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Das Rennen um die Rohstoffe

Debattenbeiträge zur Rohstoffpolitik der EU nach Veröffentlichung der vierten Liste kritischer Rohstoffe und des Aktionsplans 2020

SWP-Zeitschriftenschau 2022/ZS 01, 22.03.2022, 8 Seiten

doi:10.18449/2022ZS01

Forschungsgebiete

Als Folge der Energiewende und der Digitalisierung steigt die Nachfrage nach Roh­stoffen drastisch. Gleichzeitig ist die Situation auf den Rohstoffmärkten wegen des Krieges in der Ukraine in besonderem Maße angespannt, Lieferengpässe sind möglich. Vor diesem Hintergrund sind die vierte Liste kritischer Rohstoffe und der Aktionsplan zur Förderung resilienter Rohstofflieferketten, beide von der EU-Kommission im September 2020 veröffentlicht, von großer politischer Bedeutung. Sogenannte kritische Rohstoffe spielen eine wichtige Rolle für die Wirtschaft der Europäischen Union (EU), sind aber zugleich mit einem hohen Lieferrisiko behaftet. Die hier bespro­chenen Beiträge hinterfragen, inwieweit die Ziele der EU-Politik zu kritischen Roh­stoffen mit anderen ihrer Ziele kohärent sind. Diskutiert werden außerdem die Gestal­tung zwischenstaatlicher Zusammenarbeit im Rohstoffsektor und die Rolle der EU-Mitgliedstaaten. Offensichtlich wird dabei die geopolitische Bedeutung kritischer Rohstoffe für europäische Zukunftsprojekte. Das gilt umso mehr in Anbetracht der aktuellen Debatte über die Energieunabhängigkeit von Russland.

Windräder und Solaranlagen, Batterien für Elektroautos, Technologien bei der Digita­lisierung, Drohnen für die Verteidigung – sie alle funktionieren nicht ohne sogenannte kritische Rohstoffe. Nicht erst seit der Coro­na-Pandemie ist insofern auch die Kritikalität bestimmter Lieferketten ein Thema. Im Jahr 2011 publizierte die Europäische Kom­mission erstmals eine Liste von damals 14 kri­tischen Rohstoffen. Die zuletzt 2020 ver­öffentlichte vierte EU Critical Raw Materials List umfasst bereits dreißig Stoffe. Zu den bekanntesten gehören etwa Kobalt, Seltene Er­den, die Platinmetallgruppe oder Lithium. Rohstoffe gelten für die EU dann als kritisch, wenn sie für ihre Volkswirtschaft besondere Bedeutung haben, aber einem hohen Liefer­risiko unterliegen. Einflussfaktoren dafür sind beispielsweise eine starke Konzentra­tion der Produktion in einem oder wenigen Ländern wie auch die Governance-Bedin­gungen in den Zulieferstaaten.

Die Liste wurde zusammen mit einem Aktionsplan veröffentlicht, der zehn Maß­nahmen vorsieht, um die Resilienz von Rohstofflieferketten zu fördern. Beides geht aus der im März 2020 publizierten neuen Industriestrategie für Europa hervor. Lei­tend ist die Maxime, die strategische Auto­nomie der EU zu erhöhen. Eine wichtige Rolle spielen außerdem der European Green Deal, mit dem die EU Klimaneutralität im Jahr 2050 anstrebt, und die Digitalisierung. Für deren erfolgreiche Umsetzung sind Metalle, Mineralien und Naturmaterialien zentral. Im Zuge dessen könnte sich die Abhängigkeit der EU von Importen natür­licher Ressourcen allerdings ver­lagern – weg von fossilen, hin zu mineralischen Roh­stoffen. Um diese Entwicklung zu ver­hindern und Europas industrielle Wett­bewerbsfähigkeit abzusichern, zielen die EU-Pläne darauf, Lieferketten zu diversifizieren, Rohstoffe wiederzuverwenden und zu ‑verwerten und den Verbrauch zu redu­zieren. Entsprechend ist der Aktionsplan grob in vier thematische Pakete gegliedert: Industriepolitik, Kreislaufwirtschaft und Produktdesign, Beschaffung aus der EU sowie Diversifizierung der Versorgung aus Drittländern.

Diese Zeitschriftenschau widmet sich der Diskussion über die aktuelle EU-Politik zu kritischen Rohstoffen. Dabei werden drei Debattenstränge dargestellt, die außen­politisch von Bedeutung sind. Der erste betrifft die Vereinbarkeit der Ziele der EU-Rohstoffpolitik mit ihren Zielen für Nach­haltigkeit und strategische Autonomie. Der zweite Strang beschäftigt sich mit geopolitischen Implikationen und der Debatte über mögliche Partner. Drittens werden Beiträge besprochen, in denen die Rolle der EU-Mitgliedstaaten thematisiert wird, darunter ein Beitrag zur Rolle Deutschlands als einer der wirtschaftsstärksten Staaten in der EU. Herangezogen werden Analysen in wissen­schaft­lichen Zeitschriften und von Think-Tanks sowie Meinungsbeiträge, die erschie­nen sind, nachdem im September 2020 die vierte EU-Liste und der Aktionsplan ver­öffentlicht wurden.

Die Vereinbarkeit von EU-Zielen

Der Zugang zu Rohstoffen ist ein wesent­licher Faktor für das Erreichen europäischer Ziele wie Klimaneutralität und strategische Autonomie. Das zeigt sich eben auch in Bei­trägen, die nicht konkret die EU-Politik zu kritischen Rohstoffen behandeln. In einem Policy Brief des European Council on For­eign Relations verweisen Mark Leonard, Jean Pisani-Ferry, Jeremy Shapiro, Simone Tagliapietra und Guntram Wolff auf die Bedeutung gesicherter Rohstoffversorgung für die Umsetzung des Green Deals. Mari­anne Schneider-Petsinger identifiziert in einer Chatham-House-Studie die sichere Versorgung mit Rohstoffen als eine wesent­liche Aufgabe, um die strategische Auto­nomie der EU zu stärken. Die Verfasser und Verfasserinnen der folgenden Beiträge bemängeln, dass die Ziele der EU-Rohstoff­politik nicht kohärent sind mit eben diesen anderen Zielen der EU.

Mangelnde Kohärenz

Hadassah Arian, Guillaume de Brier und Lotte Hoex identifizieren in einem IPIS-Briefing einen Widerspruch der angestrebten Energiewende, den die EU mit ihrer Politik zu kritischen Rohstoffen nicht auf­zulösen vermag. Die Energiewende ver­lagere lediglich die Abhängigkeit von fossi­len zu mineralischen Ressourcen. Darüber hinaus ergebe sich durch den großen Bedarf an Rohstoffen für Technologien zur Nut­zung erneuerbarer Energiequellen, so­genannte grüne Technologien, ein Wider­spruch. Zwar werde bei dieser Art der Ener­gieproduktion kein CO2 ausgestoßen. Bei der Produktion der Rohstoffe, die beispielsweise für Windräder oder Solarpanels benö­tigt werden, geschehe dies aber durchaus. Neben diesen ökologischen Kosten müsse auch an soziale und menschenrechtliche Risiken des Abbaus gedacht werden. Dies sehen sie sowohl in den Rohstoffplänen der EU-Kommission sowie im Green Deal nicht hinreichend berücksichtigt. Man dürfe nicht nur den CO2-Fußabdruck des End­produkts messen, sondern müsse Nachhaltigkeits­belange entlang der gesamten Liefer­kette für grüne Technologien bedenken.

Patrice Christmann betrachtet in seinem Beitrag zur Zeitschrift Mineral Economics die EU-Rohstoffpolitik seit Beginn der 2000er Jahre. Er wirft der EU vor, Entwicklungs­zusammenarbeit und Freihandel lange Zeit priorisiert und dabei die Dominanz Chinas als Rohstofflieferant (und somit die eigene Vulnerabilität) unterschätzt zu haben. Nach dem G8-Gipfel in Deutschland 2007 sei es jedoch zu einem Richtungswechsel gekom­men. Mit den seither eingeführten EU-Maßnahmen habe man vor allem in For­schung und Entwicklung große Fortschritte gemacht. Die Abhängigkeit von Drittstaaten, die bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen besteht, habe sich jedoch nicht geändert – sie habe sich sogar verstärkt.

Unter dem Aspekt ökologischer Nach­haltigkeit stelle das insofern ein Problem dar, als der Abbau dieser Rohstoffe und deren Verarbeitung außerhalb der EU CO2-inten­siv seien. Als Hauptgrund nennt Christmann die energieintensive Produk­tion, bei der oft emissionsreiche Energiequellen wie Kohle genutzt würden. Chinas Energiemix, aktuell der Hauptlieferant für kritische Rohstoffe, würde beispielsweise zu 58 % (2019) aus Kohle bestehen. Die EU könne angesichts dessen ihren tatsächlichen CO2-Fußabdruck kaum kontrollieren, was dem von ihr angestrebten Beitrag zu einer nachhaltigen Transformation zuwiderlaufe. Die Nutzung heimischer Ressourcen nach hohen sozialen und ökologischen Standards sei daher ebenso unumgänglich wie die Weiterentwicklung von Kreislaufwirtschaft.

Um ein entsprechendes EU-weites kohärentes Handeln zu ermöglichen, sehe der EU-Aktionsplan wichtige Schritte vor, dar­unter etwa die European Raw Materials Alliance (ERMA), gegründet im Herbst 2020. Trotz aller Bemühungen sei der Spielraum der EU, Einfluss zu nehmen, begrenzt; künf­tige Entwicklungen würden stark vom Han­deln Chinas abhängen. Damit weist der Au­tor darauf hin, dass sich gerade das Ziel der strategischen Autonomie mit den aktuellen Maßnahmen nur schwer erreichen lasse.

Partner oder Konkurrenten?

Die EU ist nicht die einzige Spielerin im Rennen um die Sicherung von Rohstoffen. Die USA, Kanada oder Japan verfolgen das­selbe Ziel. Die USA beispielsweise veröffent­lichten 2018 eine Liste von 35 kritischen Rohstoffen. In vielen Abbau­regionen Afri­kas und Lateinamerikas wird gegenwärtig vor allem darüber diskutiert, die regionale Zusammenarbeit (etwa im Rahmen der Afri­kanischen Freihandelszone) zu stärken und eine verarbeitende Industrie aufzubauen, um lokale Wertschöpfung zu generieren. In diesen Regio­nen gewinnt zudem eine um­weltfreund­lichere, CO2-arme Produktionsweise an Bedeutung. Gerade im Kontext sogenannter »Build Back Better«-Strategien, Strategien für den Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie, haben sich diese Ten­denzen verstärkt.

Schon allein aufgrund geologisch beding­ter Verfügbarkeiten wird die EU auf den Import kritischer Rohstoffe angewiesen bleiben. Wäh­rend die einen vor neuen Abhängigkeiten und damit einhergehenden geopolitischen Spannungen warnen, ver­treten andere die Meinung, dies hänge von der Auswahl der Partner und der Gestaltung der Kooperationen ab.

Die »richtige« Wahl der Partner

Daniel Fiott und Vassilis Theodosopoulos vom European Union Institute for Security Studies vertreten in ihrem (Policy) Brief den Standpunkt, geopolitische Faktoren erfor­derten eine Diversifizierung der Importe kri­tischer Rohstoffe und müssten daher auch bei der Wahl neuer Handelspartner beach­tet werden. Drei Kriterien sollten bei dieser Wahl eine Rolle spielen: der Grad fragiler Staatlichkeit, das Risiko wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen sowie die Vulnerabilität eines Landes gegenüber dem Klimawandel.

1. Von fragiler Staatlichkeit spricht man, wenn ein Staat nicht mehr in der Lage ist, Kernaufgaben zu erfüllen, wie die Gewährleistung von Sicherheit, soziale Grund­versorgung und die Bereitstellung rechtsstaatlicher Mechanismen. Staaten, die Han­del außenpolitisch instrumentalisieren könnten, dürften nicht gegen politisch und wirtschaftlich fragile Staaten ausgetauscht werden. Handelsbeziehungen mit solchen fragilen Staaten seien instabil und würden ebenfalls Risiken bergen.

2. Ein wachsendes Problem seien wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen wie Sank­tionen gegen EU-Staaten oder Exportrestrik­tionen. Als besonders riskant bewerten die Autoren die Kombination aus autoritären oder nicht-demokratischen Regimen mit einer starken Volkswirtschaft (z. B. China, Russland oder Saudi-Arabien).

3. Die Vulnerabilität eines Landes gegen­über dem Klimawandel sei insofern ein Pro­blem, als dessen industrielle Produktion und somit dessen Exportangebot durch Klima­katastrophen beeinträchtigt werden könnten.

Bei allen drei Faktoren weisen Fiott und Theodosopoulos auf einen heiklen Balance­akt hin: Die EU könne durch Handel Stan­dards und Normen in vulnerablen und/oder fragilen Staaten heben und deren Stabilität steigern – und das solle sie auch. Gleichzei­tig müsse sie aber ihre eigene Versorgungs­sicherheit im Blick haben. Daher sollte auf bestehende, sichere Handelsbeziehungen – die Autoren nennen Argentinien, Australien, Kanada, Japan, Großbritannien und die USA – größeres Augenmerk gelegt werden.

Diesen Faden nimmt Pau Ruiz Guix auf, bis Januar 2022 Research Associate beim European Council on Foreign Relations: Transatlantische Kooperation müsse forciert werden, schreibt er in einem Kommentar. In seiner vergleichenden Analyse der US-amerikanischen und der europäischen Pläne zur Sicherung des Rohstoffzugangs findet Ruiz Guix zahlreiche Gemeinsamkeiten, die Potential für eine Zusammenarbeit böten. Damit würden beide gleichsam das Risiko minimieren, Opfer wirtschaftlichen Zwangs zu werden, und resiliente Liefer­ketten stär­ken. Jedoch ließen die geplanten Maßnahmen aktuell keinen Ansatz für eine enge Kooperation erkennen.

Die Kräfte könnten in drei Bereichen gebündelt werden: erstens beim Erstellen eines gemeinsamen Forschungs- und Ent­wicklungsplans für Bereiche wie Recycling, Nachhaltigkeitsstandards und geologische Kartierung. Zweitens sollten Strategien der Diversifizierung des Handels sowie Priori­täten bei internationalen Investitionen auf­einander abgestimmt werden. Drittens ließe sich der Ausbau der Lagerhaltung kritischer Rohstoffe gemeinsam vorantreiben. Im Fall von Lieferkettenunterbrechungen könnten sich beide Partner gegenseitig aushelfen.

Kooperation mit Abbauländern in Afrika und Lateinamerika

Unter dem Blickpunkt sozialer Gerechtig­keit analysiert Jewellord Nem Singh die Strategien der USA und der EU für ihre sichere Versorgung mit kritischen Rohstof­fen. In einer Publikation des Wilson Center kritisiert er, in der Diskussion zur Energiewende würde die Thematik wachsender Ungleichheit und ungleicher Entwicklung weitestgehend außer Acht gelassen. Der Abbau natürlicher Ressourcen habe bisher eine wichtige Rolle in Lateinamerikas Ent­wicklungsstrategie gespielt, und dies würde wohl auch weiterhin der Fall sein – auch im Sinne der dortigen Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen. Die Regie­rungen ressourcenreicher Staaten hätten durchaus Interesse, (nachhaltige) globale In­dustrie- und Bergbaupolitik mitzugestalten.

Als Beispiele nennt er Chile und Brasilien, die im vergangenen Jahrzehnt intensiv an solchen Fragen gearbeitet hätten. Importlän­der sollten Offenheit für deren Ideen zeigen. Sowohl Interessen als auch Verantwortung müssten auf Angebots- wie auf Nachfrage­seite in gleicher Weise Beachtung finden. Unter anderem hieße das, gemeinsame Maß­nahmen zu entwickeln, die Vulnerabilitäten und Risiken für die Abbauländer verringern und in den Importländern Kreislaufwirtschaft und die Reduktion des Verbrauchs fördern.

What Does the European Green Deal Mean for Africa?, fragen Zainab Usman, Olumide Abimbola und Imeh Ituen in einem Bei­trag für das Carnegie Endowment for Inter­national Peace. Für Afrika sei die markanteste Konsequenz des EU-Plans für eine kli­ma­freundliche Zukunft ein Anstieg der Nach­frage nach kritischen Rohstoffen. Dies zeige etwa die Liste der kritischen Rohstoffe, von denen einige aus afrikanischen Ländern kommen. Südafrika ist beispielsweise Haupt­lieferant von Platin, Guinea von Bauxit.

Zwar bezeichnen die Autorinnen und der Autor das als Chance. Sie warnen aber davor, Afrika könnte erneut die Rolle eines Rohstofflieferanten einnehmen, ohne dass vor Ort Entwicklung stattfinde. Zudem könne der Bergbau negative soziale Folgen haben und mit schädlichen Umwelteinflüssen einhergehen, die zur Fragilität mancher Staaten beitragen.

Im Interesse an einer für beide Seiten vorteilhaften Partnerschaft müsse die EU die Positionen afrikanischer Partner stärker in ihre Entscheidungen einbeziehen. Gleich­zeitig müssten afrikanische Staaten sich individuell wie kollektiv auf eine Partner­schaft vorbereiten, statt sich in eine Abhän­gigkeitsbeziehung zu begeben. Eine An­passung von Gesetzen und Regulierungen an das Erfordernis lokaler Mindestanteile (»local content requirements«) könne hel­fen, Wissenstransfer, die Entwicklung von Technologie oder auch die Verknüpfung des Rohstoffsektors mit anderen Wirtschafts­bereichen zu fördern. Chancen würde auch eine engere Zusammenarbeit mit dem loka­len Privatsektor bieten.

Aus einem ähnlichen Blickwinkel äußert sich Antonio M. A. Pedro, Direktor der Wirt­schafts­kommission für Afrika der Vereinten Nationen (UNECA), in einem Interview mit One Earth zu Herausforderungen im Roh­stoffsektor und für nachhaltige Entwicklung. Dabei spricht er von der Vereinbarkeit von Zielen der EU als Rohstoffimporteur mit den Zielen afrikanischer Länder als Exportstaaten. Während die EU versuche, sich einen Zugang zu kritischen Rohstoffen zu sichern, um ihre Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen, liefen die Pläne der Afri­kanischen Union (AU) dem eher entgegen. Mit ihrer Africa Mining Vision strebe sie mehr lokale Verarbeitung, Wertschöpfung und ressourcengeleitete Industrialisierung an. Dies könne Einschränkungen der Exporte von Rohstoffen zur Folge haben, die wieder­um essentiell für eine erfolgreiche Umset­zung der EU-Strategie seien. Wie sich Afrika zu dieser Strategie positioniere und welche Rolle Vertreter und Vertreterinnen des Kon­tinents bei Verhandlungen spielen könn­ten, gelte es zu klären.

Die Rolle der EU-Mitgliedstaaten

Die EU-Liste kritischer Rohstoffe identifiziert den Gesamtbedarf der EU, differenziert aber nicht nach deren Bedeutung für die Industrie der einzelnen Mitgliedstaaten. Dabei haben die Maßnahmen des Aktionsplans durchaus unterschiedliche Auswirkun­gen auf die jeweiligen Länder. Hervorzuheben sind einerseits Pläne für den heimischen Abbau kritischer Rohstoffe und den Ausbau von Infrastruktur, etwa Raffinerien. Ande­rerseits plädieren die Autorinnen und Auto­ren dafür, dass die EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Maßnahmen des Aktions­plans und bestehender nationaler Rohstoff­strategien koordiniert handeln.

Heimische Rohstoffquellen und Verarbeitung

In einem Aufsatz, erschienen in der Zeit­schrift Resources, betonen Ewa Lewicka, Katarzyna Guzik und Krzysztof Galos, wie wichtig die Rohstoffproduktion aus lokalen Vorkommen für die künftigen Bedürfnisse der EU-Industrie sei. Elf der dreißig kritischen Rohstoffe gebe es auch in der EU, darunter etwa Lithium, natürliches Graphit oder Sel­tene Erden. Doch würden diese Vorkom­men nicht für den EU-Bedarf ausreichen. Um die Abhängigkeit von Drittländern zu verringern, seien die Nutzung von Sekundär­rohstoffen und Recycling vielversprechend, nicht allein mit Blick auf die Versorgungssicherheit, sondern auch aus ökologischen und sozialen Gründen. Insofern wird unter heimischer Versorgung hier nicht nur Berg­bau innerhalb der EU und in europäischen Drittländern verstanden, son­dern auch die Wiederverwertung bereits extra­hierter Mate­rialien. Daran anknüpfend lasse sich die gesamte Wertschöpfungskette in Euro­pa ausbauen. Würden Primär- und Sekundärrohstoffe lokal gewonnen, müsse auch die Weiterverarbeitung lokal statt­finden. An­sonsten würde nur eine andere Form der Ab­hängigkeit entstehen und der größte Teil der Wertschöpfung außerhalb der EU erfolgen.

Dem Ruf nach heimischem Abbau schließt sich auch Frank Umbach in einem Blog-Beitrag an. Auch wenn Recycling und Diver­sifizierung von Lieferketten wichtige Bei­träge zur strategischen Autonomie der EU leisten würden, seien heimischer Abbau und Verarbeitung in Europa (nicht nur in der EU) unumgänglich. Als vielversprechen­des Beispiel nennt er das »Bjerkreim Explo­ration Project« in Norwegen, wo es große Vorkommen an Vanadium, Titan und Phos­phat gibt – sie alle stehen auf der EU-Liste kritischer Rohstoffe. Mittlerweile unterstütze die EU bisher oft wenig rentable Projekte für die Nutzung von Minen und den Ausbau von Rohstofflieferketten in Europa finanziell in bis dahin nicht dagewesenem Ausmaß.

Außerdem lasse sich der Abbau in Europa umweltfreundlicher gestalten als in ande­ren Weltregionen. Jedoch würden sich be­reits jetzt Interessenkonflikte heraus­kristal­lisieren, welche die Entwicklung europäischer Abbaukapazitäten bremsen könnten. So zeichneten sich zum Beispiel Konflikte zwischen dem Interesse an Ver­sorgungs­sicherheit und dem am Schutz der Umwelt und lokaler Gemeinden ab, die unter mög­lichen negativen Konsequenzen eines Roh­stoffabbaus zu leiden hätten. In Spanien und Serbien kam es etwa 2021 zu mehreren Protesten, die sich gegen den geplanten Abbau großer Lithiumvorkommen rich­teten. Es sei wichtig, Prioritäten zu klären und den Spagat zwischen lokalem Naturschutz und Klimaschutz auf globaler Ebene zu schaffen. Könne die EU ihre Versorgung mit kritischen Rohstoffen nicht gewährleisten, wäre die Energiewende gefährdet und somit ein wichtiger Beitrag der EU zum glo­balen Klimaschutz.

Deutschland als großer Rohstoffimporteur

Deutschland ist unter allen Ländern welt­weit einer der größten Verbraucher meh­rerer Industriemetalle, beispielsweise Kupfer und Nickel. Damit einhergehend besteht von deutscher Seite großes Interesse an einem gesicherten Zugang zu Rohstoffen. Wie die Pläne der deutschen Bundes­regierung zur Rohstoffsicherung im Kontext gemeinsamen Handelns in der EU einzuordnen sind, besprechen Jakob Kullik und Marc Schmid in einem Beitrag zur Zeit­schrift SIRIUS. Dabei vergleichen sie die deutsche Rohstoffstrategie von 2010 mit jener von 2020. Beide sind unter der Schirmherrschaft des damaligen Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi, heute BMWK) entstanden. Der ersten Strategie attestieren die Autoren wenig Erfolg, die Rohstoffabhängigkeit bei (kritischen) Metal­len sei noch immer sehr groß. Die zweite Strategie biete wenig Neues. Gerade mit Blick auf die EU-Pläne bleibe weiterhin un­klar, wie sich eine nationale deutsche Stra­tegie zu einer gemeinschaftlichen euro­päischen Herangehensweise verhalte.

Kullik und Schmid äußern sogar Zweifel, ob eine deutsche Strategie überhaupt nötig sei. Zwar heben sie lobend hervor, dass Deutschland das breitgefächerte Spektrum an Herausforderungen erkenne, das von Versorgungssicherheit über Nachhaltigkeit und Umweltschutz bis hin zu menschenrechtlicher Verantwortung von Unternehmen in einer Lieferkette reiche. Doch stehe außer Frage, dass sich das Gros der Auf­gaben nur gesamteuropäisch lösen lasse. Deutschland laufe Gefahr, sich mit ambitio­nierten Zielen zu überfordern und Parallel­diskussionen zur EU-Ebene zu führen. Das könne sich negativ auf eine klare Aufgabenverteilung auswirken. Damit stehe es sich selbst und der EU im Weg, Vorhaben wie den European Green Deal umzusetzen.

Fazit

Die Autorinnen und Autoren der vorgestellten Beiträge sind sich einig, dass es einer gemeinsamen EU-Politik zu kritischen Roh­stoffen bedarf, um der hochgradigen Ab­hängigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten von Rohstoffimporten zu begegnen. Doch fehle es an Ko­härenz mit anderen Zielen der EU, insbesondere im Bereich Nachhal­tig­keit, aber auch an Koordination und Koopera­tion – sei es innerhalb der EU wie auch mit Drittstaaten.

Der Aktionsplan deckt mit seinen zehn Handlungsaufgaben eine große Bandbreite wichtiger Aspekte ab, was die Autorinnen und Autoren begrüßen. Die Debatte dreht sich insbesondere darum, wie die einzelnen Maßnahmen konkret ausgestaltet werden sollen, wo weitere Bemühungen erforderlich sind und inwieweit sich die jeweiligen Maß­nahmen verwirklichen lassen.

In der Summe zeigen die Beiträge auf, dass zusätzliche Anstrengungen auf EU-Ebene nötig sind, um zu einer gemein­samen, kohärenten Rohstofflieferketten­politik zu gelangen. Nicht zuletzt lässt die Verab­schiedung eines Textes zu einer Euro­päischen Strategie für kritische Rohstoffe durch das EU-Parlament am 24. November 2021 den Wunsch nach einer umfassenden Stra­tegie erkennen. In dem Text wird die EU-Kom­mission dazu aufgefordert, die Maß­nahmen weiterzuführen und zu intensivieren. Auch die Mitgliedstaaten werden als wichtige Akteure zum Handeln aufgerufen, gerade im Bereich lokaler Rohstoffgewinnung. Die besprochenen Beiträge legen nahe, dass Abbau und Verarbeitung von Rohstof­fen in Europa nur erfolgreich sein können, wenn es dafür wirtschaftliche Anreize gibt und gleichzeitig sozial- und umweltverträg­liche Standards höchste Priorität genießen.

Einigkeit herrscht in den Beiträgen auch darüber, dass der Ausbau von Kreislaufwirtschaft, etwa in Form von Recycling und nachhaltigem Produktdesign, weiter voran­getrieben werden muss. Hervorzuheben sind dabei die Appelle einiger Autoren und Autorinnen, Nachhaltigkeitskriterien stär­ker zu berücksichtigen. Die Nachhaltigkeitsherausforderungen beim Abbau, in der Lieferkette oder bei der Möglichkeit zur Wiederverwendung unterscheiden sich bei den Rohstoffen allerdings. Insofern zu begrüßen sind rohstoffspezifische Regelungen, etwa die Modernisierung der EU-Ver­ordnung zu Batterierohstoffen. Sie bieten die Möglichkeit, den genannten partikularen Herausforderungen einzelner Rohstoffe – hier Lithium, Kobalt, Nickel und Blei – gerecht zu werden.

Es fällt auf, dass die Bedeutung kritischer Rohstoffe für Digitalisierung und Verteidigung in den Beiträgen weniger Beachtung findet als ihre Bedeutung für die Energiewende. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Umstieg auf nachhaltigere Energie­quellen den Bedarf an Rohstoffen größer werden lässt. Deren Abbau ist energieintensiv und geht oftmals mit Verletzungen von Menschenrechten und negativen Umwelt­auswirkungen einher. Damit entsteht das Dilemma, dass mehr Nachhaltigkeit in einem Bereich zu negativen Auswirkungen für Umwelt und Bevölkerung in einem anderen Bereich führt. Das sorgt für mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Ein solcher Zielkonflikt besteht bei Digitalisierung und Verteidigung weniger. Dadurch kann ein blinder Fleck entstehen. Dabei könnten Unterbrechungen von Rohstofflieferungen oder Engpässe bei der Versorgung mit die­sen Stoffen beispielsweise auch die Umset­zung der europäischen Digitalisierungsziele ausbremsen.

Welche Auswirkungen Rohstoffabhängig­keit haben kann, zeigt sich an den Folgen, die Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine hat. Das Zögern westlicher Staaten, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, die den Öl- und Gassektor betreffen, und die Sorge, dass Öl- und Gaslieferungen gestoppt wer­den könnten, machen die aus Abhängigkeit resultierende Vulnerabilität der Außen- und Sicherheitspolitik deutlich. Der Umstieg von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energiequellen ist ein wichtiger Schritt, um die Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen zu verringern. Gleichzeitig darf nicht aus dem Blick geraten, dass dadurch wie­derum der Bedarf an Metallen wächst und insofern auch neue Abhängigkeiten ent­stehen können.

Die vorgestellten Beiträge zeigen auf, dass Versorgungssicherheit nur durch inter­nationale Kooperation erreicht werden kann. Es braucht eine enge Zusammenarbeit der EU mit anderen wirtschaftsstarken Staaten, die ihrerseits Strategien zur Rohstoffsicherung verfolgen. So würde das »Rennen um die Rohstoffe« zu einem Teamsport. Wie ein­gangs erwähnt, kommen dafür etwa die USA, Japan oder Kanada in Frage.

Besondere Beachtung sollte den Beiträgen zu den Beziehungen mit ressourcen­reichen Staaten in Afrika und Lateinamerika ge­schenkt werden. Sie legen nahe, dass die EU und die deutsche Bundesregierung die oft betonte Partnerschaft auf Augenhöhe auch im Rohstoffbereich ernst nehmen sollten.

Gelegenheiten dafür bieten sich etwa bei den Verhandlungen zur angestrebten Rohstoffpartnerschaft der EU mit Namibia oder bei der Umsetzung des modernisierten Assoziationsabkommens mit Chile, dessen Unterzeichnung allerdings noch aussteht. Damit würden die EU und Deutschland die Umsetzung des Green Deals kohärenter betreiben und in allen drei Dimensionen – sozial, ökologisch, wirtschaftlich – nach­haltig und insbesondere global gerechter handeln. Konzentriert sich die EU nur auf ihre Eigeninteressen, ist sie als Partner für ressourcenreiche Staaten des Globalen Südens unattraktiv. Das könnte – sollten ressourcenreiche Drittstaaten andere Part­ner priorisieren – schädlich sein für die Umsetzung der EU-Pläne.

Besprochene Publikationen

Arian, Hadassah / Brier, Guillaume de / Hoex, Lotte, Reducing the Carbon Footprint at the Expense of a Mineral Footprint?, Antwerpen: International Peace and Information Service (IPIS), Mai 2021 (IPIS Briefing).

Christmann, Patrice, »Mineral Resource Governance in the 21st Century and a Sustainable European Union«, in: Mineral Economics, 34 (2021) 2, S. 187–208.

Fiott, Daniel / Theodosopoulos, Vassilis, Sovereignity over Supply? The EU’s Ability to Manage Critical Dependences while Engaging with the World, Brüssel: European Union Institute for Security Studies, 17.12.2020 (Brief, Nr. 21).

Kullik, Jakob / Schmid, Marc, »Strategic Overload: Die neue Rohstoffstrategie Deutschlands zwischen Pragmatismus und Überambition«, in: SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, 5 (2021) 1, S. 41–50.

Leonard, Mark / Pisani-Ferry, Jean / Shapiro, Jeremy/Tagliapietra, Simone/Wolff, Guntram, The Geopolitics of the European Green Deal, London: European Council on Foreign Relations (ECFR), Februar 2021 (Policy Brief).

Lewicka, Ewa / Guzik, Katarzyna / Galos, Krzysztof, »On the Possibilities of Critical Raw Materials Production from the EU’s Primary Sources«, in: Resources, 10 (2021) 5, 50.

Nem Singh, Jewellord, Mining Our Way Out of the Climate Change Conundrum? The Power of a Social Justice Perspective, Washington, D.C.: Wilson Center, Oktober 2021 (Latin America’s Environmental Policies in Global Perspective).

One Earth, »Critical Materials and Sustain­able Development in Africa: Antonio M. A. Pedro«, in: One Earth, 4 (2021) 3, S. 346–349 (Interview).

Ruiz Guix, Pau, Critical Mass: Raw Materials, Economic Coercion, and Transatlantic Cooperation, Brüssel: European Council on Foreign Relations (ECFR), 17.12.2021 (Commentary).

Schneider-Petsinger, Marianne, US and European Strategies for Resilient Supply Chains. Balancing Globalization and Sovereignty, London: Chatham House, September 2021 (Research Paper).

Umbach, Frank, »Critical Raw Materials for the Energy Transition. Europe Must Start Mining Again«, energypost.eu, 10.1.2022 (Blog post).

Usman, Zainab / Abimbola, Olumide / Ituen, Imeh, What Does the European Green Deal Mean for Africa?, Washington, D.C.: Car­negie Endowment for International Peace, Oktober 2021.

Viktoria Reisch ist Forschungsassistentin im Projekt »Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstoff­lieferketten im Andenraum und im südlichen Afrika«. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.

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