-
Das Gesamtbild
Das Gesamtbild
In den Ländern aus Ostmitteleuropa, die am 1. Mai nächsten Jahres der Europäischen Union beitreten wollen, wurde der Fehlschlag der Verhandlungen über einen europäischen Verfassungsvertrag mit Enttäuschung, aber ohne übergroßen Pessimismus aufgenommen. Allerorts wurde betont, daß das Scheitern des Gipfels keine Katastrophe und die Erweiterung nicht gefährdet sei. Vor allem unter Politikern aus den Beitrittsländern besteht Einigkeit darüber, daß es besser war, in der jetzigen Situation die Verhand-lungen abzubrechen und dem Vertragswerk zu einem späteren Zeitpunkt eine neue Chance zu geben. Positiv wurde wahrgenommen, daß mit Ausnahme der strittigen Entscheidungsverfahren in nahezu allen Fragen ein Konsens erreicht wurde. Zu den zentralen Themen, die in den ersten Reaktionen sichtbar wurden und die auch die Diskussion der kommenden Monate prägen werden, gehören: die Frage nach dem weiteren Fortgang des Verfassungsprozesses, die Konzeption eines "Europas der zwei Geschwindigkeiten" sowie das Verhältnis zwischen Finanzfragen und Verfassungsgeschehen.
Sichtbar wurden beachtliche Unterschiede zwischen den kleineren Beitrittsländern einerseits und Polen andererseits. In den meisten der kleineren Beitrittsländer wird Bedauern über das (vorläufige) Aus der Verhandlungen geäußert, gleichzeitig gibt man sich aber verhalten optimistisch, was den weiteren Gang der Dinge anbelangt. Politiker, Medien und Fachleute betonten mehrheitlich, daß ihre Länder konstruktiv und flexibel agierten. Deswegen bestünden gute Aussichten, Bestandteil eines nicht gewünschten, aber vielleicht unumgänglichen Kerneuropas zu werden. In Polen hingegen wurde der Ausgang des Gipfels vorwiegend als Erfolg einer konsequenten Politik zur Wahrung nationaler Interessen bewertet. Aufgrund des hohen Profils, das Warschau während der Brüsseler Zusammenkunft zeigte, ist die Furcht vor möglichen Sanktionen, sei es in Form ungünstiger finanzieller Regelungen oder durch das Abdriften in eine Zone niedriger Integration ausgeprägter als in den anderen Beitrittsstaaten. In den Medien wird auch darauf hingewiesen, daß Polen einen dauerhaften Imageverlust erleiden könnte. Die offizielle Außenpolitik scheint bemüht, die deutsch-polnischen Beziehungen nicht noch stärker zu belasten, ohne aber bislang in der Sache mehr Flexibilität anzudeuten.