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Nachhaltige Lieferketten im Agrarsektor: Wert schöpfen statt Zuliefern

Unternehmerpflichten politikfeldübergreifend in eine EU-Strategie einbinden

SWP-Aktuell 2020/A 70, 08.09.2020, 8 Seiten

doi:10.18449/2020A70

Forschungsgebiete

Lieferketten rückten jüngst durch die Corona-Krise ins Zentrum politischer Aufmerk­samkeit. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zeigen einmal mehr, wie komplex die glo­bale Arbeitsteilung über mehrere Staaten hinweg gestaltet ist. Aktu­elle deut­sche und europäische Gesetzesinitiativen streben mehr verbindliche Pflich­ten für end­verbrau­chende Unternehmen an, was Menschenrechte und Nach­haltigkeit in Liefer­ketten betrifft. Ziel ist eine nachhaltige Erzeugung in anderen Ländern. Gerade für die Landwirtschaft sollten aber neben diesen explizit auf Lieferketten bezogenen Ansät­zen auch die Handels-, Investitionsschutz- und Agrar­politik der Europäischen Union (EU) ver­bessert werden. Nur das Zusammenspiel aller Ansätze kann landwirtschaftliche Liefer­ket­ten so beeinflussen, dass die speziellen Nachhaltigkeits­probleme dieses Sektors be­rück­sichtigt werden. Schließ­lich wirken übliche ­Ansätze, die Lieferketten isoliert be­trach­ten, lediglich in Richtung des Importstroms in die EU. Damit nehmen sie Ent­wick­lungsländer nur in ihrer traditionellen Rolle als Zulieferer von Agrarrohstoffen wahr und blenden Optio­nen für mehr eigene Wertschöpfung und künftige Entwicklung aus.

Rahmenwerke wie die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen (VN) rufen dazu auf, nach­haltigere Pro­duk­tions- und Konsummuster, Agrar- und Ernäh­rungssysteme sowie menschenwürdige Ar­beits­bedingungen und den Schutz der natür­lichen Ressourcen umzusetzen, in inte­grier­ten und partnerschaftlichen Ansätzen unter Einbeziehung verschiedener Akteure.

Eine neue politische Dynamik dafür, Un­ter­nehmen als Akteure stärker ein­zu­bin­den, entwickelte sich 2019 durch die groß­flächi­gen Waldrodungen in Brasilien. Diese beglei­teten das Verhandlungsende des EU-Merco­sur-Handels­abkom­mens, das wie alle EU-Handelsabkommen inzwischen Nach­hal­tig­keitsregelungen enthalten soll, deren Schärfe in der Regel aber begrenzt ist. Um das öf­fent­liche Gut Wald und das Klima zu schüt­zen, ohne auf die Unter­stüt­zung der brasi­li­a­ni­schen Regierung ange­wie­sen zu sein, wur­den Alter­nati­ven de­bat­tiert. Übliche Liefer­ketten­ansätze etwa greifen am Ort des End­ver­brauchs solcher Produkte ein, deren Er­zeu­gung in entfernten, politisch souve­ränen Staaten Nachhaltigkeitsrisiken ver­ursacht.

Sie sehen vor, dass endverbrauchende Unternehmen für die Umsetzung von Men­schen­rechts- und Nachhaltigkeitsstandards ent­lang der gesamten Lieferkette zuständig sind, die viele Akteure, oft in unterschied­lichen Ländern, vereint. Diese Ketten um­fassen etwa Primärerzeugung, Transport, Ver­arbeitung und Verkauf. Je nach Ausge­staltung werden die Unter­nehmen am Ende der Kette dazu verpflichtet oder es wird ihnen nur empfohlen, Risi­ken zu beobachten, Lösungen zu ihrer Ver­meidung zu fin­den und für Verletzungen von Standards zu haften (siehe Tabelle). Hauptmotiv für die anderen Akteure in der Lieferkette, Standards einzuhalten, ist ihr ökonomisches Interesse, sich den Absatz bei großen Endunternehmen und in großen Absatzmärkten zu sichern.

Entsprechende schon genutzte Regel­werke für Lieferketten unterscheiden sich hinsichtlich anvisierter einzelner Nach­haltigkeitsziele, adres­sierter Sekto­ren, der Anreiz­struktur und des Verpflichtungs­grades (siehe Tabelle): Bislang dominieren frei­willige Regelungen, der Fokus liegt auf Menschenrechten, weniger auf Nach­haltig­keit. Hierfür bieten die VN-Leitprinzipien »Wirtschaft und Men­schen­rechte« von 2011 die Basis in Form sogenannter »Sorgfaltspflichten« für Unter­nehmen. Auch die Leit­sätze der Organisation für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für multi­nationale Unternehmen sind frei­willig; sie nutzen ausschließlich für Men­schenrechts­verlet­zungen Beschwerde­stellen. Breiter angelegt sind Agrar­ansätze der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der VN mit den »Freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung« oder den »Freiwilligen Leitlinien für die verant­wortungsvolle Landnutzung«, indem sie verschie­dene Nachhaltigkeitsziele zusätz­lich zu Menschenrechten in den Blick nehmen.

Verpflichtende Vorgaben dagegen sind selten und existieren in der EU etwa für alle Sek­toren in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. In Belgien und Finnland befin­den sich ähnliche Vorhaben in Vor­be­rei­tung, desgleichen ein deutsches Liefer­ket­ten­gesetz. Laut Koalitionsvertrag soll eine ge­setz­liche Verpflichtung den »Natio­na­len Ak­tions­plan Wirtschaft und Menschen­rechte« beglei­ten, wenn aktuelle freiwillige Ansätze als nicht ausreichend angesehen werden. Für Ende August wurde ein inter­ministe­rielles Eck­punktepapier zu Details der Ge­setzes­initia­tive erwar­tet, dessen Veröffent­lichung wegen Un­einig­keit in der Bundesregierung verschoben wurde. Unklar schei­nen noch die Größe der einzu­beziehenden Unterneh­men, das Ausmaß der Haftung sowie deren Reichweite, also bis zu welchem Akteur die Verantwortung reichen kann.

In Deutschland befürchten die Unternehmen, die die frei­willigen Regelungen bereits umsetzen (einer Unter­nehmer­befra­gung zufolge sind das 20 Pro­zent), Wett­bewerbsnachteile durch feh­lende Verbindlichkeit für alle. Wettbewerbs­effekte spre­chen darüber hinaus statt für eine rein natio­nale für eine euro­päische Regelung, wie sie der Justiz­kommis­sar der EU für 2021 vor­schlägt. Er folgt damit einem Vorhaben des Kommissars für Umwelt, Meere und Fischerei, das allerdings begrenzt ist auf die Umweltziele Klima- und Waldschutz in entwaldungsfreien Lieferketten. Das Euro­päische Parla­ment bereitet derzeit einen Vorschlag hier­zu für eine erste Plenar­lesung im Herbst vor. Es soll neben Menschenrechts- auch andere Nachhaltig­keitsziele und neben der Land­wirtschaft weitere Sek­toren berücksichtigen.

Sowohl die EU als auch Deutschland sind große Verbrauchs­regionen für landwirtschaft­liche Produkte; damit können Liefer­kettenpflichten für hier ansässige Unternehmen prinzipiell erhebliche Wirkung haben. Gleich­zeitig sind sie bedeutende Lieferregionen für Agrar­produkte und wir­ken also nicht nur am End-, son­dern auch am Start­punkt landwirtschaft­licher Liefer­ketten. Gerade diese Doppel­position bietet Spiel­raum dafür, den beson­deren Herausforderungen in der Landwirt­schaft zu be­gegnen, indem neben den im­port­bezoge­nen Lieferkettenregeln export­rele­vante Maßnahmen zum Tragen kommen können.

Besonderheiten im Agrarsektor

Die Landwirtschaft ist Ausgangspunkt für die neuen EU-Initiativen zur Entwaldungs­freiheit, die maßgeblich von Entwick­lungen in diesem Sektor abhängt. Darüber hinaus weist sie wei­tere Besonderheiten auf.

Tabelle

Unterschiede in Regulierungstypen für Nachhaltigkeit in landwirtschaftlichen Lieferketten

Regulierungstyp und Hebel

Hauptadressat für Verpflichtung/Umsetzung

Ansatzpunkt in Lieferkette

Zieldimension

Wirtschaftssektor

Übliche Maßnahmen­typen

Ansätze mit explizitem Fokus auf Lieferketten

Sorgfaltspflichten in Lieferketten

Verbrauchende Unternehmen

Endpunkt
= Import

  • Menschen­rechte

  • Umwelt

Alle

Rechenschaftsvorgaben, Lösungsmaßnahmen, Haftung

Entwaldungsfreie Lieferketten

Verbrauchende Unternehmen

Endpunkt
= Import

Umwelt

Insbesondere Landwirtschaft

Monitoring, Zertifizie­rung, Marktzugangs­erleichterung

Erweiterte Ansätze mit indirekter Wirkung auf Lieferketten

Agrarpolitik

Primärerzeuger

End- und Start­punkt
= Im- und Export

Schutz land­wirtschaftlicher Ressourcen

Landwirtschaft

Anreize und Kosten­kompensation

Handelspolitik

  • Abhängig von Ziel und Unternehmen

  • Staat

End- und Start­punkt
= Im- und Export

  • Menschenrecht auf Nahrung

  • Arbeits- und Umweltschutz

Alle
(Sonderregeln für Land­wirtschaft)

  • Zollanreiz/Handels­erleichterung für
    Nachhaltigkeit

  • Zugangserleichte­rung für Rohstoffe

  • Exportbeschrän­kungen oder Zollschutz bei
    Ver­sorgungsrisiken

Investitionsschutz

  • Zielstaat für Investitionen

  • Investierendes ausländisches Unternehmen

End- und Start­punkt
= Im- und Export

Flexible Ziele öffentlichen Interesses

Alle

  • Zugangserleichterung für Rohstoffe/Vor­leis­tungen

  • Ausnahmen für Ent­schädigungsbefreiung

Kurze, kleinstrukturierte, konzen­trierte Ketten und EU-Doppelrolle

Kurze landwirtschaftliche Lieferketten vereinen wenige Akteure, die sich oft auf wenige Länder konzentrieren. Häufig ver­laufen sie bei Agrarprodukten in einseitiger Rich­tung – meist folgt auf die Zulieferung un­ver­arbeiteter Rohstoffe durch Entwicklungs­länder die weitere Wertschöpfung in den importierenden ent­wickelten Ländern wie auch der EU. Die Importkonzentration aus Sicht der EU zeigt sich zum Beispiel dar­in, dass sie bei Kakaobohnen mit 90 Prozent diesen Rohstoff fast ausschließlich aus Afrika bezieht. Von allen importierten Rohstoffen machen wiederum solche, die wie Soja als Futtermittel in der Tierhaltung eingesetzt werden, einen großen Anteil aus. Um­ge­kehrt expor­tiert die EU mit circa 40 Prozent vor­wiegend verarbeitete Lebensmittelprodukte und damit Güter mit hoher Wertschöpfung. Tendenziell erleichtert eine kurze und auf wenige Länder konzentrierte Kette die Durchsetzung von Lieferkettenpflichten durch endverbrauchende Unternehmen, weil diese nur aus wenigen Regionen Akteure erfassen, kontrollieren und ahnden müssen.

Dagegen erschwert die kleinstrukturierte Primär­erzeugung gerade in Entwicklungs­ländern die Umsetzung von Lieferketten­regelungen, denn das Unterneh­men am Ende der Kette muss viele Er­zeu­ger ein­binden, wodurch Kosten ent­stehen. Außer­dem ist es für Klein­erzeuger in der Land­wirtschaft vor allem in Entwicklungs­ländern oft zu teuer, alle Pflich­ten einzu­halten oder dies zu dokumentieren. Als Folge können sie aus dem Markt gedrängt werden, was Ein­kommens­verluste nach sich ziehen kann.

Die EU-Doppelrolle in Lieferketten. Für Regulierungsansätze mit explizitem Fokus auf Lieferketten (wie die aktuellen Gesetzes­initiativen) ist die Importseite entscheidend. Für diese ist die EU insbesondere bei ent­wal­dungs­relevanten Produkten von Bedeu­tung: Palmöl importiert sie zu fast 50 Pro­zent aus Indo­nesien und zu 25 Prozent aus Malaysia, bei Soja stammen fast 50 Prozent aus den USA und 35 Prozent aus Brasilien. Aber auch auf der Exportseite hält die EU große Markt­anteile bei Grundnahrungs­mitteln, was sich in den Absatzländern etwa auf die Versor­gung auswirken kann. So kommen fast 50 Pro­zent aller gesamt­afrikanischen Milch­importe und 30 Prozent aller Geflügel­importe aus der EU.

Besondere Nachhaltigkeitsziele

Im Sommer 2019 definierte die Europäische Kommission eine Palette sogenannter entwaldungs- und damit klimarelevanter »Risikoprodukte«, bei denen land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse wie Soja, Fleisch, Palmöl, Mais, Kaffee und Kakao dominieren. Daneben wirkt sich der Agrar­sektor in besonderer Weise auch auf weitere Nachhaltigkeitsdimensionen aus:

(1) Das Menschenrecht auf Nahrung. Produktion und Verbrauch von Agrarprodukten sind unmittelbar mit dem Menschenrecht auf Nahrung verbunden. Konzepte zu dessen Schutz werden seit über 50 Jahren von der FAO (weiter)entwickelt. Sie setzen sowohl am End- als auch am Startpunkt landwirtschaftlicher Lieferketten an. Das Recht auf Nahrung kann demnach mittels eigener Produktion, Importen und Exporten gestärkt werden, folglich auch durch unter­schiedliche Politikfelder wie Handels-, Agrar- und Inves­titionsschutzpolitik (siehe Tabelle).

Am Ende der Lieferkette – und damit in der Handelsposition des Imports – können in versorgungsschwachen Entwicklungs­ländern oftmals erst günstige Nah­rungs­mittel­importe das Recht auf Nahrung gewähr­leisten. Gleich­zeitig können Importe ris­kant sein, wenn sie die teurere lokale Pro­duktion ver­drängen. Letzteres kann negative Ein­kom­mens­effekte für Erzeuger haben und dadurch die ein­heimische Agrarwirt­schaft kontinuierlich schwä­chen. Bei akuten Ver­sor­gungs­eng­pässen lassen sich solche Aus­wir­kungen oft nur noch durch Importe schnell beheben, sofern genügend Lebensmittel zu erschwing­lichen Preisen auf dem Weltmarkt vorhan­den sind.

Auch auf der Exportseite und damit in Richtung typischer Zulieferung von Agrar­rohstoffen aus Entwicklungsländern in die EU können Versorgungsrisiken ent­stehen. Wird die Anbaufläche für Exporte immer größer, schrumpft diejenige für den eigenen Verbrauch, zum Teil durch Enteignung. So wuchs die Anbau­fläche für Palmöl in Indonesien und Malay­sia in den letzten 30 Jahren stetig; dies wird als ursäch­lich für ein Drittel des Wald­verlustes ange­sehen. Weiter­hin kann der Druck, die Pro­duktion zu intensivieren, steigen und zu unöko­logischem und ge­sundheitsschädlichem Einsatz von Pesti­ziden führen. Diesen Risi­ken für das Recht auf Nahrung steht indes der Nutzen der Export­erlöse gegenüber, die Versorgungsrisiken abfangen können, wenn sie für den Zukauf von Nahrungs­mitteln verwendet werden.

(2) Der Anteil von Kinderarbeit ist in der Land­wirtschaft mit über 60 Prozent aller bekann­ten Fälle am größten, fast 100 Mil­lio­nen Kinder sind laut Internationaler Arbeits­organisation (ILO) betroffen. Vor allem der Anteil kleiner Kinder bis zu 5 Jahren ist mit einem Drittel erschreckend hoch. Am wei­tes­ten verbreitet ist Kinder­arbeit im Agrar­sektor in Afrika. Dieser birgt auch mit die gefährlichsten Arbeitsrisiken für Kinder in Form von Unfällen und unsach­gemäßem Einsatz von Pestiziden. Mögliche Treiber sind Armut und fehlende Einkommens­möglichkeiten der Eltern.

Hebel der EU für mehr Nach­haltigkeit in Lieferketten

Eine Studie der EU-Kommission zur Zu­kunft von Unternehmerpflichten vom Februar 2020 hat unterschiedliche Optio­nen zur Regulierung von Lieferketten ent­wickelt und hebt hervor, wie bedeutsam es ist, bereits bestehende Ansätze zu kom­bi­nieren. Dabei beschränkt sie sich aber auf Ansätze mit explizitem Fokus auf Liefer­ketten. Erst ihre engere Einbindung in andere Politikfelder wie Agrar-, Handels- und Inves­titionspolitik ermöglicht es der EU, die spezi­fischen Nachhaltigkeitsziele am Start- und Endpunkt internatio­naler Liefer­ketten zu berücksichtigen. Nur alle diese Ansätze zusammen, begleitet durch entwicklungspolitische Unterstützung, können den Charakter von Liefer­ketten grundlegend ändern, statt sie ledig­lich in ihrer derzeitigen Form zu verbessern.

Agrarpolitik

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU kann über Produktions- und Verbrauchs­effekte auf inter­natio­nale Lieferketten einwirken. Die aktuelle Neu­ausrichtung der GAP für die Phase ab 2021 sollte ent­sprechende Risiken für Nachhaltig­keit und Menschenrechte beachten. Die kürzlich von der EU-Kommission als Teil des Euro­päi­schen Green Deal für diese Phase vor­geschla­gene »From Farm to Fork«-Strategie, die auch für die GAP relevant ist, betont zumindest generell die externe Bedeutung der europä­i­schen Lieferketten. Indes fehlen noch konkrete Maßnahmen, wie diese nachhal­tiger werden können.

Das Restrisiko für Exportdruck abbauen. Das traditionelle GAP-Risiko gerade für Ent­wick­lungsländer resultierte aus politisch ver­güns­tigten Exporten, die Anbieter aus Ent­wicklungsländern vom Weltmarkt und vor allem von ihren eigenen lokalen Märk­ten verdrängen können. Dies kann Armut, Hunger und Kinder­arbeit noch ansteigen lassen. Bisherige Reformen führten zu von der laufenden Produktion stärker entkoppelten Subventionen (siehe SWP-Aktuell 27/2018). Allerdings haben die EU-Mitglied­staaten begrenzt immer noch die Möglich­keit, alte, gekoppelte Subventionen zu nutzen. Bis auf Deutschland machen alle Länder davon Gebrauch. Diese produktions­stimulieren­den Zahlungen sollten abgeschafft werden.

Risiken durch Klima- und Importdruck ver­hin­dern. Die FAO schätzt den Anteil der Rinder­haltung an den globalen Klimagasemissio­nen auf circa 14 Prozent. Werden nicht alle Kosten ange­rechnet, werden mehr Tiere gehalten, als es für die Wohlfahrt opti­mal wäre. Folgen sind un­mittelbare Klima­schäden mit mög­lichen Nachteilen für das Recht auf Nahrung auf­grund von Natur­ereig­nissen wie Dürren und Überschwemmungen. Diese gelten welt­weit neben Kon­flik­ten als die wichtigste Ursache für Hunger. Diese politisch »zu hoch« getriebene Tier­haltung wirkt sich entlang der Lieferketten aus, indem sie den Bedarf an Futter auch für die EU steigert. Zumin­dest den Eiweiß­anteil des Futters muss die EU über­wiegend als Soja importieren. Hier­für ist sie also ein attrak­tiver Absatzmarkt, der jedoch mit dem Risiko verbunden ist, dass sich die Flächen­nutzung in Zulieferländern hin zu ver­mehr­­tem Sojaanbau verändert.

Als ein Lösungsansatz wird zurzeit in Deutschland aus Tierwohlgründen über das Tierwohlsiegel diskutiert, eine preis- oder gebührenbezogene Maßnahme, die Fleisch­preise erhöhen (damit potentiell den Kon­sum reduzieren), aber auch Landwirte und Landwirtinnen für die Kos­ten entschädigen kann. Alternativ ist eine Steuerbelastung (oder zumindest ein Abbau des geringeren deutschen Mehrwertsteuersatzes für Fleisch) vorstellbar, die für eine breite gesell­schaftliche Akzeptanz sozialpolitisch beglei­tet werden muss.

Innovativ könnten »Nachhaltigkeits­subventionen« sein. Zum Bei­spiel ließe sich die seit Langem bestehen­de Subventionierung in der EU für Öko­land­bau und Agrar­umweltmaßnahmen auf Kriterien nach­haltiger, entwaldungsfreier Vorleistungen wie Futter ausdehnen. Dar­über könnten Landwirte und Land­wirtinnen, die als nach­haltig zertifiziertes Soja verfüttern, ihre höheren Kosten aus­gleichen. Ob dies einer »grünen« Maßnahme im Sinne der von der Welt­handels­organi­sation (WTO) aufgestellten Regeln für Agrar­subventionen entspricht, wäre zu prüfen, aber für den Fall denkbar, dass ohne Anreizkomponente nur Kosten aus­geglichen werden. Basis hierfür sind gute Zertifizierungskriterien, wie sie etwa als »produktbezogene ökolo­gi­sche Fuß­abdrücke« inklusive Landnutzungs­effekten bereits für Futter- und andere Produkte ent­wickelt werden, nämlich im Rahmen des gleichnamigen Pilot­projekts der EU-Kommission.

Europäischer Verbrauch allein kann jedoch globale Probleme nicht lösen, da es in inter­national verflochtenen Liefer­ketten zu Sub­stitutionseffekten kommt. So können sich Zulieferer andere Abnehmerregionen suchen, die Nachhaltigkeitsrisiken bleiben bestehen. Auch könnten andere Fleisch­anbieter auf dem EU-Markt, die dann güns­tiger als die strenger regulierten euro­päischen sind, weiterhin den weltweiten Futter­bedarf schüren und die nachhaltiger arbei­tenden europäischen Landwirte aus dem Wettbewerb drängen. Zwar könnten uni­laterale innereuropäische Ansätze eine Signalfunktion erfüllen und Erfahrungen liefern, dennoch sind internationale Ansätze im internationalen Handels- und Investitionsregelwerk wichtiger.

Handel und Investitionen

Kontraproduktiven Substitutionseffekten kann man prinzipiell an der Grenze be­gegnen mittels inter­nationaler Regelung der Handels- oder Investitionspolitik, die außer­dem europäische Produkte durch höhere Standards schützt. Etablierte Regeln bieten dafür unterschiedlichen Spielraum und Durchsetzungsstärke und setzen so­wohl auf Import- als auch auf Exportseite an.

(1) Handelsregeln, die das Menschenrecht auf Nah­rung schützen, konkretisieren. Nach Arti­kel XI des Allgemeinen Zoll- und Han­dels­abkommens (GATT) rechtfertigen Ver­sor­gungs­risiken ansonsten nicht erlaubte Handelsbeschränkungen und ‑verbote ex­plizit für Nahrungsmittel. Da Auslösekriterien und Fristen nicht ge­regelt sind, werden Exportverbote – gegenwärtig auch corona­bedingt – schnell genutzt; dabei sind diese prinzi­pi­ell preistreibend und haben Ver­sor­gungs­risiken für andere, import­abhän­gige Länder zur Folge. Auf der Import­seite können Schutz­zölle den eige­nen Sektor in besonderen Bedrohungssituationen ab­schotten, wie es oft aus Versorgungs­gründen zur Ankurbe­lung der Produktion geschieht. In bilateralen Abkommen ver­urteilen die schwächeren Partner diese Schutz­option häu­fig als zu begrenzt. Nur wenige Abkommen verweisen expli­zit auf das Recht auf Nah­rung (wie das EU-Wirtschafts­partner­schafts­abkommen (WPA) mit Westafrika). Dieses ließe sich stärken; darüber hinaus ist gene­rell zu prüfen, ob mehr Schutz in Bezug auf weitere Nachhaltigkeitsrisiken möglich ist, für den aber konkrete Auslösekriterien und Fristen definiert werden müssten. Gleich­zeitig ist vor vorschneller Abschottung zu warnen, da oftmals Versorgungs­sicherung durch günstige Importe sinnvoll ist.

(2) Den geringen Spielraum für Zollanreize ausschöpfen. Bei den Risikoprodukten für Ent­waldung hat die EU wenig Spielraum, mit verringerten Zöllen für die Einhaltung von Nachhaltigkeitsanforderungen zu werben: Soja beispielsweise genießt bereits vollständige Zollfreiheit; bei Palmöl hin­gegen gibt es Spiel­raum für Zollabbau. Gleiches gilt für alle höherwertig verarbeiteten Produkte wie Kaffeepulver und Scho­ko­­lade. Das kann für Produzenten rele­vant sein, denen bisher keine großen EU-Zoll­präfe­ren­zen gewährt werden, etwa in Süd­amerika, und zu­gleich die für Entwicklung und Beschäftigung wesentliche Wert­schöpfung steigern.

Grundsätzlich erschwert die WTO solche Anreize für Vorgaben zu Produktions­verfahren, die nicht zu physischen Produkt­unterschieden führen, wie es bei der Be­achtung von Nachhaltig­keit und Menschenrech­ten meist der Fall ist. Allerdings lassen sich WTO-Aus­nahmen nach Artikel XX GATT zur Rechtfertigung nutzen, wie sie mög­­licher­weise künftig auch für die von der EU eingebrachte Idee einer Kohlendioxid(CO2)-Grenzabgabe heran­zuziehen wären.

Für individuell vereinbarte Zollpräferenzen bei Einhaltung von Regelungen besteht mehr Spielraum als auf Ebene der WTO. Die EU macht von ihm Gebrauch, etwa gegen­über Ent­wicklungsländern mit dem erweiterten Allgemeinen Präferenzabkommen (APSplus), von dem aktuell 8 Länder profitieren, die Arbeitsschutznormen der ILO sowie multilaterale Umweltnormen erfüllen. Für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) sind indes zusätzliche Zollanreize insofern ausgeschlossen, als sie ohnehin im Kontext des »Everything but Arms«-Regimes (EBA) kom­plette Zollfreiheit genießen. Allerdings kön­nen hier umgekehrt die Zollpräferenzen ausgesetzt wer­den, zum Beispiel bei schweren Menschen­rechtsverletzungen, wie es jüngst die EU-Kommission für Kambodscha beschloss.

Auch für die meisten afrikanischen Länder sind weitere Zollvergünstigungen wegen kompletter Zollfreiheit in den EU-WPAs nicht möglich. Jedoch verhindern mitunter strenge Ursprungsregeln, dass höherwertig verarbeitete Produkte wie Scho­kolade, die mithilfe von aus Dritt­staaten nach Afrika importierten Vorprodukten wie Zucker hergestellt wurden, ebenfalls von der Zoll­freiheit profitieren. Um Beschäftigung und Einkommen in höherwertiger und zugleich nachhaltiger Verarbeitung zu unterstützen, könnte man prüfen, ob äquivalent zu Zollanreizen »Nachhaltigkeitsanreize« durch leichtere Ursprungs­regeln sinnvoll wären.

(3) Nachhaltigkeitsstandards in bilateralen Abkommen stärken. Seit 2009 enthalten alle EU-Handelsabkommen ein Nachhaltigkeitskapitel mit Menschenrechtsverpflichtung, basierend auf den ILO-Arbeitsnormen und Umweltvorgaben aus internationalen Ver­einbarungen. Wenn Menschenrechte ver­letzt werden, kann das bislang anders als im EBA nicht durch Aussetzen der Zoll­präferenzen ge­ahn­det werden. Gleich­wohl gibt es ein Dia­log­verfahren, das im Land der Ver­let­zung zumindest eine Mediation aus­löst, wonach es zu öffentlich wahrgenommenen Gesprächen unter Betei­ligung der Stakeholder kommt.

Der Um­setzungsanreiz könnte verstärkt werden, was aber oft nicht im Interesse des Vertragspartners liegt. Auch das Recht auf Nahrung könnte als eigene Dimension ex­pli­zit in die Kapitel einbezogen werden; zudem ließe es sich der ohnehin vorgeschrie­be­nen Nachhaltigkeitsbewertung aller EU-Ab­kom­men hinzufügen. Diese beinhaltet bisher überwiegend quan­titative Schät­zungen, die eher ökonomische Auswir­kungen abbilden.

(4) Die Vielzahl bilateraler Partnerschafts­ansätze nutzen. Im Veterinärbereich verstän­digen sich in Äquivalenzabkommen der EU etwa mit den USA, Neuseeland und Kanada die Parteien darauf, ihre unterschiedlichen Standards für ein als gleich akzeptiertes Schutzziel für gesunde Lebensmittel anzu­erkennen. Bereits 13 Äquivalenzabkommen der EU erkennen bei Bioprodukten einseitig die Verfahren im Partnerland als denen der EU gleichwertig an. Bei Holzeinfuhren im Rahmen des »Forest Law Enforcement, Gover­nance and Trade«-Pro­gramms sind ebenso bilaterale Partnerschaften vorgesehen.

Der Anreiz für die Part­nerseite liegt bei all diesen Ansätzen darin, erleichterten Zugang zum vielversprechenden EU-Markt zu erhal­ten, indem umfangreiche Einzelproduktkontrollen entfallen. Diese Abkommen lie­ßen sich ausdehnen auf andere Nachhaltigkeitskriterien und weitere Produkte.

Ebenfalls auf freiwilliger Basis funktionieren die EU-Importregeln für nachwachsende Rohstoffe, die bei zu zertifizierenden Nachhaltigkeits­kriterien in eine Anrechnungsquote der EU für den Kraftverkehr ein­fließen. Diese Quote sichert die Nach­frage und damit den Preis. Palmöl wurde 2019 als Problem eingestuft, da es für in­direkte Landnutzungsänderung verantwortlich sein kann, sodass es bis 2030 aus der Anrechenbarkeit herausfällt, wogegen Haupt­lieferant Indonesien bereits bei der WTO klagt. Ange­lehnt an die Absatzidee könnte man eine »nachhaltige Sojaquote« in Erwägung ziehen, die wiederum geeig­nete Zertifizierungs­kriterien verlangt. Auch das in Deutsch­land diskutierte Tierwohllabel bietet Vorgaben für Futter­kriterien, die eben­so auf Importe angewendet werden könnten.

(5) Neben diesen gesetzlich basierten Regelungen existieren privatwirtschaftliche Ansätze auch für viele Risikoprodukte für Entwaldung: So bestehen für Soja oder Palmöl eigene Kriterien, an runden Tischen mit Stakeholdern entwickelt, mit eigenem Monitoring und eigener Zertifizierung. Diese Erfahrungen soll­ten Eingang finden in ein Lieferketten­gesetz, indem solche flexibleren branchenspezifischen Ansätze den generellen an die Seite gestellt werden.

(6) Investitionsregeln in Form von bilateralen Investitionsabkommen (BITs) mit Nachhaltigkeitsbezügen ergänzen die Handelsmaßnahmen. Sie richten sich sowohl an Staaten als auch an Unternehmen (siehe Tabelle), die beide im Fokus der explizit auf Liefer­ketten bezogenen Ansätze stehen, und soll­ten daher parallel genutzt werden: Unter­nehmen können bislang aus politi­schen Gesetzesänderungen, etwa zu mehr Nach­haltigkeit in Zielstaaten, Ansprüche auf Entschädigung wegen indirekter Ent­eig­nung einklagen. Die neueren der über 1 500 Investitionsschutzabkommen der EU und ihrer Mitglieder, beispielsweise mit Vietnam, bieten aber Spielraum dafür, dass politische Reformen im öffent­lichen Interesse wie für Umwelt- und Sozialbestimmungen nicht mehr als indirekte Enteignung verklagbar sind. Des­wegen sollten die alten Abkommen mit geringerem Spielraum ersetzt werden.

Gesamtstrategie: Flexibler Mix und Fokus auf die Partner

Landwirtschaftliche Lieferketten berühren viele unterschiedliche Nachhaltigkeits­dimensionen und spezielle Aspekte von Menschenrechten. Risiken für diese unter­scheiden sich je nach Positio­nierung von Akteuren und Ländern am Start- bzw. Endpunkt der Lieferketten. Die­s erhöht Bedarf und Spielraum dafür, jenseits von klassischen Lieferkettenansätzen Hebel aus verschiedenen Politikfeldern einzusetzen.

Die anvisierten verpflichtenden Lieferketten­regelungen decken dabei nur die Seite der Zulieferung und damit Importe in die EU ab. Hier können sie durchaus eine Lücke füllen, da sie durch die Attraktivität des Absatzmarktes EU und mithilfe der Abnehmerunternehmen einwirken können auf Zulieferregionen. Erfahrungen mit freiwilligen Lieferkettenregelungen sollten genutzt werden, gerade was die besonderen Risiken des Agrarsektors betrifft. Generell delegiert der Unternehmeransatz die Ver­antwortung für Nachhaltigkeit an private Akteure, von denen einige noch dazu räum­lich weit entfernt sind vom Erzeugungsort. Damit sind sie abhängig von der Umsetzungs­möglichkeit privater Akteure vor Ort ebenso wie vom Unterstützungswillen ein­heimischer politischer Akteure.

Darum sollten bei der Ausformulierung der Details dringend verschiedene Akteure auch aus den Zulieferregionen eingebunden werden. Nur so können die speziellen Schwierigkeiten erkannt und etwa durch entwicklungspolitische Maßnahmen beseitigt werden, sodass Nachhaltigkeit tatsächlich erzielt werden kann.

Schließlich wäre eine Gesamtstrategie aus klassischen und erweiterten Ansätzen zur Regulierung von Lieferketten flexibel genug, um auf Veränderungen in Liefer­ketten zu reagieren. Prinzi­piell kann sich die gegenwärtige Richtung der Lieferketten künftig umkehren: Heutige Zulieferer könnten zu Verarbeitern am Ende von Lieferketten mit größerer Wert­schöpfung werden – was für derzeit zulie­fernde Ent­wicklungs­länder nicht zuletzt ein Entwicklungsziel sein sollte.

Dr. agr. Bettina Rudloff ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Prof. Dr. Christine Wieck ist Leiterin des Fachgebiets »Agrar- und Ernährungspolitik« am Institut für Agrarpolitik und landwirtschaftliche Marktlehre der Universität Hohenheim in Stuttgart.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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ISSN 1611-6364