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Das Scheitern des Brüsseler Gipfels - Reaktionen aus den Beitrittsländern

Arbeitspapier --, 15.12.2003, 11 Seiten

Baltische Staaten

Wenig Aufregung löste das Ende der Verhandlungen in den baltischen Staaten aus. Die meisten Regierungsvertreter äußerten sich ähnlich wie der estnische Premierminister Parts, der davon sprach, daß von einer Tragödie nicht die Rede sein könne und die Annahme der Verfassung lediglich auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden sei. Es hätte keinen Sinn gehabt, den Verfassungsentwurf "um jeden Preis" zu verabschieden.

Unterschiedliche Stimmen waren zur Möglichkeit der intensiveren Kooperation einiger Mitgliedstaaten zu vernehmen. Die lettische Außenministerin Kalniete sagte, sie sehe in diesem Zusammenhang keine besondere Gefahr, schließlich sei die Zusammenarbeit einiger Staaten in der EU nichts Außergewöhnliches und komme bereits jetzt vor. Ihre estnische Amtskollegin Ojuland wurde hingegen mit den Worten zitiert, daß das Zustandekommen eines Kerns in der EU politisch gefährlich wäre, da dann in der Union auch weitere Gruppierungen entstehen könnten und sich statt eines geeinten Europas ein Europa miteinander konkurrierender Regionen herausbilden würde.

Unter Politologen aus der Region besteht die Auffassung, Polen habe die kleineren Staaten durch sein Verhalten gleichsam marginalisiert. Zweifel wurden geäußert, ob es möglich sein werde, sich einem künftigen Kerneuropa anzuschließen. Die Eingliederung in eine Gruppe intensiverer Zusammenarbeit könne insbesondere für Estland schwierig werden, das etwa in Steuer- und Sozialfragen gegen Vereinheitlichung und Harmonisierung votiert. Betont wurde, daß der negative Ausgang des Brüsseler Treffens kaum öffentlich diskutiert wurde.

Auch wurde die Aufrichtigkeit von Erklärungen bezweifelt, in denen das Scheitern der Regierungskonferenz bedauert wird. In Lettland wird vermutet, daß die Außenpolitik des Landes eigentlich mit der Fortexistenz des Nizza-Systems zufrieden sei. Die lettische Tageszeitung Diena schrieb hingegen, daß die europäische Politik nun in eine Phase großer Ungewißheit eingetreten sei. Die Entscheidungsfindung nach dem Nizza-Modell sei komplizierter als die des Verfassungsentwurfs, was auch aus lettischer Sicht negativ beurteilt werden müsse.