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Regierungen in Laeken
Die Regierungen in Laeken
Die erste Phase ist mit Laeken zu Ende gegangen. Deutlich wird, daß die Regierungen bei allem Wagemut im Großen ihr Bestes getan haben, im Kleineren dem Spielraum des Konvents Grenzen zu setzen. Wichtige Aspekte schienen durch vorangegangene Ratsbeschlüsse bereits ein Stück weit vorgeklärt. So für die Zusammensetzung des Konvents: Jedes nationale Parlament entsendet zwei Vertreter, das Europäische Parlament sechzehn, macht für die Fünfzehn zusammen sechsundvierzig Parlamentarier. Hinzukommen sollte ursprünglich (nur) je ein Regierungvertreter und ein Vertreter der Kommission, sowie ein Präsident, also siebzehn Nichtparlamentarier. Der Abschluß der Konventsarbeit war in der Sicht der belgischen Präsidentschaft für den Europäischen Rat von Juni 2003 vorgesehen, also nur durch die Sommerpause vom Zusammentritt der Regierungskonferenz von 2004 entfernt.
Das Europäische Parlament hatte zum Präsidenten und Präsidium deutliche Wünsche geäußert, die von den Europaausschüssen des deutschen Bundestages und der französischen Assemblée Nationale am 10.12.2001 noch einmal unterstrichen wurden. Danach sollte der Konvent den vom Europäischen Rat benannten Präsidenten bestätigen. Das Präsidium sollte sich aus Konventsmitgliedern zusammensetzen und einen Vertreter jeder dort vertretenen Gruppe enthalten, also einen nationalen und einen europäischen Parlamentarier, einen Regierungs- und einem Kommissionsvertreter. Der Beitritt von Kandidatenländern sollte den Anteil der Europaabgeordneten am Konvent nicht verändern. Abschluß der Konventsarbeit und Zusammentritt der Regierungskonferenz von 2004 sollten möglichst zeitnah beieinander liegen, damit das vom Konvent ausgehende Momentum nicht zerredet würde. Insgesamt hätten die Parlamentarier in diesem Konvent eine starke Position gehalten.
Der Europäische Rat von Laeken hat die Gewichte deutlich zugunsten der Regierungen verschoben und bei diesem Bemühen ärgerliche handwerkliche Fehler gemacht. Einmal hat er zusätzlich zur Grundzahl der Konventsmitglieder nicht nur einen Präsidenten, den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing, sondern noch zwei Vizepräsidenten ernannt, die wie jener hohe Regierungsämter innehatten: die ehemaligen italienischen und belgischen Ministerpräsidenten Giuliano Amato und Jean-Luc Dehaene. Interessanterweise hat er aus diesen, zuvor „Regierungsvertretern“, in Laeken „Vertreter der Staats- und Regierungschefs“ gemacht. Dabei hat er allerdings keine eindeutige Entscheidung erreicht, ob Belgien und Italien wegen der zusätzlichen Vertretung in der Präsidentschaft auf ihre ‚normalen‘ „Vertreter der Staats- und Regierungschefs“ verzichten sollten. Ein zweiter Kommissionsvertreter tritt hinzu. Außerdem hat der Europäische Rat ein zwölfköpfiges Präsidium bestimmt und so zusammengesetzt, daß der Konvent selbst dort nur noch eine Minderheit von vier Parlamentariern benennen kann - zwei nationale, zwei aus dem Europäischen Parlament - Ihnen gegenüber sitzen der Präsident, die Vizepräsidenten, die beiden Kommissionsvertreter und schließlich noch drei weitere Vertreter von Staats- und Regierungschefs (aus allen Hauptstädten die während der Arbeitsdauer die Ratspräsidentschaft innehaben).
Es sei allerdings angemerkt, daß sowohl der so ins Präsidium gelangte Grieche wie auch die Spanierin gleichzeitig Mitglieder des Europäischen Parlaments und insofern in mindestens zwei Richtungen zur Loyalität verpflichtet sind. Das letztere gilt auch für den Vertreter des luxemburgischen Regierungschefs, Jacques Santer. Zwar sagt der Europäische Rat in seiner Erklärung von Laeken, daß der Konvent auf seiner ersten Sitzung sein Präsidium benennen und eine Geschäftsordnung annehmen werde. Angesichts seiner Vorklärungen ist das aber eine ganz irreführende Beschönigung.
Ferner greift Laeken auch in die Arbeitsorganisation des Konvents ein. Angesichts dieser Lage durfte man sich nicht wundern, wenn die Parlamentariermehrheit im Konvent versucht, ihren Einfluß auf die Geschäftsführung dafür zu nutzen, im Gegenzug die Rolle des Präsidiums bei der Führung der Konventsgeschäfte zu beschneiden.
Zu diesen insgesamt sechsundsechzig rede- und abstimmungsberechtigten Personen addieren sich noch nach der gleichen Formel bestimmte Vertreter der Beitrittskandidatenländer - also je ein Vertreter der Staats- und Regierungschefs und zwei nationale Parlamentarier. Das relative Gewicht der Europaabgeordneten im Konvent verringert sich dadurch deutlich. Die Vertreter der Kandidatenländer sollen auch schon volles Mitwirkungsrecht genießen. Können Sie auch im Präsidium mitwirken? Dazu schweigt die Laeken-Erklärung. Das Stimmrecht können sie noch nicht ganz ausüben, insbesondere wenn das die Herausbildung eventueller Mehrheiten unter den alten Mitgliedsländer gefährden könnte - so die kryptische Formulierung der Erklärung. Das ändert sich erst für diejenigen von ihnen, die während der Konventsarbeitsphase bereits ihren Beitrittsvertrag unterzeichnen.
Als Beobachter kommen noch je drei Vertreter des WSA und der europäischen Sozialpartner sowie sechs des AdR, und der Europäische Bürgerbeauftragte hinzu. Macht bei fünfzehn Alt- plus dreizehn Kandidatenländern insgesamt einen Kreis von 105 Personen. Schließlich werden in einem „Forum“ eingebundene Organisationen der sogenannten Zivilgesellschaft laufend über die Arbeit des Konvents unterrichtet und können etwa in Anhörungen zu spezifischen Fragen ihre Positionen zur Geltung bringen.
Dieser Konvent trat am 28. Februar 2002 erstmals zusammen und hat am 1. März mit seiner Arbeit begonnen. Nach den Wünschen des Europäischen Rates sollte der Konvent alle drei Wochen zusammentreten, das Präsidium alle zwei Wochen, und die dreiköpfige Präsidentschaft schließlich jede Woche. Zwischen dem Europäischen Parlament und Giscard d‘Estaing ist jedoch eine höhere Tagungsfrequenz abgestimmt: Das Konventsplenum tritt demnach mindestens 22mal pro Jahr für jeweils eineinhalb Tage zusammen. Nach dem Willen des Europäischen Rates soll der Konvent seine Arbeit nach etwa einem Jahr, also bereits deutlich früher als einige Regierungen zuvor empfahlen, beenden. Ein Datum für den Zusammentritt der Regierungskonferenz ist dagegen noch nicht genannt. Angenommen es läge im Herbst 2003, dann könnte zwischen diesem und der Vorlage des Konventsberichts durchaus mindestens ein halbes Jahr verstreichen, Sommerferien eingeschlossen, in dem das Ergebnis in der Erinnerung der Öffentlichkeit und der Akteure verblassen und durch andere Diskussionen und Auftritte der Regierungen relativiert und überlagert werden kann. Andererseits böte dieses Zeitfenster auch die von den Mitgliedern des EP angemahnte Möglichkeit, die Ergebnisse des Konvents in den Wahlkampf der Europawahlen 2004 einfließen zu lassen.
So sind einerseits die Möglichkeiten des Konvents gegenüber den Mitgliedsregierungen von den letzteren beschnitten worden. Darüber hinaus haben die Staats- und Regierungschefs das Gewicht der Parlamentarier und ihre Möglichkeit zur Bildung eines beherrschenden Blocks im Konvent eingeschränkt. Schienen schon auf der Grundlage der ersten Konzepte erhebliche Anstrengungen erforderlich, wenn die Parlamentarier in Richtung einer Prä-Konstituante gehen und die Regierungskonferenz über das Vehikel des Konvents mit einer starken Parlamentarier-Position konfrontieren wollten, so müßte der Konvent und müssen sich die Parlamentarier jetzt dafür noch deutlich stärker ins Zeug legen. Das Perspektive der Vor-Regierungskonferenz ist durch die letzten Entwicklungen gestärkt worden. Andererseits sind die Gewichte bei der Benennung der Präsidiumsmitglieder nicht so deutlich zugunsten von Mitgliedern der Regierungen ausgefallen, wie manche es von diesen gewünscht hätten. Die prominenteren Mitglieder des Konvents haben überdies bereits in der ersten Phase deutlich zu erkennen gegeben, daß sie sich nicht in das Korsett des Europäischen Rates einbinden lassen wollen. Erste Absprachen innerhalb des Kreises der Präsidiumsmitglieder deuten auch daraufhin, daß der Konvent eine Eigendynamik entfalten kann, die dem in Laeken angelegten Design grundlegend widerspricht und damit in die Richtung der Präkonstituante führen kann.