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Das palästinensische Superwahljahr

Bedeutung, Herausforderungen und europäische Handlungsoptionen

SWP-Aktuell 2021/A 26, 23.03.2021, 6 Seiten

doi:10.18449/2021A26

Forschungsgebiete

2021 verspricht für Palästinenserinnen und Palästinenser nicht nur in den palästinen­sischen Gebieten, sondern auch weltweit ein Superwahljahr zu werden: Drei Urnengänge für die Institutionen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) sind angekündigt worden. Noch ist unsicher, ob all diese Wahlgänge auch stattfinden werden. Dabei wären die PA-Wahlen von Bedeutung, um die junge Bevölkerung vor Ort einzubinden, wieder poli­tische Verantwortlichkeit zu etablieren und zu einem gewaltenteiligen Regierungssystem zurückzukehren. Zukunftsweisend wären aber vor allem Wahlen für den Palästinensischen Nationalrat, das Exilparlament der PLO. Denn sie wären entscheidend, um ein repräsentatives Organ und die Basis für eine inklusive Diskussion über die künftige Strategie der Befreiungsbewegung und die Rolle der PA zu schaffen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten fordern seit Jahren von der palästinensischen Führung, zum demokratischen Prozess zurückzukehren und die innerpalästinensische Spal­tung zu überwinden. Sie sollten die Wahlen daher nicht nur durch Wahlbeobachtung unterstützen, sondern dazu beitragen, dass diese auch unter schwierigen Bedingungen so frei, allgemein, fair und kompetitiv wie möglich ablaufen.

Mitte Januar 2021 kündigte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas per Dekret drei Urnengänge für dieses Jahr an. Am 22. Mai sollen Wahlen für den Palästinensischen Legislativrat (Palestinian Legislative Council, PLC, das Parlament der PA), am 31. Juli für die PA-Präsidentschaft und am 31. August für den Palästinensischen Natio­nalrat (Palestinian National Council, PNC, das Exilparlament der PLO) stattfinden.

Dabei kommt Abbas mit der Entscheidung für Wahlen einem jahrelangen Drän­gen der internationalen Gemeinschaft – insbesondere Deutschlands und seiner Part­ner in der EU – nach, zum demokratischen Prozess in den palästinensischen Gebieten zurückzukehren. Zugleich möchte er den Weg ebnen, um das Verhältnis mit den USA, das unter der Trump-Administration zerrüttet war, wieder konstruktiv zu gestal­ten. Ermöglicht wurde der Beschluss durch eine Annäherung der palästinensischen Par­teien, allen voran der im Westjordanland regierenden Fatah und der im Gaza­streifen regierenden Hamas. Entscheidender Impuls dafür war die gemeinsame Ab­lehnung des sogenannten Jahrhundertdeals der Trump-Administration und der von Israels Regie­rung im Frühsommer 2020 angekündigten formalen Annexion von Teilen des West­jordanlandes. Angesichts der existentiellen Bedrohung des palästinensischen Gemeinwesens einigten sich die palästinensischen Parteien im Herbst 2020 darauf, zunächst Wahlen auf allen Ebenen durchzuführen und erst danach über weitere Schritte einer Aussöhnung zwischen den zerstrittenen Führungen zu verhandeln. Die Reihenfolge wiederum war dem Umstand geschuldet, dass alle bisherigen Bemühungen, die Spal­tung zu überwinden, gescheitert waren, was unter anderem die Durchführung von Wahlen verhindert hatte.

Wahlen nach wie vor unsicher

Die palästinensischen Parteien verpflichteten sich bereits Anfang Februar 2021 auf die Anerkennung der Wahlergebnisse, die Absicherung des Wahlvorgangs durch offi­zielle, uniformierte Sicherheitskräfte, die Etablierung eines speziellen Gerichts für wahlbezogene Streitigkeiten (das mit Rich­terinnen und Richtern aus Westjordanland, Gazastreifen und Ost-Jerusalem besetzt werden sollte) sowie auf die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nach den Wahlen. Sie verständigten sich auch darauf, die Meinungsfreiheit zu gewährleisten und politische Häftlinge beider Seiten freizulassen. Mitte März einigten sie sich zudem auf einen Ehrenkodex für die Wahlen.

Dabei laufen die Wahlvorbereitungen bereits auf Hochtouren. Präsident Abbas hat weitere Dekrete zur Regelung des Wahl­vorgangs in den palästinensischen Gebieten erlassen. Dadurch wurde unter anderem für die PLC-Wahlen ein reines Verhältniswahlsystem eingeführt; Kandidaturen sind nur auf landesweiten Listen möglich. Mitte Feb­ruar wurde die Wählerregistrierung durch­geführt. Seit dem 20. März und noch bis zum 31. des Monats können Wahllisten registriert werden.

Dennoch ist nach wie vor keineswegs garantiert, dass alle Wahlen tatsächlich wie angekündigt stattfinden werden. Nicht nur wird die dritte Welle der Covid-19-Pande­mie, die derzeit in den palästinensischen Gebieten grassiert, Wahlkampf und Wahl­durchführung beeinträchtigen. Auch ist nach wie vor nicht geklärt, ob und wie die palästinensische Bevölkerung Ost-Jerusa­lems teilnehmen kann. Schwer wiegt zu­dem die Sorge bei den beiden dominanten Parteien, die Wahlen in dem jeweils von ihnen kontrollierten Gebiet zu verlieren. Hinzu kommt die Befürchtung, nach erfolg­tem Wählervotum einmal mehr in die inter­nationale Isolation zu geraten und dadurch dringend benötigte diplomatische und finanzielle Unterstützung zu verlieren – wie es schon 2006 der Fall war, als die Hamas weitgehend freie und faire Wahlen gewann und im Anschluss eine Regierung bildete. Diese wurde von Israel, der EU und den USA isoliert und von Fatah unterminiert, was letztlich zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah, der gewaltsamen Machtüber­nahme der Hamas im Gazastreifen und zur politischen Spaltung führte. Schon jetzt üben die Regierungen Israels und der Nach­barstaaten Jordanien und Ägypten Druck auf die PA aus, die Wahlen zu verschieben.

Potentielle Bedeutung

Die Wahlen in den palästinensischen Ge­bieten fänden zwar unter den Einschränkungen der Besatzung statt und würden lediglich die Institutionen der Autonomiebehörde erneuern, die gemäß den zwischen Israel und der PLO geschlossenen Oslo-Abkommen nur sehr begrenzte Kompetenzen haben. Dennoch wären sie von immen­ser Bedeutung. Sie gäben erstens der sehr jungen Bevölkerung in den palästinensischen Gebieten eine Gelegenheit zur politi­schen Teilhabe. Rund zwei Drittel der Men­schen sind unter 29 Jahre alt. Da die letzten Wahlen über 15 Jahre zurückliegen – für die Präsidentschaft fanden sie im Januar 2005, für den PLC im Januar 2006 statt –, heißt das auch: Rund die Hälfte der heute Wahlberechtigten (diesen Anteil stellen die 18- bis 33-Jährigen) hatte noch nie die Chance zur Stimmabgabe.

Es geht zweitens darum, dass ein erster Schritt erfolgt, um wieder politische Verant­wortlichkeit der Regierenden gegenüber dem Wahlvolk zu etablieren und zu einem gewaltenteiligen System zurückzukehren. Infolge der politischen Spaltung zwischen Westjordanland und Gazastreifen im Juni 2007 hatte Abbas den Notstand verkündet; seither regiert er per Dekret. Im Dezember 2018 löste er den PLC schließlich auf und entzog damit den Abgeordneten die Immu­nität. Mittlerweile haben sich in Westjordanland und Gazastreifen zwei parallele politische Systeme herausgebildet, die beide durch eine zunehmend autoritäre Regierungsführung gekennzeichnet sind. Es mag wenig Aussicht bestehen, dass sich die Spal­tung überwinden und eine genuine Aussöh­nung zwischen den Kontrahenten erreichen lässt. Doch könnten Wahlen zumindest wieder ein Gegengewicht zur Exekutive schaffen, und das Parlament dürfte sich auch für eine unabhängige Justiz einsetzen.

Drittens bieten die Wahlen eine Möglichkeit, die politische Auseinandersetzung wie­derzubeleben, neue politische Kräfte ent­ste­hen zu lassen und gesellschaftliche Bünd­nisse zu schmieden. Zumindest theoretisch böten sie auch die Chance, dass eine gere­gelte Nachfolge im Präsidentenamt einge­lei­tet wird. Die Bevölkerung steht den In­stitu­tionen der PA und den politischen Partei­en zwar weitgehend desillusioniert gegen­über. Doch signalisiert der hohe An­teil jener, die sich für die Wahlen registriert haben – über 93 Prozent der Wahlberechtigten –, ein deutliches Interesse an politi­scher Teil­habe. In Umfragen sprechen sich drei Vier­tel der Befragten für Wahlen aus. Auch ist in der palästinensischen Gesellschaft vor Ort und in der Diaspora eine rege Debatte über die Wahlen entbrannt.

Viertens werden durch die Wahlen zum PLC ein Drittel der Sitze des PNC (132 von 350) be­stimmt. Denn Abgeordnete des Legislativrats wer­den automatisch auch Vertreterinnen bzw. Vertreter der palästinensischen Gebiete im Exilparlament.

Wahlen für den PNC

Angesichts der verfahrenen Situation, in der sich das nationale palästinensische Projekt befindet, könnten vor allem die Wahlen zum PNC zukunftsweisend sein. Denn eine Erneuerung der PLO-Gremien wäre essentiell, um diese repräsentativ und handlungsfähig zu machen. Zum letzten Mal trat der aufgeblähte Nationalrat (mit derzeit 765 Mitgliedern) im April/Mai 2018 zusammen. Auch wenn er nominell das oberste Entscheidungsgremium der PLO ist, spielt er kaum mehr eine Rolle, seit 1994 die PA etabliert wurde und Funktionen der PLO übernahm. Ein wesentlicher Grund für den Bedeutungsverlust liegt dabei in der Personalunion von PA-Präsident, PLO-Vor­sitzendem, Fatah-Vorsitzendem und Präsi­dent des Staates Palästina. Dadurch werden nicht nur 8,5 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser in Israel und der Dias­pora (gegenüber rund 5,2 Millionen in den palästinensischen Gebieten) bei der Ent­scheidungsfindung ausgeklammert. Auch orientiert sich das Kräfteverhältnis in den PLO-Gremien bislang an den vor langer Zeit ausgehandelten Kompromissen zwischen den Fraktionen der Organisation und an überkommenen Quoten für Berufs- und Gesellschaftsgruppen.

Nun soll der PNC auf 350 Mitglieder verkleinert und die Zusammensetzung des Gremiums, wo möglich, durch Wahlen be­stimmt werden. Auch wenn solche Wah­len nicht in allen Aufenthaltsländern opportun sein dürften und möglicherweise nur in den palästinensischen Gebieten, Israel, Europa, den USA und Südamerika durchgeführt werden können: Sie wären ein ent­scheidender Schritt, um ein repräsentatives Organ zu bilden und Kräfte wie die Hamas gemäß ihrer Popularität in die PLO einzu­binden. Dies würde auch die Basis für eine dringend notwendige palästinensische Debatte über die künftige Strategie der Befreiungsbewegung und die Rolle der PA schaffen.

Einschränkungen

Bislang deutet vieles darauf hin, dass die beiden dominanten Kräfte Fatah und Hamas keine kompetitiven, freien und fairen Wahlen in den palästinensischen Gebieten anstreben, sondern eine exklusive Machtteilung. Noch ist nicht klar, ob die beiden Parteien tatsächlich, wie diskutiert, auf einer gemeinsamen Liste antreten und damit das Sitzverhältnis zwischen ihnen im Vorhinein aushandeln werden, statt es dem Wählervotum zu unterwerfen. Auch ist bislang nicht ausgemacht, ob sie sich auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen werden, wie insbesondere von der Hamas bevorzugt. Mit dieser Präfe­renz haben Hamas-Vertreter deutlich gemacht, dass die Partei keinen eigenen Bewerber für das Amt ins Rennen schicken will.

Aber schon jetzt sind Bedingungen ge­schaffen worden, die den Wettbewerb deut­lich einschränken und potentielle Kandidatinnen und Kandidaten eher ab­schrecken als dazu ermutigen, sich zur Wahl zu stel­len. So wurde die Frist zur Registrierung von Wahllisten so kurz angesetzt, dass es kaum möglich ist, neue Bündnisse zu bilden oder parteiinterne Vorwahlen durch­zuführen. Ein Parteiengesetz, das die Basis für die Gründung neuer Parteien jenseits reiner Listenverbindungen wäre, fehlt ohnehin. Außerdem müssen die Bündnisse 3 000 Unterschriften vorweisen und eine – für palästinensische Verhältnisse hohe – Gebühr von 20.000 US-Dollar hinterlegen, um sich registrieren zu können. Auch sind Kandidatinnen und Kandidaten verpflichtet, schon vor ihrer Registrierung ein etwai­ges öffentliches Amt (sei es als Ministerin oder Abgeordneter eines Lokalrates) nieder­zulegen bzw. ihr Arbeitsverhältnis im öffentlichen Sektor oder auch bei zivilgesellschaftlichen Organisationen zu kündi­gen. Das passive Mindestwahlalter für den PLC wurde auf 28 Jahre festgelegt, was vor allem in der palästinensischen Jugend auf harsche Kritik stößt.

Die vereinbarte Freilassung politischer Häftlinge wurde bislang weder von der Führung in Ramallah noch von jener in Gaza vollständig umgesetzt. Und von einer politischen Öffnung kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Anfang März erließ Abbas ein Dekret über Nichtregierungsorganisationen, das den Spielraum der Zivilgesellschaft deutlich einengt.

Parteiinterne Wahlen haben bislang nur bei der Hamas stattgefunden, wenn auch turnusgemäß und daher eher zufällig im Vorfeld des Urnengangs. Bei der Fatah zeigt sich derzeit das Gegenteil eines internen Abstimmungsprozesses, der die Basis mit einbezöge: Die Führung bestimmt die Listenplätze, sortiert populäre Kandidatinnen und Kandidaten aus und droht nach Medienberichten denjenigen, die auf alter­nativen Listen antreten wollen, mit Partei­ausschluss oder gar physischer Gewalt. Als Nasser al-Qidweh, Mitglied des Fatah-Zentralkomitees, langjähriger PLO-Vertreter bei den Vereinten Nationen und ehemaliger PA-Außenminister, sich dem Druck nicht beugen wollte, wurde er Mitte März tat­sächlich aus der Partei verbannt. Allem Anschein nach möchte Abbas sich im Juli auch als Präsident bestätigen lassen – trotz seines fortgeschrittenen Alters von 85 Jah­ren, seiner angegriffenen Gesundheit und wiederholter Zusagen, nicht wieder anzu­treten. Auf jeden Fall möchte er Kandidaturen seiner Widersacher aus den eigenen Reihen verhindern. Dabei geht es insbesondere um zwei Personen: zum einen den seit 2002 in Israel inhaftierten Marwan Barghu­thi, ehemaliger PLC-Abgeordneter und Generalsekretär der Fatah im Westjordanland, der derzeit als populärster palästinensischer Politiker gehandelt wird, zum ande­ren den seit 2012 in den Vereinigten Arabi­schen Emiraten exilierten und von der Fatah ausgeschlossenen Mohammed Dah­lan, den ehemaligen Leiter der Präven­tiven Sicherheit im Gazastreifen.

Israels Rolle

Bedroht wird die ordnungsgemäße Durch­führung der Wahlen zusätzlich durch israelische Maßnahmen. Nicht nur haben israelische Sicherheitskräfte im Westjordanland begonnen, Mitglieder der PFLP (Popu­lar Front for the Liberation of Palestine) und der Hamas zu verhaften bzw. Druck auf sie auszuüben, nicht für die Wahlen zu kandi­dieren. Auch hat Israel noch nicht geklärt, ob und wie die palästinensische Bevölkerung Ost-Jerusalems an den Wahlen teil­nehmen kann. Dabei ist ihre Teilnahme gemäß den Osloer Abkommen explizit vor­gesehen. In der Vergangenheit stimmten die Menschen teils in einer Art Briefwahl in den Postämtern der Stadt ab, teils wählten sie in den an Jerusalem angrenzenden palästinensischen Ortschaften im Westjordanland. Mit gutem Willen auf beiden Seiten ließen sich hier zweifelsohne Mittel und Wege für eine Beteiligung an den Wahlen finden. Darüber hinaus gilt es auch, eine Kandidatur von Ost-Jerusale­me­rinnen und Ost-Jerusalemern zu ermöglichen. Dazu bedürfte es eindeutiger Zusagen der israelischen Regierung, dass solche Be­werberinnen und Bewerber nicht ihr Auf­enthaltsrecht in der Stadt verlieren. Dies war nach den Wahlen 2006 der Fall, als vier Jerusalemer Hamas-Abgeordnete des PLC verhaftet und aus der Stadt ausgewiesen wurden.

Europäische Forderungen, europäische Verantwortung

Die EU und ihre Mitgliedstaaten wollen erklärtermaßen dazu beitragen, in den palästinensischen Gebieten ein demokratisches Gemeinwesen aufzubauen. Seit Jah­ren fordern sie von der palästinensischen Führung, zum demokratischen Prozess zurückzukehren und die Spaltung zu über­winden. Die Bundeskanzlerin mahnte dem Vernehmen nach bei ihrem letzten Treffen mit Präsident Abbas im August 2019 expli­zit Wahlen an.

EU und Mitgliedstaaten sollten daher die anberaumten Wahlen nicht nur, wie ohne­hin angedacht, durch (finanzielle) Wahl­hilfe und Wahlbeobachtung unterstützen. Vielmehr sollten sie sich – wenn möglich geschlossen und in Absprache mit den USA, zur Not aber auch in einer Koalition der Willigen, in der Deutschland eine prominente Rolle zu spielen hätte – erstens mit Nachdruck gegenüber der palästinensischen Führung dafür einsetzen, dass Wahlen nicht einmal mehr auf unbestimmt ver­schoben werden. Sie sollten auch auf die PA einwirken, rasch ein Klima herzustellen, in dem freie, allgemeine, faire und kompeti­tive Wahlen stattfinden können, soweit dies unter den Bedingungen der Besatzung möglich ist. Damit im Spätsommer über den PNC abgestimmt werden kann, sollten sie der palästinensischen Diaspora in Euro­pa Wahlen und Wahlkampf ermöglichen und dabei logistische Hilfe leisten, etwa in­dem sie Wahllokale zur Verfügung stellen.

Sie sollten zweitens auf Israel einwirken, der palästinensischen Bevölkerung Ost-Jerusalems ohne Einschränkungen die aktive und passive Teilnahme an Wahlen zu ermöglichen, die für Wahlen und Wahl­kampf notwendige Bewegungsfreiheit in und zwischen den palästinensischen Ge­bieten zu gewähren sowie Interventionen in den Wahlvorgang einzustellen.

Sie sollten drittens zeitnah eindeutige Signale senden, unter welchen Bedingungen sie mit der von den dominanten Par­teien angestrebten Regierung der nationalen Einheit kooperieren würden, statt zu­nächst das Wahlergebnis abzuwarten. Denn es gilt, den palästinensischen Parteien die Sorge zu nehmen, dass eine aus Wahlen hervorgehende Regierung, die auch von der Hamas mitgetragen wird, einmal mehr quasi automatisch einer westlichen Isola­tionspolitik unterworfen würde. In diesem Sinne sollte der pragmatische Flügel der Hamas gestärkt werden, der sich an die Kriterien für Kooperation angenähert hat, wie sie das sogenannte Nahost-Quartett (USA, Russische Föderation, UN, EU) bereits 2006 formulierte: Gewaltverzicht, Anerken­nung von Israels Existenzrecht, Verpflichtung auf alle zwischen Israel und der PLO geschlossenen Abkommen. Denn die Hamas trägt die Einigung der palästinensischen Parteien mit, welche die Grundlage für die Wahlen darstellt. Die PA hat diese Einigung in einem Brief an das US State Department bestätigt. Sie enthält die Ver­pflichtung auf eine Zweistaatenregelung auf Basis der Grenzen von 1967 sowie auf internationales Recht, die Beschränkung auf (unbewaffneten) Volkswiderstand und die Anerkennung der PLO als einziger Vertretung der Palästinenserinnen und Palästinenser weltweit.

Auch wenn die Hamas auf der europäischen Terrorliste steht, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang sinnvollerweise auch ihre »no contact policy« gegenüber der Hamas überdenken. Es wäre zielführend, zumindest auf nied­riger Ebene Kontakte aufzunehmen, um weitere Annäherungsschritte auszuloten und europäische Haltungen (etwa in Bezug auf Israel, Regierungsführung und Men­schenrechte) in den Prozess der Positions­bestimmung der Hamas einzubringen.

Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow in der Forschungs­gruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021

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