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Das Verfassungsreferendum in Tschetschenien

Arbeitspapier 2003/ Nr.04, 15.03.2003, 10 Seiten

7. Reaktionen in Europa

Erste Erwähnungen des Verfassungsreferendums als »politische Lösung« des Tschetschenienkonflikts durch Moskau erhielten Beifall von westlicher Seite. So sichtete Bundeskanzler Schröder nach einem Treffen mit dem russischen Präsidenten in Oslo im November 2002 in dem Verfassungsprozeß »gute Ansätze, die Unterstützung verdienen«. Der Ausschuß für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Bundestags äußerte dagegen in einer am 31.Januar 2003 einstimmig verabschiedeten Erklärung »tiefe Besorgnis« über die anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, für die alle Konfliktparteien verantwortlich seien, und forderte die deutsche Regierung auf, sich gegenüber Rußland für eine tragfähige politische Lösung unter Einbeziehung authentischer tschetschenischer Repräsentanten einzusetzen. Die französische Regierung hat ihre einstmals scharfe Kritik am militärischen Vorgehen Rußlands in Tschetschenien seit längerem reduziert. Im Februar 2000 war Paris noch ein Zentrum europäischen Protests gegen den Krieg im Nordkaukasus. Politische Persönlichkeiten wie Kulturminister Jack Lang machten sich damals für ein Manifest gegen den Krieg stark. Beim Treffen mit Präsident Putin im Elysée-Palast am 10.Februar 2003 zeigte sich ein anderes Bild. Das Thema Tschetschenien soll den Schulterschluß zwischen Paris, Berlin und Moskau in der Irak-Frage nicht stören. Immerhin sprach Präsident Chirac seinen russischen Kollegen auf das Thema noch an: »Dieser Konflikt, für den die Zivilbevölkerung einen hohen Preis zahlt, kann nicht mit militärischen Methoden gelöst werden. Frankreich hofft, daß Ihr Plan eines Verfassungsreferendums ein erster Schritt sein wird, der den Beginn einer politischen Entwicklung zur Rückkehr zum Frieden erlaubt«.

Im Europarat wurde noch am stärksten Skepsis gegenüber einem forcierten und übereilten Referendum geäußert. Eine Delegation, bestehend aus Lord Frank Judd, Rudolf Bindig und Tadeusz Iwinski, hatte sich am 20. bis 24.Januar 2003 nach Moskau und Grosny begeben und dem Europarat einen Bericht vorgelegt, der das Vorhaben ins rechte Licht rückte: Eine demokratische Abstimmung sei bei der gegenwärtigen Sicherheitslage nicht vorstellbar. Aufgrund dieser Einschätzung empfahl Lord Judd der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, sich für eine Verschiebung des Referendums einzusetzen. Der Leiter der russischen Delegation und außenpolitische Sprecher der Staatsduma, Dmitrij Rogosin, drohte daraufhin, Rußland werde seine Mitarbeit in der Arbeitsgruppe zwischen der Parlamentarischen Versammlung und der Duma aufkündigen, sollte diese Empfehlung angenommen werden. Tatsächlich nahm die Parlamentarische Versammlung die Judd-Empfehlung nicht in ihre Resolution auf, sondern beschränkte sich darauf, Skepsis gegenüber der Durchführung des Referendums zum vorgesehen Zeitpunkt zu äußern. Am 5. Februar einigten sich Europarat und OSZE darauf, in einer gemeinsamen Delegation die Lage in Tschetschenien dahin gehend zu überprüfen, ob eine internationale Beobachtergruppe zur Abstimmung am 23. März entsendet werden kann. Doch Äußerungen des Menschenrechtskommissars Alvaro Gil Robles, die das Referendum als möglichen Ausweg aus dem Kriegszustand darstellten,.wurden in Moskau bereits als präjudizierend aufgefaßt. Die Izvestija stellte sie am 17.Februar als europäisches Votum zugunsten des Referendums dar. Bislang sind Einladungen zur Beobachtung des Referendums an OSZE, Europarat, GUS, arabische Liga und die Organisation der Islamischen Konferenz ergangen. Ambivalente Äußerungen internationaler Delegationen - man begrüßt die Absicht politischer Konfliktlösung, äußert aber Bedenken an dem Umständen der Durchführung des Referendums - werden in den staatsabhängigen Medien Rußlands durchweg als Affirmation präsentiert.