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Eine internationale Sicherheitszone in Syrien – Versuch einer Klärung

Kurz gesagt, 30.10.2019 Forschungsgebiete

Der Vorschlag der Verteidigungsministerin, eine Sicherheitszone in Nordsyrien einzurichten, wird kontrovers diskutiert. Doch um was geht es eigentlich? Muriel Asseburg und Markus Kaim empfehlen die Auseinandersetzung mit vier Leitfragen.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat mit ihrer Forderung aus der vergangenen Woche nach Einrichtung einer internationalen Sicherheitszone in Nordsyrien eine kontroverse Debatte in Deutschland ausgelöst. Bezüglich der Details ihres Vorschlages ist sie allerdings vage geblieben. Auch wenn es scheint, als sei der Vorschlag zunächst einmal obsolet geworden, lohnt sich doch eine Analyse der Optionen sowie der politischen und militärischen Herausforderungen, vor denen eine etwaige Mission stünde.

Vier Leitfragen sollten beantwortet sein, wenn ein militärisches Engagement Deutschlands und Europas in Nordsyrien erwogen wird.

Um welche Art von Einsatz geht es in (Nord-) Syrien?

Erstens, was soll eine internationale Militärkoalition in (Nord-) Syrien militärisch leisten? Hier werden zum Teil widersprüchliche Ansätze diskutiert. Bei einer »Sicherheitszone« geht es in der Regel darum, nach dem Ende einer militärischen Auseinandersetzung den zwischen den Kriegsparteien erzielten Waffenstillstand zu überwachen und dadurch Raum für politische Verhandlungen zu ermöglichen. Konkret hieße dies etwa, demilitarisierte Zonen einzurichten, Truppen zu entflechten und ggf. Kriegsparteien zu entwaffnen. Dies alles ist jedoch nur mit Zustimmung der Kriegsparteien möglich. Eine solche internationale Truppe müsste neutral sein und wäre nur leicht bewaffnet. Im derzeitigen Umfeld in Nordsyrien ist ein solcher Einsatz kaum vorstellbar: Zwischen den Truppen der Türkei und den Milizen der Kurden existierte zwar vorübergehend eine befristete Waffenruhe, diese war aber von Anfang an brüchig; ein langfristiger Waffenstillstand ist noch nicht ausgehandelt. Zusätzlich sind nach wie vor Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates aktiv. Eine Zustimmung Damaskus‘ zu einer internationalen Präsenz auf syrischem Territorium kann zudem ausgeschlossen werden.

Andere Vorschläge zielen auf die Einrichtung einer »Schutzzone«, wie sie etwa in Kroatien und Bosnien-Herzegowina von den Vereinten Nationen (VN) mit begrenztem Erfolg eingerichtet worden ist. Dabei würden internationale Truppen auch gegen den Willen der Kriegsparteien Gebiete besetzen und langfristig gegen Beschuss sichern, um eine Versorgung der Zivilbevölkerung und eine Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen zu ermöglichen. Hinzu kämen Verbände der Luftwaffe, da die Schutzzone konsequenterweise von einer Flugverbotszone überwölbt werden müsste, um Angriffe aus der Luft abzuwehren. Dies wäre eine umfangreiche militärische Operation, für die mehrere Tausend Soldaten in einem weitgehend feindlichen Umfeld nötig wären. Es bestünde eine hohe Wahrscheinlichkeit von Gefechten und Verlusten.

Wie wäre ein Einsatz mandatiert?

Zweitens ist die Frage der Mandatierung eines solchen Einsatzes zu klären, wie sie das Bundesverfassungsgericht 1994 für alle Auslandseinsätze gefordert hat. Eine entsprechende Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot kann nur der VN-Sicherheitsrat mit der Zustimmung aller fünf ständigen Mitglieder genehmigen. Die Trump-Regierung dürfte keine Einwände gegen einen europäischen Einsatz vorbringen. Hingegen wäre die Zustimmung Moskaus unwahrscheinlich. Da Russland zusammen mit der Türkei und Iran im Begriff ist, eine politische wie territoriale Nachkriegsordnung für Syrien zu schaffen, dürfte eine Internationalisierung des Konfliktes nicht im Interesse Moskaus und ein VN-Mandat damit in weiter Ferne liegen. Damit bliebe nur die völkerrechtswidrige Option eines Vorgehens ohne ein VN-Mandat. Deutschland hat diesen Weg 1999 mit der Beteiligung am Kosovo-Krieg beschritten, aber damit einer Erosion des Gewaltverbotes in der internationalen Politik ungewollt den Boden bereitet.

Wer wäre Träger des Einsatzes?

Drittens wäre die Frage nach der multilateralen Organisation zu stellen, die diesen Einsatz durchführen soll. In der vergangenen Woche haben sich die Verteidigungsminister der NATO mit dem deutschen Vorstoß befasst. Angesichts des schlechten Bildes, das die russische Führung von der nordatlantischen Allianz zeichnet, verwundert dieser Schritt. Denn Moskau wird sicherlich keiner NATO-Operation in Nordsyrien zustimmen, welches Ziel auch immer diese verfolgt. Auch Präsident Assad würde ein militärisches Kontingent der NATO oder der EU nicht als neutral, sondern als Koalition der Feinde Damaskus‘ auffassen – und einen Einsatz als späten Versuch des Westens werten, das Ruder im syrischen Bürgerkrieg herumzureißen.

Andere Stimmen in der deutschen Debatte bevorzugen eine Koalition der Willigen aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Solche Ad-hoc-Koalitionen haben jedoch Nachteile gegenüber formalen multilateralen Kooperationen. So ist ihr Vorgehen in der Regel weniger transparent. Auch zwingt eine formale Kooperation die Beteiligten eher dazu, ihre politischen Ordnungsvorstellungen abzustimmen. Schließlich gibt es für derartige Fälle keine vereinbarten Verfahren zur finanziellen Lastenteilung und zur Bereitstellung militärischer Kapazitäten. Im Sinne der angestrebten strategischen Autonomie Europas würde es sich stattdessen anbieten, die Verfahren und Institutionen nutzbar zu machen, die die EU mit ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickelt hat. Hier sind alle Strukturen vorhanden, die für derartige Operationen notwendig sind. Bislang hat es allerdings am politischen Willen der EU-Mitglieder für größere Einsätze gefehlt.

Welche politischen Ziele würde ein Einsatz verfolgen?

Schließlich muss das politische Ziel eines Einsatzes definiert werden. Die Verteidigungsministerin hat ihr Anliegen einer Sicherheitszone mit der Fortsetzung des Kampfes gegen den »Islamischen Staat« und der Unterstützung des Verfassungsprozesses in Syrien verknüpft. Beides hat aber mit der Einrichtung von Sicherheits- oder Schutzzonen nichts zu tun. In der internationalen Koalition gegen den »Islamischen Staat« ist Deutschland zudem bereits engagiert. Grundsätzlich sollten Militäreinsätze einem erreichbaren politischen Ziel dienen, um überhaupt erfolgreich sein zu können. Je präziser dieses formuliert ist, desto besser lässt sich einschätzen, wie sinnvoll eine solche Militäroperation sein kann, welche Ressourcen und Partner notwendig sind und wann sie auch wieder beendet werden kann. Für die Entscheidungsprozesse innerhalb wie außerhalb Deutschlands ist das unabdingbar.