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Freihandel mit Afrika: »Erfolgsbedingungen liegen außerhalb der Abkommen«

Evita Schmieg spricht im Interview über die Bedeutung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und afrikanischen Regionen, die 2014 abgeschlossen wurden und den freien Marktzugang in die EU über den 1. Oktober hinaus sichern.

Kurz gesagt, 01.10.2014 Forschungsgebiete

Evita Schmieg spricht im Interview über die Bedeutung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und afrikanischen Regionalgruppierungen, die nach jahrelangen Verhandlungen 2014 abgeschlossen wurden und den freien Marktzugang in die EU über den 1. Oktober hinaus sichern.

Wieso hat es mehr als zwölf Jahre gedauert, bis sich die EU mit den afrikanischen Regionalgruppierungen auf die Freihandelsabkommen einigen konnten?

Evita Schmieg: Abgesehen von vielen Streitpunkten ging es vor allem die ersten Jahre kaum voran, weil viele afrikanische Länder, unterstützt von regionalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen, darauf gesetzt haben, dass die EU doch auf die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs) verzichtet – und eine alternative Lösung für den Erhalt des freien Marktzugangs dieser Staaten zur EU anbietet. Denn hierum geht es: die EU hat den afrikanischen Staaten jahrelang einseitigen Marktzugang gewährt, was aber mit dem internationalen Handelsrecht nicht vereinbar ist, wenn der Zugang nicht allen Entwicklungsländern gleichermaßen gewährt wird.

Also hat man angefangen, über Freihandelsabkommen zu verhandeln.

So ist es. Allerdings handelt es sich bei den EPAs um eine spezielle Art von Freihandelsabkommen, die der nachhaltigen Entwicklung und der regionalen Integration, also den Wirtschaftsbeziehungen zwischen afrikanischen Ländern, dienen sollen. So profitieren die afrikanischen Regionen von viel mehr Flexibilität als die Partner in anderen Freihandelsabkommen, und die Umsetzung der Abkommen wird von entwicklungspolitischen Maßnahmen flankiert.

Welche Streitpunkte haben in den Verhandlungen eine Rolle gespielt?

Mit Westafrika beispielsweise gab es einen Streit darüber, wie weit die afrikanischen Länder ihren Markt öffnen müssten. Die EU hatte viel zu lange eine Öffnung von 80 Prozent verlangt, die für Westafrika schwierig zu erreichen wäre. Letztlich ist sie auf die von Westafrika angebotenen 75 Prozent eingegangen. Ein weiterer Streitpunkt war die von der EU geforderte vollständige Abschaffung der Exportsteuern, die zu Einnahmeverlusten bei den afrikanischen Staaten führen würde. Wie es scheint, hat man sich auch hier auf einen Kompromiss geeinigt, nach dem Exportsteuern zwar prinzipiell abgelehnt werden, aber aus wichtigen Gründen erhalten bleiben dürfen. Es ist erfreulich, dass hier ein gewisser Politikspielraum zur Förderung der industriellen Entwicklung erhalten bleibt.

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen haben sich mit ihrer STOP-EPA-Kampagne dafür eingesetzt, eine Unterzeichnung der Abkommen zu verhindern. Was waren die Hauptkritikpunkte?

Es wurde befürchtet, dass die afrikanischen Regionen durch eine weitgehende Liberalsierung zu stark dem Wettbewerb ausgesetzt werden, ohne wettbewerbsfähig zu sein, mit negativen Folgen wie Arbeitslosigkeit und Landflucht. Es ist zudem angenommen worden, dass durch die Aufnahme sogenannter WTO+-Themen über den Warenhandel hinaus Regeln geschaffen würden, die den Politikspielraum afrikanischer Regierungen erheblich einschränken und deren Konsequenzen sie nicht überblicken könnten. Letztlich hat die Kampagne aber dazu beigetragen, dass intensiv über die Risiken verhandelt worden ist und gute Kompromisse gefunden worden sind.

Was erhoffen sich die afrikanischen Staaten von dem Abkommen?

Den afrikanischen Staaten geht es vor allem um den Erhalt des freien Marktzugangs zur EU, den sie ohne die EPAs verlieren. Ich fürchte, dass darüber hinaus nicht sehr viel Interesse besteht, das Potenzial zu heben, das die Abkommen auch bieten könnten. Denn wenngleich die EPAs einen guten Kompromiss darstellen, liegen die wichtigsten Erfolgsbedingungen doch außerhalb der Abkommen. Die Länder müssten sie in Gesamtprogramme für Reformen zur nachhaltigen Entwicklung einbetten.

Was heißt das konkret?

Eine positive Wirkung können die Abkommen nur zeigen, wenn alle Akteure aktiv an der Umsetzung beteiligt sind. Man braucht Regierungen und Verwaltungen, die die Möglichkeiten der Abkommen nutzen wollen und die nötigen Kapazitäten haben, um Gesetze zu entwerfen und ihre Umsetzung zu begleiten oder um die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit abzurufen und zu investieren. Man braucht aber auch eine Privatwirtschaft, die Interesse daran hat, den freien Marktzugang zu Europa tatsächlich zu nutzen. Doch hat das wenig dynamische Europa im Vergleich mit anderen Regionen als Handelspartner Afrikas an Bedeutung verloren.

Könnten sich die EPAs sogar negativ auswirken?

Bei dem 2008 mit den karibischen Cariforum-Staaten abgeschlossen EPA hat man gesehen, dass die negativen Wirkungen der globalen Rezession so stark waren, dass das EPA kaum positive Wirkungen entfalten konnte. Aber auch die von manchen Nichtregierungsorganisationen befürchtete Importflut aus der EU ist ausgeblieben. Das liegt daran, dass die Liberalisierung langfristig angelegt und in den ersten sechs Jahren noch keine sehr großen Schritte vollzogen worden sind. In Afrika wird es ähnlich sein. Dennoch halte ich es für entscheidend, die Wirkungen der Abkommen sorgfältig zu beobachten und, wenn nötig, vereinbarte Schutzmechanismen zur Anwendung zu bringen.

Sind denn Mechanismen zur Wirkungsbeobachtung vereinbart worden?

Im Cariforum-EPA gibt es außer den Schutzmechanismen auch Überprüfungsmechanismen, die vermutlich auch in den neuen Abkommen mit den afrikanischen Regionen vorgesehen sind. Sowohl die EU als auch die afrikanischen Staaten müssen dafür sorgen, dass sie genutzt werden.

Die East African Community will das Abkommen nicht abschließen. Mit welcher Begründung – und mit welchen Folgen?

Kenia ist der einzige Staat der East African Community (EAC), der nicht als »least developed« gilt – und daher ohne das EPA den freien Marktzugang zur EU am 1. Oktober verliert. Dadurch dürften tatsächlich einige exportorientierte Sektoren Kenias, wie etwa Blumen, in Bedrängnis geraten. Dass es mit der EAC bisher nicht wie mit den anderen Regionen gelungen ist, Kompromisse zu erzielen, legt den Verdacht nahe, dass Uneinigkeit über das Thema Menschenrechte besteht. Die EU möchte einen Bezug zu dem Thema in alle Abkommen aufnehmen. Kenia, dessen Staatspräsident vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt ist, lehnte einen solchen Bezug bisher immer als postkolonialistische Einmischung ab.

Das Interview entstand im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »EU-Außenhandelspolitik und Entwicklung: Nachhaltige Entwicklungspolitik im Zeitalter der Globalisierung«. Es wurde geführt von Candida Splett von der Online-Redaktion.