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Auch in Krisenzeiten: Lieferketten durch unternehmerische Sorgfaltspflicht stärken

Kurz gesagt, 02.09.2022 Forschungsgebiete

Nachhaltigkeit und Transparenz erhöhen die Resilienz von Lieferketten. Das ist sowohl für Unternehmen als auch für die Bundesregierung eine Voraussetzung, um künftige politische und wirtschaftliche Krisen zu meistern, meinen Meike Schulze und Viktoria Reisch.

Erst die Corona-Pandemie, nun der russische Angriffskrieg auf die Ukraine – globale Lieferketten waren, sind und werden zukünftig mit Krisen konfrontiert. Neben der Inflation und Lieferausfällen stellen geopolitische Verschiebungen und Katastrophen Unternehmen zunehmend vor Schwierigkeiten. Gesetze zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das am 1. Januar 2023 in Kraft tritt, helfen mit solchen Aufgaben umzugehen. Sie fördern nicht nur die moralische Verpflichtung zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt, sondern auch die Resilienz von Lieferketten. Vorschläge, das LkSG oder das entsprechend geplante EU-Gesetz abzuschwächen oder gar zu verschieben, um Unternehmen in der aktuellen Krise vermeintlich zu entlasten, laufen daher in die falsche Richtung.

Resilienz durch Nachhaltigkeit

Zahlreiche Studien, unter anderem der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2021, zeigen, dass Unternehmen mit hohen Nachhaltigkeitsstandards besser durch die Corona-Pandemie kamen und sich schneller erholten. Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit – die Zieldimensionen von globalen Lieferketten – stellen demnach keine Gegensätze dar. Vielmehr bedingen und stärken sie sich gegenseitig.

Sorgfaltspflichten in Lieferketten zu verankern, trägt zum Informationsaustausch bei und erhöht die Transparenz. Durch die verpflichtende Risikoanalyse können Unternehmen nicht nur bestehende Abhängigkeiten, sondern auch konkrete Risiken besser identifizieren, mögliche Lieferausfälle antizipieren und Diversifizierungsmöglichkeiten erschließen. Diese Planung wird künftig an Bedeutung gewinnen – deutsche Unternehmen müssen hier strategischer und vorausschauender denken. Denn Unsicherheiten in globalen Lieferketten bleiben mittel- und langfristig bestehen. Das gilt sowohl für politische und wirtschaftliche Risiken, wie wir sie aktuell mit dem russischen Angriffskrieg erleben, als auch für Ausfälle durch soziale Unruhen wie etwa den wochenlang andauernden Protesten lokaler Gemeinden gegen die peruanischen Kupfermine Las Bambas im Frühjahr und Sommer 2022. Durch ein Risikomanagement, wie es das LkSG vorsieht, sollen Interessen und Beschwerden Betroffener wahrgenommen und in angemessener Weise begegnet werden. Das kann die Eskalation von solchen sozialen Konflikte verhindern.

Im Falle einer akuten Krise bieten im Voraus etablierte Sorgfaltspflichten wirkungsvolle Mechanismen, um eine zügige Bestandsaufnahme durchzuführen sowie die sich schnell verändernden Rahmen- und Arbeitsbedingungen zu analysieren. Leitfäden, wie sie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen von Branchendialogen und das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) derzeit erstellen, können dabei Orientierung bieten. Ergänzend sollten die Behörden konkrete Handlungsanweisungen für unvorhersehbare Ereignisse oder geopolitische Krisen bereitstellen, die insbesondere für anlassbezogene Risikoanalysen nützlich sein können.

EU-weites »Level Playing Field« für Unternehmen

Das geplante EU-Lieferkettengesetz in Reichweite und Umfang stark einzuschränken, um Unternehmen in Krisenzeiten nicht zusätzlich zu belasten, ist eine anhaltende Forderung seitens der Industrie und Teilen der Politik. Mit Inkrafttreten des deutschen LkSG 2023 ist die politische Stoßrichtung jedoch eindeutig und sollte auch nicht ausgebremst werden. Weitaus wichtiger wäre es, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für ein umfangreiches Gesetz stark macht und damit faire Wettbewerbsbedingungen, das sogenannte Level Playing Field für Unternehmen in der EU schafft.

Der Alternativvorschlag einer Negativliste für Unternehmen, welche Zulieferer führt, die sich nicht regelkonform verhalten, erscheint auf den ersten Blick wirkungsvoll, um Komplexität zu reduzieren und Aufwand für Unternehmen zu verringern. Der Vorschlag würde jedoch nicht nur eindeutig das WTO-Regelwerk verletzen, sondern auch dem Wunsch entgegenlaufen, dass sich Unternehmen mit ihren Lieferketten und deren Risiken kontinuierlich auseinandersetzen.

Eine Harmonisierung der diversen nationalstaatlichen Regulierungen auf europäischer Ebene kann Synergien schaffen und Kräfte bündeln. So können, wie im EU-Vorschlag vorgesehen, staatliche Umsetzungsbehörden vom Austausch über Best Practices profitieren. Auch würde eine einheitliche Implementierung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der EU, durch ihre Rolle als gemeinsamer Wirtschaftsraum, eine größere globale Wirkung erzielen.

Stärkere Zusammenarbeit statt Zaudern

Es ist nicht zu erwarten, dass das deutsche LkSG beziehungsweise ein geplantes EU-Gesetz – wie von Kritikern und Kritikerinnen oft argumentiert – unwiderruflich zum Abbruch von Geschäftsbeziehungen führt oder Unternehmen deswegen aus risikoreichen Ländern abwandern. Eine Studie des Beratungsunternehmens Löning Human Rights and Responsible Business von 2020 zeigt, dass Unternehmen eher Maßnahmen ergreifen, um Risiken zu begegnen, statt sich aus kritischen Umfeldern zurückzuziehen. Viele Firmen investieren bereits seit Jahren in die nachhaltigere Gestaltung ihrer Lieferketten, inklusive freiwilliger Standards sowie Schulungen für Zulieferer, und stärken darüber ihre Lieferbeziehungen. Dieses Engagement sollte ausgebaut werden. So können auch Vulnerabilitäten von Akteuren entlang der Lieferkette verringert und die Auswirkungen von Lieferkettenkrisen auf die wirtschaftliche Entwicklung von Staaten – insbesondere auch Entwicklungs- und Schwellenländern – abgeschwächt werden.

Letztendlich werden nachhaltigere Lieferbeziehungen auch von Partnerländern eingefordert. Unternehmerische Sorgfaltspflicht in diesem Bereich stärker auf europäischer Ebene zu verankern, sollte auch deswegen Teil einer strategischen Außenwirtschaftspolitik sein. Gestützt durch flankierende Maßnahmen, wie die technische und finanzielle Unterstützung von Drittländern bei der Durchsetzung bestehender Umwelt- und Arbeitsgesetze, würde das Vertrauen in die EU als Partner stärken und das europäische Engagement für die extraterritoriale Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechten unterstreichen.