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Aktuelle Vorschläge zur Reform der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik

Arbeitspapier, 15.07.2002
2. Vorschläge zur Zusammenführung der außenpolitischen Bereiche

Bei den Ideen zur Zusammenführung der außenpolitischen Bereiche gibt es Vorschläge der Fusion und der Synergie. Sie unterscheiden sich danach, wie sie als außenpolitische Effizienz erreichen wollen:

Vor allem das Europäische Parlament und die EU-Kommission legten bisher Vorschläge vor, die eine weitere Vergemeinschaftung der europäischen Außenpolitik befördern sollen. Hierzu hat das Europäische Parlament (EP) im Lamassoure-Bericht vom 24. April 2002 vorgeschlagen, die Außenpolitik in die ausschließliche Kompetenz der Union zu überführen. Konkret bedeutet das eine Vergemeinschaftung des Zweiten Pfeilers. Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollte allerdings in geteilter Zuständigkeit von Union und Mitgliedstaaten bleiben. Die Aufgaben des Hohen Repräsentanten für die GASP und diejenigen des Kommissars für die Außenbeziehungen sollten zusammengelegt und von einem einzigen Vizepräsidenten der Kommission für Außenbeziehungen wahrgenommen werden. Faktisch bedeutet es die Abschaffung des Hohen Repräsentanten und die Aufwertung der Kommission im Bereich der Außenpolitik, wozu auch die Schaffung eines europäischen diplomatischen Korps unter der Ägide der EU-Kommission gehört. Die Ernennung dieses Vizepräsidenten der Kommission für die Außenpolitik würde nach dem bisherigen Verfahren der Investitur der Kommission durch Rat und Europäisches Parlament erfolgen.

EU-Kommissionspräsident Romano Prodi hatte im Sommer 2001 vorgeschlagen, die gesamte Außenpolitik der EU, d.h. die GASP und die ESVP sowie die Außenwirtschaftsbeziehungen, der EU-Kommission zu übertragen und zwei Kommissare im Rang von Vizepräsidenten mit der Außenvertretung der Europäischen Union zu beauftragen. Am 22.Mai 2002 legte die Kommission dem Europäischen Konvent ihre Vorschläge unter dem Titel "Ein Projekt für die Europäische Union" vor. Zu den darin genannten drei fundamentalen Aufgaben der Europäischen Union gehört die Ausübung der Verantwortung als 'Weltmacht'. Um diese Verantwortung tragen zu können, bedarf es der institutionellen Reformen. Diese Vorschläge sind auch als Reaktion auf den jüngsten britischen und französischen Vorstoß vom Mai 2002 zur Schaffung eines EU-Präsidenten, der die EU vor allem nach außen vertreten soll, zu verstehen. Die Kommission schlägt dagegen vor, den Hohen Repräsentanten für die Außen- und Sicherheitspolitik als Vizepräsidenten in die Kommission einzubinden. Damit wäre eine enge Verzahnung zwischen Kommission und Rat gegeben, die die Kommission nicht schwächen würde, sondern die Kohärenz zwischen Rat und Kommission stärken könnte. Das Amt des Hohen Repräsentanten erhielte so eine Aufwertung. Der Hohe Repräsentant würde von dem designierten Präsidenten der Kommission und dem Rat auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gemeinsam ausgewählt: ein "Kommissar de luxe". Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Kommission wäre er dann durch das Europäische Parlament zu ernennen und würde im Falle eines erfolgreichen Mißtrauensvotums des EP gegen die Kommission auch sein Amt verlieren. Der Hohe Repräsentant hätte also eine zweifache Legitimation. Seine Aufgabe nähme er unter der Autorität des Kommissionspräsidenten wahr. Für eine Übergangsfrist sollen gemeinsame Abteilungen von Kommission und Hohem Repräsentanten geschaffen werden. Dauerhaft fordert die Kommission ein eigenes Budget für die Außenpolitik sowie ein Netzwerk auswärtiger Delegationen. Das Budget für die Außenpolitik unterliegt der Haushaltskontrolle durch das Europäische Parlament. Die Kommission strebt unverkennbar eine "freundliche Übernahme" des Hohen Repräsentanten und damit auch des Zweiten Pfeilers an. Die Außenpolitik sollte soweit wie möglich vergemeinschaftet werden. Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird zunächst auch weiterhin nach der intergouvernementalen Methode betrieben. Für die Beschlußfassung im Ministerrat bedeutet das die Mehrheitsentscheidung.

Der EU-Kommissar für den Außenhandel, Pascal Lamy, hatte am 6. Mai 2002 in einer Rede mit dem Titel "Europe's Role in Global Governance: The Way Ahead" vor der Humboldt Universität in Berlin Vorschläge unterbreitet, die ebenfalls auf eine Fusion der außenpolitischen Kompetenzen hinauslaufen. Im Mittelpunkt von Lamy's Überlegungen steht die Frage nach der Steuerung der Globalisierung durch die Europäische Union. Um das Gewicht der Europäischen Union in einer Weltordnungspolitik zu erhöhen, bedarf es einer weiteren Vergemeinschaftung der europäischen Außenpolitik und einer Vergemeinschaftung der internationalen Vertretung der EU. Lamy zufolge soll die Kommission die alleinige Verhandlungskompetenz für alle internationalen Fragen erhalten, die im Zusammenhang mit dem Management der Globalisierung stehen. Verbunden mit dieser Vergemeinschaftung der Außenpolitik der Europäischen Union ist der Übergang zur Mehrheitsregel bei Abstimmungen im Ministerrat. Gleichzeitig forderte Lamy eine Verbesserung der außenpolitischen Vertretung in internationalen Gremien durch die Einrichtung eigener EU-Sitze bzw. Sitze für die Euro-Gruppe in IWF, G-8, Weltbank, WTO und später auch im VN-Sicherheitsrat.

Im Herbst 2001 auf dem bilateralen Gipfeltreffen in Nantes hatten Deutschland und Frankreich Vorschläge angekündigt, die eine bessere Synergie zwischen dem Amt des EU-Kommissars für die Außenbeziehungen und dem Amt des Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik herstellen könnten. Gedacht war zunächst an eine Verschmelzung der beiden Ämter. Nach dem jüngsten Vorschlag des französischen Staatspräsidenten zur Schaffung eines EU-Präsidenten, der von der britischen Regierung ebenfalls vertreten wird, beschränken sich die deutsch-französischen Gemeinsamkeiten auf die Feststellung, dass eine Synergie in der europäischen Außenpolitik notwendig ist. Weder in den deutschen Regierungs- noch in den Oppositionsparteien wurde der britische und der französische Vorschlag begrüßt. So hält Peter Glotz, der Vertreter der Bundesregierung im Europäischen Konvent, den britischen Vorschlag für wenig hilfreich (Vgl. FAZ, 25. Mai 2002) Lediglich der Abgeordnete Andreas Schockenhoff hat den Vorschlag ausdrücklich befürwortet (Vgl. Le Figaro, 6. Mai 2002).

Statt dessen werden in Deutschland Überlegungen vorgetragen und zwar von Regierung und Opposition gleichermaßen, wie bei den jüngsten Besuchen des Kanzlerkandidaten Stoiber in Brüssel und London deutlich wurde, wonach

  1. weitere Bereiche der Außenpolitik "europäisiert" werden sollen,
  2. eine engere Synergie der außenpolitischen Spitzenämter notwendig sei
    und
  3. darüber hinaus eine Ausweitung der qualifizierten Mehrheitsregel in außenpolitischen Fragen erforderlich wäre.

Die Vorstellungen der Bundesregierung spiegeln sich im gemeinsamen Antrag der Bundestagsfraktionen von SPD/Bündnis90 vom 15. Mai 2002 (DBT - Drucksache 14/9047), dem Arbeitspapier Nr. 12 der Arbeitsgruppe Europäische Integration der Friedrich Ebert-Stiftung "Making EU Foreign Policy More Effective" vom Mai 2002 und einem Namensartikel von Peter Glotz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.Mai 2002 mit dem Titel "Das Ding - Überlegungen gegen den Hornviehnationalismus in der Europäischen Union" wider. Die Vorstellungen der Unionsparteien sind im sogenannten Schäuble / Bocklet-Papier "Vorschläge von CDU und CSU für einen Europäischen Verfassungsvertrag" der CDU/CSU-Arbeitsgruppe "Europäischer Verfassungsvertrag" vom 26. November 2001 und im Entschließungsantrag der Unionsfraktion "Notwendige Reformen für die zukünftige EU: Forderungen an den Konvent (DBT-Drucksache 14/8489) zu finden. In Deutschland herrscht eine Position vor, die eine Vergemeinschaftung der europäischen Außenpolitik eher befürwortet und einer Stärkung der intergouvernementalen Komponente eher skeptisch begegnet. Allerdings lehnen die Regierungsparteien und die CDU/CSU-Opposition die intergouvernementale Komponente nicht kategorisch ab. Für eine Übergangsfrist kommt der intergouvernementalen Zusammenarbeit und dem bisher noch nie angewandten Instrument der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Außenpolitik sowie opt-out-Klauseln eine wichtige Rolle zu. In ihren jeweiligen Anträgen zum Europäischen Konvent im Deutschen Bundestag heben die Regierungsparteien und die Unionsparteien die Bedeutung der Verzahnung von supranationalen und intergouvernementalen Elementen in der europäischen Außenpolitik hervor.

Die belgische Präsidentschaft hatte im Herbst 2001 Überlegungen vorgetragen, die eine Fusion der außenpolitischen Spitzenämter vorsah. Danach sollten zwei Ämter miteinander fusioniert werden: der EU-Kommissar für die Außenbeziehungen und der Hohe Repräsentant für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Konkret sieht der Vorschlag vor, dass der Hohe Repräsentant das Amt des EU-Außenkommissars übernimmt, also Mitglied der Kommission wird, gleichzeitig Generalsekretär des Rates bleibt und darüber hinaus den Vorsitz im Rat der Außenminister übernimmt. Mit dieser Fusion verbunden wäre auch die Zusammenlegung der entsprechenden Generaldirektionen in der Kommission mit der Direktion E im Rat. So entstünde also faktisch ein europäisches Außenministerium. Durch diese Scharnierfunktion des neuen Amtes zwischen Kommission und Rat könnten die Entscheidungsprozesse stringenter werden. Offen bleiben bei diesem Vorschlag aber Fragen der interinstitutionellen Balance: welche Rechte hat z.B. das EP gegenüber dem europäischen "Außenminister", wie läßt sich die Position des weisungsgebundenen Generalsekretärs des Rates mit der Unabhängigkeit eines Kommissionsmitgliedes vereinbaren.

Am 19. Februar 2001 stellte der Hohe Repräsentant für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana gemeinsam mit dem ehemaligen schwedischen Premierminister Carl Bildt eine Studie des Centre for European Reform (CER) mit dem Titel "Shaping a credible EU foreign policy" vor. Der Kern der dort unterbreiteten fünf Vorschläge zur Ausformung einer glaubwürdigen EU-Außenpolitik besteht in der Stärkung des Amtes des Hohen Repräsentanten. Das Amt des Hohen Repräsentanten soll verschmolzen werden mit dem Amt des Kommissars für die Außenbeziehungen. Es soll ein "single foreign policy supremo" geschaffen werden. Damit verbunden ist die Forderung nach einer klaren außenpolitischen Strategie, die alle anderen Politikbereiche mit Außenwirkung umfasst. Die Abschaffung der rotierenden Präsidentschaft im Rat, die Ausweitung der Mehrheitsregel bei außenpolitischen Fragen und eine bessere Ressourcenausstattung des Hohen Repräsentanten sollen zu einer Verbesserung der "Brüsselisierung" der europäischen Außenpolitik beitragen. Dieser Vorschlag befürwortet die Weiterentwicklung des dritten Wegs einer engen Verzahnung der beiden Entscheidungsträger europäischer Außenpolitik.

Die jetzige Diskussion stellt in gewisser Weise ein "déjà vu" dar, denn im Grunde werden Vorschläge wiederholt, die bei der Einrichtung des Hohen Repräsentanten für die GASP 1996/97 in den Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag bereits gemacht wurden. Damals ging es um die Frage der institutionellen Ansiedlung des Hohen Repräsentanten. Die Kommission und das EP hatten seinerzeit gefordert, dass ein zusätzlicher Kommissar ernannt würde, der mit der Aufgabe betraut würde. Wichtige Mitgliedsländer forderten dagegen, eine herausgehobene wichtige Persönlichkeit mit der außenpolitischen Vertretung (Monsieur PESC) zu betrauen und beim Rat anzusiedeln.