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Die Staatsdumawahl am 07.12.03 - Rechtsruck im russischen Parlament?

Vortrag am 17.12.2003 vor der West-Ost-Gesellschaft in Freiburg im Br. Überarbeitetes Vortragsmanuskript vom 13.01.2004

Arbeitspapier 0, 15.12.2003

Kräfteverhältnis in der neuen Staatsduma

Die Stärkung der zentralististischen Fraktion ER und die Schwächung der KPRF-Fraktion bedeuten erst einmal eine Verschiebung des politischen Schwergewichts der Staatsduma von links in die Mitte. Die Verdopplung des Stimmenanteils der LDPR und der Einzug der wahrscheinlich eher rechts anzusiedelnden "Heimat"-Fraktion, die zusammen - ohne direkt gewählte Abgeordnete - bereits einen Stimmenanteil von 20,7 % haben, deuten auf ein weiteres Verschieben des politischen Schwergewichts des Parlaments nach rechts hin.

Doch "Heimat" und die LDPR werden sich nicht offen liieren, da Glasjew nichts mit Shirninowskij zu tun haben möchte. Wenn sie in der Staatsduma gleich abstimmen sollten, so liegen dem keine Absprachen, sondern gleiche Interessen zugrunde. Die Präsidialadministration hat gut kalkuliert, als sie durch die Gründung von "Heimat" den national-patriotischen Trend dergestalt ausnutzte, daß sie eine zweite Wählervereinigung schuf, die nicht mit der LDPR zusammengeht. Es gibt jetzt im russischen Unterhaus einen nationalistischen Resonanzboden von einem Fünftel aller Abgeordneten, die entsprechenden Vorlagen von Regierung und Präsident zustimmen würden.

Die Fraktion der "Partei der Macht" hat eine Stärke von 300 Abgeordneten, die sich zusammensetzt aus den über die Parteilisten gewählten 120 Abgeordneten, den als Parteimitgliedern direkt gewählten Mandatsträgern und aus unabhängigen Abgeordneten, die sich der Fraktion angeschlossen haben. Damit braucht der Präsident in der Staatsduma erstens keine Opposition zu fürchten, sondern kann sich auf eine absolute Mehrheit stützen, mit der die von ihm eingebrachten Gesetze verabschiedet werden können. Die mehrheitlich von der Präsidialadministration eingebrachten Gesetzentwürfe wurden in letzter Zeit nur noch mit den Fraktionsvorsitzenden abgestimmt und dann vom Parlament abgesegnet. Es geht schon in Moskau das Wort um, daß die Staatsduma nur noch die Abteilung für Gesetzgebung der Präsidialadministration sei. Die eigentliche Politik findet nicht im Parlament, sondern in den Hinterzimmern des Kreml statt. Es ist dann kein Wunder, wenn das Ansehen der Staatsduma und ihrer Abgeordneten, die nach Meinung vieler nur ihren Geschäften nachgehen und dabei Immunität genießen, bei der Bevölkerung entsprechend niedrig ist, was sich auch in der geringen Wahlbeteiligung ausdrückt.

Zweitens kann sich der Präsident auf eine Zweidrittelmehrheit stützen. Selbst wenn diese knapp ist, können dem Präsidentenlager die Stimmen der "Heimat"-Fraktion und der LDPR-Fraktion - entgegen aller Rhetorik - zugerechnet werden. Die LDPR-Fraktion votierte bisher in wichtigen Fragen - trotz aller Kritik am sozialen und ökonomischen Kurs der Regierung - fast immer im Sinne des Präsidenten. Dafür ließ sie sich bei wichtigen Abstimmungen von der Präsidialadministration immer gut bezahlen. Die Fraktion stimmte aber auch Regierungsvorlagen, die für die Partei nicht vorteilhaft waren, dann zu, wenn sie genau wußte, daß diese Zustimmung keine Folgen für sie hatte. Auf der anderen Seite unterstützte die Fraktion das Mißtrauensvotum von KPRF und von Jabloko gegen die Regierung Michail Kassjanow im Juni 2003 im klaren Wissen, daß ihre zusätzlichen 13 Stimmen für einen Erfolg des Votums nicht ausreichen würden.

Eine Zwei-Drittel-Mehrheit wäre zur Änderung der Verfassung in den nicht besonders geschützten Kapiteln (Grundlagen der Verfassungsordnung, Grundrechte und -freiheiten, Verfassungsänderung) erforderlich. Einer solchen Revision müßten außer der Staatsdumaabgeordneten noch drei Viertel der Föderationsratsmitglieder und zwei Drittel der Gesetzgebungsorgane der Regionen zustimmen.

Eine Verfassungsänderung wäre erforderlich, wenn Putin eine dritte Amtszeit anstreben würde. Zwei Tage nach der Staatsdumawahl sprach er sich kategorisch gegen eine Änderung der am 12. Dezember 2003 zehn Jahre alt werdenden Verfassung und somit gegen seine dritte Amtszeit aus. "Es ist an der Zeit", so fügte er wörtlich hinzu, "die Diskussion über die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung zu beenden." Russische Politikwissenschaftler, die Putin durchaus kritisch gegenüber stehen, glauben ihm, daß er keine dritte Amtszeit möchte. Er fühle die Last des Präsidentenamtes, da er kein Politiker, sondern nur ein Exekutor sei, wenn auch ein exzellenter. Als Politiker muß Putin Ziele vorgeben. Außer der verschwommenen Vision, Rußland wieder zur Großmacht zu machen, verfügt er über kein konzises Modernisierungsprogramm.

Die Ablehnung einer dritten Kandidatur kann sich aber Ende 2006/Anfang 2007 ändern, wenn das Wirtschaftswachstum, das hauptsächlich vom hohen Erdölpreis abhängt, zurückgeht oder wenn die Machtstrukturen (Innenministerium, FSB, Verteidigungsministerium) keinen geeigneten Nachfolger für Putin gefunden haben. Sie wollen vermeiden, daß ihnen das übliche Schicksal nach jedem Präsidentenwechsel widerfährt, nämlich das die gesamte Führungselite ausgewechselt wird.

Eine andere Folge der Staatsdumawahl ist, daß der Kandidat der KPRF - wahrscheinlich wieder Sjuganow - geschwächt in den Präsidentenwahlkampf ziehen dürfte und daß Putin am 14. März eventuell wieder schon im ersten Wahlgang gewählt werden dürfte.