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Das Verfassungsreferendum in Tschetschenien

Arbeitspapier 2003/ Nr.04, 15.03.2003, 10 Seiten

1. Status quo: Das Provisorium der Kadyrow-Verwaltung

Tschetschenien befindet sich derzeit in einem verfassungslosen politischen Zustand - es sei denn, man sieht die im März 1992 vom Parlament verabschiedete »Verfassung der tschetschenischen Republik Itschkerija« mit ihren Änderungen von 1996 und 1997 (Einführung von Elementen der »islamischen Republik«) als rechtsgültig an. Die auf einem Dekret des russischen Präsidenten vom Juni 2000 basierende Verwaltung widerspricht der Verfassung der Russischen Föderation. Es existieren kein von der Bevölkerung des »Föderationssubjekts« gewähltes Regierungsoberhaupt, keine Legislative, keine Selbstverwaltungsorgane. Es besteht stattdessen ein Statthalterregime unter dem per Präsidentendekret eingesetzten Verwaltungsleiter Kadyrow, dem ehemaligen Mufti der Republik, der sich mit den Separatisten überworfen hatte und auf die Seite Moskaus übergetreten war. In der von russischen Streitkräften und tschetschenischen Gewaltakteuren malträtierten Bevölkerung ist das Ansehen dieser »Regierung« gering. Bei Umfragen über einen zukünftigen Präsidenten der Republik rangierten Kadyrow und andere Vertreter dieser Exekutive an unterster Stelle, weit hinter Namen aus der tschetschenischen Diaspora in Rußland (Ruslan Chasbulatow, Aslan Aslachanow u.a.), dem 1997 gewählten Präsidenten Maschadow oder dem ehemaligen inguschischen Präsidenten Auschew.

Diese Verwaltung ist nicht transparent, korrupt und in sich zerstritten, wie in den letzten Wochen die Auseinandersetzungen um die Ablösung des erst vor wenigen Monaten eingesetzten Ministerpräsidenten Babitsch zeigten. FSB-Stellen teilten kürzlich mit, 700 Millionen Rubel (20 Mio. Euro) Wiederaufbauhilfe für das zerstörte Land seien veruntreut worden. Ein Teil der Gelder verschwindet in den Taschen korrupter Beamter, ein Teil wird sogar an die Rebellen transferiert, ein weiterer durch überhöhte Rechnungen für Wiederaufbauprojekte verschlungen. Die Hälfte der Gelder erreicht Tschetschenien erst gar nicht, sondern versickert bereits in Moskau. Hinzu kommt, daß sich die Verwaltung nur schwerlich gegen die Willkür der Militärs durchsetzen konnte. Einzelnen Mitgliedern der Kadyrow-Verwaltung wird allerdings von dem Menschenrechtsaktivisten Kowaljow bescheinigt, sich für ihre Landsleute gegen die Willkür der Streitkräfte eingesetzt zu haben.