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Rote Linien am Persischen Golf

Bei einem militärischen Eingreifen der USA am Persischen Golf ginge es nicht in erster Linie ums Öl, sagen Markus Kaim und Kirsten Westphal.

Kurz gesagt, 31.01.2012 Forschungsgebiete

Bei einem militärischen Eingreifen der USA am Persischen Golf ginge es nicht in erster Linie ums Öl, sagen Markus Kaim und Kirsten Westphal.

Mit dem Beschluss der EU, ein Embargo gegen den Iran zu verhängen, spitzt sich die Situation am Persischen Golf zu. Noch bis Juli gilt eine Übergangsfrist für "Altverträge". Ab dann greifen die Sanktionen voll. Der Iran will die Öllieferungen seinerseits einstellen. Und droht mit einer Blockade der Straße von Hormus, dem kritischen Nadelöhr der globalen Ölversorgung. Ein solches Szenario wurde vielfach als "Krieg um Öl" beschworen, doch die Entwicklungen am Persischen Golf haben viel weniger mit energiepolitischen als mit sicherheitspolitischen Interessen und Handlungszwängen zu tun.

Fünf Prozent der EU-27 Ölimporte kamen zuletzt aus dem Iran. Vor allem die ohnehin schon geschwächten Volkswirtschaften Griechenland, Italien und Spanien werden von einem Ausbleiben iranischer Lieferungen empfindlich getroffen. Bei ihnen sind die Importanteile signifikant höher, und sie verfügen teilweise über günstige Langfristverträge. Insofern senden die Europäer mit dem Embargo auch energiepolitisch ein beachtliches Signal der Einigkeit aus. Sie vertrauen darauf, dass Engpässe auf dem internationalen Ölmarkt abgefangen werden können: Libyen kommt wieder auf den Markt, und die bekannten „Swing Produzenten" im Golf, allen voran Saudi-Arabien, haben eine Erhöhung ihrer Öllieferungen zugesagt.

Der Iran exportiert circa 2,3 Millionen Barrel Öl täglich, das sind drei Prozent des Weltbedarfs. Ölexporte machen rund 80 Prozent der Auslandseinnahmen des Iran aus. Die EU-Staaten beziehen etwa 20 Prozent seines Öls. Das Embargo bringt das Land unter Druck, wenngleich insbesondere China, ohnehin bereits ein strategisch wichtiger Partner Irans, aber auch Indien als Abnehmer bereit stehen. China, das gerade strategische Ölreserven aufbaut, kommen größere Mengen zu günstigen Preisen zu Pass. Iran wird somit wohl Einnahmeverluste hinnehmen müssen, denn dem Land fehlt es an moderner Technologie, was ein Ab- und wieder Anfahren der Produktion erschwert, sowie an Lagerkapazitäten. Aber auch Peking muss den diplomatischen Eiertanz üben. Nicht nur Teheran ist ein strategischer Partner und vitaler Öllieferant für China. Auch Saudi-Arabien darf als überaus wichtiger Handelspartner nicht vergrämt werden.

Mit einer Blockade der Straße von Hormus wäre die "rote Linie" überschritten

Das Damoklesschwert einer vorübergehenden Schließung der Straße von Hormus schwebt über den ohnehin strapazierten Ölmärkten. 20 Prozent des weltweit gehandelten Öls werden über diesen Seeweg verschifft. Die einzigen Länder, die über freie Förderkapazitäten verfügen, Saudi-Arabien und die Golfemirate, wären weitgehend von den Märkten abgeschnitten. Saudi-Arabien verfügt über eine Überlandpipeline nach Westen ans Rote Meer mit Exportkapazitäten von circa 5,5 Millionen Barrel pro Tag. Zu wenig, um die Ausfälle vor allem auf den asiatisch-pazifischen Märkten zu kompensieren. Die Importländer müssten frühzeitig auf ihre strategischen Reserven zurückgreifen. Experten warnen vor Ölpreisen von 150 bis 200 US Dollar pro Barrel. Insofern ist der psychologische Effekt dieses Bedrohungsszenarios auf die Märkte hoch. Für die fragile Weltwirtschaft wäre eine solche Lage verheerend und für die von der Schuldenkrise betroffenen EU und USA besonders schmerzhaft. Das Kalkül der Iraner erscheint offenkundig.

Die USA haben Teheran deutlich gemacht, dass mit der Sperrung der Straße, und sei es vorübergehend, eine rote Linie überschritten wäre und sie militärisch eingreifen würden. Auch China hat signalisiert, dass es eine Blockade des Seewegs nicht tolerieren würde.

Aus militärischer, politischer und ökonomischer Sicht ist es allerdings wenig wahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einer Blockade kommt. Militärisch könnte der Iran der amerikanischen Marine und ihren Verbündeten mit den maritimen Kapazitäten, die den revolutionären Garden zuzurechnen sind (Schnellboote, U-Boote, Minen), schmerzhafte Schläge zufügen. Letztlich ist der Iran in einem derartigen militärischen Konflikt den Vereinigten Staaten aber so deutlich unterlegen, dass eine Blockade nur kurze Zeit Bestand haben könnte. Zudem müsste der Iran fürchten, dass befreundete Staaten, allen voran China, sich abwenden und eine temporäre Allianz mit dem Westen bilden.

Ohne Alternativen? - Ordnungsmacht USA

Das Engagement der USA erklärt sich nicht (mehr) mit ihrer Abhängigkeit vom Öl der Golfstaaten. Ein Blick auf die Öllieferströme aus der gesamten Golfregion zeigt tektonische Verschiebungen im Öl- und Gasmarkt: Längst haben China und Indien die Europäer und die USA als Hauptabnehmer in der Golfregion abgelöst. Die USA wiederum steuern mit dem Ausbau gerade der eigenen (un)konventionellen Öl- und Gasproduktion auf eine Phase der Semi-Autarkie Nordamerikas zu.

Es zeigt sich vielmehr, dass sich die USA trotz einer Innenwende ihrer Politik und beschränkter Ressourcen für die Außen- und Sicherheitspolitik nach wie vor als globale Ordnungsmacht verstehen. Sie sehen sich in der Pflicht, strukturelle Rahmenbedingungen für eine stabile Weltwirtschaft zu schaffen und insofern einen freien Seeweg zu garantieren. Darüber hinaus geriete im Falle einer Blockade das sensible Machtgefüge der großen Energieproduzenten am Golf aus den Fugen. Bereits erkennbare Bemühungen der arabischen Golfanrainer, eine politische wie militärische Gegenmacht zu Teheran zu bilden, würden beschleunigt. Dies könnte in ein nukleares Wettrüsten in der Region münden, das die USA zu verhindern suchen. Ferner haben sie ein vitales Interesse daran, dass Iran sich im Hegemonialwettstreit in der Region nicht durchsetzt. Denn sie wissen um dessen Eskalationspotential in anderen Ländern der Region: in Israel, dem Irak, Bahrain oder Saudi-Arabien.

Vielbeschworen ist die Hinwendung der USA zum asiatisch-pazifischen Raum und eine kommenden Konkurrenz mit China. Die Entwicklung am Persischen Golf erzählt (noch) eine andere Geschichte: Denn obwohl China angesichts eines immer noch beachtlichen, aber sinkenden Wirtschaftswachstums kein Interesse an einer Gefährdung der eigenen Energieversorgung sowie der globalen wirtschaftlichen Entwicklung hat, bleibt das Land Trittbrettfahrer zum eigenen Vorteil, anstatt weltpolitische Verantwortung zu übernehmen.

Dieser Text ist ebenfalls bei EurActiv.de und tagesspiegel.de erschienen.