Russland hat die Wiederaufnahme von Inspektionen im Rahmen des New START-Vertrages mit den USA ausgesetzt. Dies spiegelt die gespannten Beziehungen wider. Doch selbst, wenn sich der Dissens klären lässt, hängt die Zukunft der strategischen Rüstungskontrolle letztlich von weiteren Faktoren ab, meint Lydia Wachs.
Am 8. August 2022 hat das russische Außenministerium bekanntgegeben, dass Russland die USA darüber informiert habe, Inspektionen im Rahmen des New START-Vertrages (Strategic Arms Reduction Treaty) weiter auszusetzen. Der nukleare Rüstungskontrollvertrag zwischen den beiden Ländern wurde 2010 von den Präsidenten Barack Obama und Dmitri Medwedew unterzeichnet und ist seit dem 5. Februar 2011 in Kraft. Er begrenzt die Zahl strategischer Trägersysteme und Atomsprengköpfe. Teil des Vertragsregimes sind aber auch ein stetiger Informationsaustausch über die Anzahl der Sprengköpfe und Trägersysteme, Notifikationen von Raketentests sowie bis zu jeweils 18 Inspektionen vor Ort pro Jahr, um diese Daten zu verifizieren.
Bisher wurden diese Regelungen von beiden Staaten trotz des Kriegs und der hohen Spannungen zwischen Washington und Moskau eingehalten. So tauschten sie nur wenige Tage nach Kriegsbeginn Daten gemäß den Vertragsbestimmungen aus. Auch informierte Russland die USA über den Test ihrer Sarmat Interkontinentalrakete im April 2022. Die vom Vertrag vorgesehen Inspektionen wurden jedoch seit Beginn der Corona-Pandemie ausgesetzt. Während die USA diese nun wieder aufnehmen wollten, hat Russland dem vorerst eine Absage erteilt. Dabei verweist Russland in seiner Meldung vom 8. August insbesondere auf die gegen Russland wegen des Kriegs verhängten Reisebeschränkungen: Der normale Luftverkehr zwischen den USA und Russland sei ausgesetzt und der Luftraum von US-Verbündeten und Partnern für russische Flugzeuge mit russischen Inspektionsteams an Bord gesperrt. Ein weiteres Hindernis würden die strengeren Visaregelungen von potenziellen Transitländern darstellen. Dies bedeute eine einseitige Beschränkung zum Nachteil Russlands. Auch führt Moskau die Corona-Situation in den USA als Argument an. Ein weiteres Aussetzen der Inspektionen sei aus russischer Sicht daher angebracht und rechtlich – gemäß einer Regelung aus dem Vertragsprotokoll – auch möglich.
Diese Gründe wirken fragwürdig, ist es doch unwahrscheinlich, dass die USA und europäische Transitländer Inspektionsteams von Reisebeschränkungen nicht befreien würden. Dennoch bleibt unklar, was Russland genau bezweckt. Dabei fällt auf, dass Russland die Meldung parallel zur Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) veröffentlicht hat, anstatt die Unstimmigkeiten mit den USA direkt zu lösen. Laut dem russischen Außenministerium habe Russland dies zunächst probiert, die Bedenken seien jedoch von Washington ignoriert worden. Die USA haben sich dazu bisher nicht öffentlich geäußert. Es ist aber auch möglich, dass Moskau dieses Thema angesichts der an Russlands Nuklearaktivitäten geäußerten Kritik bei der Konferenz künstlich hochspielen will. Noch am 5. August hatte die russische Delegation dort die Bedeutung von New START betont.
In jedem Fall spiegelt der Schritt die gespannten Beziehungen zwischen Washington und Moskau wider. Solange die sonstigen Vertragsbestimmungen eingehalten werden, muss ein weiteres Aussetzen der Inspektionen das technische Funktionieren des Vertrags zwar nicht gefährden, es ist aber ein politisches Signal: Inspektionen gelten als wichtiger Indikator für die Bereitschaft zur Kooperation. Grundsätzlich sollten beide Seiten ein Interesse an einem funktionierenden Vertragsregime haben. Denn sowohl die USA als auch Russland hätten theoretisch das Potenzial, binnen relativ kurzer Zeit, die Zahl ihrer stationierten Atomsprengköpfe um mehrere hundert zu erhöhen. Eine effektive Kooperation im Rahmen von New START ermöglicht es beiden Staaten, einen Einblick in das strategische Arsenal und die Nuklearwaffenaktivitäten der jeweils anderen Seite zu erlangen, was Berechenbarkeit insbesondere in Krisensituationen fördert.
Doch selbst wenn sich der Dissens mit Blick auf Inspektionen klären lässt, bleibt die Zukunft der strategischen Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland ungewiss. New START wurde Anfang 2021 von beiden Seiten für weitere fünf Jahre verlängert. 2026 läuft der Vertrag aus. Daher wollten die USA und Russland die Zeit nutzen, um Nachfolgebegrenzungen zu verhandeln. Während der strategische Stabilitätsdialog zwischen Moskau und Washington letztes Jahr wieder aufgenommen wurde, setzte die amerikanische Seite diesen angesichts Russlands Angriffskrieg aus. In den letzten Wochen haben Präsident Biden und Präsident Putin ein grundsätzliches Interesse an einer Wiederaufnahme des Dialogs und an Regelungen für die Zeit nach New START geäußert. Solange Russlands Krieg in der Ukraine andauert, bleibt ein neuer Gesprächsanlauf jedoch unwahrscheinlich.
Noch zweifelhafter erscheint es, dass sich beide Seiten auf ein vertraglich-ratifiziertes Nachfolgeabkommen einigen könnten. Dabei stellen nicht nur die unterschiedlichen Positionen bezüglich des Vertragsinhalts ein Problem dar. Angesichts Chinas nuklearer Aufrüstung ist es zudem extrem unwahrscheinlich, dass der US-Kongress Begrenzungen zustimmen würde, die nur die USA und Russland betreffen. China einzubinden dürfte hingegen nahezu unmöglich sein. Zudem fordern in den USA bereits jetzt erste Stimmen, die US-Atomstreitkräfte angesichts der wachsenden Bedrohung von Russland und China in den nächsten Jahren auszubauen.
Vieles wird daher davon abhängen, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt, wer die nächste US-Präsidentschaft gewinnt und wie sich Chinas nukleare Aufrüstung gestalten wird. Was aber jetzt schon klar sein dürfte, ist, dass Rüstungskontrolle in Zukunft wieder stärker kompetitiv geprägt sein wird. Eine politisch verbindliche Obergrenze der strategischen Offensivwaffen von den USA und Russland scheint im Bereich des Möglichen zu liegen. Dabei wird es jedoch aller Voraussicht nach vorrangig um eine gesteuerte Aufrüstung gehen, Erfolge im Bereich der Abrüstung gelten als nahezu unmöglich. Und bleibt die Frage um die Inspektionen ungelöst, könnte das Gerüst der strategischen Rüstungskontrolle schon vor dem Ende von New START einstürzen.
Folgen für die internationale Ordnung, die Nato und Deutschland
doi:10.18449/2022A28
Russlands Präsident Putin hat mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht. Damit versucht der Kreml rote Linien zu signalisieren und westliche Regierungen abzuschrecken, die Ukraine weiter zu unterstützen. Dass es tatsächlich zu einem Einsatz von nuklearen Waffen kommt ist aber unwahrscheinlich, sagen Liviu Horovitz und Lydia Wachs im Gespräch mit Dominik Schottner.
Folgen für Verbündete in Asien, die Nato und Deutschland
doi:10.18449/2021A77
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doi:10.18449/2021A31