Während der Krieg gegen die Ukraine von vielen als Zäsur wahrgenommen wird, sind die offiziellen Reaktionen aus dem Südkaukasus bislang eher verhalten. Sie sind Ausdruck der Sensibilität für die Auswirkungen auf die eigene Region, meinen Franziska Smolnik und Mikheil Sarjveladze.
Armenien ist Russlands engster Partner im Südkaukasus. Beide sind Bündnispartner im Rahmen der »Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit«, zudem ist Armenien Mitglied in der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion. Russische Grenzschützer unterstützen Armenien bei der Sicherung von nunmehr drei der vier Landesgrenzen; russische Unternehmen haben in strategischen Wirtschaftssektoren des Landes investiert. Es ist daher nicht überraschend, dass Armenien, obschon offizielle Stellungnahmen um Neutralität bemüht waren, als einziges Land am 25. Februar mit Russland gegen dessen Ausschluss aus dem Europarat gestimmt hat. Die Abstimmung bedeutet nicht, dass die politische Führung in Eriwan, die 2018 in Folge der »Samtenen Revolution« mit einer Demokratisierungs- und Reformagenda an die Macht kam, hinter der russischen Aggression gegen die Ukraine steht. Vielmehr ist sie Ausdruck ihres begrenzten außenpolitischen Handlungsspielraums angesichts der engen, stark asymmetrischen Beziehungen zu Russland. Diese Asymmetrie dürfte sich nun weiter verengend auf den außen- aber womöglich auch innenpolitischen Spielraum auswirken. Denn dass Armenien ein gelungenes Beispiel dafür ist, wie Kooperation mit der EU – Eriwan und Brüssel sind über ein Abkommen zu umfassender und vertiefter Partnerschaft verbunden – und mit Russland in Einklang gebracht werden kann, war schon zuvor von Beobachterinnen und Beobachtern mit einem großen Fragezeichen versehen. Unvermeidbar scheint indes, dass die Wirtschaftskrise, in die Putins Krieg Russland treibt, durch Rubelverfall, wegfallende Geldtransfers und geschwächte Wirtschaftskraft auch Armenien in Mitleidenschaft zieht.
Auch aus Aserbaidschan gab es zunächst kaum offizielle Stellungnahmen. Das Außenministerium ließ lediglich verlauten, die Situation müsse auf diplomatischem Weg gelöst werden; später bot sich Baku als Verhandlungsort an und schickte humanitäre und medizinische Hilfe in die Ukraine. Für die aserbaidschanische politische Führung ist die Lage diffizil: Am 22. Februar, ein Tag nachdem Moskau die Separatistengebiete Luhansk und Donezk als unabhängig anerkannt hatte, unterzeichneten die Präsidenten Russlands und Aserbaidschans eine »Deklaration über alliierte Zusammenarbeit«. Darin ist unter anderem festgehalten, bei außenpolitischen Fragen kooperieren, die militärische Zusammenarbeit weiter ausbauen zu wollen und auf solche wirtschaftlichen Aktivitäten zu verzichten, die den Interessen des jeweils anderen direkt oder indirekt schaden. Die Deklaration hat nicht nur aufgrund des Zeitpunkts, sondern auch deshalb Fragen aufgeworfen, weil Baku nach dem »44-Tage-Krieg« in und um Berg-Karabach seine Beziehungen zum traditionell engen Partner Türkei, ebenfalls Regionalmacht im Südkaukasus mit eigenen Gestaltungsansprüchen, weiter vertieft und im Juni 2021 die »Schuscha Deklaration über alliierte Beziehungen« mit Ankara unterzeichnet hatte. Ankara und Moskau selbst hatten bislang einen pragmatischen Umgang miteinander im Südkaukasus gefunden. Wie dieser angesichts der aktuellen Entwicklungen fortgesetzt wird – die Türkei ist Nato-Mitglied und hat das russische Vorgehen gegen die Ukraine rasch verurteilt – ist unklar. Die weitere Entwicklung der türkisch-russischen Beziehungen dürfte sich auch auf Aserbaidschans außenpolitische Optionen niederschlagen. Bakus Bürgerinnen und Bürger dagegen haben am Wochenende klarer als ihre Regierung Position bezogen und gegen den Krieg aber auch gegen Putins Russland protestiert.
Georgien ist das einzige Land im Südkaukasus, das wie die Ukraine eine Mitgliedschaft in Nato und EU anstrebt. Zusammen mit der Ukraine und Moldau hat es sich zum »Assoziierten Trio« zusammengeschlossen, um letzterem Vorhaben gemeinsam mehr Nachdruck zu verleihen. Obwohl Tiflis sowohl die Anerkennung der Separatistengebiete Luhansk und Donezk sowie den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilte, waren die Reaktionen lange zurückhaltender als von vielen erwartet – gerade auch angesichts der eigenen Kriegserfahrung mit Russland. Die von Georgien abtrünnigen de facto Staaten wiederum folgten Russlands Anerkennung. Schon vor Kriegsausbruch hatte es Georgiens Regierungspartei vermieden, Russland in ihrer Ukraine-Resolution namentlich zu erwähnen. Zudem lehnte sie die von Staatspräsidentin und Opposition vorgeschlagene Sondersitzung des Parlaments zur Ukraine ab. Besonders kritischen Nachhall fand jedoch die Erklärung von Premierminister Gharibaschwili, Georgien würde sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht anschließen – diese seien ineffektiv. Die Reserviertheit der georgischen Führung enttäuschte die ukrainische Seite derart, dass sie ihren Botschafter aus Georgien abberief, und steht im klaren Widerspruch zur enormen Solidarität, die Georgiens Zivilgesellschaft der Ukraine entgegenbringt. Politische Opposition und Experten bemängelten, dass Georgien viel stärker seine eigenen sicherheitspolitischen Herausforderungen mit denen der Ukraine in Beziehung hätte setzen müssen. Noch kritischere Stimmen warfen der Regierung vor, sich wegzuducken. Obschon die Regierungspartei noch die vergangenen Tage bekräftigte, es bleibe beim geplanten Antragsdatum 2024, hat sie am 2. März mit der Erklärung, sie wolle – ähnlich wie zuvor die Ukraine – Georgiens EU-Mitgliedschaft im Eilverfahren beantragen, eine Kehrtwende hingelegt. Dem vorausgegangen waren Demonstrationen, die nicht nur Unterstützung für die Ukraine bezeugten, sondern sich auch gegen die passive Haltung der eigenen Regierung richteten.
Dass die EU nach Kritik an ihrer mangelnden Sichtbarkeit im Südkaukasus eine größere Präsenz anstrebt, hat sie im vergangenen Jahr etwa durch ihr Engagement zur Lösung der innenpolitischen Krise in Georgien unterstrichen. Die Frage ist, wieviel Spielraum ihr dafür bleibt. Denn die tektonischen Verschiebungen, die Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöst hat, treffen im Südkaukasus auf eine Region, die bereits aufgrund des armenisch-aserbaidschanischen Kriegs um Berg-Karabach im Herbst 2020 von Dynamiken regionaler Machtverschiebung und Neuordnung gekennzeichnet ist. Die Wahrnehmung des Kriegs gegen die Ukraine vor Ort geschieht daher jeweils auch durch das Prisma der regionalen Konflikte im Südkaukasus und wie sich Russland, die Ukraine und EU darin bislang positioniert haben. Die offiziellen Reaktionen aus dem Südkaukasus auf den russischen Angriff spiegeln nicht zuletzt Russlands gesteigerten Einfluss in der Region wider.
Vieles deutet darauf hin, dass die georgischen Kommunalwahlen am Samstag die politische Krise im Land nicht beenden. Diese färbt zunehmend auf die Beziehungen zur EU ab. Somit liegt auch eine Prüfung der bisherigen EU-Politik nahe, meinen Franziska Smolnik und Mikheil Sarjveladze.
Konkurrenz und Kooperation mit Regionalmächten und globalen Akteuren
doi:10.18449/2021S10
Politische Krise und regionale Veränderungen verlangen Antworten der EU
doi:10.18449/2021A27
Militarisierte Friedensstiftung mit Folgen für die Konflikttransformation
doi:10.18449/2020A88