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G7 & Europa: Multilaterale Politik fängt zuhause an

Um der Anfechtung des Multilateralismus durch die USA etwas entgegenzusetzen, muss die EU qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik durchsetzen. Gelingt dies nicht, muss ein Kerneuropa inklusive Großbritannien außerhalb der Verträge agieren, meint Annegret Bendiek.

Kurz gesagt, 05.06.2018 Forschungsgebiete

Um der Anfechtung des Multilateralismus durch die USA etwas entgegenzusetzen, muss die EU qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik durchsetzen. Gelingt dies nicht, muss ein Kerneuropa inklusive Großbritannien außerhalb der Verträge agieren, meint Annegret Bendiek.

Die Treffen der Gruppe der Sieben (G7) wie das im kanadischen La Malbaie am kommenden Wochenende sollen den Staats- und Regierungschefs die Möglichkeit bieten, sich zu wichtigen Fragen im gemeinsamen Interesse auszutauschen und als Wertegemeinschaft Politiken zu formulieren, die zu Frieden, Sicherheit und selbstbestimmtem Leben weltweit beitragen. In der Praxis erfüllt sich dieser hohe Anspruch eher selten. Hierfür findet sich eine ganze Reihe von Gründen, die schon seit Jahren gelten: Die grundlegend unterschiedlichen strategischen Kulturen dies- und jenseits des Atlantiks, die Dominanz innenpolitischer Erwägungen und die Schwierigkeit der EU-Mitgliedstaaten, sich untereinander zu einigen. Das Problem verschärft sich aktuell durch die Politik Donald Trumps, der den Multilateralismus grundsätzlich infrage stellt. Die Europäische Union (EU) müsste dem etwas entgegensetzen, doch davon ist sie weit entfernt.

 

Trump reißt das Aufbauwerk von Dekaden ein

»America first« meint laut Trump angeblich nicht »America alone«. Gleichwohl liegen multilaterale Gesprächsforen wie die G7 derzeit offenbar nicht im Interesse der zunehmend nationalistisch ausgerichteten US-Politik. Zahlreiche Beispiele belegen den destruktiven Einfluss der USA auf multilaterale Foren: Die USA kündigten das Pariser Klima-Abkommen und ihre Mitgliedschaft in der UNESCO auf, traten einseitig aus dem Atomabkommen mit dem Iran und der Transpazifischen Partnerschaft aus, schüren Handelskonflikte und missachten in diesem Zuge die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Wohin man auch schaut, überall irritieren die USA die eingespielten Praktiken der multilateralen Politik und reißen das Aufbauwerk von Dekaden ein. Der Multilateralismus scheint dem US-Präsidenten insgesamt lästig zu sein und wird überall dort abgeräumt, wo er den kurzfristigen unilateralen Interessen entgegenzustehen scheint. Rücksichtnahme auf Verbündete spielt keine Rolle mehr, langfristige prinzipienbasierte Politik wird durch kurzfristige »Deals« abgelöst. Auch befördert Trump Desintegration, indem er den Brexit als gute Idee bezeichnet oder die aktuellen Spannungen zwischen Ost- und Westeuropa über Fragen des Demokratieverständnisses und des Verhältnisses zu Russland noch weiter befeuert. Die G7 ist gespalten: die USA auf der einen, die übrigen sechs Staaten auf der anderen Seite.

Die EU hat hierauf keine entschiedenen Antworten, weil sie im Umgang mit den USA keine einheitliche Strategie verfolgt. Zwar gibt es mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron jemanden, der eine außen- und sicherheitspolitische Vision für die EU hat. Allerdings beißt er damit in Berlin auf Granit, wo die politischen Beharrungskräfte stark und politische Mehrheiten für große integrationspolitische Projekte nicht zu gewinnen sind. Auch die Einlassungen der Kanzlerin im jüngsten Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung lassen keine Bereitschaft zu großen Integrationsschritten erwarten. Erschwerend kommt der Zulauf zu populistischen Parteien in zahlreichen EU-Ländern hinzu, der für die nächsten Jahre wenig Besserung erwarten lässt. Und schließlich ist auch aus Brüssel derzeit wenig Konstruktives zu erwarten. Das institutionelle Korsett der EU-27 ist in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nicht nur eng wie eine Zwangsjacke, sondern weist innerhalb der Verträge auch kaum Entwicklungsperspektiven auf. Während viele Europapolitiker für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der GASP plädieren, hadert Berlin noch. So droht dem EU-Gipfel Ende Juni ein integrationspolitischer Leerlauf.

 

Es braucht den Gänseflug der integrationswilligen Staaten

Auf dieser Grundlage wird die EU kein nennenswertes Gegenwicht zu den zunehmend isolationistischen USA entwickeln können und weiter hilflos zuschauen müssen, wie die globale Nachkriegsordnung Stück für Stück demontiert wird. Hier gilt es auf die Notbremse zu treten: Integrationswillige EU-Staaten, die auch in der G7 vertreten sind, sollten wie in einem Gänseflug vorangehen und sich für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der GASP stark machen – allen voran Deutschland, das laut Merkel ein nach außen und innen handlungsfähiges Europa anstrebt. Ein angemessenes Budget im neuen Mehrjährigen Finanzrahmen der EU zur Finanzierung der gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Vorhaben wird die GASP flankieren müssen. Die Beteiligung von verbündeten Drittstaaten an der GASP wird insbesondere dann noch wichtiger werden, wenn Großbritannien nicht mehr der EU angehört. Sollten qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der GASP nicht durchsetzbar sein, ist ein Kerneuropa inklusive Großbritannien außerhalb der Verträge unerlässlich für die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Europas.

Den USA etwas Gewichtiges entgegensetzen bedeutet womöglich, auch international Koalitionen der Willigen zu schließen, die auf der Grundlage gemeinsamer Werte bereit für multilaterale Lösungen sind. Ein G7-Gipfel wird, wie andere tradierte Formate der multilateralen Politik, hierfür nicht mehr der richtige Ort sein: Es ist zu erwarten, dass die USA im Zuge ihres Isolationskurses jede inhaltlich gehaltvolle Position im G7-Kommuniqué blockieren. Vielleicht aber gehören Kommuniqués ohnehin einer vergangenen Zeit der Großmachtpolitik an, in der es wichtig war, welcher Staat sich gegen welchen durchsetzt. Im 21. Jahrhundert, da die Herausforderungen global vernetzter sind denn je – die Digitalisierung ist hier nur ein Beispiel unter vielen – müssen Staaten flexibel dort multilateral handeln, wo sich etwas bewegen lässt. Es kommt auf das Ergebnis an, nicht auf die Form.

Dieser Text ist auch bei Zeit Online erschienen.