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Arbeitskräftegewinnung: Gute Gesetze reichen nicht

Kurz gesagt, 23.02.2023 Forschungsgebiete

Der Arbeitskräftemangel ist eine der größten Herausforderungen für die Wirtschaft. Mit einem neuen Gesetz will die Bundesregierung die stockende Arbeitskräftegewinnung im Ausland nun erleichtern. Das allein wird aber nicht reichen, meinen Steffen Angenendt, David Kipp und Nadine Knapp.

Der Mangel an Arbeitskräften gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland. Es fehlen nicht nur Fachkräfte, sondern auch geringer qualifizierte Beschäftigte – und das Problem droht sich mit dem beginnenden Renteneintritt der Babyboomer weiter zu verschärfen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht von jährlich 400.000 Personen aus, die netto bis zum Jahr 2035 zuwandern müssten, um die Zahl der Arbeitskräfte auf heutigem Niveau zu halten.

 

Die drei(einhalb) Säulen der Fachkräftestrategie

Die Bundesregierung hat im Herbst 2021 erklärt, sie wolle einen »Paradigmenwechsel« in der deutschen Migrations- und Integrationspolitik: Migration soll vorausschauend und realistisch gestaltet werden, irreguläre Migration reduziert und reguläre Migration ermöglicht werden. Dazu hat sie eine neue Fachkräftestrategie und Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung beschlossen. Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung soll im Frühjahr 2023 verabschiedet werden. Vorgesehen sind drei Säulen für die Fachkräfteeinwanderung und weitere Regelungen für die geringer qualifizierte Zuwanderung.

Beim zentralen Element, der Fachkräftesäule, will sie nur nachjustieren. Voraussetzungen für die Zuwanderung sind weiterhin ein anerkannter Abschluss, ein Arbeitsvertrag und gleichwertige Beschäftigungsverhältnisse. Neu ist die Möglichkeit, mit einer anerkannten Qualifikation jede qualifizierte Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen auszuüben. Damit erhält die Einschätzung des Arbeitgebers, ob die Qualifikation zu der betreffenden Beschäftigung befähigt, mehr Gewicht. Zudem will die Regierung bei der Blauen Karte EU für Hochqualifizierte die erforderliche Gehaltsschwelle weiter senken und die Bildungsmigration erleichtern, um mehr jüngere Menschen für eine Ausbildung oder ein Studium in Deutschland zu gewinnen.

Tiefergehende Änderungen sind in der zweiten Säule geplant, der Erfahrungssäule. Hier sollen auch Menschen ohne formale Anerkennung ihres Abschlusses nach Deutschland kommen können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie einen Arbeitsvertrag, eine bestimmte Gehaltsschwelle und eine zweijährige Berufserfahrung. Für sie wird auf die Gleichwertigkeitsprüfung ihres Berufsabschlusses verzichtet. Ergänzend soll es »Anerkennungspartnerschaften« geben, die es ausländischen Fachkräften erlauben, bereits vor ihrem Anerkennungsverfahren in Deutschland zu arbeiten und dieses parallel zu durchlaufen. Bei Fachkräften der Informations- und Kommunikationstechnologie wird auf Deutschkenntnisse gänzlich verzichtet und die Höhe der Gehaltsschwelle gesenkt.

Neu ist auch das dritte Element, die Potenzialsäule, mit der ein »Punktesystem light« eingeführt wird. Die Regelung richtet sich an qualifizierte Personen, die noch keinen Arbeitsvertrag in Deutschland haben und zur Arbeitsplatzsuche kommen wollen. Dazu wird eine Chancenkarte mit einem Punktesystem für berufliche Qualifikation, deutsche Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Inlandsbezug eingeführt. Sie wird ab einer bestimmten Punktzahl ausgestellt und erlaubt zunächst bis zu einem Jahr die Arbeitssuche und eine Probebeschäftigung.

Darüber hinaus sind weitere Regelungen für geringer qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten vorgesehen. Diese können als weitere (vierte) Säule der Arbeitskräftegewinnung verstanden werden – auch wenn sie nicht so bezeichnet werden: Geplant sind eine Entfristung der Westbalkanregelung mit einer Erhöhung des jährlichen Kontingents von derzeit 25.000 auf 50.000 Personen und eine kontingentierte, befristete und qualifikationsunabhängige Einreise von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung von kurzfristigen Beschäftigungen bis zu sechs Monaten.

 

Flankierende Maßnahmen sind nötig

Die Reformen sollen laut Bundesregierung zu einer zusätzlichen Einwanderung von 65.000 Arbeitskräften pro Jahr führen. Tatsächlich dürfte es nach diesen Rechtsänderungen keine nennenswerten rechtlichen Hürden für die Zuwanderung für Fachkräften mehr geben. Andere Probleme bleiben aber bestehen, wie die langen und teuren Anwerbe- und Anerkennungsverfahren, die uneinheitliche Praxis in den Bundesländern, die fehlenden Sprach- und Weiterbildungslehrgänge oder die generell schwache Bereitschaft der Arbeitgeber, im Ausland anzuwerben. Die Rechtsänderungen sollten daher durch flankierende Maßnahmen in mindestens vier Handlungsfeldern ergänzt werden:

Erstens wird Deutschland im internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte nur bestehen können, wenn die Vorzüge des Lebens und Arbeitens in Deutschland glaubhaft vermittelt werden. Dazu könnten die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in zehn Ländern geplanten »Zentren für Migration und Entwicklung« einen wichtigen Beitrag leisten, falls sie entsprechend ausgestattet werden.

Zweitens müssen die Verwaltungsprozesse schneller digitalisiert werden, und die Mitwirkung der Ausländerbehörden muss entschlackt werden. Hierfür wären zentrale Ausländerbehörden hilfreich, die es bislang aber nur in neun Bundesländern gibt. Perspektivisch sollten die Ausländerbehörden in Einwanderungsbehörden umgewandelt werden. Zur Beschleunigung der Visaerteilung sollten die Auslandsvertretungen verstärkt die Hilfe von vertrauenswürdigen externen Dienstleistern und der Außenhandelskammern in Anspruch nehmen können.

Drittens sollte die Bundesregierung nachhaltige, faire und entwicklungsorientierte Migrationspartnerschaften mit Herkunftsländern schließen, die so gestaltet sind, dass die Partnerländer Interesse an einer Erfüllung der Verträge haben. Dazu gehören vor allem Angebote zur legalen Migration und zum Ausbau der Berufsbildungssysteme vor Ort. Der neu berufene Sonderbevollmächtigte für Migrationsvereinbarungen der Bundesregierung kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten, falls er die Rückendeckung der beteiligten Ressorts und die nötigen Kompetenzen und Ressourcen erhält.

Viertens werden sich die benötigten Arbeitskräfte nicht allein durch staatliche Anwerbemaßnahmen rekrutieren lassen. Es sollten auch private Vermittlungsakteure einbezogen werden. Die Bundesregierung sollte der Gefahr von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen durch die Entwicklung nationaler Gütesiegel für die Fachkräftegewinnung entgegenwirken sowie die Einbeziehung von Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft in die Anwerbeprogramme fördern.

Diese Verbesserungen bei den Verwaltungsabläufen und die politische Rahmung durch Migrationspartnerschaften würden die Chancen beträchtlich erhöhen, das Problem der Arbeitskräftegewinnung in den Griff zu bekommen.