Mit der Trump-Administration ist die Ära der transatlantischen Gewissheit auch für Polens Sicherheitspolitik vorüber. Die enge sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation mit den USA und das amerikanische Engagement in Europa waren und sind das Fundament der polnischen Sicherheit. Mehr noch: Das polnisch-amerikanische Sonderverhältnis war für Polen überdies ein Kraftverstärker für seine Rolle in Europa. Doch der Eckstein der polnischen Sicherheit ist brüchig geworden. Schutzgarantien werden weniger glaubwürdig, die Reduktion von Truppenpräsenzen auch in Polen kann real werden. Während in Polen der Bündnistreue der USA nach außen Vertrauen geschenkt wird, kommen faktisch Zweifel an der Zuverlässigkeit des großen Verbündeten auf. Polen möchte die transatlantischen Beziehungen und die US-Präsenz in Europa konsolidieren, durchgeht aber gleichzeitig ein europäisches Moment. Deutschland und Polen könnten in Anbetracht dessen eine Sicherheitspartnerschaft etablieren.
Angetrieben vom Wunsch nach Stabilität, Unabhängigkeit und effektiver Verteidigung, hat Polen sich seit dem Ende des Kalten Krieges stets auf die USA als zentralen Sicherheitsanker verlassen. Die USA sind mit ihrer konventionellen und nuklearen Streitmacht, mit ihrem Engagement in Europa und nicht zuletzt durch ihre bislang als unverrückbar eingeschätzten Schutzzusagen aus polnischer Sicht der Bürge für die Sicherheit in Europa und speziell an der Ostflanke der Nato. Daher hat Polen über Jahre daran gearbeitet, die Beziehungen zu den USA sowohl im Rahmen der Nato als auch auf bilateraler Ebene auszubauen. Das heißt nicht, dass sich nicht zudem eine europapolitische Dimension der polnischen Sicherheitsdoktrin herausgebildet hätte. Polen sah auch und gerade mit der Heraufkunft neuer Bedrohungslagen im Zusammenhang mit Russland einen sicherheits- und resilienzpolitischen Mehrwert im Handeln der Europäischen Union (EU). Europas sicherheits- und verteidigungspolitische Bemühungen standen aber aus polnischem Blickwinkel gleichsam unter einem »transatlantischen Vorbehalt«.
Natürlich sind auch in Warschau die langfristigen Trends in der US-Außenpolitik und die mögliche Herabstufung Europas in der amerikanischen Grand Strategy nicht unbemerkt geblieben. Warschau reagierte darauf – mit dem Versuch, nicht nur die transatlantischen Beziehungen zu konsolidieren, sondern darüber hinaus seine bilateralen Beziehungen zu den USA auszubauen und zu verdichten. Somit ist eine sicherheitspolitisch motivierte Sonderbeziehung zwischen den beiden Ländern entstanden. Diese, so die bisherige polnische Annahme, fußt auf einer soliden Werte- und Interessengemeinschaft und ist in einen funktionierenden transatlantischen Rahmen eingebettet.
Eine strategische Partnerschaft
Das von Polen und den USA gern als »strategische Partnerschaft« apostrophierte Verhältnis beinhaltet intensive Kooperationen in vielen Bereichen.
Militärkooperation. Ein zentraler Aspekt der polnisch-amerikanischen Beziehungen ist die militärische Präsenz der USA in Polen. Diese ist bereits bedeutend aufgewachsen: infolge des Militärprogramms European Deterrence Initiative (EDI; vormals European Reassurance Initiative), das von der Obama- und der ersten Trump-Administration angeschoben wurde, sowie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022. Gegenwärtig befinden sich etwa 10.000 US-Soldaten auf polnischem Boden. Unter anderem sind dort das vorgelagerte Kommando des V. Korps in Posen und eine Kampfgruppe in Brigadestärke (Armored Brigade Combat Team, ABCT) stationiert; 2024 wurde in Redzikowo eine Basis zur Abwehr ballistischer Raketen eröffnet. All das macht Polen zu einem wichtigen strategischen Standort für die amerikanischen Streitkräfte in Europa.
Rüstungsprojekte. Die Modernisierung der polnischen Streitkräfte basiert wesentlich auf der Beschaffung von US-Rüstungsgütern. Projekte von großer Tragweite wie der Kauf von F-35-Kampfjets, HIMARS-Raketenwerfern, Patriot-Raketenabwehrsystemen, Apache-Kampfhubschraubern oder Abrams-Panzern resultieren gewiss daraus, dass die USA angekündigt haben, liefern zu können. Derlei Vorhaben bedeuten aber auch eine Stärkung der militärischen Interoperabilität, der wirtschaftlichen Verzahnungen und der politischen Verbindungen mit den USA.
Geopolitische Überlappungen. Polens Geopolitik ist eng mit den Interessen der USA in Osteuropa verknüpft. Solange die USA die Eindämmung Russlands als strategische Priorität verfolgten, profitierten sowohl Polen als auch sie selbst von einer engen Kooperation. Polen sieht sich in der Rolle einer regionalen Führungsmacht und eines zuverlässigen Partners der USA in Ostmitteleuropa.
Energie und Wirtschaft. Im Energiesektor haben Verträge über die Lieferung von Flüssigerdgas (LNG) durch die USA sowie der geplante Bau eines Atomkraftwerks durch amerikanische Unternehmen wie Westinghouse und Bechtel beispielhaft aufgezeigt, dass energiepolitische Ziele mit strategischen Partnerschaften verbunden werden können. In anderen Wirtschaftssektoren soll die Zusammenarbeit ebenfalls vertieft werden. Google und Microsoft wollen, wie Anfang 2025 bekannt gegeben wurde, in Künstliche Intelligenz und Datenzentren investieren.
Insgesamt bestand schon immer eine hohe Asymmetrie in der polnisch-amerikanischen Kooperation – Polen musste sich bei Konflikten gegenüber Washington stets beugen. Als in Polen in der Vergangenheit der Dienstleister Uber reguliert oder Digitalsteuern eingeführt werden sollten, reichten Interventionen der US-Botschaft aus, um solcherlei Ansinnen zu stoppen.
Veränderte Grundlagen
Mit der Trump-II-Administration geraten gerade für Polen nicht nur Gewissheiten ins Wanken, sondern ebenso Grundlagen seiner sicherheitspolitischen Generaleinschätzung und seiner Kooperation mit den USA. Da ist zunächst eine aus Sicht der USA abnehmende Bedeutung Europas und Osteuropas und somit auch der Nato-Ostflanke und Polens. Diese strategische Umschichtung ist kein Spezifikum Trumps. Dennoch ist unverkennbar, dass die USA heute gänzlich anders auf das östliche Europa blicken als auch noch während der ersten Trump-Präsidentschaft. Damals wurde amerikanisches Engagement in Osteuropa als eine Ausprägung der an vielen Schauplätzen geforderten Gegenstrategie gegen globale US-Rivalen gesehen.
Heute gilt das östliche Europa den USA nicht mehr als Raum der Eindämmung gegnerischer Großmächte. Die USA konzentrieren sich auf den Indo-Pazifik und einen möglichen Konflikt mit China. Als Folge davon mahnen sie nicht nur die weitgehende Eigenverantwortung Europas für seine Sicherheit an, sondern schließen selbst einen Ausgleich mit Russland nicht mehr aus. Damit sind auch die Überlappungen in geopolitischen Schlüsselfragen in Osteuropa, also etwa die Idee eines Neo-Containment gegenüber Russland und die strategische Stärkung der Ukraine, infrage gestellt; in der Vergangenheit wurden sie hingegen oft als gegeben betrachtet.
Hinzu kommt die sich abzeichnende geringere Bedeutung von Allianzen und konkret der westlichen Bündnisse für die USA. Sofern etwa die Nato – aus amerikanischer Sicht – kein ernst zu nehmendes Vehikel für Machtprojektion mehr ist, sondern ein Zusammenschluss von Bittstellern gegenüber Washington, hätte dies Auswirkungen auf Polen: Seine Möglichkeiten würden begrenzt, allein oder gemeinsam mit anderen Ländern US-Aktivitäten in der oder für die Nato zu begünstigen, indem es auf den Nutzen besagter Aktivitäten für weltweite US-Interessen hinweist. Zudem nimmt auch in Warschau die Beunruhigung darüber zu, dass von US-Seite Sicherheitsgarantien zumindest implizit angezweifelt und Artikel 5 des Nato-Vertrags indirekt relativiert wird, durch eine Merkantilisierung und Konditionierung von Verteidigungsgarantien, die nicht mehr geopolitisch oder durch eine gemeinsame Wertebasis motiviert sind. Der Präsident der ersten Kammer des polnischen Parlaments, Hołownia, hat die USA aufgefordert, ihre im Rahmen der Nato gegebenen Sicherheitsversprechen zu bestätigen.
Der Umgang der USA mit der Ukraine muss Warschau nicht nur deswegen Sorgen machen, weil eventuell in Verhandlungen mit Russland ein ungünstiges Resultat herauskäme oder weil die Interessen der Ukraine und Europas nicht gebührend berücksichtigt würden. Vor allem der Umgang mit abhängigen Partnern wird in Polen genau beobachtet, liefert er doch einen Hinweis darauf, wie Washington im Krisenfall sogar Verbündete behandeln könnte, wenn sie auf seine Unterstützung angewiesen sind. Die Äußerungen des US-Präsidenten gegenüber seinem ukrainischen Amtskollegen, dieser habe keine Karten gegenüber den USA in der Hand, um Forderungen zu stellen, wurden in Warschau ebenso verfolgt wie die Nötigung der Ukraine, ein asymmetrisches Rohstoffabkommen abzuschließen.
Die Debatte über mögliche technische Fähigkeiten der USA, im Ernstfall den Einsatz amerikanischer Waffensysteme zu blockieren (sogenanntes kill-switch), wird in Polen nicht alarmistisch geführt; trotzdem stellt sich für das Land die Frage, ob es infolge seiner starken rüstungswirtschaftlichen, aber auch militärischen und sicherheitspolitischen Abhängigkeit von den USA nicht in eine Klientenrolle gerutscht ist.
So oder so können die USA aufgrund ihrer engen, asymmetrischen Verflechtungen mit Polen letztlich immer auch eine politische Eskalationskontrolle im Verhältnis zu Polen ausüben. Das heißt zum Beispiel, sie können Zurückhaltung durchsetzen, sollten sie an einer einvernehmlichen Konfliktbearbeitung mit Russland interessiert sein.
Insgesamt betrachtet, kann Polen den USA politisch tendenziell weniger bieten als früher. Zumindest dann, wenn für Washington Bündnisfähigkeit, Wertepartnerschaften oder Loyalität nicht mehr so interessant sind wie in der Vergangenheit, wenn es also weiter vom Multilateralismus und der atlantischen Gemeinschaft abrückt. Was Polen für Washington hingegen auch künftig attraktiv machen könnte, falls die USA ihr militärisch-politisches Engagement in Europa reduzieren oder die Kollisionen zwischen den USA und der EU zunehmen, sind zwei Dinge: einerseits seine Rolle als Offshore-Balancer gegen Russland, andererseits seine Rolle als Gegenspieler Deutschlands, Frankreichs oder der Europäischen Kommission innerhalb der EU. Letzteres wäre mit der jetzigen Regierung in Warschau zwar kaum zu realisieren, wäre allerdings bei einem Regierungswechsel in Polen hin zum nationalkonservativen Lager durchaus denkbar.
Alles in allem wird mit den veränderten innen- und außenpolitischen Parametern in den USA erstmals die Kehrseite dieser special relationship deutlich: Während diese bislang für Polen letztinstanzlicher Schutz vor Russland sowie Kraftverstärker in Europa war, könnte sie sich nun als Dependenz infolge eines verteidigungspolitischen und militärischen Lock-in-Effekts entpuppen.
Polens Reaktion auf Trump: Mehr Europa, nicht weniger Amerika
Polen reagiert auf die veränderten Voraussetzungen in Washington bislang evolutionär, nicht revolutionär. Die Antwort auf neue Ungewissheiten im transatlantischen Rahmen soll nicht Disruption sein. Stattdessen will Polen – abgesehen davon, dass es seine eigenen Fähigkeiten ausbaut – seine bisherige Sicherheits- und Verteidigungspolitik beibehalten bzw. sich stärker in deren beiden Dimensionen engagieren. Zum einen soll die Zusammenarbeit mit den USA vertieft werden, sowohl diejenige im multilateralen Rahmen der Nato als auch die bilaterale; zum anderen soll Europa ein schlagkräftiger, jedoch Nato-kompatibler Sicherheitsakteur werden.
Gegenüber der Trump-Administration will Polen zeigen, dass es weiterhin ein wertvoller Partner ist: Selbst und gerade wenn die USA nach Entlastung in Europa suchen, so die Überlegung, könnte Polen sich ihnen gegenüber mittelfristig als treuer Partner profilieren. Unter anderem wird es seine hohen Verteidigungsausgaben und die intensive Rüstungskooperation mit den USA anpreisen. Ministerpräsident Tusk betonte Ende März bei der Unterzeichnung eines Regierungsabkommens im Zusammenhang mit dem Kauf von Patriot-Systemen, dass Polen sein sicherheitspolitisches Engagement mit Milliardenbeträgen illustriere. Polen möchte also hinsichtlich der Nato bewahren, was möglich ist, und gleichzeitig die bilaterale Zusammenarbeit als parallele Schiene der Verteidigungs- und Militärkooperation ausbauen. Dass Washington die etwa vom polnischen Präsidenten Duda ins Spiel gebrachte Ausweitung der nuklearen Teilhabe auf Polen weiterhin ablehnt, deutet indes darauf hin, dass das polnische Werben schnell an Grenzen stoßen kann.
In der EU zielt Polen darauf ab, die Gemeinschaft sicherheitspolitisch zu ertüchtigen. Im Zuge der polnischen EU-Ratspräsidentschaft sollen etwa viele altbekannte Ideen zu Rüstungskooperation, militärischer Mobilität oder Resilienzsteigerung vorangebracht bzw. mit neuen Initiativen der Europäischen Kommission kombiniert werden. Polens Fokus liegt insbesondere darauf, eine adäquate finanzielle Unterfütterung für europäische Verteidigungsausgaben zu schaffen – von der es auch selbst profitieren würde. Polen versucht daher, die im Kommissionsvorschlag ReArm Europe unterbreiteten Vorschläge zu konkretisieren und auszuweiten. Die im Mai erfolgte Einigung über die in diesem Kontext vorgesehene SAFE-Verordnung war ein Erfolg für den polnischen Vorsitz. Polen war unter anderem daran interessiert, Nicht-EU-Staaten (mit denen es intensiv kooperiert) in die neuen Finanzierungsprogramme einzubeziehen. Polen möchte aber weitergehen.
Da es sich der Widerstände gegen die Aufnahme gemeinsamer (EU-weiter) Schulden zur Rüstungsfinanzierung bewusst ist, möchte Polen ein intergouvernementales Finanz- und Planungsinstrument bilden, den sogenannten Europäischen Verteidigungsmechanismus (EDM). Der EDM würde dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ähneln und im Umfang über die 150 Milliarden Euro von SAFE hinausgehen. Polen strebt überdies eine elastische Handhabung bestehender EU-Mittel an, um sicherheitsrelevante Projekte abzudecken; Anfang April beantragte Warschau, 6,1 Milliarden Euro aus Next-Generation-Geldern für solche Zwecke verwenden zu dürfen. Und schließlich drängt Polen auf die »Europäisierung« eigener Projekte. Warschau kann für sich verbuchen, dass ein an der polnischen Grenze zu Belarus und Russland geplantes System von Befestigungsanlagen, der »Schutzschild Ost«, in das Verteidigungsweißbuch der Kommission aufgenommen wurde, womit ein erster Schritt für den Zugang zu künftigen Mitteln gemacht ist.
Mittelfristig dürfte es Polen darum gehen, dass beim nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU zusätzliche Gelder eingestellt werden, die für den Schutz kritischer Infrastrukturen und Ähnliches genutzt werden können – dass also die Kohäsionspolitik »versicherheitlicht« wird, ohne dass dies auf Kosten klassischer Transfers geschieht, von denen Polen profitiert.
Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass aufgrund der innenpolitischen Spaltung in Polen sehr unterschiedlich auf die Trump-Administration geblickt wird. Die Regierung präferiert einen euroatlantischen Kurs, sie setzt in der Sicherheitspolitik zunehmend auf die europäische Dimension und will die Kooperation mit den USA nicht zusätzlich belasten. Die nationalkonservative Opposition hingegen sucht den Kontakt zur Trump-Administration und zum »Make America Great Again (MAGA)«-Lager, mit denen sie ideologisch verwandt ist. Sollte der nationalkonservative Kandidat Nawrocki sich bei den laufenden Präsidentschaftswahlen durchsetzen, hätte Trump weiterhin – wie mit Duda – einen engen Ansprechpartner in Warschau. Nawrocki erhielt während des Wahlkampfs sogar einen Termin bei Trump. Ob dies hilfreich ist, bleibt fraglich. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS vom April zufolge sank der Anteil derer in Polen, die das polnisch-amerikanische Verhältnis positiv beurteilen, seit Frühjahr 2023 von 80 auf 31 Prozent.
Regionale und bilaterale Kooperationen
Begleitet werden Polens Aktivitäten in der EU durch die verstärkte Zusammenarbeit mit europäischen Partnern. Augenfällig ist hierbei die Regionalkooperation mit baltischen und nordischen Staaten. Die erstmalige Teilnahme von Ministerpräsident Tusk an einem Gipfeltreffen der Nordic-Baltic Eight (NB8) in Schweden Ende November 2024 oder die enge Kooperation mit den baltischen Staaten im Format 1+3 (die Verteidigungsminister der vier Staaten entschlossen sich gemeinsam, den Ausstieg aus der Ottawa-Konvention gegen die Verwendung von Anti-Personen-Minen bekannt zu geben) verdeutlichen: Im nördlichen und östlichen Ostseeraum ist ein enge verteidigungspolitische Abstimmung »ähnlich denkender Staaten« unter aktiver Beteiligung Polens im Gange.
Mit der Ukraine sowie mit der Türkei könnte die Rüstungskooperation intensiviert werden. In seiner Grundsatzrede Anfang März kündigte Tusk an, man wolle insbesondere im Drohnenbau mit der Ukraine zusammenarbeiten. Mitte März besuchte Tusk die Türkei, die er zu einer aktiven Rolle bei den Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine aufforderte; bei dem Besuch wurden auch Gespräche über eine mögliche Rüstungszusammenarbeit geführt.
Erkennbar ist, dass Polen mit wichtigen Partnern in Europa bilaterale Sicherheitsabkommen anstrebt. Mit Großbritannien wird ein neuer Vertrag ausgehandelt, bei dem es um Militärzusammenarbeit, Migration und Energieversorgung geht. Mit Schweden wurde Ende November 2024 eine »strategische Partnerschaft« vereinbart, deren Schwerpunkt auf Sicherheit und Verteidigung liegt. Ein bilaterales Abkommen mit Frankreich, der Anfang Mai unterzeichnete »Vertrag über vertiefte Zusammenarbeit und Freundschaft«, räumt Verteidigungsfragen viel Raum ein und beinhaltet unter anderem ein Bekenntnis zu mehr sicherheitspolitischer Abstimmung und zu Rüstungskooperation sowie eine gegenseitige Beistandsklausel für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf eines der Länder. Frankreich ist mit Blick auf seine nuklearen Fähigkeiten besonders attraktiv für Polen. Die von Frankreich gemachten Angebote für atomare Schutzzusagen in Europa wurden in Polen grundsätzlich positiv aufgenommen. Es kann damit gerechnet werden, dass Polen in nächster Zeit den Kauf von Rüstungsgütern aus französischer Produktion verkündet. Darüber hinaus soll mit den Niederlanden ein neuer Vertrag abgeschlossen werden, bei dem Sicherheit ebenfalls eine wichtige Rolle spielen könnte.
In diesem Kontext wäre auch eine Vereinbarung dieses Typs mit Deutschland zu sehen, sollte diese als Teil der Aktualisierung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages oder in anderer Gestalt angestrebt werden. Polen ist offensichtlich dabei, ein Netz markant sicherheitspolitisch geprägter Vertragswerke mit Schlüsselpartnern in Europa aufzubauen.
Im Sinne der Stärkung seiner europäischen Sicherheitsdimension dürfte Polen in nächster Zeit auch durch Beschaffungspolitik europäische Akzente setzen. Im Zusammenhang mit dem Treffen zwischen dem Airbus-CEO und dem polnischen Verteidigungsminister wurde über einen Kauf von Airbus-Transport- und ‑Luftbetankungsflugzeugen spekuliert. Mit Blick auf die Anschaffung von U-Booten (Programm Orka) stehen die Chancen für europäische Bieter, inklusive der deutschen TKMS, gut.
Polnische Aporien
Polen ist in der gegenwärtigen geopolitischen Gefährdungs- und Gemengelage gezwungen, seine Interessen – jenseits eines basalen Schutz- und Solidarinteresses vor Russland – neu zu denken. Angesichts eines bedrohlichen Russlands, eines unberechenbaren und nichtlinear agierenden strategischen Partners USA und eines sich sicherheitspolitisch aktivierenden Europas bzw. einer dergestalt handelnden EU wird Polen versuchen, eine Reihe von Entwicklungen abzuwenden oder abzumildern.
So möchte es in Europa nicht marginalisiert werden, etwa indem sich die beiden europäischen Nuklearmächte Großbritannien und Frankreich mittelfristig mit Deutschland als sicherheitspolitische Triade in Europa etablieren. Polen möchte keinen »schlechten Deal« für die Ukraine, sondern eine Abmachung, die die Staatlichkeit der Ukraine effektiv absichert. Außerdem ist Polen daran gelegen, einen amerikanisch-russischen Reset zu verhindern, der die US-Präsenz an der Nato-Ostflanke reduzieren oder generell die Nato-Zusagen für die Frontline-Staaten entsprechend russischer Forderungen verwässern würde.
Als Positivinteresse wird Polen ungeachtet aller Kümmernisse weiterhin die Konsolidierung und Modernisierung der Nato unterstützen und dabei den Ruf nach einem größeren Beitrag Europas im Sinne einer Lastenverschiebung mittragen. Polen ist an einem handlungsfähigen europäischen Pfeiler in der Nato interessiert und an einer sicherheitspolitisch aufgewerteten, aber nicht von der Allianz bzw. den USA entkoppelten EU. Über allem steht das Kerninteresse, amerikanisches Engagement in Europa aufrechtzuerhalten und dazu beizutragen, dass amerikanische Sicherheitsversprechen fortbestehen und überzeugend bleiben.
Schwierig ist hierbei nicht nur, dass Polen (ebenso wie Europa in toto) nur begrenzten Einfluss darauf hat, seinen Belangen Geltung zu verschaffen. Vielmehr steht das Land vor spezifischen sicherheitspolitischen Aporien.
Auch Polen möchte Europa sicherheitspolitisch rasch aufwerten, will es doch die USA als europäische Macht auf dem Kontinent halten. Die Erhöhung der europäischen Verteidigungsfähigkeit wird nach wie vor als Faktor für intensivere Bündnisbeziehungen zu den USA gesehen. In seiner jährlichen Grundsatzrede konstatierte Polens Außenminister Sikorski im April so klassisch wie lapidar: »Ein stärkeres Europa ist ein glaubwürdigerer Verbündeter der USA.« So zutreffend diese Einschätzung ist, kann mehr »Autonomie« Europas in Verteidigungsfragen gleichzeitig den USA eine Begründung liefern, sich aus Europa zurückzuziehen. Ein sicherheitspolitisch handlungsfähiges Europa, das seine Fähigkeitslücken überwindet, könnte Washington mittelfristig Argumente dafür an die Hand geben, dass es sich weniger um Europa »kümmern müsse«. Fakt ist: In der polnischen Sicherheitspolitik gilt weiter der »transatlantische Vorbehalt« – allein die transatlantischen Beziehungen sind brüchig.
Polen sieht sich als Schwungrad der europäischen Integration und betont, etwa im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft, die Bedeutung von verbesserter sicherheitspolitischer Kooperation in der EU. Warschau lehnt zahlreiche Schritte der Trump-Administration ab und übt teils offen Kritik daran, möchte aber seine Beziehungen zu den USA nicht aufs Spiel setzen, beispielsweise durch eine harte europäische Antwort bei Konflikten zwischen den USA und der EU.
Polen will und muss seine Rüstungskooperation mit den USA fortführen, wird aber damit nicht nur seine rüstungswirtschaftliche Abhängigkeit von Washington verstärken, sondern auch seine politische.
Es ist noch nicht absehbar, wie Polen versuchen wird, sich aus diesen Zwangslagen zu befreien. Vieles wird davon abhängen, wie sich die Erwartungsverlässlichkeit der USA entwickelt und welche geopolitischen Setzungen Washington vornimmt. Aus dieser Situation resultieren aus deutscher Sicht auch Chancen. So ist Polen angesichts transatlantischer Fragwürdigkeiten zunehmend sicherheitspolitischer Demandeur, in Europa wie auch gegenüber Deutschland. Daher bieten sich Möglichkeiten für Kompromisse und »Tauschgeschäfte« an.
Polen durchläuft mit seiner Verunsicherung ein europäisches Moment und entwickelt neue Ownership für die europäische Sicherheits-, Verteidigungs- und Rüstungspolitik. Diese Öffnung kommt Deutschland prinzipiell entgegen, weil Berlin ähnlich wie Warschau sich nicht von den USA abkoppeln will. Sollten die Differenzen zwischen den USA und der EU eskalieren, wird allerdings darauf zu achten sein, ob Polen möglicherweise »einknickt«, wenn sein sicherheitspolitischer Gewährsmann Druck ausübt: etwa wenn Washington Sicherheitsgarantien nicht nur von der Höhe der Verteidigungsausgaben, sondern gleichermaßen von der Gefolgschaft bei Streitigkeiten mit der EU abhängig machen sollte. Die ersten Signale aus Warschau im Kontext des Zollkonflikts mit den USA deuten darauf hin, dass Polen grundsätzlich daran interessiert ist, eine einheitliche europäische Antwort mitzugestalten.
Zugleich ist aus deutscher Perspektive zu bedenken, dass eine wachsende »Europäisierung« der polnischen Sicherheitspolitik nicht gleichbedeutend ist mit einer zunehmenden Orientierung an Deutschland. So bringt man Großbritannien und mittlerweile auch Frankreich sowie den nordisch-baltischen Partnern mehr Vertrauen entgegen als dem westlichen Nachbarn. »Zeitenwende«, Ukraine-Hilfen und Finanzpakete zur Wehrfinanzierung haben die polnische Reserviertheit gegenüber deutscher Vertrauenswürdigkeit keineswegs ausgeräumt.
Deutschland und Polen
Deutschlands Sicherheit ist mit der polnischen unmittelbar verknüpft. Ein verwundbares Polen schwächt die Sicherheit der Nato-Ostflanke, Europas und damit auch Deutschlands. Nach wie vor gilt, die Sicherheit Polens ist deutsche Staatsraison (siehe SWP-Aktuell 68/2022). Daraus leitet sich eine Reihe sicherheitspolitischer Interessen Deutschlands ab.
Zuvorderst ist Deutschland an einem sicheren und wehrhaften Polen interessiert. Polens Bemühungen zur Hebung seiner eigenen Verteidigungsfähigkeit – sei es in Kooperation mit Partnern aus Nato und EU oder durch nationale Anstrengungen – wirken sich grundsätzlich positiv auf die deutsche Sicherheit aus. Denn Polen ist nicht nur »strategische Tiefe« für Deutschland, sondern zudem regionaler Sicherheitsproduzent am Ostsaum von Nato und EU sowie perspektivisch im Ostseeraum. Ähnlich wie Polen ist Deutschland ein robuster und nachhaltiger sowie »fairer« Frieden in der Ukraine wichtig. Genau wie Polen arbeitet Deutschland auf mehr Abschreckung und effektive Vorneverteidigung an der Nato-Ostflanke hin. Und wie Polen ist Deutschland daran gelegen, dass die Nato weiterhin intakt bleibt, gleichzeitig aber auch die EU neues sicherheitspolitisches Gewicht erhält, im Rahmen einer Neuverteilung transatlantischer Lasten.
Überdies hat Deutschland ein Interesse daran, dass Polen mit seiner sicherheitspolitischen Fixierung auf die USA nicht in außen- und europapolitischen Fragen durch Washington instrumentalisierbar wird. Auch dürfe die US-amerikanische Sicherheitskooperation Polen nicht einen Sonderstatus verleihen, der zum Beispiel mit speziellen Sicherheitszusagen einherginge; dadurch entstünde eine Differenzierung von Zonen der Sicherheit in Europa. Deutschland wird ferner darauf bedacht sein, dass Polen bei seinem Engagement an der Nato-Ostflanke oder im Ostseeraum nicht nur Initiativen ohne deutsche Einbindung verfolgt, also etwa als NB8 + Polen oder in einem Szenario Joint Expeditionary Force (JEF) + Polen.
Alles in allem lässt sich somit zwar keine deutsch-polnische Interessenidentität, aber die Basis für eine neue deutsch-polnische Interessengemeinschaft ableiten, die sicherheits- und verteidigungspolitisch unterfüttert ist. Eine solche deutsch-polnische Sicherheitspartnerschaft sollte nicht allein auf Kooperation abheben. Denn Polen wird – solange es nicht zu weiteren Disruptionen kommt – beim Thema Sicherheit an seinem US-Bezug festhalten und in Europa eher auf Großbritannien, Frankreich oder die nordisch-baltischen Partner zugehen.
Unter diesen Bedingungen wird es daher neben Konsultationen, Infrastruktur-, Mobilitäts- oder Resilienzthemen vornehmlich um ein Modell der Arbeitsteilung gehen: Polen, das durch eigene Fähigkeiten und enge Zusammenarbeit mit den USA für seine Sicherheit sorgt, Deutschland, das eine Führungsrolle in der Absicherung der baltischen Staaten übernimmt. Beide Länder, die zusammen mit anderen Partnern etwa die Abwehr hybrider Gefahren in der Ostsee organisieren. Wenn es indes zu substantiellen US-Truppenabzügen auch aus Polen käme, würden sich – so Deutschland dazu in der Lage wäre – neue Formen der militärischen Kooperation und Verschränkung ergeben, bis hin zu Stationierungsfragen.
Um diesen Herausforderungen gemeinsam entgegenzutreten, könnten folgende Schritte getan werden:
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Deutschland und Polen könnten einen bilateralen Sicherheits- und Verteidigungsrat etablieren, der auf Ministerebene tagt und die Außen-, Verteidigungs- und Innenressorts umfasst sowie gegebenenfalls die Leitungen nationaler Sicherheitsgremien (des Büros für Nationale Sicherheit in Polen und eines künftigen Bundessicherheitsrates). Dies wäre eine Institutionalisierung der im deutsch-polnischen Aktionsplan vorgesehenen Möglichkeit von Konsultationen zwischen Außen- und Verteidigungsministern, gleichzeitig aber auch ein sichtbares, strategisches Leitgremium im deutsch-polnischen Sicherheitsdialog.
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Beide Länder könnten eine High Level Working Group zur Verteidigung der Nato-Ostflanke und der Sicherheit im Ostseeraum einrichten. Sie könnte laufende Veränderungen der Sicherheitslage und der transatlantischen Beziehungen analysieren sowie über mögliche Erfordernisse etwa infolge einer Reduktion der US-Militärpräsenz in Europa beraten.
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Beide Länder könnten gemeinsame Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsprogramme in der Rüstungswirtschaft mit der Ukraine anstoßen, zum Beispiel ein trilaterales Drohnenkonsortium.
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Deutschland und Polen könnten, beispielsweise locker angebunden an die deutsch-polnische Regierungskommission für regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, ein »Regionalforum Sicherheitspolitik« mit Schwerpunkt Zivilschutz ins Leben rufen. Darin würden Bundesländer, Woiwodschaften und Kommunen, aber auch staatliche Stellen über die regionale Dimension von Resilienz- und Sicherheitspolitik diskutieren und Erfahrungen austauschen.
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Sollten beide Seiten eine vertragliche Zusatzvereinbarung oder eine Erklärung zum Nachbarschaftsvertrag von 1991 anstreben, könnte hierin als Richtschnur für Europa eine deutsch-polnische Sicherheitspartnerschaft verankert werden. Enthält diese eine bilaterale Solidarklausel, wäre zu prüfen, wie sie sich zum Gebot einheitlicher und kohärenter Sicherheit in Europa verhält – zumal die verteidigungspolitische Solidarität, die Deutschland und Polen vertiefen wollen, andere Teile von Nato und EU nicht ausschließen sollte.
Dr. Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa.
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DOI: 10.18449/2025A24