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Erfolg in letzter Minute: Indiens G20-Präsidentschaft

Kurz gesagt, 13.09.2023 Forschungsgebiete

Die Aufnahme der Afrikanischen Union als ständiges Mitglied und die Einigung auf eine Abschlusserklärung auf dem G20-Gipfel sind wichtige Erfolge für Indiens Premier Modi. Ob sich das Land damit als Führungsmacht des Globalen Südens etablieren kann, bleibt abzuwarten, meinen Christian Wagner und Lars Brozus.

Die gemeinsame Abschlusserklärung ist angesichts der geopolitischen Spannungen ein bleibender Erfolg der indischen G20-Präsidentschaft. Damit hatten im Vorfeld nur wenige Beobachter gerechnet. Alle vorangegangenen G20-Ministertreffen in diesem Jahr waren trotz inhaltlicher Gemeinsamkeiten ohne Abschlusserklärung geblieben, da sich die Teilnehmer nie auf eine Formulierung zum Ukrainekrieg verständigen konnte. In anderer Hinsicht war die selbsterklärte »Brückenmacht« Indien sogar noch erfolgreicher: Die Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) in die dann G21 ist ein wichtiger Schritt der Annäherung der mächtigen G20-Nationen an den Globalen Süden.

Nationale und internationale Interessen Indiens

Indiens G20-Präsidentschaft verfolgte ein doppeltes Ziel. Auf der internationalen Bühne wollte Premierminister Narendra Modi die Anliegen des Globalen Südens in der G20 stärker thematisieren. Damit wollte er zugleich Indiens Anspruch als Führungsmacht in dieser Staatengruppe unterstreichen – auch und gerade in der Konkurrenz zu China. Im nationalen Rahmen sollte die Präsidentschaft Modi als führenden Staatsmann präsentieren, der auf Augenhöhe mit den mächtigen Staats- und Regierungschefs dieser Welt agiert.

Der erste Aspekt prägte die wichtigsten Sachthemen der diesjährigen G20-Agenda. Indien forcierte Anliegen des Globalen Südens wie Schuldenerlass, eine Stärkung multilateraler Entwicklungsbanken und eine wirksamere Regulierung von Kryptowährungen. Weitere Schwerpunkte waren inklusives Wachstum, die beschleunigte Umsetzung der Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) im Vorfeld des anstehenden SDG-Gipfels der Vereinten Nationen, technologische Transformation und digitale öffentliche Infrastruktur sowie ein stärkerer Fokus auf Frauen im Entwicklungsprozess.

Angesichts der gewachsenen globalen Bedeutung Indiens und der damit verbundenen Anerkennung Modis als führender Staatsmann war die Präsidentschaft innenpolitisch eine willkommene Unterstützung für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr. So fanden mehr als 200 Veranstaltungen zu G20 in 60 indischen Städten statt, die das neue Renommee im Land verbreiteten. Die G20-Präsidentschaft hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass 70 Prozent der Befragten einer Pew-Umfrage in Indien der Meinung sind, ihr Land sei in letzter Zeit international einflussreicher geworden. Diese Einschätzung teilen außerhalb Indiens allerdings nur 28 Prozent der Befragten. Bei den G20-Sitzungen in Neu-Delhi bezeichnete sich Indien selbst als »Bharat« und verwies damit auf die hindu-nationalistische Vision des Landes, wie sie von der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) propagiert wird. Demgegenüber repräsentiert »Indien« die säkulare Vision, den sich zugleich die größten Oppositionsparteien als Namen ihres Bündnisses I.N.D.I.A. (India National Development Inclusive Alliance) gegeben haben. Diese gegensätzlichen Vorstellungen über die künftige Ausrichtung des Landes werden im Wahlkampf des kommenden Jahres eine zentrale Rolle spielen.

Treffen im Schatten globaler Konflikte

Alles bestens also mit der indischen Präsidentschaft? Diese Wertung wäre verfrüht. Denn es zeigten sich auch Gegensätze zwischen Nord und Süd. Die Forderung einiger Industriestaaten nach einer vorzeitigen Reduktion der CO2-Emissionen um 60 Prozent von 2019 bis 2035 fand wenig Gegenliebe bei Indien und anderen Staaten des Globalen Südens. Die Frage der finanziellen Unterstützung der Klimatransformation im Globalen Süden scheiterte am Widerstand der Industriestaaten. Differenzen gab es auch bei der Frage der finanziellen Unterstützung durch die Industriestaaten und bei der Frage des Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Energie. Dennoch gelang Indien mit der Gründung einer neuen Allianz für Biokraftstoffe im Energiebereich ein Erfolg.

Noch gravierender: Die Gräben zwischen dem Aggressor Russland und China einerseits und dem »politischen Westen« in der G20 (G7-Staaten, Australien, Südkorea und EU) andererseits haben sich seit dem vergangenen G20-Gipfel in Indonesien deutlich vertieft.

Deutlich wurde in Neu-Delhi indes auch, wie sehr inzwischen die Dynamiken innerhalb eines Konfliktdreiecks die internationale Politik prägen. Eine Spitze dieses Dreiecks bildet die systemische Konkurrenz zwischen den USA und China. Die Rivalität zwischen der etablierten Führungsmacht einerseits und dem aufstrebenden Konkurrenten andererseits wird von vielen Beobachterinnen und Beobachtern als die prägende Konfliktlinie des 21. Jahrhunderts gedeutet.

Als zweite Spitze des Dreiecks hat sich die Konfrontation über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine herauskristallisiert. Hier steht der politische Westen Russland und China gegenüber, beide Lager werben um die Unterstützung der sogenannten Middle Ground Powers.

Hinzu kommt als dritte Konfliktdimension die Rivalität zwischen China und Indien um die Führungsrolle im Globalen Süden. Ob Indien sich mit den Erfolgen als Führungsmacht des Globalen Südens etablieren kann, bleibt angesichts der Konkurrenz durch China offen. Dass der chinesische Präsident Xi Jinping erstmals seit seinem Amtsantritt nicht an einem G20-Gipfel teilnahm, war ein diplomatischer Affront gegenüber Indien. Nach dem erfolglosen Treffen zwischen Modi und Xi am Rande des BRICS-Gipfels in Johannesburg ist dies ein weiterer Rückschlag in den bilateralen Beziehungen. Die massive militärische Aufrüstung entlang der ungeklärten Grenze im Himalaya seit 2020 bleibt damit einer der zentralen Hotspots im Indo-Pazifik.

Wie sehr Indien mittlerweile als Partner vom Westen als Gegengewicht zu China umworben wird, verdeutlicht zudem die im Rahmen des Gipfels vorgestellte neue Konnektivitätsinitiative IMEC (India-Middle East-Europe Economic Corridor). Sie wird von den Initiatoren USA, Indien, EU, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Italien, Deutschland und Frankreich als Alternative zur chinesischen Seidenstraßeninitiative verstanden. Sofern dieses neue Projekt die engere Vernetzung Indiens mit dem Mittleren Osten und Europa vorantreibt, könnte sich daraus langfristig ein größerer geopolitischer Einfluss für Neu-Delhi ergeben. Für Indien wäre dies ein nachhaltiger Erfolg der G20-Präsidentschaft.