Wladimir Putin wird in seiner dritten Amtsperiode auf eine Neuinszenierung seiner Politik setzen. Wird diese nicht von realen Veränderungen begleitet, wird er scheitern, meint Hans-Henning Schröder.
Kurz gesagt, 05.03.2012 ForschungsgebieteWladimir Putin wird in seiner dritten Amtsperiode auf eine Neuinszenierung seiner Politik setzen. Wird diese nicht von realen Veränderungen begleitet, wird er scheitern, meint Hans-Henning Schröder.
"Man steigt nicht zweimal in denselben Fluss". Diesen Satz des Vorsokratikers Heraklit wird auch Wladimir Putin sich zu Herzen nehmen, der am 7. Mai nach vier Jahren Pause neuerlich sein Amt als Russlands Präsident antritt. Seine dritte Amtszeit steht unter einem anderen Stern als die ersten zwei. Diesmal kann Putin nicht wie nach seiner Wahl im Jahr 2000 auf Rückenwind durch Ölpreissteigerungen rechnen und hat es mit einer Gesellschaft zu tun, in der eine starke Gruppe politische Beteiligung einfordert. Obendrein geht der russischen Obrigkeit mit dem Erstarken des Internets die Kontrolle über den Informationsraum verloren. Auf diese neuen Verhältnisse muss Putin sich einstellen.
Die ersten beiden Amtszeiten (2000-2008) standen für Putin unter guten Vorzeichen. Er löste einen kranken und handlungsunfähigen Vorgänger ab. Vor diesem Hintergrund erschien er als Hoffnungsträger: jung, rational, durchsetzungsfähig, bescheiden und selbstlos. Züge, die seine "imitschmejkery" herausarbeiteten, jene PR-Spezialisten, die das öffentliche Bild des neuen Präsidenten erfanden. Die staatliche Kontrolle über die elektronischen Medien verschaffte der Putin-Administration die Möglichkeit, das Image des starken Führers, der "einer von uns" ist, erfolgreich zu pflegen. In einer Gesellschaft, in der niemand Parlament, Parteien, Gerichten, Polizei oder Beamten traute, wurde die Medienfigur Putin die Achse und der Schlussstein des politischen Systems.
Ein Glücksfall war es auch, dass zeitgleich mit Putins Amtsantritt die Ölpreise zu steigen begannen. Das Wirtschaftswachstum, das durch den Ölpreis induziert war, zog bald eine Verbesserung der Lebensverhältnisse nach sich. Die Armut ging zurück, es entstand eine neue Mittelschicht. Nach dem Chaos der Jelzin-Jahre mit Geldentwertung, Wirtschaftskrise und Zusammenbruch des Sozialsystems wurden die beiden Amtszeiten Putins als Zeit der Erholung und des Wiederaufstiegs empfunden.
Die politische Inszenierung des Jahres 2000 greift nicht mehr
Mit der Finanzkrise des Jahres 2008 bekam dieses System, das auf einer Kombination von hohen Ölpreisen, Medienkontrolle und simulierter Demokratie basierte, Risse. Das Misstrauen gegenüber "der Macht" – dem Kartell aus Beamten, Hochfinanz, Geschäftswelt und politischer Führung – nahm 2010 und 2011 fühlbar zu. Die regierungsnahe Partei "Einiges Russland" galt allgemein nur noch als "Partei der Gauner und Diebe".
Die dritte Amtszeit Wladimir Putins kann in dieser Situation keine Wiederholung der ersten zwei sein. Putin ist nicht mehr der junge Hoffnungsträger des Jahres 2000. Die Energiepreise sind hoch, doch eine weitere Steigerung, die die russische Wirtschaft stützen könnte, ist nicht zu erwarten. Zudem ist die Führung mit einer politisierten Gesellschaft konfrontiert. Jene Schichten in den Metropolen Moskau und St. Petersburg, die in den Putin-Jahren aufgestiegen sind, fordern nun Partizipation. Sie bedienen sich des RuNet – des russischen Internets –, das bisher völlig unzensiert ist. Für die jüngere Generation und die Städter ist das RuNet zu einer echten Alternative zum staatlich kontrollierten Fernsehen geworden. Daraus erwächst ein Problem für das System Putin. Der neue Informationsraum erschwert die Imageproduktion. Das Bild "des guten Zaren" ist nicht mehr so leicht zu reproduzieren – allzu rasch wird klar: Der Kaiser ist nackt.
Die dritte Putin-Administration befindet sich also in neuem Fahrwasser: kein Rückenwind durch Ölpreiswachstum, eine gewandelte Gesellschaft mit einer selbstbewussten Mittelklasse und einer Parallelöffentlichkeit in Form des Internets. Die Dumawahlen haben gezeigt, dass die politische Inszenierung des Jahres 2000, die acht Jahre gute Dienste geleistet hat, im Jahr 2011 nicht mehr greift.
Ein Aufbruch zu neuen Ufern ist nicht zu erwarten
Will die neue Administration die sechsjährige Amtszeit unbeschadet überstehen, dann muss sie das politische System reformieren. Eine umfassende Neugestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, ein "New Deal", ist jedoch nicht zu erwarten. Die Politiker, hohen Beamten, Geschäftsleute und Spitzenmanager, die das herrschende Elitenkartell bilden, haben kein Interesse, Finanz- und Machtressourcen abzugeben. Im Zweifelsfalle würden sie sich wohl auch gegen eine Führung wenden, die dies verlangt. Daher bleibt der Putin-Administration nur ein Neuarrangement, eine Neuinszenierung von Politik.
Diese könnte in Form einer nationalpatriotischen Mobilisierung erfolgen, die auf eine rot-braun gestimmte Bevölkerungsmehrheit setzt und diese gegen die "Mittelklasse" in Stellung bringt. Solche Elemente waren in Putins Äußerungen kurz vor und unmittelbar nach der Präsidentenwahl erkennbar, als er seine Unterstützerinnen und Unterstützer mit nationaler Rhetorik emotionalisierte.
Erwartbar ist zudem wohl ein Neuaufbau des Parteiensystems, verbunden mit einem "Rebranding" der als Hort von Gaunern gebrandmarkten Regierungspartei "Einiges Russland". Für die Mittelklasse wird man voraussichtlich eine neue liberale Partei gründen, der z.B. Michail Prochorow und Alexej Kudrin vorstehen könnten. Die Änderung des Wahl- und Parteiengesetzes, die Initiative zur Direktwahl der Gouverneure und die Avancen, die die Putinsche Führung Prochorow macht, weisen in eine solche Richtung.
Ob solche Neuinszenierungen des Systems Erfolg haben werden, wird sich zeigen. In jedem Fall müssen sie von realen Veränderungen begleitet werden. Nach wie vor steht eine Gesundheits- und Sozialreform an, die Reformen von Armee und Innenministerium sind nicht abgeschlossen, eine wirksame Strukturpolitik, die die verarbeitende Industrie stärkt, ist nicht erkennbar, ebenso wenig eine effektive Technologiepolitik, zu der auch ein Ausbau des Bildungswesen gehören müsste. Putin hat diese Aufgaben in seiner zweiten Amtszeit liegen lassen, Medwedew ist sie teilweise angegangen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Ob die dritte Putin-Administration nun willens und in der Lage ist, die eigenen Versäumnisse aufzuarbeiten, steht abzuwarten. Wenn sie aber in diesen Bereichen keine Erfolge vorweisen kann, dann muss sie fürchten, in einem reißender werdenden Fluss unterzugehen.
Dieser Text ist ebenfalls bei EurActiv.de erschienen.
Putin und die nationale Frage
German and Russian Perspectives
Gravierende Folgen für die Beziehungen zwischen der EU und Russland