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Die Staatsdumawahl am 07.12.03 - Rechtsruck im russischen Parlament?

Vortrag am 17.12.2003 vor der West-Ost-Gesellschaft in Freiburg im Br. Überarbeitetes Vortragsmanuskript vom 13.01.2004

Arbeitspapier 0, 15.12.2003

Einschätzung

"Einiges Rußland"

Bei dieser Staatsdumawahl hat die "Partei der Macht" mit 37,57 % erstmals eine Parlamentswahl gewonnen und westlich besser abgeschnitten als alle ihre Vorgängerinnen. Doch das ist eigentlich nicht verwunderlich, wenn man das Wahlergebnis der beiden Parteien von 1999 addiert, die sich 2002 zur neuen "Partei der Macht" zusammengeschlossen haben: "Einheit" mit 23,3 % und "Volkswahl - Ganz Rußland" mit 13,3 %.

Hinzu kommt ein zweites Element. Viele dürften ER aus Überzeugung gewählt haben, denn sie konnten in den letzten drei Jahren etwas Stabilität sowie eine bescheidene wirtschaftliche und soziale Aufwärtsentwicklung feststellen. So wuchs unter Präsident Wladimir Putin die russische Wirtschaft seit 2000 zwischen 10,5 % (2000) und 4,3 % (2002). Die unter Jelzin aufgelaufenen Lohnrückstände wurden nachgezahlt. Die Inflation bewegt sich auf einem akzeptalen Niveau zwischen 10 und 20 %, und die Arbeitslosenquote sinkt langsam.

Eine nicht unbedeutende Rolle spielte drittens die Tatsache, daß ER die Präsidentenpartei ist und somit von der Popularität Putins profitiert, die doppelt so hoch ist wie das Wahlergebnis.

Außerdem nutzte Putin viertens die administrativen Ressourcen und die Medien zugunsten von ER. Zu dem Einsatz der administrativer Ressourcen gehörte z.B., daß Putin auf dem III. Parteitag von ER am 20. September 2003 in seiner Rede dazu aufrief, ER zu wählen, was eine Verletzung des Wahlgesetzes darstellt, das in Artikel 75 Absatz 5 in Punkt 1 föderalen Organen der Staatsmacht und in Punkt 2 Personen im Staatsdienst Wahlagitation verbietet. Die Zentrale Wahlkommission wies den entsprechend erhobenen Vorwurf mit der an den Haren herbeigezogenen Begründung zurück, daß erst ab dem Zeitpunkt der Aufstellung der Kandidatenliste von Wahlagitation gesprochen werden könne.

Allein die Tatsache, daß eine Reihe von Ministern, Republikspräsidenten und Gouverneure zu den Spitzenkandidaten von ER gehörten, führte dazu, daß sie ihre Apparate nutzen konnten und die Berichterstattung über ihre Amtstätigkeit bereits Wahlkampf war. Zudem ist ihre Kandidatur oft Betrug, denn von vornherein stand fest, daß sie ihr Mandat nicht wahrnehmen werden.

Im Fernsehen, dem einzigen wirklichen landesweiten Massenmedium, wurde in den Nachrichten fast nur über den Präsidenten, die Regierung und ER berichtet, kaum über den Wahlkampf der anderen Parteien. Hinzu kommt, daß die drei landesweit zu empfangenden Fernsehkanäle direkt oder indirekt in staatlicher Hand sind. Die föderale Presse, in der es Pressefreiheit gibt, erscheint nur in kleiner Auflage und wird im Land kaum verbreitet. Deshalb ist sie nur für die politische Klasse wichtig. Das regionale Fernsehen und die regionale Presse können sich - wie die föderalen Massenmedien - finanziell nicht selbst tragen und hängen deshalb wirtschaftlich und somit auch politisch vom Gouverneur ab.

Zudem schränkte die Neufassung des Gesetzes über die Wählergarantien vom 12. Juni 2002 die Berichterstattung der Medien zu Wahlkampfzeiten ein. Es verpflichtet sie, Informationen über den Wahlkampf ohne Kommentare zu liefern. Die Zentrale Wahlkommission erhielt das Recht, sich im Falle einer zweimaligen Verletzung des Wahlgesetzes durch ein Massenmedium an das zentrale oder regionale Organ zu wenden, bei dem das Massenmedium registriert ist. Das Exekutivorgan hat dann fünf Tage Zeit, die Fakten zu prüfen, und kann je nach Ergebnis der Prüfung beim zuständigen Gericht die Schließung des Massenmediums bis zum Abschluß der Stimmenabgabe fordern. Am 30. Oktober 2003 bekräftigte allerdings das Verfassungsgericht das Recht der Journalisten auf freie Berichterstattung während der Wahlkampagne. "Eine positive oder negative Berichterstattung über einen der Kandidaten kann kein Grund sein, die Vertreter der Massenmedien zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen", was geschehen war.