Direkt zum Seiteninhalt springen

Der Auszehrung der EU-Erweiterungspolitik muss eine Aufwertung der EU-Außenpolitik folgen

Die EU-Erweiterungspolitik wird von zwei Entwicklungen ausgezehrt: Die Stärkung der Eurozone hat Vorrang; die Erweiterung als bislang erfolgreichstes Instrument der EU-Außenpolitik verliert ihre Wirkung, meint Barbara Lippert.

Kurz gesagt, 19.12.2012 Forschungsgebiete

Die EU-Erweiterungspolitik wird von zwei Entwicklungen ausgezehrt: Die Stärkung der Eurozone hat Vorrang; die Erweiterung als bislang erfolgreichstes Instrument der EU-Außenpolitik verliert ihre Wirkung, meint Barbara Lippert.

Die Europäische Union befindet sich in einem großen Umbruch. In der andauernden Verschuldungskrise und angesichts tief greifender wirtschaftlicher Probleme verschärfen sich bekannte Konfliktlinien wie die zwischen Nord und Süd. Neue, wie die zwischen Schuldnern und Gläubigern, treten hinzu. Alle 27 teilen jedoch das Interesse an einer funktionsfähigen Eurozone. Deren siebzehn Mitglieder bauen mit dem Segen der übrigen Mitgliedstaaten an einer "genuinen Wirtschafts- und Währungsunion" und treiben damit auch die politische Integration voran.

Diese EU der Eurozone à 17 ist zwar mitnichten das Kerneuropa im Sinne der am stärksten supranational gesinnten, wirtschaftlich dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Länder. Aber es entwickelt sich in der Eurozone um Deutschland, Frankreich und die von den Rating-Agenturen gekürten Triple-A-Länder ein Gravitationszentrum, das Inhalt und Tempo der Europapolitik vorgeben wird. In diesem neuen Zentrum fehlen jene, die traditionell ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht für eine Aufnahme neuer Mitglieder in den politischen Prozess eingebracht haben. Zu nennen sind: Großbritannien, Schweden, Polen, die baltischen Länder und andere der Erweiterungsrunden von 2004 und 2007. Hinzukommt, dass die Kommission als Motor und Manager der Heranführung von Kandidaten und der Erweiterungsverhandlungen an Autorität in der EU eingebüßt hat. Mit wenigen Ausnahmen, wie unverändert die Spanier, stellt sich die Bevölkerung in der alten EU-15 größtenteils gegen eine Aufnahme weiterer Länder. Die Gegnerschaft ist besonders stark in Deutschland, Österreich, Frankreich und Finnland. Sie gilt vor allem einem möglichen Beitritt der Türkei. Dieser ist ohnehin, wie auch die Mitgliedschaft der sechs Länder des Westbalkans, Zukunftsmusik. Das Zusammentreffen der Euro-Finanzkrise mit der notorischen Erweiterungsmüdigkeit macht die EU kritischer, anspruchsvoller und damit wählerischer, wenn es um künftige Mitglieder geht.

Vorrang für Vertiefung und Erweiterung der Eurozone

Das trifft auch auf Deutschland zu, das seit der ersten Norderweiterung von 1973 eine führende Rolle unter den Erweiterungsunterstützern eingenommen hatte. Damit ist es spätestens seit der verfrühten Aufnahme von Rumänien und Bulgarien im Jahr 2007 vorbei. Kroatien, das im nächsten Jahr hinzukommt, bildet nur noch einen Nachklapp zur Osterweiterung. Deutschland hat sich im Laufe der Eurozonen-Krise an die Spitze der Länder gesetzt, die mehr Integration als die Antwort auf die Herausforderungen in der EU ansehen. Für die deutsche Europapolitik können Vertiefung und Erweiterung der EU nicht länger zwei Seiten derselben Medaille sein. Die Vertiefung und Erweiterung der Eurozone hingegen, also etwa der Beitritt Litauens und Lettlands oder Polens in den Kreis der Euro-Länder, gewinnen Priorität. Zwar sollte man hier keine künstlichen Gegensätze zwischen der Eurozonen- und der EU-Erweiterung aufbauen, aber für Deutschland ist es schon ein Handicap, dass die EU-Erweiterung nicht mehr als Schwungrad für Vertiefung und Reformen ins Feld geführt werden kann.

Gegenwärtig drängen in den Ländern, die für eine Vertiefung der Eurozone und für einen Zusammenhalt der 27er Union eintreten, die Sorgen vor einer Überdehnung der EU in politischer und materieller Hinsicht wieder in den Vordergrund. Angesichts der großen Solidaritätserfordernisse mit jetzigen wie künftigen Mitgliedern, die wirtschaftlich schwach sind, unsolide Staatsfinanzen und dysfunktionale Institutionen haben, ist die Zurückhaltung verständlich. Die EU hat es nicht geschafft, die Beitrittsreife der Kandidaten strikt zu bewerten, sondern politischen Erwägungen den Vorzug gegeben. Jetzt beklagen die Europäische Kommission wie die Aspiranten, dass die Erweiterungspolitik nicht mehr glaubwürdig sei, wichtige EU-Mitglieder vom EU- Beitrittsversprechen abrückten und den Schwung aus den Verhandlungen nähmen. Mit Sondermaßnahmen wie der positiven Agenda gegenüber der Türkei und hochrangigen Dialogen mit Westbalkan-Ländern versucht jedoch die Kommission, erfinderisch wie eh und je, die Kandidaten und die EU auf Beitritts- und Erweiterungskurs zu halten. Insofern läuft die Erweiterungs-Maschinerie weiter, wenn auch langsam. Faktisch werden die Aufnahmehürden jedoch weiter heraufgesetzt, auch wenn Integrationsskeptiker hoffen, dass eine lockerere EU der vielen Geschwindigkeiten leichtere Anschlussmöglichkeiten für Beitrittskandidaten schaffen würde.

Stärkung der europäischen Außenpolitik

Man sollte jetzt nüchtern konstatieren: Der aus Geschichte und politischer Solidarität gespeiste moralisch-ideelle Impuls der EU-Länder, Transformationsstaaten aus der Nachbarschaft aufzunehmen, trägt wohl nicht mehr über die Länder des Westbalkans hinaus. Diese werden sich auf das politische Beitrittsversprechen verlassen können und in einem Zeitraum von zehn bis zwanzig Jahren beitreten, sofern sie die EU als reif für den Beitritt erachtet. Doch schon bald dürfte die Erweiterung nicht mehr als das effektivste Instrument der EU-Außenpolitik zitiert werden können. Denn neben dem Erweiterungswillen lässt auch die Transformationskraft der EU, siehe Westbalkan, nach, und einige Nachbarn ziehen eine Mitgliedschaft gar nicht (mehr) in Betracht. Mit der Türkei, den Ländern Osteuropas und des Südkaukasus sowie den Ländern Nordafrikas, die sich in einer turbulenten Übergangsphase befinden, wird die EU auch deshalb eigene Arrangements für wirtschaftliche Kooperation und Integration sowie politische Assoziierung entwickeln müssen. Eine differenzierte und effektive Nachbarschaftspolitik wird weniger die Regulierungsmacht EU als die Regionalmacht EU fordern. Die Stärkung der europäischen Außenpolitik und ihrer Akteure ist deshalb unerlässlich. Eine auf die Eurozone verkleinerte EU wäre aber für die hier geforderte Strategiefähigkeit der Union keine ausreichende Grundlage. Sie verlangt eine intelligentere Konstellation, bei der Großbritannien und etwa Polen eine wichtige Rolle spielen.

Der Text ist auch auf EurActiv.de und Tagesspiegel.de erschienen.