Direkt zum Seiteninhalt springen

Washington und Ankara: Grenzen der Annäherung

Kurz gesagt, 30.09.2025 Forschungsgebiete
  • Sinem Adar

    Sinem Adar

Der Besuch des türkischen Präsidenten Erdoğan im Weißen Haus war von Freundlichkeit vor der Kamera und offenen Fragen dahinter geprägt. Trotz Gesten der Kooperation bleibt unklar, ob die Annäherung an Washington trägt, meint Sinem Adar.   

Auf den Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Weißen Haus am 25. September hatte Ankara seit Jahren hingearbeitet. Die Begegnung mit US-Präsident Donald Trump war jedoch eine Mischung aus Schmeichelei und Zynismus. Zwischen wiederholten Komplimenten an die türkische Delegation machte Trump abfällige Bemerkungen über Wahlmanipulationen und drängte Erdoğan zum Verzicht auf russisches Gas und Öl. 

Nach der zweistündigen Arbeitssitzung fand keine Pressekonferenz statt. Offiziell war nur von einer »positiven Atmosphäre« die Rede. Hinter verschlossenen Türen dürfte es jedoch um altbekannte Streitpunkte gegangen sein: die mögliche Aufhebung der CAATSA-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Erwerb russischer S-400-Flugabwehrsysteme durch die Türkei, eine Rückkehr ins F-35-Programm, den Wunsch nach F-16-Kampfflugzeugen sowie die Lage in Syrien. 

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine versuchen beide Seiten, die Spannungen abzubauen. Zu diesem Zweck wurde im Mai 2022 eigens der »Strategische Mechanismus« eingerichtet. Nach seiner Wiederwahl 2023 deutete Erdoğan mit der Zusammensetzung seines Kabinetts eine Bereitschaft zu engerer Zusammenarbeit an. Dennoch blieben die Ergebnisse der Jahre unter Präsident Joe Biden mager und spiegelten einen Mangel an gemeinsamer strategischer Ausrichtung wider. 

Für Ankara erscheint eine zweite Amtszeit Trumps aussichtsreicher. Die türkische Regierung hat sich demonstrativ kooperativ gezeigt. So hob sie noch vor Erdoğans Reise die 2018 verhängten zusätzlichen Strafzölle auf manche US-Importe auf. Am Tag vor dem Treffen unterzeichnete das staatliche Unternehmen BOTAŞ einen 20-Jahres-Vertrag mit dem US-Unternehmen Mercuria über die Lieferung von Flüssigerdgas. Bereits im Dezember war die Türkei neben dem Vereinigten Königreich das erste Zielland für US-Flüssigerdgaslieferungen. Auch eine Absichtserklärung zur zivilen nuklearen Zusammenarbeit sowie ein Großauftrag zwischen Boeing und Turkish Airlines setzten Akzente. Zudem signalisierte Erdoğan die Bereitschaft, das umstrittene griechisch-orthodoxe Seminar von Chalki bei Istanbul wiederzueröffnen.

Asymmetrische Beziehungen

Es überrascht nicht, dass Ankara die Logik des Deal-Making versteht. Erdoğan und Trump teilen denselben politischen Instinkt: eine von Opportunismus und Transaktionen statt Prinzipien geprägte Machtpolitik. Die Annäherung bleibt jedoch asymmetrisch. Während Washington das Tempo vorgibt, zeigt Ankara Kooperationsbereitschaft – nicht zuletzt aufgrund technologischer Abhängigkeit, wirtschaftlicher Schwäche und sicherheitspolitischer Zwänge, insbesondere in Syrien. Dort ist die Türkei de facto Nachbarin Israels, ohne jedoch eine gemeinsame Vision für die Zukunft Syriens zu teilen. 

Gleichzeitig möchte Washington mit einer revisionistischen Sichtweise das Kräfteverhältnis in Eurasien neu ausrichten. Die Trump-Regierung stützt sich dabei auf zwei Säulen: Erstens die Etablierung der Energiehegemonie durch den Export von US-Öl und -Gas. In diesem Sinne dienen Energieabkommen mit der Türkei nicht nur der Verbesserung der bilateralen Beziehungen, sondern auch der Festigung der globalen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Zweitens zielen die USA auf die Eindämmung des Iran, Russlands und Chinas ab. In diesem Zusammenhang lobt Trump wiederholt den Beitrag der Türkei zum Sturz Assads, obwohl Ankara eine direkte Rolle dabei weiterhin ablehnt. 

Darüber hinaus signalisierte Washington sein Interesse an einer Zusammenarbeit bei der Konfliktbewältigung und Stabilisierung in Somalia, Sudan und Libyen, wo Ankara militärisch und wirtschaftlich präsent ist. Selbst der mögliche Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan wird in Washington mittlerweile als logistisches Infrastrukturprojekt betrachtet. Ankara hofft dabei auf amerikanische Unterstützung beim Ausbau seiner Ost-West-Verkehrskorridore. 

Trotz der überlappenden Interessen und auch Wünsche wurde ein echter Durchbruch beim Treffen noch nicht erzielt. Der Widerstand im US-Kongress gegen eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei, insbesondere im Rüstungsbereich, und Meinungsunterschiede innerhalb der Trump-Regierung erschweren einen »Reset«.

Auch innerhalb der Türkei ist der Kurswechsel umstritten – sowohl innerhalb von Erdoğans Allianz als auch in den Oppositionslagern. Die außenpolitische Debatte schwankt zwischen antiwestlichen Stimmen, Spannungen sowie engem Interesse innerhalb von Erdoğans Regime, wirtschaftlicher Notwendigkeit und Rüstungsbedarf.

Die zentrale Erkenntnis dieses Treffens ist somit bemerkenswert banal und doch bedeutsam: Die alte Ordnung hält nicht mehr, aber eine neue ist noch nicht in Sicht. Washington und Ankara klammern sich aneinander – ob aus Überzeugung oder mangels Alternativen, wird die Zeit zeigen.

Dr. Sinem Adar ist Wissenschaftlerin am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS)