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Staatsstreich in Saudi-Arabien

Mit den Verhaftungen führender Prinzen sichert Kronprinz Muhammad Ibn Salman seine Macht, gefährdet jedoch zugleich die geplanten Wirtschaftsreformen. Eine Analyse von Guido Steinberg.

Kurz gesagt, 07.11.2017 Forschungsgebiete

Mit den Verhaftungen führender Prinzen sichert Kronprinz Muhammad Ibn Salman seine Macht, gefährdet jedoch zugleich die geplanten Wirtschaftsreformen. Eine Analyse von Guido Steinberg.

Anfang November 2017 machte der saudi-arabische Kronprinz Muhammad Ibn Salman erneut von sich reden. Nur wenige Stunden, nachdem sein Vater ihn zum Vorsitzenden einer Kommission zur Korruptionsbekämpfung ernannt hatte, ließ er mindestens zehn Angehörige der Herrscherfamilie und mehrere Minister und Ex-Minister verhaften. Besonderes Aufsehen erregte der Arrest von Walid Ibn Talal al-Saud, dem reichsten und prominentesten Geschäftsmann des Landes. Für die Politik des Landes noch wichtiger aber war die Inhaftierung von Mitab Ibn Abdallah, dem Sohn des ehemaligen Königs und Kommandeurs der Nationalgarde. Mit ihm hat Ibn Salman den letzten potentiellen Konkurrenten um den Thron beseitigt.

Sicherung der Macht

Die Festnahmen galten in erster Linie der weiteren Absicherung der Macht des Kronprinzen, der seit seiner Ernennung zum Verteidigungsminister Anfang 2015 einen kometenhaften Aufstieg genommen hat. Damals bestieg sein 79-jähriger Vater Salman den Thron, nachdem König Abdallah verstorben war. Salman setzte fortan alles daran, seinen Sohn als Nachfolger aufzubauen und mögliche Konkurrenten auszuschalten. Schon im April 2015 wurde Muhammad stellvertretender Kronprinz, musste damals aber akzeptieren, dass Innenminister Muhammad Ibn Naif zum Thronfolger ernannte wurde. Es wurde jedoch schnell deutlich, dass Ibn Naif Probleme haben würde, sich durchzusetzen, denn Ibn Salman wurde rasch zur dominierenden Figur in der saudi-arabischen Politik. Im Juni 2017 schließlich verlor Ibn Naif nicht nur die Kronprinzenwürde, sondern auch das Amt des Innenministers. Ibn Salman wurde zum Kronprinzen ernannt.

Der letzte nun noch verbliebene Konkurrent war Mitab Ibn Abdallah. Er kommandierte die saudi-arabische Nationalgarde, die mit 100.000 Mann nominell sogar stärker ist als die Armee. Nach der Verhaftung Mitabs haben König und Kronprinz nun die Kontrolle über alle militärischen Formationen des Landes, die bis dahin jahrzehntelang getrennt gewesen waren, um die Machtübernahme eines einzelnen Flügels der Herrscherfamilie zu verhindern. So müssen König Salman und sein Sohn keinen Staatsstreich ihrer Gegner mehr befürchten. Nach einem Ableben Salmans wird Muhammad ohne Rücksicht auf den Rest der Familie herrschen können.

Ehrgeizige Wirtschaftsreformen

Die Verhaftungen könnten sich jedoch nachteilig auf die geplanten Wirtschaftsreformen des Kronprinzen auswirken. Denn die Gefangennahme Walid Ibn Talals wird bei ausländischen Investoren, die für eine Modernisierung dringend nötig sind, eine ohnehin verbreitete Zurückhaltung verstärken. Auch die Verhaftung des langjährigen Finanzministers (1996-2016) Ibrahim al-Assaf, eines in Finanz- und Wirtschaftskreisen weltweit bekannten Fachmannes, wird das Vertrauen in die Verlässlichkeit der neuen saudi-arabischen Führung stark beeinträchtigen. Dabei hatte Ibn Salman – der auch für die Wirtschaftspolitik des Landes verantwortlich zeichnet – unter dem Motto »Vision 2030« Reformen angekündigt, die vor allem die Abhängigkeit Saudi-Arabiens vom Öl beenden sollten. Schon im Juni 2016 stellte er einen detaillierten Transformationsplan vor. Sein Ziel war vor allem der Ausbau der Privatwirtschaft, um neue Einnahmen zu generieren und gleichzeitig Arbeitsplätze für die sehr junge saudi-arabische Bevölkerung zu schaffen. Kern des Plans war die Teilprivatisierung des staatlichen Ölkonzerns Aramco. Bin Salman kündigte für 2018 den Verkauf von Anteilen von bis zu 5 Prozent an. Der erwartete Erlös von mehr als 100 Milliarden Dollar sollte in einen Investitionsfonds fließen, der etwa die Hälfte im Ausland investieren sollte, um Dividenden zu erwirtschaften, die andere Hälfte in den industriellen Umbau des Landes und die Förderung der Privatwirtschaft. Die Verhaftungen werden zumindest westliche Investoren zögern lassen, in ein Land zu investieren, dessen Herrscher zu unberechenbaren Strafaktionen gegen die Wirtschaftseliten neigen.

Vorbild Abu Dhabi

Der Beifall einiger Nachbarn ist dem starken Mann in Riad jedoch sicher, allen voran der Abu Dhabis. Tatsächlich ist ein Blick in das mächtigste der Vereinigten Arabischen Emirate hilfreich, will man die Vorgänge in Saudi-Arabien verstehen. Denn der Kronprinz und starke Mann Abu Dhabis und der VAE, Muhammad Ibn Zayid al-Nahayyan, gilt als politischer Mentor seines saudi-arabischen Kollegen. Dementsprechend orientieren sich die geplanten Wirtschaftsreformen Ibn Salmans stark am Vorbild Abu Dhabis, das schon seit Jahren auf eine Diversifizierung der Wirtschaft setzt und zu diesem Zweck die Einnahmen eines der weltweit größten Staatsfonds nutzt. Auch der zunehmend unnachgiebige Umgang mit innenpolitischen Kritikern jeglicher Couleur in Saudi-Arabien und die außenpolitische Aggressivität erinnern sehr an die VAE.

Im Unterschied zu Abu Dhabi ist der saudi-arabische Staat jedoch stark vom althergebrachten Bündnis der Herrscherfamilie mit den wahhabitischen Religionsgelehrten geprägt, und bisher ist vollkommen unklar, ob und wie Ibn Salman an dieser Allianz festhalten will. Zwar begrenzte er den Einfluss der vom Klerus kontrollierten Religionspolizei und kündigte an, dass Frauen künftig Auto fahren dürfen. Doch gibt es bisher keinerlei Hinweise, dass er die Rolle der Gelehrten als Hüter des »wahren Islam« ernsthaft beschränken will. Ob Saudi-Arabien tatsächlich von dieser Islaminterpretation Abstand nehmen will, wird sich vor allem an der Behandlung der Schiiten zeigen. Die mehr als zwei Millionen Angehörigen dieser Minderheit werden im Land teils brutal diskriminiert, weil sie den Wahhabiten als Nichtmuslime gelten. Sollte Ibn Salman ihnen Gleichberechtigung verschaffen, dürfte er als Neugründer Saudi-Arabiens in die Geschichte eingehen. Geschieht dies nicht, könnte er immerhin zum Modernisierer eines besonders maroden autoritären Regimes werden.

Dieser Text ist auch bei EurActiv.de und Handelsblatt.com erschienen.