Europa muss seine Verteidigungsfähigkeit neu aufstellen, angesichts der Volten in Washington notfalls auch ohne die USA. Im März 2025 hat die EU eine Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht, um die Rüstungsindustrie und die rüstungspolitische Zusammenarbeit zu stärken. Durch diese Vorhaben könnte sie auch ihre Partnerschaftsstrategie neu ordnen. Frühere Brüsseler Formate zur Kooperation im Rüstungsbereich standen ausschließlich Mitgliedern von EU und Europäischem Wirtschaftsraum (EWR) offen. Das im Mai 2025 von der EU verabschiedete SAFE-Instrument sieht hingegen für die Ukraine ein Level an Integration auf diesem Sektor vor, das dem eines EU-Staates nahekommt. Mit dem Vereinigten Königreich hat die EU hier über ein Sicherheitspartnerschaftsabkommen erstmals nach dem Brexit neue Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen. Auch Ländern wie Kanada, der Türkei, Japan, Südkorea oder sogar Indien will die EU über Partnerschaftsabkommen Anknüpfungspunkte bieten. Dies könnte der Beginn einer neuen Allianzstrategie werden.
Seit die USA unter Präsident Donald Trump einen Strategiewechsel in der Ukraine-Politik vollzogen haben und direkte Verhandlungen mit Russland ohne die Europäer führen, befindet sich die europäische Sicherheitsordnung in einer Phase der Neuorientierung. Alte Gewissheiten lösen sich auf, insbesondere der feste Glaube an die amerikanische Sicherheitsgarantie. Die Europäer, so der neue Grundtenor, müssen schnellstmöglich mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen und dabei massiv in ihre Verteidigung und Rüstungsindustrie investieren.
Dabei bleibt die institutionelle Komponente dieser Neuordnung komplex, ebenso die Frage, wer genau zu »Europa« gehört. Die Nato bildet weiterhin den zentralen Rahmen für die gemeinsame Verteidigung – mit einem stärkeren Fokus auf ihrem europäischen Pfeiler –, während Frankreich und Großbritannien eine Koalition der Willigen für eine mögliche Mission in der Ukraine schmieden. Die EU indes zielt darauf ab, die rüstungsindustriellen und fiskalischen Grundlagen für eine autonome europäische Verteidigungsfähigkeit zu verbessern.
Hierzu hat die EU unter dem Titel »Readiness 2030« ein Weißbuch zur Verteidigung veröffentlicht und eine Reihe von Instrumenten auf den Weg gebracht, um die Mitgliedstaaten im Rüstungsbereich zu unterstützen und die entsprechende Zusammenarbeit zu verstärken. Dazu gehört das im Mai verabschiedete Instrument »Security Action For Europe« (SAFE), mit dem die EU 150 Milliarden Euro aufnehmen und den Mitgliedstaaten als Kredite zur Verfügung stellen will. Weitere Instrumente sind die zunächst auf vier Jahre angelegte und potentiell dauerhafte Herausnahme nationaler Verteidigungsausgaben aus den EU-Fiskalregeln, die Mobilisierung von privatem Kapital sowie Verfahren und Anreize für eine gemeinsame Rüstungsbeschaffung.
Öffnung für Partner der EU
Es ist dieser Bereich von gemeinsamer Beschaffung und gemeinsamen Investitionen in die europäische Rüstungsindustrie, für den EU-Staaten auf Vorschlag der Kommission einen neuen Umgang mit Partnern der Union in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vereinbart haben. Die EU-Kommission baut dabei auf dem Strategischen Kompass von 2022 auf, nach dem Sicherheitspartnerschaften eine der Säulen der EU-Außen- und Sicherheitspolitik bilden sollen (siehe SWP-Aktuell 1/2022).
Neu ist aber die Rüstungskomponente. Bislang spielt die EU auf diesem Politikfeld nur eine untergeordnete Rolle. Die militärische Beschaffung ist von den regulären Regeln des Binnenmarkts weitgehend ausgenommen (siehe Art. 346 AEUV). Instrumente wie der EU-Verteidigungsfonds (EDF) hatten einen Umfang, der sie für entsprechende Entscheidungen von Mitgliedstaaten wenig relevant machte. Ändern soll sich das nun mit SAFE, mit einer Plattform für gemeinsame Beschaffung und mit weiteren Initiativen.
Bei ihren bisherigen Instrumenten zur Rüstungszusammenarbeit war die EU sehr restriktiv, was die Beteiligung befreundeter Drittstaaten anging. Dabei hat sie kein übergeordnetes Regelwerk für solche Fälle, sondern jeweils leicht unterschiedliche Vorgaben etwa für die Zusammenarbeit mit der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA), die Einbindung in ausgewählte Projekte unter der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) oder die Beteiligung am EDF (siehe SWP Working Paper, Research Division EU/Europe 2/2025). So haben etwa über 20 Staaten Abkommen geschlossen, um an EU-Operationen teilzunehmen. Die USA, Kanada und perspektivisch das Vereinigte Königreich beteiligen sich am SSZ-Projekt zur militärischen Mobilität. Eine klare Grenze hatte die EU bisher jedoch gezogen: Rüstungsindustrielle Kooperationen standen bis auf wenige Ausnahmen nur EU-Mitgliedern und solchen Staaten offen, die über den EWR an den EU-Binnenmarkt angebunden sind – Letzteres betrifft insbesondere Norwegen. Das Land ist daher bisher von allen Nicht-EU-Staaten am engsten in Instrumente der Brüsseler Verteidigungspolitik eingebunden, in Teilen sogar stärker als manche EU-Staaten wie Malta, Irland oder Österreich. Dies gilt etwa für SSZ-Projekte, die Beteiligung am EDF und an EU-Operationen sowie die Assoziierung mit der EDA.
Anderen Nato-, aber Nicht-EU-Staaten wie dem Vereinigten Königreich oder auch der Türkei blieb eine Beteiligung verwehrt. Das Verteidigungsweißbuch und die SAFE-Verordnung nehmen hier eine potentielle Neuordnung der Partnerschaften vor. Zwar sind die SAFE-Kredite ausschließlich EU-Mitgliedstaaten vorbehalten. Die gemeinsame Beschaffung soll aber nicht mehr über eine reine Integrationslogik erfolgen und damit die Mitgliedschaft im Binnenmarkt voraussetzen; vielmehr soll sie ausgewählten Partner offenstehen, mit denen eine Sicherheitspartnerschaft abgeschlossen wird. Gleichzeitig soll diese Beschaffung primär (zu einem Anteil von mindestens 65 Prozent) auf europäische Rüstungsfirmen entfallen, potentiell einschließlich der Firmen aus Partnerstaaten. Parallel haben die EU-Spitzen im März 2025 begonnen, jeweils am Tag nach dem Europäischen Rat »like-minded« Partner zu konsultieren. Die nachfolgend thematisierten Länder stehen dabei im Vordergrund.
Sonderrolle für die Ukraine
Eine bemerkenswert herausgehobene Rolle nimmt zunächst die Ukraine ein. Bei SAFE wird sie – analog zu den EWR-Staaten – auf derselben Stufe behandelt wie EU-Mitglieder. Dies ist insofern erstaunlich, als die Ukraine anders als die EWR-Mitglieder nicht am EU-Binnenmarkt teilnimmt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen strebt dennoch eine enge Integration der ukrainischen Rüstungsindustrie an, die sich unter dem Druck des Krieges schnell fortentwickelt, etwa bei Drohnen und KI-Technik.
Die Sonderstellung der Ukraine geht noch weiter. So sollen EU-Mitgliedstaaten, welche SAFE-Kredite beantragen wollen, der EU-Kommission einen »Rüstungsindustrie-Investitionsplan« vorlegen. Darin sollen nicht nur die geplanten Anschaffungen benannt, sondern auch eigene Schritte zur Unterstützung der Ukraine sowie deren Beteiligung an gemeinsamer Beschaffung hervorgehoben werden (Art. 7 Abs. 2 SAFE-Verordnung).
Die 65-Prozent-Vorgabe soll dabei für all jene Firmen gelten, die in der EU, dem EWR oder der Ukraine angesiedelt sind – ohne dass Kyjiw dafür ein Partnerschaftsabkommen abschließen muss. Dies soll die Vernetzung zwischen ukrainischer und EU-europäischer Rüstungsindustrie beschleunigen, stellt aber auch ein bemerkenswertes Beispiel gradueller Integration in die EU lange vor der angestrebten Vollmitgliedschaft dar. Nicht zuletzt war der ukrainische Präsident bei den meisten Treffen des Europäischen Rates seit 2022 als Gast für einzelne Agendapunkte dabei – ob persönlich oder per Video zugeschaltet.
Neue Sicherheitspartnerschaft mit dem Vereinigten Königreich
Neue Möglichkeiten hat die EU explizit auch für das Vereinigte Königreich (UK) geschaffen. Zwar hat sich London durch den Brexit aus jeglicher institutionalisierten Kooperation mit der EU in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zurückgezogen. Schon seit der russischen Vollinvasion in der Ukraine 2022 jedoch findet eine Wiederannäherung statt; die amtierende Labour-Regierung strebte hierfür einen EU-UK-Sicherheitspakt an (siehe SWP-Aktuell 32/2024). Die bisherigen Drittstaatenregeln, mit denen Länder jenseits des EU-Binnenmarkts bei rüstungsindustrieller Kooperation klar ausgegrenzt werden, hätten die Reichweite eine solchen Sicherheitspakts aber stark beschränkt.
Die SAFE-Verordnung und das Verteidigungsweißbuch sehen nun vor, dass die gemeinsame Beschaffung und die Herkunftsmodalitäten über EU- und EWR-Mitglieder sowie die Ukraine hinaus auf »like-minded« Staaten ausgeweitet werden können, die ein Sicherheitspartnerschaftsabkommen mit der EU ausgehandelt haben. Zu diesen »like-minded« Staaten zählt die EU-Führung explizit auch das Vereinigte Königreich – und hat mit diesem im Mai 2025 auf dem ersten EU-UK-Gipfel seit dem Brexit ein Sicherheitspartnerschaftsabkommen geschlossen.
Mit diesem Abkommen werden die Weichen unter vier Aspekten neu gestellt. Erstens wird eine der Lücken des Handels- und Kooperationsabkommens geschlossen, das nach dem Brexit in einer Phase vereinbart wurde, als die Briten unter Premier Boris Johnson eine strukturelle Zusammenarbeit mit der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik noch explizit ausschlossen. Dagegen werden nun regelmäßige Formate zum Austausch zwischen der Hohen Vertreterin und dem britischen Außen- wie Verteidigungsminister geschaffen, sowie auf Arbeitsebene zwischen dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und den entsprechenden britischen Ministerien.
Zweitens legt das Abkommen – in Kombination mit der zeitgleich verhandelten SAFE-Verordnung – die Grundlage dafür, dass sich das Vereinigte Königreich an gemeinsamer Beschaffung in der EU beteiligen kann, ohne dafür im Binnenmarkt zu sein. Um dies zu verwirklichen und um festzulegen, unter welchen Konditionen britische Rüstungsunternehmen unter die 65 Prozent interner Beschaffung von SAFE fallen, ist jedoch noch eine weitere Vereinbarung nötig, über die nun verhandelt wird. Darüber hinaus enthält das Partnerschaftsabkommen – drittens – eine Reihe von Absichtsbekundungen für eine Vertiefung der EU-UK-Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Vorgesehen sind unter anderem ein Rahmenabkommen für die britische Beteiligung an zivilen und militärischen EU-Operationen, ein Abkommen zur administrativen Zusammenarbeit mit der Europäischen Verteidigungsagentur sowie die Kooperation bei militärischen Übungen bis hin zum Austausch von Personal zwischen EU und britischen Institutionen.
Viertens schließlich wurde eine breite Palette an Themen festgelegt, bei denen man die Zusammenarbeit intensivieren möchte. Dazu gehören regionale Sicherheit (wie etwa zu Ukraine, dem Westlichen Balkan, der Arktis oder dem Indo-Pazifik), die Koordination von Sanktionen, maritime Sicherheit, rüstungspolitische Initiativen, Cyber-Sicherheit, die Abstimmung in internationalen Organisationen, externe Wirtschaftssicherheit, Migration, der Nexus von Klima und Sicherheit sowie globale Gesundheit. Neben Norwegen steigt das Vereinigte Königreich damit – potentiell, wenn die Absichtserklärungen tatsächlich verfolgt werden – zum engsten Sicherheitspartner der EU auf.
Balanceakt mit der Türkei
Andere Herausforderungen stellt die Einbindung der Türkei. Auf der einen Seite verfügt das Land über die zweitgrößten Streitkräfte der Nato; es hat eine substantielle Rüstungsindustrie etwa im Bereich von Drohnen aufgebaut und unterhält bereits Rüstungsvereinbarungen mit einzelnen EU-bzw. Nato-Staaten wie Polen, Spanien oder Italien. Zudem ist die strategische Bedeutung des Landes für die Region am Schwarzen Meer, für den Südkaukasus und den Nahen Osten noch gestiegen. Auf der anderen Seite sind die Sicherheitsbeziehungen zwischen EU und Ankara wegen des Zypern-Konflikts seit 2004 de facto blockiert. Zwar hat sich die Türkei an früheren militärischen Operationen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) beteiligt, doch war sie bisher von allen rüstungspolitischen Initiativen wie der SSZ, dem EDF oder der EDA ausgeschlossen. In Regionen mit starker türkischer Präsenz tritt Ankara zudem durchaus als strategischer Rivale zu (Teilen) der EU auf, etwa im Falle Syriens. Nicht zuletzt hat sich der Trend hin zur Autokratisierung der Türkei in jüngster Zeit beschleunigt. Auffällig war hier insbesondere, dass die Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters und Erdoğan-Konkurrenten Ekrem İmamoğlu im März 2025 kurz nach der Einladung zum strategischen Austausch mit der EU erfolgte. Entsprechend vorsichtig fiel die offizielle Kritik von Brüsseler Seite aus.
Angesichts dieses nicht neuen Balanceakts ist es umso bemerkenswerter, dass sich die EU stärker dafür öffnet, Ankara sicherheitspolitisch einzubinden. Bei den Konsultationen mit »like-minded« Partnern nach Treffen des Europäischen Rates war die Türkei jeweils eingeladen. Auch beim britisch-französischen Strang der Koalition der Willigen war sie ab dem Londoner Treffen vom 2. März 2025 jeweils vertreten; öffentlich hat sie in Aussicht gestellt, sich an einer potentiellen militärischen Präsenz in der Ukraine zu beteiligen.
Die EU-Kommission hat ihrerseits mit der SAFE-Verordnung vorgeschlagen, dass sich alle Beitrittskandidaten – einschließlich der Türkei – an gemeinsamen Beschaffungsvorhaben beteiligen können. Umgekehrt zählen Rüstungsprodukte aus der Türkei und anderen Kandidatenländern aber nicht automatisch zum »europäischen« Anteil, anders als Güter aus der Ukraine. Die (wenn auch vorsichtige) Annäherung an die Türkei zeigt sich besonders im Kontrast zum Umgang mit anderen Beitrittskandidaten jenseits der Ukraine, die jeweils nicht bei den nun zweimal durchgeführten Austauschformaten nach den Europäischen Räten im März 2025 dabei waren. Dies betrifft auch die bereits der Nato beigetretenen Staaten Montenegro, Albanien und Nordmazedonien. Mit letzteren beiden hat die EU jedoch schon Sicherheitspartnerschaften geschlossen. Fragezeichen stehen auch über dem Umgang mit Georgien: Zwar wäre dessen Beitrittskandidatur rechtlich zulässig, bis 2024 hat die EU mit Georgien außerdem einen regelmäßigen Sicherheitsdialog geführt. Seitdem sich die georgische Regierung in jüngerer Zeit aber Russland zugewandt hat, ist der Beitrittsprozess de facto eingefroren und eine konkrete Einbindung unwahrscheinlich, solange sich die politischen Verhältnisse in Georgien nicht wieder ändern.
Verstärkung globaler Partnerschaften
Über die direkte EU-Nachbarschaft hinaus will die EU ebenfalls weitere Sicherheitspartnerschaften schließen. Von besonderer Bedeutung ist nunmehr Kanada, das von der Trump-Administration mit besonders hohen Zöllen belegt wurde und dem der Präsident regelmäßig droht, es zum »51. Bundesstaat« der USA zu machen. In der Folge stimmt sich die EU in Handelsfragen eng mit Kanada ab, und sie hat bereits Verhandlungen über ein Sicherheitsabkommen begonnen. Letzteres soll ausdrücklich auch eine rüstungsindustrielle Komponente enthalten, damit sich das Land an gemeinsamer Beschaffung beteiligen kann und kanadische Produkte in den »europäischen« Anteil eingerechnet werden. Anders als üblich ist Kanadas neuer Premierminister Mark Carney zu seinem ersten Auslandsbesuch nicht in die USA gereist, sondern nach Frankreich und Großbritannien. Der kommende EU-Kanada-Gipfel, den beide Seiten am Vorabend des Nato-Treffens Ende Juni 2025 planen, soll ebenfalls einen starken Fokus auf die sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit legen. Einen Sicherheitsdialog hat die EU seit 2023 auch mit dem Nato-Staat Island.
Herausgehobene globale Partner der EU sind zudem Japan und Südkorea. Mit beiden Ländern unterhält sie bereits seit längerem tiefe Freihandelsabkommen, seit Ende 2024 jeweils auch ein Sicherheitsabkommen. Für einzelne Mitgliedstaaten ist Südkorea mittlerweile zu einem wichtigen Rüstungslieferanten geworden, etwa für Polen (siehe SWP Research Paper 2/2023). Beide Länder haben die Ukraine finanziell und mit Waffenlieferungen unterstützt, auch als Signal an China mit Blick auf Taiwan. Im Verhältnis zu Australien, mit dem die EU über ein Freihandelsabkommen verhandelt, und zu Neuseeland, mit dem ein solches Abkommen seit 2024 in Kraft ist, soll ebenfalls eine sicherheitspolitische Kooperation eruiert werden.
Als potentiellen Partner hebt die EU auch Indien hervor (siehe SWP-Studie 23/2024), mit dem sie bereits in den vergangenen Jahren regelmäßig Konsultationen durchgeführt hat. Ein EU-Indien-Freihandelsabkommen wird ebenfalls angestrebt, obwohl sich die Verhandlungen hierzu komplex gestalten. Im Februar 2025 besuchte die gesamte Kommission von der Leyen das Land – als erste außereuropäische Reise der neuen Amtszeit. In Neu-Delhi wurde unter anderem vereinbart, ein mögliches Sicherheitspartnerschaftsabkommen zu prüfen. Mit Singapur will die EU einen Sicherheitsdialog schaffen.
Kernaspekte der bestehenden Sicherheitspartnerschaften
Das Interesse der EU an eigenen Sicherheitspartnerschaften ist nicht völlig neu. Schon vor dem neuen Abkommen mit dem Vereinigten Königreich hat sie 2024 eine ganze Serie davon geschlossen, und zwar (in der Reihenfolge der Unterzeichnung) mit der Republik Moldau, Norwegen, der Ukraine, Japan, Südkorea, Albanien und Nordmazedonien. Diese ersten Partnerschaftsabkommen verbindet, dass sie die gemeinsame Wertebasis betonen und ihre Bedrohungsanalyse sich auf dieselben Gefahren richtet – wie hybride Angriffe, Cyber-Attacken, internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Bedrohung internationaler Organisationen. Sie sind zwar keine gegenseitigen Beistandsabkommen. Alle sechs Vereinbarungen erwähnen aber die Beteiligung an EU-Missionen und ‑Operationen, den strukturierten Dialog zu Sicherheitsfragen und die potentielle Abstimmung in internationalen Foren. Hierfür wird jeweils auch ein institutioneller Rahmen geschaffen; dazu gehören etwa jährliche Gipfel der EU mit Japan und Südkorea sowie strategische Dialogformate auf Arbeits- und Ministerebene.
Die Unterschiede zwischen den Abkommen liegen vor allem in der Tiefe der Zusammenarbeit und einzelnen abweichenden Prioritäten. So ist, analog zur bisherigen Kooperation, das Abkommen mit Norwegen (und nunmehr das mit Großbritannien) am tiefsten und konkretesten. Ein erwartbarer Unterschied der Sicherheitspartnerschaften mit Japan und Südkorea ist, dass die betreffenden Abkommen nicht die Unterstützung der Ukraine oder die Zusammenarbeit beim Grenzschutz erwähnen, dafür aber einen größeren Fokus auf maritime Sicherheit und den Schutz von Handelswegen legen. Diese beiden Vereinbarungen enthalten auch eine Absichtserklärung für ein Abkommen über die Sicherheit von Verschlusssachen, wie es die EU mit den anderen vier Staaten bereits unterhält, ebenso wie etwa dem Vereinigten Königreich, Kanada oder den USA.
In ihrer bisherigen Form sind die Sicherheitspartnerschaftsabkommen daher vor allem symbolisch und auf eine Verstärkung der Koordination ausgerichtet; wechselseitige Beistandszusagen finden sich dagegen nicht. Vieles, wie etwa gemeinsame Übungen oder die Beteiligung an GSVP-Operationen, verbleibt zunächst auf der Ebene von Absichtserklärungen. Was die Rüstungsindustrie angeht, werden jeweils nur Konsultationen in Aussicht gestellt; eine Regelung zur Beteiligung an GSVP-Instrumenten enthalten die bisherigen Abkommen aber noch nicht. Auf Grundlage von SAFE wäre nun bei den betreffenden Staaten denkbar, sie in die gemeinsame Beschaffung einzubinden. Um umfangreicher von dem neuen Instrument profitieren und mit der eigenen Rüstungsindustrie zu den mindestens 65 Prozent Eigenanteil zählen zu können, müssten die Staaten jedoch – wie auch das Vereinigte Königreich oder die Beitrittskandidaten – noch eine separate Vereinbarung mit der EU zu SAFE schließen.
Partnerschaften auf drei Ebenen
Perspektivisch will die EU mit ihren Initiativen in der Verteidigungs- und Rüstungspolitik nicht nur die europäische Wehrhaftigkeit und Industrie stärken, sondern auch ein neues Netz an Partnerschaften schaffen. Folgt man der Liste bestehender und potentieller Partner, so lassen sich auf drei Ebenen die Konturen einer EU-Allianzstrategie erkennen.
Erstens werden wie bisher die Mitglieder des EWR am engsten ein- und angebunden. Dies betrifft insbesondere Norwegen, das in weiten Teilen stärker in die GSVP-Strukturen integriert ist als manche EU-Staaten. Neu ist aber, dass bei SAFE die Ukraine größtenteils wie ein EU-Mitglied behandelt wird und EU-Staaten, die das Instrument nutzen, von einer Zusammenarbeit mit Kyjiw besonders profitieren.
Auf zweiter Ebene stehen »like-minded« Nato-Partner jenseits der EU, mit denen die Brüsseler Führung nun schon mehrmals Konsultationen jeweils nach dem Europäischen Rat durchgeführt hat. Von besonderer Bedeutung ist hier das Vereinigte Königreich. Das Sicherheitspartnerschaftsabkommen mit London eröffnet nun die Aussicht auf eine verteidigungspolitische und rüstungsindustrielle Zusammenarbeit, die auch eine britische Beteiligung an der gemeinsamen Beschaffung umfassen könnte – Details, einschließlich die Modalitäten der SAFE-Beteiligung, müssen aber noch ausgehandelt werden. Das wird von beiden Seiten erfordern, alte Brexit-Traumata zu überwinden. Auch Kanada wendet sich, angesichts konstanter Drohungen aus Washington, der EU und den Europäern zu. Das Verhältnis mit der Türkei bleibt kompliziert, könnte aber ebenfalls in eine Sicherheitspartnerschaft münden.
Auf der dritten Ebene angesiedelt sind globale Partner. Unter diesen hat die EU bereits mit Japan und Südkorea Sicherheitspartnerschaften abgeschlossen, die aber bisher vor allem Absichtserklärungen, Abstimmungsformate und diplomatische Freundlichkeiten beinhalten. Weitere potentielle Partner sind Australien und Neuseeland, ebenso Indien und Singapur.
Mit eigener Attraktivität zum Erfolg führen
Wichtigste Voraussetzung für den Erfolg dieser Allianzstrategie ist zunächst, dass die EU selbst attraktiv wird. Nur eine EU, in der umfassend in Sicherheit und Verteidigung investiert wird und in der solche Investitionen großteils der eigenen Industrie und derjenigen ausgewählter Partner zufließen, kann wertvolle Sicherheitsabkommen anbieten. SAFE braucht eine breitflächige Nutzung seitens der Mitgliedstaaten, um da erfolgreich zu sein, wo bisherige EU-Initiativen gescheitert sind: beim Aufbau von gemeinsamer Beschaffung, von Finanzierung und Zusammenarbeit bei der Wiederbewaffnung Europas. Die neue Bundesregierung sollte hier mit gutem Beispiel voranschreiten. Dann kann die EU mit aussichtsreichen Angeboten auf die Partner zugehen.
Klug ausgestaltete Partnerschaften der EU sollten dabei die komplexe europäische Sicherheitsarchitektur vereinfachen oder zumindest nicht weiter verkomplizieren. Inkompatibilitäten mit Nato-Initiativen sind deshalb strikt zu vermeiden. Umgekehrt können EU-Projekte durch eine enge Anbindung von Nato-Partnern den europäischen Pfeiler der Allianz stärken; dies betrifft Länder wie das Vereinigte Königreich, Norwegen, Kanada oder (mit Augenmaß) auch die Türkei.
Um eine echte Allianzstrategie zu verwirklichen, sollten Deutschland und die EU perspektivisch daran arbeiten, die Sicherheitspartnerschaften wo möglich mit breiterer Kooperation zu verknüpfen – in der Handelspolitik, bei der Verteidigung der regelbasierten Ordnung und im geostrategischen Wettbewerb. Mit wichtigen der genannten Partner verfügt die EU bereits über weitreichende Handelsverträge, von der EWR-Mitgliedschaft Norwegens über die Assoziationsabkommen mit der Ukraine sowie weiteren Beitrittskandidaten und das Handels- und Kooperationsabkommen mit Großbritannien bis hin zu den Freihandelsabkommen mit Kanada, Japan und Südkorea. Die aggressive und unberechenbare Zollpolitik der US-Administration erfordert neue Partnerschaften, die mit Sicherheitskooperationen gekoppelt werden könnten. Dafür gäbe es eine Reihe an Optionen. So ließen sich mit Partnern etwa Konsultationsmechanismen für den Fall von – wirtschaftlichen oder militärischen – Zwängen durch Dritte einrichten, Dialoge zur militärischen Sicherheit mit solchen zur wirtschaftlichen zusammenlegen oder gemeinsame Maßnahmen zu sicherheitsrelevanten Themen vereinbaren, wie Zugang zu kritischen Rohstoffen oder Schutz von Lieferketten und kritischer Infrastruktur. Dies erfordert auch innerhalb der EU mehr Synergien zwischen wirtschaftlicher und militärischer Sicherheit, insbesondere durch Koordination innerhalb der Kommission und mit dem EAD.
Wollen die Europäer verhindern, dass sie in einer zunehmend von Interessensphären geprägten Welt zum Spielball fremder Mächte werden, müssen sie die Kraft aufbringen, ein eigener Pol zu werden. Nicht alle Schritte dafür müssen im EU-Rahmen erfolgen, wie etwa die britisch-französische Initiative zur Unterstützung der Ukraine zeigt. Doch attraktive Sicherheitspartnerschaften der EU, aufbauend auf gemeinsamen Investitionen und einer Stärkung der eigenen Rüstungsindustrie sowie gekoppelt an den Ausbau von Handelsbeziehungen, können als wirkmächtiges Instrument dienen. Damit sollte es auch möglich sein, dass die EU und der europäische Pfeiler der Nato in Europas Sicherheitsarchitektur nicht gegeneinander ausgespielt werden. Anzustreben ist vielmehr, dass die EU ihre Stärke im Binnenmarkt mit effektiven Sicherheitspartnerschaften verbindet.
Dr. Nicolai von Ondarza ist Leiter der Forschungsgruppe EU / Europa.
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DOI: 10.18449/2025A28