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Somalia: Straucheln auf dem Weg zu mehr Stabilität

Kurz gesagt, 02.03.2021 Forschungsgebiete

Mit Wahlen und einer veränderten AU-Mission hätte Somalia 2021 in eine neue Phase der Stabilisierung eintreten sollen. Beides ist verschoben worden, und es ist mehr als fraglich, ob die Regierung die großen Probleme des Landes lösen kann. Externe Unterstützer sollten nun Bedingungen stellen, meint Annette Weber.

Das Jahr 2021 hätte grundlegende Veränderungen bringen sollen für Somalia: Die ersten freien und allgemeinen Wahlen waren geplant, und die Mission der Afrikanischen Union sollte umgestaltet und reduziert werden. Nun hat der Sicherheitsrat die Diskussion über das Mandat verschoben, und der Wahltag verstrich ohne Wahl: Der Präsident und die Ministerpräsidenten von zwei der fünf Bundesländer hatten sich nicht auf die Wahlmodalitäten einigen können. Auf eine Demonstration oppositioneller Präsidentschaftskandidaten und ihrer Anhänger ließ Präsident Farmajo scharf schießen; er wirft ihnen vor, mit Hilfe von Clanmilizen gegen die Regierung vorgehen zu wollen.

Nach dem Staatszerfall 1991 war das Land in Bürgerkriegen, Warlord-Herrschaft und Clanstreitigkeiten versunken. Erst seit 2004 gibt es wieder eine Regierung, die wegen der Sicherheitslage im Land noch bis 2012 von den Nachbarländern aus agieren musste. 2021 sollte die Verantwortung für die Sicherheit im Land schrittweise in die Hände der somalischen Sicherheitskräfte übergehen. Nach über vierzehn Jahren militärischer Unterstützung durch die Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) steht beim UN-Sicherheitsrat die Entscheidung über deren Verlängerung und weitere Ausgestaltung an. Vor allem europäische Staaten, die den Großteil der Mission finanzieren, sind frustriert, dass die Aktivierung der somalischen Armee zu zögerlich vorangeht und die AU-Mission sich nicht auf die Bekämpfung der jihadistischen Al-Shabaab-Miliz konzentrieren kann, sondern weiterhin Polizeiarbeit übernehmen muss. Der Rückzug der Amerikaner Ende 2020, die vor Ort gegen die Miliz kämpften, verstärkt die Dringlichkeit.

Al-Shabaab als zweite Kraft fest verankert

Somalia ist der regionale Problem-Champion. Die Regierung in Mogadischu hat kaum Kontrolle über die Hauptstadt hinaus, und auch hier kann sie sich nur bewegen, weil die Mission der Afrikanischen Union mit ca. 20 000 Truppen für Sicherheit sorgt. Al-Shabaab ist überall im Land, außer im nördlichen Puntland, als zweite Kraft fest verankert: Sie treibt Steuern ein, infiltriert die Politik, bietet bisweilen verlässlicher Dienstleistungen an als die Regierung und ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Die Miliz verübt Anschläge gegen Regierung und AMISOM-Truppen und ist zunehmend in der Lage, hochentwickelte Bomben und unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen zu bauen. Sie agiert als ideologische Organisation und als mafiös organisierte kriminelle Struktur, deren Bankkonten sich zusehends füllen. Die Organisation wird als derzeit schlagkräftigste Al-Qaida-Filiale weltweit eingeschätzt, mit einer Kommandostruktur, die Zellen in anderen Ländern nahezu unabhängig operieren lässt: Die häufigen Anschläge mit vielen Toten, vor allem im Nachbarland Kenia, zeugen davon. Die Regierung ist dieser Gegenmacht offensichtlich nicht gewachsen.

Um die Führung im Land übernehmen zu können, braucht die Regierung das Vertrauen der Bevölkerung: Sie müsste beweisen, dass sie willens und in der Lage ist, mit den Bundesländern zu kooperieren, um die dringend nötige Infrastruktur, wie Schulen, Krankenhäuser und Straßen, über Ländergrenzen hinaus gemeinsam zu planen und umzusetzen. Sie muss auch glaubhaft für das Wohl der gesamten Bevölkerung sorgen und darf nicht zulassen, dass Sicherheit und Dienstleistungen abhängig vom Einfluss der Clans oder einflussreicher Eliten sind. Sie muss ferner Steuern eintreiben und damit Dienstleistungen und Sicherheiten anbieten können, die besser sind als die von Al-Shabaab. Nur auf dieser Grundlage hätte sie auch die Chance, den militärischen Herausforderungen durch die Jihadistenmiliz erfolgreich zu begegnen, die politische Unterwanderung zu stoppen und die Finanzierung der kriminellen Organisation auszutrocknen. Auch eine freie und faire Wahl würde das Vertrauen der Bevölkerung deutlich stärken.

Politische Eliten stehen Clans näher als der Bevölkerung

Dass jüngst alle Seiten Bereitschaft signalisiert haben, sich über die Modalitäten der Wahl zu einigen, ist gut. Ob es zu dieser Wahl tatsächlich kommen wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall steht die Regierung – ob alt oder neu – vor gewaltigen Aufgaben, und es bedürfte enormer Anstrengungen, diese zu lösen. Die Kommunikationsblockade der letzten Jahre und die Eskalation der letzten Wochen zeugen von politischen Eliten, die keine ausreichenden Anstrengungen für eine landesweite Lösung unternehmen, weil sie sich selbst oder ihren Clans am nächsten sind. So kümmern sich etwa persönliche oder Clanmilizen um die Sicherheit einzelner Politiker, während sich die Bevölkerung in den Städten, den Camps der Binnenvertriebenen und Dörfern nicht auf die somalische Polizei verlassen kann. Auch kann sie nicht darauf zählen, dass die Armee gegen die Jihadisten vorgeht. Der Schutz der Bevölkerung in den befreiten Gebieten und der Kampf gegen Al-Shabaab wird gänzlich AMISOM überlassen, obwohl die Mission nicht Polizei und Armee ersetzen, sondern lediglich unterstützen soll. Und so diskreditiert sich die Regierung weiter und bereitet damit der jihadistischen Miliz einen immer fruchtbareren Boden.

Es kommt nun entscheidend darauf an, dass die politische Elite sich einigt und das Wohl des Landes über Partikularinteressen stellt. Externe Akteure sollten ihre Unterstützung einschließlich der Verlängerung der Mission daher an Bedingung knüpfen: Ein verlässlicher Fahrplan für baldige freie und faire Wahlen, die Umsetzung des Transitionsplans der Regierung – der auch die Übernahme von Sicherheitsverantwortung vorsieht – und der zügige Aufbau der notwendigen kritischen Infrastruktur sollten dabei höchste Priorität haben.

Die Sicherheitslage am Horn von Afrika hat sich in den vergangenen Monaten massiv verschlechtert; dazu tragen auch der Krieg im äthiopischen Tigray und der Streit zwischen Somalia und dem Nachbarland Kenia bei. An erster Stelle profitiert davon die Al-Shabaab, die darauf setzt, ihren Aktionsradius weiter zu vergrößern. Dies muss im Interesse der Bevölkerungen Somalias und der Region verhindert werden. Dafür, und nicht als Ersatz für somalische Sicherheitskräfte, hatten die Nachbarn unter hohen Verlusten ihre Truppen in AMISOM zur Verfügung gestellt.