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Die Regierungen und der Konvent
Die Regierungen und der Konvent
Im Konvent werden bei der jetzt gedachten Höchststärke von fünfzehn Mitgliedstaaten plus dreizehn Kandidatenländern achtundzwanzig Vertreter amtierender Staats- und Regierungschefs plus drei frühere Regierungschefs sitzen, die ein knappes Viertel der Gesamtzahl ausmachen werden. Von ihnen sitzt überdies eine „Troika“ von Ratsvorsitzvertretern im Präsidium und kann sich dort Gehör verschaffen. Was insbesondere die fünfzehn Staats- und Regierungschef-Vertreter von ihren Regierungen für eine Rolle, was für ein Mandat sie zugedacht erhalten, das ist eine der Fragen, die die einzelnen Mitgliedstaaten jeweils für sich entscheiden.
Jedenfalls sollen sie die „Chefs“, nicht die Regierungen „vertreten“. Damit haben sie mehr Handlungsspielraum als wenn sie einer internen Konsenssuche der Regierungen unterlägen. Dementsprechend präjudizieren sie formal auch nicht die in der Regierungskonferenz von 2004 zusammentretenden Regierungen und lassen jenen in ihrer Rolle damit mehr Spielraum. Und in den neun Mitgliedsländern, in denen die Außenminister eine mehr oder weniger starke Federführung in europäischen Angelegenheiten haben, wie etwa auch in Deutschland (der deutsche Vertreter Peter Glotz wird ein von Auswärtigem Amt - und Kanzleramt geführtes Sekretariat haben, seinerseits wird er durch AA-Staatssekretär Günther Pleuger vertreten), gibt es in dieser entscheidenden Phase eine Verschiebung der konzeptionellen Leitung hin zur Regierungsspitze. Bei den anderen Vertretern der Mitgliedstaaten handelt es sich zum Teil um starke politische Persönlichkeiten, diese Vertreter werden mehr oder weniger bindende Mandate von ihren Chefs erhalten, ebenso wie eine mehr oder weniger volle Unterstützung durch ihre heimatlichen Behörden. Solche Mandate sollen sie auch in die Konventsdebatten einbringen und sich für ihre Durchsetzung einsetzen. Man muß also von einer starken Einflußsuche dieser Personen ausgehen.
Mit diesen Fragen ist unmittelbar die Position der Regierungen und ihre Haltung zum Konvent ganz allgemein verbunden. Der Europäische Rat von Laeken verlangte ja auch, daß der Konvent den Rat regelmäßig über seine Arbeit informiere und sein Vorsitzender etwa vor jedem Europäischen Rat mündlich berichten und die Reaktionen der Staats- und Regierungschefs entgegennehmen solle. So versuchen die Regierungen den Konvent nicht nur von innen sondern auch von außen zu kontrollieren.
Die Präsenz der Staats- und Regierungschefsvertreter kann der Konvent nicht ablehnen, allenfalls versuchen, ihre Rolle geschäftsordnungsmäßig einzuschränken. Er könnte auch erwägen, die Auftritte vor dem Europäischen Rat zu verweigern: das wäre wahrscheinlich kontraproduktiv, kann er doch dort demonstrieren, daß seine Reformarbeit besser vorangeht als diejenige von Regierungskonferenzen und zusätzlich seine Konzepte propagieren. Im Dezember 2001 schlug Guy Braibant eine Intensivierung dieses Dialogs mit den Regierungen vor. Braibant war französische Schlüsselperson im Charta-Konvent und seinerzeit Vertreter und wichtiger ’Sherpa‘ des Vorsitzenden Herzog. Ihm zufolge sollte dieser Dialog durch die Vermittlung des Ratsvorsitzes stattfinden, und zwar zu dem Zweck, das Arbeitsergebnis des Konvents auf jeden Fall für die Regierungen annahmefähig zu machen. Geriete der Konvent in eine „Sackgasse“, in dem seine Arbeit sich einem künftigen Veto aussetzte, würde der Ratsvorsitz diese „neu ausrichten“ können.
Niemand kann den Ratsvorsitz und die Regierungen daran hindern, eine solche Linie zu versuchen und auch ihre Vertreter im Konvent dafür einzusetzen. Trotzdem ist auf dem gegenwärtigen Stand nicht erkennbar, daß ein Eingehen des Konvents darauf der Sache nützen würde. Schon Gründe der Symbolik sollten einen Konvent, der den Weg einer Prä-Konstituante gehen will, von zu engem Verbund und dem Verdacht der Unterwerfung unter die Regierungen abhalten. Noch schwerer allerdings wiegen inhaltliche Gründe: Hätten die Regierungen nämlich Konzepte für eine gestärkte und konstitutionalisierte Europäische Union, über die sie miteinander sprechen könnten, dann würden sie den Konvent gar nicht brauchen. Höchstens einzelne von ihnen sind diesbezüglich weiter, einen Konsens darüber gibt es aber nicht. Mag allerdings sein, wie weiter oben schon unterstellt, daß für diese einzelnen der Konvent eine Art Trainingslager mit anderen Spielregeln ist in dem sie gemeinsam mit den Parlamentariern und der Kommission die weniger positiv eingestellten Regierungen zum Einschwenken auf eine verfassungsfreundlichere Linie bringen wollen. Das würde sehr dem Gedanken der erweiterten Vor-Regierungskonferenz entsprechen.
Zwei Gesichtspunkte verdienen in diesem Zusammenhang besondere Hervorhebung.
Könnte der Konventsprozeß für das deutsch-französische Paar eine besondere Anstrengung zu einer gemeinsamen Position in den wichtigsten Fragen der kommenden Regierungskonferenz 2004 in Gang setzen, so daß man doch zu einem gemeinsamen Papier gelangt, hinter dem wirklich beide Regierungen stehen und das einen sichtbaren Beitrag leisten könnte? Oder wird der Konvent eine Multilateralisierung solcher Zweierbeziehungen begünstigen?
Zweitens gibt es ein Thema, in dem alle Regierungen als die Vertreter und gleichsam Treuhänder der jeweiligen nationalen Interessen in der EU eine besondere Aufgabe haben: das ist die Frage der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten. Man kann sehr wohl argumentieren, daß die Regierungen als Inhaber der noch national verbliebenen Kompetenzen aus ihrer Sicht ein gemeinsames Angebot machen sollten, auf das der Konvent als Vorform einer Vertretung des Gesamtdemos der EU eine Antwort gibt. Das würde in systematischer Hinsicht richtiger wirken als wenn der Konvent allein zu dieser wichtigen Frage autoritative Konzepte entwickelt, auf die die Regierungen erst in 2004 reagieren. Voraussetzung hierzu ist allerdings wiederum, daß die Regierungen eben doch untereinander wenigstens in gewissen wichtigen Feldern schon frühzeitig in eine Verfassungsdebatte einsteigen.
Wie die Lage zu Anfang 2002 insgesamt aussieht, muß man aber fürchten, daß die meisten wichtigen Regierungen in einen solchen Dialog eher ihre Vorsicht, ihr Zögern und ihre Vorbehalte, und ihre gegenseitigen Meinungsverschiedenheiten einbringen werden, als vorwärts weisende und zusammenführende Positionen. Sie würden den Konvent also eher bremsen und auseinander dividieren als ihm voran helfen. Und sie können ihn von der Aufmerksamkeit auf seine wichtigeren Adressaten in Parlamenten und Öffentlichkeit ablenken. Der Konvent sollte also versuchen, auch über die Geschäftsordnung, die Vertreter der Staats- und Regierungschefs auf ein Auftreten ad personam zu beschränken und das formale Einbringen von Mandaten der Regierungen nicht zulassen.
Wenn man diese Erwägungen ernst nimmt, dann könnte der Konvent auch der Vision einer erfolgreichen erweiterte Vor-Regierungskonferenz kaum entsprechen, und zwar um so weniger, je enger man ihn an die Regierungen und deren eigene konzeptionelle Sichtweise bindet. Der Vorschlag von Braibant wäre also nicht einmal in dieser Perspektive wirklich eine aussichtsreiche Erweiterung seiner Arbeitsmethode.