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»Kensington-Vertrag«: Deutschland und Großbritannien rücken enger zusammen

Kurz gesagt, 21.07.2025 Forschungsgebiete

Mit dem deutsch-britischen Freundschaftsvertrag verstärken Berlin und London ihre Zusammenarbeit in unsicheren Zeiten. Das Abkommen stärkt auch das E3-Format als Schaltstelle für die europäische Sicherheit, meint Nicolai von Ondarza.

Fünf Jahre nach dem britischen EU-Austritt haben Deutschland und das Vereinigte Königreich einen umfassenden Freundschaftsvertrag unterzeichnet – den sogenannten Kensington-Vertrag. Dieser stellt vor allem eine erhebliche Aufwertung der bilateralen Beziehungen dar. 

Der Vertrag baut auf einer bereits länger andauernden Normalisierung der Beziehungen nach dem Brexit auf. So entspannte das Windsor-Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich im Jahr 2023 die zuvor festgefahrenen Streitigkeiten um Nordirland. Im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine erfolgte über ad-hoc-Kooperationen eine sicherheitspolitische Annäherung. Parallele Entwicklungen auf deutsch-britischer Ebene waren seit 2021 die Einberufung eines strategischen Dialogs zwischen den Außenministerien oder die Kooperation im Energiebereich. Eine engere bilaterale Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik vereinbarten beide Seiten bereits im Oktober 2024 als »Trinity House«-Vereinbarung

Kernpunkte des Freundschaftsvertrags 

Aus dieser Genese heraus verfolgt der neue Vertrag zwei zentrale Ziele. Zum einen schafft er eine politische Struktur für tiefere bilaterale Koordination, beispielsweise durch Gipfeltreffen alle zwei Jahre. Er umfasst sechs Kooperationssäulen: diplomatische Zusammenarbeit bei geopolitischen Themen; Verteidigung; innere Sicherheit und Migration; wirtschaftliche Beziehungen, einschließlich Kooperation in Wissenschaft und Forschung; Förderung persönlicher Kontakte sowie Zusammenarbeit bei Energie- und Klimapolitik. Insbesondere in den letzten vier Bereichen haben das Windsor-Abkommen und die Beschlüsse des EU-UK-Gipfels im Mai 2025 dafür gesorgt, dass durch das entspannte Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auch mehr Spielräume für die deutsch-britischen Beziehungen entstanden sind.

Zum anderen liegt der eindeutige Schwerpunkt des Vertrags auf der außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit. Neben regelmäßigen Gipfeltreffen verpflichten sich beide Regierungen zu einer engen Abstimmung in multilateralen Foren wie der NATO, UN und G7. Die Verteidigungssäule, welche die Trinity-House-Vereinbarung integriert und erweitert, bildet den substanziellsten Teil des Vertrags. Sie beinhaltet eine strukturierte Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten – etwa bei der gemeinsamen Entwicklung einer Langstreckenrakete –, eine Koordination bei Rüstungsexporten und eine Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Ukraine. Zusätzlich zu den bestehenden NATO-Verpflichtungen enthält sie eine bilaterale Beistandsklausel. Die Verteidigungsprojekte stechen unter den in einem begleitenden Aktionsplan festgelegten »Leuchtturmprojekten« besonders konkret hervor.

Wiederbelebung der E3 als zentrale Säule europäischer Sicherheit 

Der Vertrag fördert zudem die Wiederbelebung des E3-Formats, also der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien. So findet sich im Text, was für einen bilateralen Vertrag ungewöhnlich ist, das klare Ziel, die trilaterale Zusammenarbeit zwischen Großbritannien, Deutschland und Frankreich zu intensivieren. Damit komplettiert die Vereinbarung ein europäisches Vertragsdreieck: Neben dem verteidigungspolitisch geprägten Lancaster-House-Vertrag zwischen Großbritannien und Frankreich sowie den deutsch-französischen Élysée- und Aachener Verträgen bildet der Kensington-Vertrag nun eine dritte bilaterale Verbindung.

Das E3-Format erlebt derzeit eine Renaissance als zentraler Rahmen für die europäische Sicherheit außerhalb traditioneller Institutionen. In einer Zeit geopolitischer Turbulenzen, in der die Regierung unter Trump alte Gewissheiten über die transatlantische Allianz infrage stellt, bietet das E3-Format eine stabile Plattform. So koordinierten Macron, Merz und Starmer ihre Positionen zum Israel/USA-Iran-Krieg. In Bezug auf Russland und die Ukraine wurde das Format erweitert um »Weimar Plus« (Frankreich, Deutschland, Polen, Italien und Großbritannien sowie die EU und gelegentlich NATO). Großbritannien und Frankreich führen zudem eine »Koalition der Willigen« für eine Absicherungsmission für einen möglichen Waffenstillstand in der Ukraine an. Deutschland und Großbritannien leiten nun gemeinsam das Ramstein-Format zur Koordination von Waffenlieferungen an die Ukraine, wobei Letztere von den USA übernommen haben. 

Innerhalb der komplexen europäischen Sicherheitsarchitektur sind die Flexibilität des E3-Formats und das Dreieck bilateraler Verträge zwischen Frankreich, Deutschland und Großbritannien zugleich Stärke und Schwäche, denn zur Umsetzung vieler Beschlüsse braucht es weitere Partner wie Polen sowie die Strukturen der EU und NATO. Will Deutschland das E3-Format zur zentralen Schaltstelle europäischer Sicherheit entwickeln, sollte es darauf achten, dieses eng mit den europäischen Partnern und Institutionen zu verzahnen.

Dr. Nicolai von Ondarza ist Leiter der Forschungsgruppe EU / Europa.