dem umfangreichen Programm des russi­schen Ratsvorsitzes wider.182 Russland agiert zwei­gleisig: Es will ein Klima der Kooperation schaffen, aber zugleich die USA und andere militärisch rele­vante Staaten auf gebührendem (Sicherheits-) Abstand halten.

Aufgrund der zentralen Bedeutung Europas für die Sicherheit Russlands dienen Manöver und Übungen im arktischen und nordatlantischen Raum als Aus­weis und Selbstversicherung gegenüber relativ über­legenen Nato-Streitkräften. Relativ ist dabei im Sinne von Raum und Zeit zu verstehen, denn Militär der Nato müsste im Konfliktfall erst in die Region verlegt werden. Russland würde zeitlich bedingt über die strategische Initiative und Eskalationsdominanz durch Androhung des Einsatzes von Nuklearwaffen verfügen. Schließlich galt schon in den 1960er Jahren für die Nato, dass ein konventioneller Krieg an der Nordflanke kaum zu gewinnen ist, schon gar nicht im Seegebiet, dort aber verloren werden kann.

Ein Dialog über Fragen militärischer Sicherheit in der Arktis kann dazu beitragen, das Risiko einer Eska­lation im arktisch-nordatlantischen Raum zu verrin­gern. Jedoch bieten fortbestehende Sicherheitsrisiken Russland auch die Möglichkeit, seine Bedeutung in der Großmachtrivalität zu wahren. Darauf weisen nicht nur die russischen Aktivitäten in Europa hin, sondern auch die von Putin propagierten »Wunderwaffen«. Die Erwartungen an Kooperation in der Arktis sollten daher realistisch bleiben.

Russlands fortwährende Aufrüstung und sein aggressives Auftreten haben seine Nachbarstaaten nachhaltig verunsichert und die Beziehungen beson­ders zu jenen im Hohen Norden beschädigt. In der Folge intensivieren diese nordeuropäischen Staaten ihre Zusammenarbeit mit den USA, was Moskau in der Annahme bestärkt, »eingekreist« zu sein, und damit das Sicherheitsdilemma verstetigt. Stärkere maritime Präsenz der Nato im europäischen Nordmeer dient der Abschreckung, setzt aber nun Moskau – wenn auch selbstverursacht – unter noch höheren Druck. Die derzeit offenbar von Russland angestrebte weitere Militarisierung seiner Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Entwicklung modernster Waffen­systeme in Verbindung mit einem proklamierten Iso­lationismus183 könnten sogar das Sicherheits­dilemma weiter verschärfen und Kooperationsmöglich­keiten erschweren.

Russland kann seine Herrschaft über die Arktis nur mit großem Aufwand und hohen Kosten gewähr­leisten, und ob Moskau tatsächlich die Zukunft der Region gehört, ist eine offene Frage.184 Schließlich sind die fossilen Lagerstätten zwar aus Sicht des Kreml die größten und wichtigsten Wertbestände, bilden aber auch eine große Schwäche.185 Aufgrund des Klimawandels fahren nämlich immer mehr Staaten einen Kurs der Dekarbonisierung, und damit droht Russland einige der bislang größten Abnehmer fossi­ler Energieträger zu verlieren. China und asiati­sche Länder werden dies zu einem gewissen Anteil kom­pensieren, aber dadurch die wachsende einseitige Abhängigkeit Russlands verstärken.

Moskau ist auf Verlässlichkeit und internationale Kooperation in der Arktis angewiesen, um ein mög­lichst attraktives Investitionsklima zur Entwicklung der nördlichen Regionen und zur Förderung der Energiewirtschaft aufrechtzuerhalten, das wiederum die Grundlage für die Stabilität des gesamten Regimes bildet. Deshalb ist die russische Führung an Regelwerken interessiert, selbst wenn sie diese im Bedarfs­fall verletzt. Das schafft die Möglichkeit, geeignete Dialogformate zu reaktivieren, um sodann mit deren Hilfe etwaige Eskalationspotentiale einzuhegen und das Sicherheitsdilemma abzuschwächen. Allerdings lassen sich damit Russlands aggressive Aktivitäten gegenüber skandinavischen Staaten nicht verhindern. Diese resultieren nicht aus Unsicherheit, sondern sind ein demonstrativer Akt der Stärke und des Willens, Hegemon der Arktis zu bleiben.

Lektüreempfehlungen

Michael Paul/Göran Swistek

»Maritime Wahl. Indo-pazifische versus arktisch-nordatlantische Prioritäten«,

in: Günther Maihold et al. (Hg.), Deutsche Außenpolitik im Wandel. Unstete Bedingungen, neue Impulse, Berlin: SWP, September 2021 (SWP-Studie 15/2021), S. 41–44

Michael Paul

Der Kampf um den Nordpol. Russlands furioser Start als Vorsitz des Arktischen Rates

SWP-Aktuell 47/2021, Juni 2021

Michael Paul

Arktische Seewege.
Zwiespältige Aussichten im Nordpolarmeer

SWP-Studie 14/2020, Juli 2020

Abkürzungsverzeichnis

A2/AD Anti-Access/Area Denial

AA Auswärtiges Amt

AC Arctic Council

ACGF Arctic Coast Guard Forum

ACHOD Arctic Chiefs of Defense

AMAP Arctic Monitoring and Assessment Programme

AMCC Arctic Military Code of Conduct

ASFR Arctic Security Forces Roundtable

AZRF Arktische Zone der Russischen Föderation

BEAC Barents Euro-Arctic Council

BGR Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe

BMCF Baltic Maritime Coordination Function

BRI Belt and Road Initiative

CBSS Council on the Baltic Sea States

CSIS Center for Strategic and International Studies (Washington, D.C.)

DOD U.S. Department of Defense

EIA U.S. Energy Information Administration

FOI Totalförsvarets Forskningsinstitut (Swedish Defence Research Agency)

G20 Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer

GIUK Greenland, Iceland, United Kingdom

GRP Graduated Response Plans

HA/DR Humanitarian Assistance/Disaster Relief

HMS Her/His Majesty’s Ship

IISS International Institute for Strategic Studies (London)

LNG Liquefied Natural Gas

Nato North Atlantic Treaty Organization

NORDEFCO Nordic Defence Cooperation

NRF Nato Response Forces

NSR Nördliche Seeroute

OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

PISM Polski Instytut Spraw Międzynarodowych/Polish Institute of International Affairs (Warschau)

RFA Royal Fleet Auxiliary

SACEUR Supreme Allied Commander Europe

SAR Search and Rescue

SIPRI Stockholm International Peace Research Institute (Solna)

SLBM Sea-Launched Ballistic Missile

START Strategic Arms Reduction Talks

USNS United States Naval Ship

USS United States Ship

VJTF Very High Readiness Joint Task Force

VN Vereinte Nationen

VSBM Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen

Endnoten

1

 Russia. Facts and Figures, Washington, D.C.: The Arctic Institute, <http://www.thearcticinstitute.org/countries/ russia/>.

2

 Das Land »jenseits des Nördlichen« – wofür das griechische Wort Hyperboréa steht – galt in der antiken Mytho­logie als ein paradiesischer Ort mit günstigem Klima und einer besonderen Nähe zu den Göttern. Hinter den schroffen Eisbergen wurden warme Gefilde vermutet, und ihre Bewoh­ner – die Hyperboreer – galten als unsterblich.

3

 Vgl. Alexander Sergunin/Valery Konyshev, Russia in the Arctic. Hard or Soft Power?, Stuttgart: ibidem, 2016, S. 35; Thomas Schaffner/Angelina Flood, »Poll: Majority of Young Russians Distrust NATO, Don’t Consider Russia a European Country«, in: Russia Matters, 5.5.2020.

4

 Martin Breum, Cold Rush. The Astonishing True Story of the New Quest for the Polar North, Montreal/Kingston: McGill-Queen’s University Press, 2018, S. 83; Katarzyna Zysk, »Russia Turns North, Again: Interests, Policies and the Search for Coherence«, in: Leif Christian Jensen/Geir Hønneland (Hg.), Handbook of the Politics of the Arctic, Cheltenham: Edward Elgar, 2015, S. 437–461 (437).

5

President of Russia, »Meeting of the Security Council on State Policy in the Arctic«, Moskau, 22.4.2014, <http://en. kremlin.ru/events/president/news/20845>; Ekaterina Klimenko, Russia’s Evolving Arctic Strategy. Drivers, Challenges and New Opportunities, Solna: Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), September 2014 (Policy Paper Nr. 42).

6

 »Vladimir Putin Goes Fishing«, in: The Guardian, 14.8.2007. Vgl. Masha Gessen, Der Mann ohne Gesicht. Wladimir Putin. Eine Enthüllung, München/Zürich: Piper, 2012, S. 331.

7

 Sabine Fischer, Russland vor der Wahl zur Staatsduma. Repression und Autokratie, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2021 (SWP-Aktuell 46/2021), S. 4.

8

 James Kraska, »The New Arctic Geography and U.S. Strategy«, in: ders. (Hg.), Arctic Security in an Age of Climate Change, Cambridge: Cambridge University Press, 2011, S. 244–266 (247).

9

 Janis Kluge, Russlands Staatshaushalt unter Druck. Finanzielle und politische Risiken der Stagnation, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2018 (SWP-Studie 14/2018), S. 7.

10

 Gemäß der Russischen Akademie der Wissenschaften befinden sich im arktischen Raum außerdem 40 Pro­zent der Goldreserven, 47 Prozent der Platinmetalle, 90 Prozent der Diamanten-, Antimon- und Apatitvorkommen, 30 Prozent der Palladiumvorkommen, 90 Prozent der Vorkommen von Nickel, Kobalt, Chrom und Mangan, 60 Prozent der Kupfervorkommen und 90 Prozent der Vorkommen von Metallen der Seltenen Erden. Vgl. Hans-Jürgen Wittmann, »Russland will die Arktis wirtschaftlich erschließen«, Germany Trade & Invest (GTAI), 2.9.2020, <http://www.gtai.de/gtai-de/trade/ branchen/­branchenbericht/russland/russland-will-die-arktis-wirtschaftlich-erschliessen-539456>.

11

 Zitiert nach Wittmann, ebd.

12

 Es gibt unterschiedliche Definitionen der Arktis. Im System der Klima- und Landschaftszonen wird sie durch die 10-Grad-Celsius-Juli-Isotherme festgelegt (eine gedachte Linie, nördlich derer die Mitteltemperatur im mehrjährigen Durchschnitt auch im wärmsten Monat unter zehn Grad bleibt). Eine umfassende Festlegung wählte eine der sechs Arbeitsgruppen des Arktischen Rates im Arctic Monitoring Assessment Programme (AMAP). Siehe Michael Paul, Arktische Seewege. Zwiespältige Aussichten im Nordpolarmeer, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2020 (SWP-Studie 14/2020), S. 7–9.

13

 Arctic Council (AC), Arctic Marine Shipping Assessment 2009 Report, Tromsø, April 2009, S. 16.

14

 Jochem Vriesema, Arctic Geopolitics: China’s Remapping of the World, Den Haag: Clingendael Institute, 6.4.2021, <https:// spectator.clingendael.org/nl/publicatie/arctic-geopolitics-chinas-remapping-world>.

15

 Norwegian Ministry of Foreign Affairs, The Norwegian Government’s High North Strategy, Oslo 2006, S. 13.

16

 In der russischen Arktis sind Unterseeboote stationiert, deren Bewaffnung etwa zwei Drittel der maritimen nuklearen Zweitschlagsfähigkeit gewährleisten. Das aus Sowjet­zeiten reaktivierte Bastionskonzept sieht für diese Unterseeboote einen Schutzraum vor, der sich über die Barentssee bis nach Grönland erstreckt.

17

 T. Ross Milton, »The Northern Flank«, in: Air Force Maga­zine, 1.4.1988, <https://www.airforcemag.com/article/0488 flank/>.

18

 Lorenz Wojciech, Defence Priorities for NATO’s Northern Flank, Warschau: Polish Institute of International Affairs (Polski Instytut Spraw Międzynarodowych, PISM), 8.5.2019.

19

 Siehe u.a. »Maritimes Symposium über die ›Renaissance der Nordflanke‹«, in: bundeswehr-journal, 17.11.2016, <https:// www.bundeswehr-journal.de/2016/maritimes-symposium-ueber-die-renaissance-der-nordflanke/>.

20

 Timo S. Koster, »Reinforcement of NATO Forces and Military Mobility«, in: Atlantisch Perspectief, 42 (2018) 4, S. 15–18.

21

 Bereits in Friedenszeiten kann der SACEUR Einheiten, die der Nato unterstellt sind (wie etwa die stehenden mariti­men Einsatzverbände), je nach Schwerpunkten und Entwicklungen regional im Verantwortungsgebiet einsetzen und Aktivitäten jenseits des Einsatzes physischer Gewalt anordnen, zum Beispiel Aufklärungsaufträge, Übungen und ande­res. Auf diese Weise kann er auch flexibel und rasch Schwer­punkte setzen und strategische Botschaften aussenden.

22

 Robert David English/Morgan Grant Gardner, »Phantom Peril in the Arctic. Russia Doesn’t Threaten the United States in the Far North – but Climate Change Does«, in: Foreign Affairs, 29.9.2020.

23

 Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 21.12. 2020 N° 803 »Über die Nordflotte« (russisch), <http://publication. pravo.gov.ru/Document/View/0001202012210110>.

24

 Thomas Nilsen, »Northern Fleet Gets Priority in Receiving New Ballistic Missile Subs«, in: The Independent Barents Observer, 15.5.2021.

25

 English/Gardner, »Phantom Peril in the Arctic« [wie Fn. 22].

26

 Gustav Gressel, Russia’s Quiet Military Revolution, and What It Means for Europe, London: European Council on Foreign Relations, Oktober 2015.

27

 Siehe hierzu u.a. Jonas Kjellén, The Russian Baltic Fleet. Organisation and Role within the Armed Forces in 2020, Stockholm: Swedish Defence Research Agency (FOI), Februar 2021 (FOI-R--5119—SE), S. 58, <https://www.foi.se/rest-api/report/ FOI-R--5119--SE>.

28

 Ebd.

29

 Glenn Diesen, »Europe as the Western Peninsula of Greater Eurasia«, in: Journal of Eurasian Studies, 12 (2021) 1, S. 19–27.

30

 Sicherheitsrat der Russischen Föderation, Außenpolitisches Konzept der Russischen Föderation, Absatz 63 (russisch), Moskau, 30.11.2016, <http://www.scrf.gov.ru/security/international/ document25/>.

31

 Moritz Pieper, »Mapping Eurasia: Contrasting the Public Diplomacies of Russia’s ›Greater Eurasia‹ and China’s ›Belt and Road‹ Initiative«, in: Rising Powers Quarterly, 3 (2018) 3, S. 217–237.

32

 Wladimir Putin, »Überfall auf die Sowjetunion. Offen sein, trotz der Vergangenheit«, in: Die Zeit, 22.6.2021.

33

 Rafał Riedel, Analyse: Das ›Intermarium‹ und die ›Drei-Meere-Initiative‹ als Elemente des euroskeptischen Diskurses in Polen, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 23.1.2020.

34

 Raymond Aron, Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 1986, S. 232.

35

 Ian Anthony/Ekaterina Klimenko/Fei Su, A Strategic Triangle in the Arctic? Implications of China–Russia–United States Power Dynamics for Regional Security, Solna: SIPRI, März 2021 (SIPRI Insights on Peace and Security Nr. 3/2021).

36

 Eugene Rumer/Richard Sokolsky/Paul Stronski, Russia in the Arctic – A Critical Examination, Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace, März 2021.

37

 »Mikhail Gorbachev’s Speech in Murmansk at the Ceremonial Meeting on the Occasion of the Presentation of the Order of Lenin and the Gold Star to the City of Murmansk«, 1.10.1987, <http://www.barentsinfo.fi/docs/Gorba chev_speech.pdf>. Vgl. Kristian Åtland, »Mikhail Gorbachev, the Murmansk Initiative, and the Desecuritization of Inter­state Relations in the Arctic«, in: Cooperation and Conflict, 43 (2008) 3, S. 289–311.

38

 Arctic Council, Senior Arctic Officials’ Report to Ministers 2021, Reykjavik, 20.5.2021, S. 15.

39

 Michael Paul, Die neue Arktisstrategie der EU. Maritime Sicherheit und geopolitische Akzente stärken, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2021 (SWP-Aktuell 14/2021).

40

 Vgl. Are Kristoffer Sydnes/Maria Kristoffer Sydnes/Yngve Antonsen, »International Cooperation on Search and Rescue in the Arctic«, in: Arctic Review on Law and Politics, 8 (2017), S. 109–136.

41

 So als Folge eines sino-russischen Konflikts; vgl. Bruno Tertrais, »Polar Power Play. Chinese-Russian Relations on Ice«, in: Florence Gaub (Hg.), Conflicts to Come. 15 Scenarios for 2030, Paris: European Union Institute for Security Studies, Dezember 2020 (Chaillot Paper Nr. 161), S. 76–80.

42

 Kristian Åtland, »Interstate Relations in the Arctic: An Emerging Security Dilemma?«, in: Comparative Strategy, 33 (2014) 2, S. 145–166.

43

 »Russia Accuses Norway of Restricting Its Activities on Arctic Islands«, Reuters, 4.2.2020.

44

 Marlène Laruelle, Russia’s Arctic Policy. A Power Strategy and Its Limits, Paris: Institut français des relations internationales (Ifri), März 2020 (Russie.Nei.Visions, Nr. 117), S. 16; Zysk, »Russia Turns North, Again« [wie Fn. 4], S. 451–454.

45

 Thomas Nilsen, »How Murmansk Government Plans to Attract Newcomers and Reverse Regional Decline«, in: Eye on the Arctic, 21.10.2019.

46

 Atle Staalesen, »Moscow Signals It Will Make National Security a Priority as Russia Prepares to Chair the Arctic Council«, in: Arctic Today, 15.10.2020.

47

 Atle Staalesen, »National Security Chief Says Russia Must Bolster Its Arctic Military«, in: The Independent Barents Observer, 23.6.2021.

48

 Sergunin/Konyshev, Russia in the Arctic [wie Fn. 3], S. 41.

49

 »Grundlagen der Staatspolitik der Russischen Föderation in der Arktis für den Zeitraum bis 2020 und darüber hinaus« (russisch), in: Rossijskaja Gazeta, 27.3.2009, <https://rg.ru/2009/ 03/30/arktika-osnovy-dok.html>.

50

 Russische Föderation, Über die Strategie zur Entwicklung der Arktischen Zone der Russischen Föderation und zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit für den Zeitraum bis 2020 (russisch), Moskau, 20.2.2013, <http://government.ru/info/18360/>.

51

 Vgl. Sergunin/Konyshev, Russia in the Arctic [wie Fn. 3], S. 43f; Zysk, »Russia Turns North, Again« [wie Fn. 4], S. 438.

52

 Außerdem wurden von 1964 bis 1991 radioaktiver Abfall und Brennstäbe sowie 13 Reak­toren in der Kara- und der Barentssee entsorgt. Vgl. Sergunin/Konyshev, Russia in the Arctic [wie Fn. 3], S. 29f.

53

 Nilsen, »How Murmansk Government Plans to Attract Newcomers« [wie Fn. 45]; Laruelle, Russia’s Arctic Policy [wie Fn. 44], S. 26.

54

 Während die russische Wirtschaft in den ersten Jahren der Präsidentschaft Putins (2000–2008) um jährlich 7 Pro­zent gewachsen ist, hat sich das Bruttosozialprodukt seit 2013 um ein Drittel verringert. Im Zeitraum von nur vier Jahren (2014–2017) ist der Lebensstandard um über 12 Pro­zent gesunken, stagnierte dann und sinkt seit 2020 weiter. Als ursächlich gelten drei Gründe: autoritäre Kleptokratie, westliche Sanktionen und der Verfall des Ölpreises – alles Einflussfaktoren, die auch in der russischen Arktis wirksam sind. Vgl. Anders Åslund, »Potemkin Putin«, in: Project Syndi­cate, 3.3.2021.

55

 Sie löst die Version aus dem Jahr 2008 ab. Vgl. Präsident der Russischen Föderation, Über die grundlegende staatliche Politik der Russischen Föderation in der Arktis bis 2035 (russisch), Moskau, 5.3.2020, <http://static.kremlin.ru/media/events/ files/ru/­f8ZpjhpAaQ0WB1zjywN04OgKiI1mAvaM.pdf>.

56

 Präsident der Russischen Föderation, Über die Strategie zur Entwicklung der Arktischen Zone der Russischen Föderation und der Absicherung nationaler Sicherheit in der Periode bis 2035 (russisch), Moskau, 26.10.2020, <https://www.gov.spb.ru/static/writable/ ckeditor/uploads/­2020/11/24/01/%D0%A1%D1%82%D1%80% D0%B0%D1%82%D0%B5%D0%B3%D0%B8%D1%8F_%D0% 90%D1%80%D0%BA%D1%82%D0%B8%D0%BA%D0%B0 _2035.pdf>.

57

 Nach einer Schätzung sind Russland durch Sanktionen ausländische Kredite in Höhe von 270 Milliarden US-Dollar entgangen. Vgl. Åslund, »Potemkin Putin« [wie Fn. 54].

58

 Vgl. »Russia Unveils Arctic Ambitions with 2035 Strategy«, in: Moscow Times, 6.3.2020; Alexandra Brzozowski, »Russlands neue Arktisstrategie«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.3.2020; Janis Kluge/Michael Paul, Russlands Arktis-Strategie bis 2035. Große Pläne und ihre Grenzen, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2020 (SWP-Aktuell 89/2020).

59

 Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie mussten Fördergelder umgeschichtet werden. So wurde die Finanzierung der Arktiserschließung bis 2024 von geplanten 2,2 Milliarden Euro auf etwa 80 Millionen Euro gekürzt. Vgl. Wittmann, »Russland will die Arktis wirtschaftlich erschließen« [wie Fn. 10].

60

Ebd.

61

 Sergey Sukhankin, »Russia’s New ›Arctic Offensive‹: Do the Benefits Outweigh the Costs? (Part One)«, in: Eurasia Daily Monitor, 17.2.2021.

62

 Ebd.

63

 Kseniya Kirillova, »Poverty and Passivity: Are New Protests Expected in the Russian Regions?«, in: Eurasia Daily Monitor, 8.3.2021.

64

 Botschaft der Bundesrepublik Deutschland/GTAI/ Deutsch-Russische Auslandshandelskammer, Russland in Zahlen. Aktuelle Wirtschaftsdaten für die Russische Föderation, Herbst 2020, Moskau 2020, S. 6; Mark F. Cancian, Inflicting Surprise. Gaining Competitive Advantage in Great Power Conflicts, Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), Januar 2021, S. 52.

65

 Kluge/Paul, Russlands Arktis-Strategie bis 2035 [wie Fn. 58], S. 1; Zysk, »Russia Turns North, Again« [wie Fn. 4], S. 439.

66

 Sergey Sukhankin, »Russia’s New ›Arctic Offensive‹: Do the Benefits Outweigh the Costs? (Part Two)«, in: Eurasia Daily Monitor, 2.3.2021.

67

 Roland Götz, Analyse: Russlands Energiestrategie bis zum Jahr 2035: Business as usual, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 5.5.2020.

68

 Andrei Kolesnikov, »Putin verspielt Russlands Zukunft«, in: Wirtschaftswoche, 26.2.2021.

69

 Maria Morgunova/Kirsten Westphal, Offshore Hydrocarbon Resources in the Arctic. From Cooperation to Confrontation in an Era of Geopolitical and Economic Turbulence?, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2016 (SWP Research Paper 3/2016), S. 11, 24.

70

 Christian Reichert, »Die Bodenschätze des Meeres und das Seerecht«, in: José L. Lozán/Hartmut Graßl/Ludwig Karbe/ Karsten Reise (Hg.), Warnsignal Klima. Die Meere. Änderungen & Risiken, Hamburg: GEO, 2011, S. 306f.

71

 European Political Strategy Center (EPSC), Walking on Thin Ice: A Balanced Arctic Strategy for the EU, Brüssel, Juli 2019 (Strategic Notes, Nr. 31), S. 6; Kluge, Russlands Staatshaushalt unter Druck [wie Fn. 9], S. 7, 13; Zysk, »Russia Turns North, Again« [wie Fn. 4], S. 439.

72

 Siehe Shinji Hyodo, »Russia’s Sphere of Influence and the Arctic and Far East Regions«, in: Shinichi Kitaoka/ Fumiaki Kubo (Hg.), The Japan-US Alliance of Hope. Asia-Pacific Maritime Security, Tokio: Japan Publishing Industry Foundation for Culture, 2020, S. 246f.

73

 Yun Sun, The Northern Sea Route: The Myth of Sino-Russian Cooperation, Washington, D.C.: The Stimson Center, 5.12.2018, S. 13; Marzio G. Mian, Die neue Arktis. Der Kampf um den hohen Norden, Wien/Bozen: Folio, 2019, S. 115.

74

 Elizabeth Buchanan, »Russia and China in the Arctic: Assumptions and Realities«, in: The Strategist, 25.9.2020; Laruelle, Russia’s Arctic Policy [wie Fn. 44], S. 13; Wittmann, »Russland will die Arktis wirtschaftlich erschließen« [wie Fn. 10].

75

 Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP), Arctic Climate Change Update 2021: Key Trends and Impacts, Tromsø 2021.

76

 Atle Staalesen, »Gloom in Horizon as Russia Announces It Will Boost Digging of Coal«, in: The Independent Barents Observer, 23.8.2019.

77

 Wittmann, »Russland will die Arktis wirtschaftlich erschließen« [wie Fn. 10].

78

 Laruelle, Russia’s Arctic Policy [wie Fn. 44], S. 23f.

79

 Atle Staalesen, »Russian Oil Companies Seek to Soften Environmental Law ahead of a Big Push into the Arctic«, in: Arctic Today, 2.2.2021.

80

 Jake Cordell, »Arctic Oil Spill: Nornickel Failures, Tank Flaws Caused Catastrophe – Report«, in: Moscow Times, 26.9.2020; »Explainer: Russia’s Arctic Environmental Disasters«, in: Moscow Times, 29.6.2020; Atle Staalesen, »Arctic Polluter Transfers 146 Billion to the State Treasury«, in: The Independent Barents Observer, 11.3.2021.

81

 Thomas Nilsen, »Indigenous Peoples Call on Nornickel’s Global Partners to Demand Environmental Action«, in: The Independent Barents Observer, 11.3.2021.

82

 Atle Staalesen, »The Looming Arctic Collapse: More than 40% of North Russian Buildings Are Starting to Crumble«, in: The Independent Barents Observer, 28.6.2021.

83

 Sergey Sukhankin, »Russia’s Digitalization of the Arctic Region: Plans and Achievements«, in: Eurasia Daily Monitor, 10.3.2021.

84

 Vgl. Paul, Arktische Seewege [wie Fn. 12], S. 14–18.

85

 »›There is no point for Novatek to increase LNG (production) if it does not fit into the global … competitive zone, along with (the LNG costs of) the United States and other producers,‹ he [Lichatschow, d. Verf.] said.« Katya Golubkova/ Gleb Stolyarov, »Rosatom Sees Northern Sea Route Costs at 735 Billion Roubles, Russian Budget to Provide a Third«, Reuters, 24.6.2019.

86

 U.S. Energy Information Administration (EIA), »Natural Gas Prices in 2019 Were the Lowest in the Past Three Years«, in: Today in Energy, Washington, D.C., 9.1.2020, <https:// www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=42455>; Matthew Farmer, »LNG Demand Increased by 12.5% in 2019: Shell Report«, in: Offshore Technology, 20.2.2020.

87

 »The NSR has to be international. We cannot create such a colossus only to ship hydrocarbons from our north«, so Lichatschow, zitiert in Golubkova/Stolyarov, »Rosatom Sees Northern Sea Route Costs at 735 Billion Roubles« [wie Fn. 85].

88

 »Putin Pledges Russian Superiority in the Arctic with New Icebreakers«, Reuters, 3.11.2020.

89

 Paul Goble, »Kremlin’s Much-Ballyhooed Icebreaker Project in Real Trouble«, in: Eurasia Daily Monitor, 29.9.2020; Malte Humpert, »Russia’s New Super Icebreaker Reaches North Pole during Ice Trials«, in: High North News, 5.10.2020.

90

 Sergey Sukhankin, »Russia Unveils New Arctic Develop­ment Strategy: Focal Points and Key Priorities«, in: Eurasia Daily Monitor, 9.11.2020.

91

 Robert Beckhusen, »Russia Wants to Put a 76-Millimeter Cannon on an Icebreaker«, in: War is Boring, 13.5.2017; Mathieu Boulègue, Russia’s Military Posture in the Arctic. Managing Hard Power in a »Low Tension« Environment, London: Chatham House, Juni 2019, S. 40.

92

 Hans Uwe Mergener, »Russische Marine mit Arktis-Ambitionen«, in: Marine Forum, (2020) 4, S. 40–42 (40).

93

 Atle Staalesen, »Rosatom Hints It Might Not Need that Many New Icebreakers after All«, in: The Independent Barents Observer, 10.3.2021.

94

 Im Jahr 1999 erfolgte der Beitritt Polens, Ungarns und Tschechiens, 2004 der Beitritt Bulgariens, Estlands, Lettlands, Litauens, Rumäniens, der Slowakei und Sloweniens. Ein Bünd­nisbeitritt der Ukraine und Georgiens wurde 2008 vertagt.

95

 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Die Militärdoktrinen der Sowjetunion und der Russischen Föderation seit den 1970er Jahren. Bedrohungsszenarien und Sprache im Vergleich, Berlin 2016, S. 17.

96

 The Embassy of the Russian Federation to the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, Approved by the President of the Russian Federation on December 25, 2014: The Military Doctrine of the Russian Federation, Artikel 12 (a), Pressemitteilung, Moskau, 29.6.2015, <https://www.rusemb. org.uk/press/2029>.

97

 Anna Maria Dyner, Russia’s National Security Strategy, Warschau: PISM, 2021, <https://pism.pl/publications/Russias _National_Security_Strategy>.

98

 Putin, »Überfall auf die Sowjetunion« [wie Fn. 32].

99

 Hannes Adomeit, »Nato-Osterweiterung – gab es gegenüber der UdSSR Garantien?«, in: Neue Zürcher Zeitung, 30.12.2017.

100

 »Putin attackiert die Amerikaner«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.2.2007.

101

 Tom Parfitt, »Russia Plants Flag on North Pole Seabed«, in: The Guardian, 2.8.2007.

102

 Hans Kristensen, »Russian Strategic Submarine Patrols Rebound«, in: Federation of American Scientists Strategic Security Blog, 17.2.2009, <https://fas.org/blogs/security/­2009/02/russia/>.

103

 »Mikhail Gorbachev’s Speech in Murmansk« [wie Fn. 37].

104

 Zysk, »Russia Turns North, Again« [wie Fn. 4], S. 447.

105

 Robert Person, »Four Myths about Russian Grand Strat­egy«, in: Mark F. Cancian/Cyrus Newlin (Hg.), The Diversity of Russia’s Military Power. Five Perspectives, Washington, D.C.: CSIS, 2020, S. 3–9 (4).

106

 Thomas Graham, »The Sources of Russian Conduct. Kennan’s Long Telegram Needs an Update for Putin’s Russia«, in: The National Interest, 24.8.2016; Person, »Four Myths about Russian Grand Strategy« [wie Fn. 105], S. 4.

107

 »We have every reason to assume that the infamous policy of containment, led in the 18th, 19th and 20th centuries, continues today. They are constantly trying to sweep us into a corner because we have an independent position, because we maintain it and because we call things like they are and do not engage in hypocrisy. But there is a limit to everything.« President of Russia, »Address by President of the Russian Federation«, Moskau, 18.3.2014, <http://en.kremlin.ru/events/president/news/20603>.

108

 Der »Kampf um Ressourcen« in der Arktis war schon Thema in der Militärstrategie 2009 mit der Einschätzung: »Under conditions of competition for resources, it is not excluded that arising problems may be resolved using military force«. Russia’s National Security Strategy to 2020, Moskau, 12.5.2009, <http://rustrans.wikidot.com/russia-s-national-security-strategy-to-2020>. Vgl. Andreas Rüesch, »Der Gedankenleser«, in: Neue Zürcher Zeitung, 26.5.2021.

109

 The Military Doctrine of the Russian Federation [2014] [wie Fn. 96], Artikel 32 (s).

110

 »A worst-case scenario would be multiple, simulta­neous attacks from several directions, something that the Russians have feared for centuries. Until now, Russia has been vulnerable from three directions: from the west, as Napoleon, Kaiser Wilhelm and Hitler all demonstrated; from the east, following the path the Mongol-ruled Tatar cavalry hordes took in the thirteenth century, when they devastated the country and ruled it until roughly 1480; and through the Caucasus and Central Asia in the south, where the forces of the once-mighty Ottoman Empire had for centuries posed a dire threat. Today, the rapid decline in Arctic ice seems to be opening up a new, fourth front.« Roger Howard, »Russia’s New Front Line«, in: Survival, 52 (2010) 2, S. 141–156 (146f). Vgl. U.S. Department of the Air Force, Arctic Strategy. Ensuring a Stable Arctic through Vigilance, Power Projection, Cooperation, and Preparation, Washington, D.C., Juli 2020, S. 2.

111

John L. Conway, »Toward a US Air Force Arctic Strat­egy«, in: Air & Space Power Journal, (Sommer 2017), S. 68–81 (68); Sergey Sukhankin, »The ›Military Pillar‹ of Russia’s Arctic Policy«, in: Eurasia Daily Monitor, 16.3.2020; Heather A. Conley/Matthew Melino, America’s Arctic Moment. Great Power Competition in the Arctic to 2050, Washington, D.C.: CSIS, März 2020, S. 3.

112

 Caleb Larson, »The U.S. Navy Wants to Make Sure It Can Take on Russia in the Arctic«, in: The National Interest, 7.10.2020.

113

 Thomas Nilsen, »Northern Fleet Frigate Test Fires Tsirkon Hypersonic Missile«, in: The Independent Barents Observer, 19.7.2021.

114

 Warnhinweise und Koordinaten der Sperrgebiete wurden in russischer Sprache ver­öffentlicht, unter anderem hier: <http://www.mapm.ru/Prip>.

115

 Benjamin Brimelow, »Russia’s Navy Is Making a Big Bet on New, Smaller Warships Loaded with Missiles«, in: Business Insider, 1.4.2021.

116

 Ebd.

117

 Pavel Baev, »The Russian Navy is Adrift in the Syrian Doldrums«, in: International Relations and Diplomacy, 5 (2017) 11, S. 643–649 (645).

118

 Heinrich Brauß/Joachim Krause, »Was will Russland mit den vielen Mittel­streckenwaffen?«, in: Sirius, 3 (2019) 2, S. 154–166 (155).

119

 Vgl. Michael Paul, Allianz auf hoher See? Chinas und Russlands gemeinsame Marinemanöver, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2019 (SWP-Aktuell 24/2019).

120

 »With cost-efficiency in mind, it is easier for the Kremlin to use the armed forces as cheap labour than to go through a lengthy process of civilian engineering and development. The armed forces built dual-use SAR infrastructure [...] to save both costs and time.« Boulègue, Russia’s Military Posture in the Arctic [wie Fn. 91], S. 14. Vgl. Siemon T. Wezeman, Military Capabilities in the Arctic: A New Cold War in the High North?, Solna: SIPRI, Oktober 2016 (SIPRI Background Paper), S. 13–17.

121

 Sergunin/Konyshev, Russia in the Arctic [wie Fn. 3], S. 32; Zysk, »Russia Turns North, Again« [wie Fn. 4], S. 446.

122

 Thomas Nilsen, »Russian Navy to Hold Live-fire Exer­cise off Northwestern Norway«, in: The Independent Barents Observer, 6.8.2019; Gerard O’Dwyer, »Nordic Countries See Russia Flex Its Missile Muscles«, Defense News, 5.8.2019; Rebecca Pincus, »NATO North? Building a Role for NATO in the Arctic«, War on the Rocks, 6.11.2019; Alec Luhn, »Russian Submarines Power into North Atlantic in Biggest Manoeuvre since Cold War«, in: The Telegraph, 30.10.2019; »Nato-Übung gestört – Russischer Flieger dringt in dänischen Luftraum ein«, in: Die Welt, 1.9.2020; Mike Baker, »›Are We Getting Invaded?‹ A 21st-Century Cold War in the Arctic«, in: The New York Times, 13.11.2020.

123

Nathaniel Herz, »U.S. Investigates ›Unprofessional Interactions‹ after Russian Military Confronts Bering Sea Fishermen«, Alaska Public Media, 28.8.2020.

124

 Fredrik Westerlund, »Russian Military Capability in a Ten-year Perspective«, in: ders./Susanne Oxenstierna (Hg.), Russian Military Capability in a Ten-year Perspective – 2019, Stock­holm: FOI, Dezember 2019 (FOI-R--4758—SE), S. 137–144 (143).

125

 Douglas Barrie/James Hackett (Hg.), Russia’s Military Modernisation. An Assessment, London: International Institute for Strategic Studies (IISS), 2020, S. 95.

126

 Jonas Kjellén/Nils Dahlqvist, »Russia’s Armed Forces in 2019«, in: Westerlund/Oxenstierna (Hg.), Russias Military Capabilities in a Ten-year Perspective [wie Fn. 124], S. 23–58 (40).

127

 Christopher Bott, »Responding to Russia’s Northern Fleet. The United States and NATO Must Prepare to Face a Revitalized Fleet Capable of Effective Offensive Operations«, in: Proceedings, 147 (März 2021) 3, <www.usni.org/magazines/ proceedings/2021/march/responding-russias-northern-fleet>.

128

 Hans M. Kristensen/Matt Korda, »Russian Nuclear Forces, 2020«, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 76 (2020) 2, S. 102–117.

129

 »Three Russian Submarines Surface and Break Arctic Ice during Drills«, Reuters, 26.3.2021.

130

 Bott, »Responding to Russia’s Northern Fleet« [wie Fn. 127].

131

 »Russia Reveals Giant Nuclear Torpedo in State TV ›Leak‹«, BBC News, 12.11.2015; H I Sutton, »New Details of Russian Belgorod ›Doomsday‹ Submarine Revealed«, USNI News, 25.2.2021; Thomas Nilsen, »Gigantic Special Mission Submarine Starts Sea Trials in White Sea«, in: The Independent Barents Observer, 28.6.2021.

132

 Laruelle, Russia’s Arctic Policy [wie Fn. 44], S. 10; Michael Peck, »The Russian Military Couldn’t Care Less About the Poseidon Nuclear Torpedo«, in: The National Interest, 21.1.2021; Thomas Nilsen, »Is this Russia’s New Coastal Base for the ›Doomsday Nuke‹ Drones?«, in: The Independent Barents Observer, 26.1.2021.

133

 Roger McDermott, »Russia’s Northern Fleet Upgraded to Military District Status«, in: Eurasia Daily Monitor, 6.1.2021.

134

 Gjert Lage Dyndal, »50 Years Ago: The Origins of NATO Concerns about the Threat of Russian Strategic Nuclear Submarines«, in: Nato Review, 24.3.2017.

135

 Kristian Atland, »The Introduction, Adoption and Implementation of Russia’s ›Northern Strategic Bastion‹ Concept, 1992–1999«, in: The Journal of Slavic Military Studies, 20 (2007) 4, S. 499–528.

136

 Danish Defence Intelligence Service, Intelligence Risk Assessment 2020, Kopenhagen 2020, S. 14f, <https://fe-ddis.dk/ globalassets/fe/dokumenter/2020/risk-assessments/-risk-assessment-2020-web-.pdf>.

137

 Atle Staalesen, »New Russian Fighter Jets on Standby in Upgraded Arctic Air Base«, in: The Independent Barents Observer, 8.2.2021.

138

 Heather A. Conley/Matthew Melino, Ice Curtain: S-400 Deployments and Enhanced Defense of Russia’s Western Arctic (Roga­chevo Air Base), Washington, D.C.: CSIS, 30.3.2020 (CSIS Briefs).

139

 U.S. Army, Regaining Arctic Dominance. The U.S. Army in the Arctic, 19.1.2021 (Chief of Staff Paper Nr. 3), S. 17; Alexander Mladenov, »Russia’s Race for Arctic Power«, in: AIR International, 12.3.2021.

140

 Atle Staalesen, »Northernmost Arctic Airfield Now Operational All-year, Says Russian Military«, in: The Independent Barents Observer, 28.4.2020; Thomas Nilsen, »Russia’s Top General Indirectly Confirms Arctic Deployment of the Unstoppable Kinzhal Missile«, in: The Independent Barents Observer, 19.12.2019.

141

 »Russia’s overall military posture remains fundamentally defensive, but is combined with below-the-threshold activities to unbalance rivals.« Barrie/Hackett, Russia’s Military Modernisation [wie Fn. 125], S. 7.

142

Bott, »Responding to Russia’s Northern Fleet« [wie Fn. 127].

143

 »Its military posture is oriented to achieving rapid peace-to-war transition, seizing the strategic initiative and employing military power to intimidate and coerce. To achieve this, the force posture is optimised for high readiness, prompt mobilisation, and quick movement of large forces over long distances.« Rolf Tamnes, »The High North: A Call for Competitive Strategy«, in: John Andreas Olsen (Hg.), Security in Northern Europe: Deterrence, Defence and Dialogue, London: Royal United Services Institute for Defence and Security Studies, Oktober 2018 (Whitehall Paper Nr. 93), S. 8. Vgl. Boulègue, Russia’s Military Posture in the Arctic [wie Fn. 91], S. 8f, 20, 25; Johan Norberg/Martin Goliath, »The Fighting Power of Russia’s Armed Forces in 2019«, in: Westerlund/ Oxenstierna (Hg.), Russias Military Capabilities in a Ten-year Perspective [wie Fn. 124], S. 59–78 (67–69).

144

 »In the event of conflict, China and Russia will likely attempt to seize territory before the United States and its allies can mount an effective response – leading to a fait accompli. Each supports this approach through investments in counter-intervention networks. Each seeks to shift the burden of escalation by reinforcing annexed territory with long-range precision-strike weapons and make a military response to an invasion seem disproportionately costly.« U.S. Marine Corps/U.S. Navy/U.S. Coast Guard, Advantage at Sea. Prevailing with Integrated All-Domain Naval Power, Washington, D.C., Dezember 2020, S. 5.

145

 Kristian Åtland, The Building Up of Russia’s Military Poten­tial in the Arctic Region and Possible Elements of Its Deterrence, Kiew: Centre for Russian Studies, 12.6.2017, <http://r-studies. org/cms/index.php?action=news/view_details&news_id=43590&lang=eng>.

146

 Norwegian Ministry of Defence, Capable and Sustainable. Long Term Defence Plan, Oslo, 17.6.2016, S. 3.

147

 Norwegian Ministry of Defence, The Defence of Norway. Capability and Readiness. Long Term Defence Plan 2020, Oslo 2020, S. 8.

148

 Matthew Melino/Heather A. Conley, The Ice Curtain: Russia’s Arctic Military Presence, Washington, D.C.: CSIS, 2021; John Grady, »Panel: NATO Needs to Take Russian Offensive, Defensive Advances in Arctic Seriously«, USNI News, 1.7.2020.

149

NATO 2030: United for a New Era. Analysis and Recommendations of the Reflection Group Appointed by the NATO Secretary General, 25.11.2020, <­www.nato.int/nato_static_fl2014/­assets/pdf/2020/12/pdf/­201201-Reflection-Group-Final-Report-Uni.pdf>.

150

 Siehe u.a. Aylin Matlé/Alessandro Scheffler Corvaja, NATO after Its Brussels Summit: Operational Progress amidst Stra­tegic Confusion, Brüssel: Konrad-Adenauer-Stiftung, Dezember 2018 (Facts & Findings Nr. 330).

151

 Press Conference by NATO Secretary General Jens Stoltenberg Following the Meeting of NATO Defence Ministers, Brüssel, 24.6.2015, <www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_120967. htm>.

152

 Siehe u.a. Maria Elena Argano, »Trident Juncture 18 ›From the Largest Ship to the Smallest Drone‹: The Impli­cations of the Largest NATO Exercise«, EU-Logos Athéna, 5.12.2018, <https://www.eu-logos.org/2018/12/05/trident-juncture-18-from-the-largest-ship-to-the-smallest-drone-the-implications-of-the-largest-nato-exercise/>.

153

 Siri Gulliksen Tømmerbakke, »Russia to Test Missiles Off the North Norwegian Coast This Week«, in: High North News, 4.2.2020.

154

 Elizabeth Buchanan/Mathieu Boulègue, »Russia’s Military Exercises in the Arctic Have More Bark Than Bite«, in: Foreign Policy, 20.5.2019.

155

 Ebd.

156

 Sarah Claudy/Teresa Meadows, »Mastering the Arctic – USS Donald Cook Applies Lessons for Second Trip to the Arctic«, U.S. Naval Forces Europe-Africa/U.S. 6th Fleet, 14.5.2020, <https://www.c6f.navy.mil/Press-Room/News/News-Display/Article/2186836/mastering-the-arctic-uss-donald-cook-applies-lessons-for-second-trip-to-the-arc/>.

157

 Megan Eckstein, »U.S., U.K. Surface Warships Patrol Barents Sea for First Time since the 1980s«, USNI News, 4.5.2020.

158

 Stacy Closson, Good Fences Make Good Neighbors: Russia and Norway’s Svalbard, Washington, D.C.: Wilson Center, November 2018 (Kennan Cable Nr. 37).

159

 Nato, »Brussels Summit Communiqué«, Pressemitteilung, Brüssel, 14.6.2021, <https://www.nato.int/cps/en/ natohq/news_185000.htm?selectedLocale=en>.

160

 Closson, Good Fences Make Good Neighbors [wie Fn. 158].

161

John Mooney, »Navy Called in as Russians Suspected of Targeting Undersea Internet Cable«, in: The Sunday Times, 15.8.2021; Alexander Elliott, »Coastguard Tracked Russian Naval Ships«, ruv.is, 31.8.2021, <www.ruv.is/frett/2021/08/31/ coastguard-tracked-russian-naval-ships>.

162

NATO 2030: United for a New Era [wie Fn. 149], S. 41.

163

 Im Folgenden handelt es sich um eine aktualisierte und überarbeitete Version von Textpassagen aus Agne Cepinskyte/Michael Paul, Großmächte in der Arktis. Die sicherheitspolitischen Ambitionen Russlands, Chinas und der USA machen einen militärischen Dialog erforderlich, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2020 (SWP-Aktuell 50/2020).

164

 Government Offices of Sweden, Sweden’s Strategy for the Arctic Region, Stockholm: Ministry for Foreign Affairs (Department for Eastern Europe and Central Asia, Arctic Secretariat), November 2020, S. 23.

165

 Zitiert nach Rudolf Hermann, »Im Norden wird auf­gerüstet«, in: Neue Zürcher Zeitung, 28.11.2020.

166

 Robert Jervis, »Cooperation under the Security Dilemma«, in: World Politics, 30 (1978) 2, S. 167–214.

167

 Alyson J. K. Bailes/Kristmundur Ólafsson, »The EU Crossing Arctic Frontiers. The Barents Euro-Arctic Council, Northern Dimension, and EU-West Nordic Relations«, in: Nengye Liu/Elizabeth A. Kirk/Tore Henriksen (Hg.), The Euro­pean Union and the Arctic, Leiden/Boston: Brill, 2017, S. 40–62.

168

 Nordischer Rat, auf der Website des Schleswig-Holstei­nischen Landtags, <http://www.landtag.ltsh.de/parlament/ nordischer-rat>.

169

 Håkon Lunde Saxi, »Nordic Defence Cooperation (NORDEFCO): Balancing Efficiency and Sovereignty, NATO and Nonalignment«, in: Perspectives on European Security – STETE Yearbook 2013, Helsinki: The Finnish Committee for European Security (STETE), Dezember 2014, S. 68–72.

170

 Siehe u.a. Website des CBSS, <https://cbss.org/>; Auswärtiges Amt, Cooperation in the Baltic Sea Region, Berlin, 18.4.2018, <https://www.auswaertiges-amt.de/en/aussen politik/-europa/zusammenarbeit-staaten/ostseekooperation/-/ 228754>.

171

So im hybriden IISS-Europe Workshop »The Arctic: Navigating between Co-operation and Com­petition«, Berlin/ London, 9.9.2021. Siehe auch Walter Berbrick/Rachael Gosnell/Lars Saunes/­Mary Thompson-Jones, »Preventing Conflict in the Arctic with Russia Starts with Dialogue«, in: The National Interest, 8.3.2021; Mathieu Boulègue/Duncan Depledge, It Is Time to Negotiate a New Military Security Architecture for the Arctic, Washington, D.C.: Wilson Center, 16.4.2021 (Polar Points Nr. 5).

172

 Siri Gulliksen Tømmerbakke, »Why Finland and Iceland Want Security Politics in the Arctic Council«, in: Arctic Today, 25.10.2019.

173

 »›It is therefore important to extend the positive relations we have within the Arctic Council to encompass the military sphere as well, first of all by revitalizing multilateral dialogue on military issues between the general staffs of the Arctic states,‹ Lavrov said. He said later at a new[s] con­ference that resuming that dialogue would be a priority for Russia while it heads the council.« Zitiert nach Matthew Lee, »US, Russia at Odds over Military Activity in the Arctic«, in: The Washington Post, 20.5.2021.

174

 TASS, Press Review, 15.1.2021, <https://tass.com/press review/1245131>.

175

 Recommendations of the Participants of the Expert Dialogue on NATO-Russia Military Risk Reduction in Europe, Dezember 2020.

176

 Vgl. Alexey Gromyko/Steven Pifer/Wolfgang Richter, »Die militärischen Risiken eindämmen«, in: Frankfurter Rund­schau, 20.12.2020.

177

 Vgl. Boulègue, Russia’s Military Posture in the Arctic [wie Fn. 91], S. 30; Joshua Tallis, »For a Biden Arctic Agenda, Look to Governance. Competition with China Is Too Narrow a Strategy for the Far North«, in: Foreign Policy, 16.2.2021; Pincus, »NATO North?« [wie Fn. 122]; Andrei Zagorski, Russia and the US in the Arctic, Moskau: Russian International Affairs Council, 2016 (Working Paper Nr. 30/2016), S. 14f; Liselotte Odgaard/Sune Lund, Reducing Russia-NATO Tensions: Codes for Unplanned Encounters at Sea, Washington, D.C.: Hudson Insti­tute, 2.9.2020.

178

 Vgl. Masha Gessen, The Future is History. How Totalitar­ianism Reclaimed Russia, New York: Riverhead Books, 2017; Susan Stewart, Geschichte als Instrument der Innen- und Außen­politik am Beispiel Russlands. Wie die Gegenwart die Vergangenheit beeinflusst, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2020 (SWP-Studie 22/2020); Thomas Wochnik, »Wochniks Wochenende«, in: Der Tagesspiegel, 27.2.2021, S. 19.

179

 »Dies verschafft Respekt, ist also geopolitisch wichtiger und billiger, als tatsächlich militärisch auf Augenhöhe sein zu müssen.« Reiner Schwalb, »Wege aus der Krise?«, in: Michael Staack/Gunther Hauser (Hg.), Russland und der Westen – Ist kooperative Sicherheit möglich? Opladen: Verlag Barbara Budrich, 2020, S. 12.

180

 Die Autoren danken Sabine Fischer für diesen Hinweis.

181

 Lee, »US, Russia at Odds over Military Activity in the Arctic« [wie Fn. 173].

182

 Siehe die Dokumente auf der Website des Arktischen Rates, <https://arctic-council.org/www/www/en/about/russian-chairmanship-2/>.

183

 Dyner, Russia’s National Security Strategy [wie Fn. 97].

184

 Katarzyna Zysk, »The Future of the Arctic is Russian. Or Is It?«, in: Atlantic Community, 8.7.2019.

185

 »The most-promising options to ›extend Russia‹ are those that directly address its vulnerabilities, anxieties, and strengths, exploiting areas of weakness while undermining Russia’s current advantages. In that regard, Russia’s greatest vulnerability, in any competition with the United States, is its economy, which is comparatively small and highly de­pendent on energy exports.« James Dobbins et al., Overextending and Unbalancing Russia. Assessing the Impact of Cost-Imposing Options, Santa Monica, CA: RAND Corporation, August 2019 (Research Brief), S. 12.

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