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Krisensichere Lieferketten: »Es geht nicht nur um Diversifizierung, sondern auch um Menschenrechte«

Kurz gesagt, 28.01.2021 Forschungsgebiete

Die Corona-Pandemie hat es noch mal deutlich gemacht: Die weltweite Abhängigkeit in den Lieferbeziehungen ist enorm. Im Interview erklärt Melanie Müller, worauf es ankommt, wenn Lieferketten krisensicherer gestaltet werden sollen. Menschenrechte sind dabei ein wichtiges Thema.

Candida Splett: Im Zuge der Corona-Pandemie sind durch Grenzschließungen und Produktionseinbrüche Lieferketten unterbrochen worden. Was hat das ausgelöst?

Melanie Müller: Vielen Ländern ist bewusst geworden, wie abhängig sie von Lieferbeziehungen sind, sei es beim Import oder beim Export. Und auch die zentrale Rolle Chinas als Zwischenhändler in den globalen Lieferketten ist in den Fokus gerückt. In vielen Staaten, auch in der EU, denkt man nun darüber nach, wie man diese Abhängigkeiten reduzieren und damit die Versorgungssicherheit erhöhen kann.

Heißt das, dass wir die Globalisierung zurückfahren müssen?

Das ist in den meisten Bereichen nicht realistisch. Ein Beispiel: Wir wissen bereits jetzt, dass sich durch die zunehmende Digitalisierung und auch die Energiewende der Bedarf an bestimmten metallischen Rohstoffen in den nächsten Jahren weiter erhöhen wird. Dieser Bedarf kann nicht über Recycling allein gedeckt werden. Da Deutschland selbst keine metallischen Rohstoffe in relevanter Größenordnung abbaut, muss es sie importieren. Umgekehrt sind viele Länder des globalen Südens dringend auf den Export angewiesen, Südafrika etwa als Hauptproduzent von Platin, das in der Automobilindustrie eingesetzt wird. Ohne diese Exporte würden dem Land wichtige Einnahmen verloren gehen. In afrikanischen Staaten wird allerdings darüber diskutiert, wie man die Wertschöpfung vor Ort erhöhen kann, indem man Rohstoffe nicht nur abbaut, sondern selbst weiterverarbeitet. So könnten sie sich unabhängiger vom Export machen.

Was sind die wichtigsten Schritte auf dem Weg zu mehr Versorgungssicherheit in der EU, wenn man auf die Lieferketten schaut?

Nicht die einzelnen Nationalstaaten, sondern die EU muss sich dem Thema Versorgungssicherheit nähern, und zwar mit einer mittel- bis langfristigen Perspektive. Dabei geht es nicht nur um eine Diversifizierung von Lieferketten, sondern auch darum, sie menschenrechtskonform bzw. sozial- und umweltfreundlich zu gestalten. Denn Störungen in Lieferbeziehungen entstehen nicht nur in Pandemien, sondern auch durch politische Unruhen oder durch die Verletzung von sozialen oder Umweltstandards, die zum Beispiel zu Streiks führen können. Ebenso können Umweltprobleme Produktionskosten erhöhen – etwas, das uns als Abnehmer auf die Füße fällt. Wenn wir uns nun also mit der Widerstandsfähigkeit von Lieferketten beschäftigen, sollten wir auch die Situation im globalen Süden in unsere Strategien mit einbeziehen.

Was muss nun also geschehen?

In den letzten zehn Jahren hat sich schon viel getan: Dass in der EU und in Deutschland heute über Lieferkettengesetze diskutiert wird, ist das Resultat einer längeren Entwicklung. Die Vereinten Nationen etwa haben 2011 bereits Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, die OECD setzt schon länger entsprechende Standards. Entscheidend ist, dass wirtschaftliche Akteure nicht mehr nur für das Handeln im eigenen Unternehmen verantwortlich gemacht werden. Sie sollten vielmehr gesetzlich verpflichtet werden, sich mit der Menschenrechtslage in Zulieferbetrieben und deren staatlichem Umfeld zu beschäftigen.

Was steht einer Einigung über das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz noch im Wege?

Da geht es um Fragen wie: Welche Unternehmen sollen in die Pflicht genommen werden, müssen Unternehmen sich eine Menschenrechtsagenda geben, wer evaluiert deren Erfolg und werden die Berichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht? Das ist eine ganze Reihe technischer Fragen, die enorme politische Implikationen haben. Streit gibt es auch über das Verhältnis des deutschen zum europäischen Lieferkettengesetz. Manche sagen, wir brauchen das europäische Gesetz zuerst. Ich meine, dass Deutschland sich bereits jetzt einen gesetzlichen Rahmen geben sollte. Wir sind ein zentraler politischer Akteur in der EU und können Vorreiter sein. Sollte die EU-Verordnung dann weitreichender ausfallen, können wir nachbessern.

Worauf kommt es bei der Umsetzung des Lieferkettengesetzes an?

Die Unternehmen müssen mehr darüber lernen, worauf sie konkret achten müssen. Wie kann man überprüfen, ob in einem Land Rechtsbrüche stattfinden, was kann ich überhaupt nachvollziehen und was nicht? In unserem Projekt »Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstofflieferketten im Andenraum und im südlichen Afrika« untersuchen wir Lieferketten, die zum Teil so intransparent sind, dass die Endabnehmer sie nur schwer nachvollziehen können: In einer Weltregion wird das Metall abgebaut, in der nächsten geschmolzen, in einem Land in Europa wird daraus dann vielleicht ein Draht hergestellt, der im nächsten Land in ein Produkt eingebaut wird. An jeder der zahlreichen Stufen der Bearbeitung kann es zu Menschenrechtsverletzungen kommen. Das ist selbst bei einfacheren Produkten wie Computermäusen kaum nachvollziehbar. In unserem Projekt wollen wir komplexe Lieferketten bei metallischen Rohstoffen zunächst nachvollziehen, um dann Vorschläge machen zu können, wie sie transparenter und vor allem nachhaltiger gestaltet werden können. Die Transparenz ist also ein wichtiges Ziel. Und schließlich müssen wir Staaten, von denen wir wissen, dass dort regelmäßig Menschenrechte verletzt werden, dazu bewegen, das Problem einzudämmen.

Inwieweit engagieren sich Staaten des globalen Südens bereits für nachhaltige Produktionsprozesse?

Der Erkenntnisprozess ist bereits da, viele Staaten im globalen Süden haben eigene Verpflichtungen und Regelungen verabschiedet. Zudem gibt es eine lebhafte Zivilgesellschaft, die sich genau dafür einsetzt, und auch einen von Ecuador und Südafrika angestoßenen Prozess auf UN-Ebene mit dem Ziel eines »Binding Treaty on Business and Human Rights«. Einige Länder haben allerdings Angst, Wettbewerbsvorteile einzubüßen, wenn sie nicht so billig wie möglich produzieren. Dabei vergessen sie, dass auch schlechte Produktionsbedingungen häufig Kosten verursachen.

Was kann Deutschland tun, um sie zu unterstützen?

Wir können Staaten und Firmen vor Ort direkt dabei unterstützen, bestehende Regelungen umzusetzen, ebenso wie zivilgesellschaftliche Akteure, die auf Missstände aufmerksam machen. Man kann auch helfen, die Informationsbasis zu verbessern. Und schließlich ist Prävention wichtig: Wenn zum Beispiel eine neue Mine eröffnet werden soll, kann man von vornherein darauf achten, Risiken abzuschätzen und zu reduzieren. Da geht es zum Beispiel darum, die relevanten Institutionen und Verwaltungen in den Ländern zu stärken oder Korruption im Rohstoffsektor einzudämmen.

Melanie Müller leitet das Projekt »Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstofflieferketten im Andenraum und im südlichen Afrika«.

Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion der SWP.