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Das Verfassungsreferendum in Tschetschenien

Arbeitspapier 2003/ Nr.04, 15.03.2003, 10 Seiten

2. Kein Ausweg aus der Gewalt

Das Verwaltungsprovisorium soll nun möglichst noch in diesem Jahr durch eine legitimierte, auf einer neuen Republikverfassung beruhenden Regierung mit einem gewählten Präsidenten an der Spitze ersetzt werden. Dreh-und Angelpunkt des Vorhabens ist die Ausklammerung des bewaffneten Konfliktgegners aus einer »politischen Lösung«. »Die Annahme einer Verfassung Tschetscheniens wird endgültig die Illegitimität des so genannten Präsidenten Itschkeriens Maschadow erhärten« (S. Jastrschembskij). Nach dem Moskauer Geiseldrama vom Oktober 2002 schloß der Kreml Friedensverhandlungen mit dem - in sich freilich stark fragmentierten - Lager der kämpfenden Rebellen aus. Auch die letzten punktuellen Kontakte zur Untergrundregierung Maschadows, die hinter den Kulissen noch aufrechterhalten worden waren, wurden auf Eis gelegt. Den wichtigsten Kontaktmann der Gegenseite, Ahmad Sakajew, stempelte der Kreml zum Terroristen ab und ließ ihn per Haftbefehl im Ausland verfolgen. Auch der Anfang Februar 2003 von Maschadow zu seinem Repräsentanten in Rußland ernannte Salambek Maigow, ein Vertreter der in Moskau lebenden tschetschenischen Intelligenzia mit Verbindungen zu politischen Kreisen in der Hauptstadt, wurde zunächst als Verhandlungspartner ausgeschlossen:Man führe keine Verhandlungen mit einem Gesandten »eines nicht existenten Präsidenten eines nicht existenten Staats«.

Da das Referendum als Alternative zu Verhandlungen mit den bewaffneten Konfliktgegnern angelegt ist, werden die Kampfhandlungen auch nach der Annahme einer Verfassung weiter gehen, möglicherweise im Umfeld des Referendums sogar zunehmen. Davon gehen nicht nur die meisten politischen Kommentare aus, sondern auch die in Tschetschenien stationierten Soldaten. »Unter den Soldaten, mit denen ich sprechen konnte, glaubte nicht einer daran, daß die Annahme der tschetschenischen Verfassung zu einem Ende der Kampfhandlungen führen würde«, berichtet ein Reporter der Izvestija aus Tschetschenien. Daß von Normalisierung im Sinne einer merklichen Reduktion von Gewalt und Unsicherheit nicht die Rede sein kann, gab selbst der Berater des Präsidenten in Fragen nationaler Sicherheit, Wladimir Ruschailo, zu: Die kombinierten Gewaltstrukturen (Armee, Innenministerium, FSB) hätten bislang den bewaffneten Widerstand nicht brechen können. Anfang März wurde in Argun ein Anschlag auf den Verwaltungsleiter Kadyrow unternommen, bei dem angeblich drei Sicherheitsbeamte und einer der Attentäter getötet wurden. Je näher der Termin für das Verfassungsreferendum rückt, umso mehr erwecken die Behörden in Tschetschenien und die Regierung in Moskau den Eindruck, die Situation unter Kontrolle zu haben: Die Lage sei bereits so weit stabilisiert, daß man mit dem Rückzug russischer Truppenteile beginnen könne. In Kürze sollen 1270 Soldaten und 200 Einheiten Militärtechnik abgezogen werden. Solche Truppenreduktion wurde allerdings seit 2001 wiederholt angekündigt, aber kaum implementiert. Zur Unterstreichung der angeblichen Normalität ordnete Präsident Putin an, die Dutzenden Militärsperren in Grosny auf einige wenige an den Ein- und Ausgängen der zerbombten Stadt zu reduzieren.