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Polens Sicherheitspolitik: amerikanische Ungewissheit und europäisches Moment

Die Zweifel an den USA wachsen

SWP-Aktuell 2025/A 24, 23.05.2025, 8 Pages

doi:10.18449/2025A24

Research Areas

Mit der Trump-Administration ist die Ära der transatlantischen Gewissheit auch für Polens Sicherheitspolitik vorüber. Die enge sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation mit den USA und das amerikanische Engagement in Europa waren und sind das Fundament der polnischen Sicherheit. Mehr noch: Das polnisch-amerikanische Sonderverhältnis war für Polen überdies ein Kraftverstärker für seine Rolle in Europa. Doch der Eckstein der polnischen Sicherheit ist brüchig geworden. Schutzgarantien werden weniger glaubwürdig, die Reduktion von Truppenpräsenzen auch in Polen kann real werden. Während in Polen der Bündnistreue der USA nach außen Vertrauen geschenkt wird, kommen faktisch Zweifel an der Zuverlässigkeit des großen Verbünde­ten auf. Polen möchte die transatlantischen Beziehungen und die US-Präsenz in Europa konsolidieren, durchgeht aber gleichzeitig ein europäisches Moment. Deutschland und Polen könnten in Anbetracht dessen eine Sicherheitspartnerschaft etablieren.

Angetrieben vom Wunsch nach Stabilität, Unabhängigkeit und effektiver Verteidigung, hat Polen sich seit dem Ende des Kalten Krieges stets auf die USA als zentralen Sicher­heitsanker verlassen. Die USA sind mit ihrer konventionellen und nuklearen Streitmacht, mit ihrem Engagement in Europa und nicht zuletzt durch ihre bislang als unverrückbar eingeschätzten Schutzzusagen aus polnischer Sicht der Bürge für die Sicherheit in Europa und speziell an der Ostflanke der Nato. Daher hat Polen über Jahre daran gearbeitet, die Beziehungen zu den USA sowohl im Rahmen der Nato als auch auf bilateraler Ebene auszubauen. Das heißt nicht, dass sich nicht zudem eine europapolitische Dimension der polnischen Sicherheitsdoktrin herausgebildet hätte. Polen sah auch und gerade mit der Heraufkunft neuer Bedrohungslagen im Zusammenhang mit Russland einen sicherheits- und resilienzpolitischen Mehrwert im Handeln der Europäischen Union (EU). Europas sicherheits- und vertei­digungspolitische Bemühungen standen aber aus polnischem Blickwinkel gleichsam unter einem »transatlantischen Vorbehalt«.

Natürlich sind auch in Warschau die lang­fristigen Trends in der US-Außenpolitik und die mögliche Herabstufung Europas in der amerikanischen Grand Strategy nicht un­bemerkt geblieben. Warschau reagierte dar­auf – mit dem Versuch, nicht nur die trans­atlantischen Beziehungen zu konsolidieren, sondern darüber hinaus seine bilateralen Beziehungen zu den USA auszubauen und zu verdichten. Somit ist eine sicherheitspoli­tisch motivierte Sonderbeziehung zwischen den beiden Ländern entstanden. Diese, so die bisherige polnische Annahme, fußt auf einer soliden Werte- und Interessengemeinschaft und ist in einen funktionierenden transatlantischen Rahmen eingebettet.

Eine strategische Partnerschaft

Das von Polen und den USA gern als »stra­tegische Partnerschaft« apostrophierte Ver­hältnis beinhaltet intensive Kooperationen in vielen Bereichen.

Militärkooperation. Ein zentraler Aspekt der polnisch-amerikanischen Beziehungen ist die militärische Präsenz der USA in Polen. Diese ist bereits bedeutend aufgewachsen: infolge des Militärprogramms European De­terrence Initiative (EDI; vormals European Reassurance Initiative), das von der Obama- und der ersten Trump-Administration ange­schoben wurde, sowie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022. Gegenwärtig befinden sich etwa 10.000 US-Soldaten auf polnischem Boden. Unter anderem sind dort das vorgelagerte Kommando des V. Korps in Posen und eine Kampfgruppe in Brigade­stärke (Armored Brigade Combat Team, ABCT) stationiert; 2024 wurde in Redzikowo eine Basis zur Abwehr ballistischer Raketen eröffnet. All das macht Polen zu einem wichtigen strategischen Standort für die amerikanischen Streitkräfte in Europa.

Rüstungsprojekte. Die Modernisierung der polnischen Streitkräfte basiert wesentlich auf der Beschaffung von US-Rüstungsgütern. Projekte von großer Tragweite wie der Kauf von F-35-Kampfjets, HIMARS-Raketen­werfern, Patriot-Raketenabwehrsystemen, Apache-Kampfhubschraubern oder Abrams-Panzern resultieren gewiss daraus, dass die USA angekündigt haben, liefern zu können. Derlei Vorhaben bedeuten aber auch eine Stärkung der militärischen Interoperabilität, der wirtschaftlichen Verzahnungen und der politischen Verbindungen mit den USA.

Geopolitische Überlappungen. Polens Geo­politik ist eng mit den Interessen der USA in Osteuropa verknüpft. Solange die USA die Eindämmung Russlands als strategische Prio­rität verfolgten, profitierten sowohl Polen als auch sie selbst von einer engen Kooperation. Polen sieht sich in der Rolle einer regio­nalen Führungsmacht und eines zuverlässigen Partners der USA in Ostmitteleuropa.

Energie und Wirtschaft. Im Energiesektor haben Verträge über die Lieferung von Flüssigerdgas (LNG) durch die USA sowie der geplante Bau eines Atomkraftwerks durch amerikanische Unternehmen wie Westinghouse und Bechtel beispielhaft aufgezeigt, dass energiepolitische Ziele mit strategischen Partnerschaften verbunden werden können. In anderen Wirtschaftssektoren soll die Zusammenarbeit ebenfalls vertieft werden. Google und Microsoft wollen, wie Anfang 2025 bekannt gegeben wurde, in Künstliche Intelligenz und Datenzentren investieren.

Insgesamt bestand schon immer eine hohe Asymmetrie in der polnisch-amerikani­schen Kooperation – Polen musste sich bei Konflikten gegenüber Washington stets beugen. Als in Polen in der Vergangenheit der Dienstleister Uber reguliert oder Digital­steuern eingeführt werden sollten, reichten Interventionen der US-Botschaft aus, um solcherlei Ansinnen zu stoppen.

Veränderte Grundlagen

Mit der Trump-II-Administration geraten gerade für Polen nicht nur Gewissheiten ins Wanken, sondern ebenso Grundlagen seiner sicherheitspolitischen Generaleinschätzung und seiner Kooperation mit den USA. Da ist zunächst eine aus Sicht der USA abneh­mende Bedeutung Europas und Osteuropas und somit auch der Nato-Ostflanke und Polens. Diese strategische Umschichtung ist kein Spezifikum Trumps. Dennoch ist un­verkennbar, dass die USA heute gänzlich anders auf das östliche Europa blicken als auch noch während der ersten Trump-Präsi­dentschaft. Damals wurde amerikanisches Engagement in Osteuropa als eine Ausprägung der an vielen Schauplätzen geforderten Gegen­strategie gegen globale US-Riva­len gesehen.

Heute gilt das östliche Europa den USA nicht mehr als Raum der Eindämmung geg­nerischer Großmächte. Die USA konzen­trieren sich auf den Indo-Pazifik und einen möglichen Konflikt mit China. Als Folge davon mahnen sie nicht nur die weit­gehende Eigenverantwortung Europas für seine Sicherheit an, sondern schließen selbst einen Ausgleich mit Russland nicht mehr aus. Damit sind auch die Überlappungen in geopolitischen Schlüsselfragen in Osteuropa, also etwa die Idee eines Neo-Containment gegenüber Russland und die strategische Stärkung der Ukraine, infrage gestellt; in der Vergangenheit wurden sie hingegen oft als gegeben betrachtet.

Hinzu kommt die sich abzeichnende geringere Bedeutung von Allianzen und konkret der westlichen Bündnisse für die USA. Sofern etwa die Nato – aus amerikanischer Sicht – kein ernst zu nehmendes Vehikel für Machtprojektion mehr ist, sondern ein Zusammenschluss von Bitt­stellern gegenüber Washington, hätte dies Auswirkungen auf Polen: Seine Möglich­keiten würden begrenzt, allein oder gemein­sam mit anderen Ländern US-Aktivitäten in der oder für die Nato zu begünstigen, indem es auf den Nutzen besagter Aktivitäten für weltweite US-Interessen hinweist. Zudem nimmt auch in Warschau die Be­unruhigung darüber zu, dass von US-Seite Sicherheitsgarantien zumindest implizit angezweifelt und Artikel 5 des Nato-Ver­trags indirekt relativiert wird, durch eine Merkantilisierung und Konditionierung von Verteidigungsgarantien, die nicht mehr geopolitisch oder durch eine gemeinsame Wertebasis motiviert sind. Der Präsident der ersten Kammer des polnischen Parla­ments, Hołownia, hat die USA aufgefordert, ihre im Rahmen der Nato gegebenen Sicher­heitsversprechen zu bestätigen.

Der Umgang der USA mit der Ukraine muss Warschau nicht nur deswegen Sorgen machen, weil eventuell in Verhandlungen mit Russland ein ungünstiges Resultat her­auskäme oder weil die Interessen der Ukraine und Europas nicht gebührend berücksich­tigt würden. Vor allem der Umgang mit ab­hängigen Partnern wird in Polen genau be­obachtet, liefert er doch einen Hinweis darauf, wie Washington im Krisenfall sogar Verbündete behandeln könnte, wenn sie auf seine Unterstützung angewiesen sind. Die Äußerungen des US-Präsidenten gegen­über seinem ukrainischen Amtskollegen, dieser habe keine Karten gegenüber den USA in der Hand, um Forderungen zu stellen, wurden in Warschau ebenso verfolgt wie die Nötigung der Ukraine, ein asymmetrisches Rohstoffabkommen abzuschließen.

Die Debatte über mögliche technische Fähigkeiten der USA, im Ernstfall den Ein­satz amerikanischer Waffensysteme zu blockieren (sogenanntes kill-switch), wird in Polen nicht alarmistisch geführt; trotzdem stellt sich für das Land die Frage, ob es infolge seiner starken rüstungswirtschaft­lichen, aber auch militärischen und sicher­heitspolitischen Abhängigkeit von den USA nicht in eine Klientenrolle gerutscht ist.

So oder so können die USA aufgrund ihrer engen, asymmetrischen Verflechtungen mit Polen letztlich immer auch eine politische Eskalationskontrolle im Verhältnis zu Polen ausüben. Das heißt zum Bei­spiel, sie können Zurückhaltung durch­setzen, sollten sie an einer einvernehm­lichen Konfliktbearbeitung mit Russland interessiert sein.

Insgesamt betrachtet, kann Polen den USA politisch tendenziell weniger bieten als früher. Zumindest dann, wenn für Washing­ton Bündnisfähigkeit, Wertepartnerschaften oder Loyalität nicht mehr so interessant sind wie in der Vergangenheit, wenn es also wei­ter vom Multilateralismus und der atlanti­schen Gemeinschaft abrückt. Was Polen für Washington hingegen auch künftig attrak­tiv machen könnte, falls die USA ihr militä­risch-politisches Engagement in Europa redu­zieren oder die Kollisionen zwischen den USA und der EU zunehmen, sind zwei Dinge: einerseits seine Rolle als Offshore-Balancer gegen Russland, andererseits seine Rolle als Gegenspieler Deutschlands, Frankreichs oder der Europäischen Kommission inner­halb der EU. Letzteres wäre mit der jetzigen Regierung in Warschau zwar kaum zu rea­lisieren, wäre allerdings bei einem Regie­rungswechsel in Polen hin zum national­konservativen Lager durchaus denkbar.

Alles in allem wird mit den veränderten innen- und außenpolitischen Parametern in den USA erstmals die Kehrseite dieser special relationship deutlich: Während diese bislang für Polen letztinstanzlicher Schutz vor Russland sowie Kraftverstärker in Europa war, könnte sie sich nun als Dependenz infolge eines verteidigungspolitischen und militärischen Lock-in-Effekts entpuppen.

Polens Reaktion auf Trump: Mehr Europa, nicht weniger Amerika

Polen reagiert auf die veränderten Voraussetzungen in Washington bislang evolutionär, nicht revolutionär. Die Antwort auf neue Ungewissheiten im transatlantischen Rahmen soll nicht Disruption sein. Statt­dessen will Polen – abgesehen davon, dass es seine eigenen Fähigkeiten ausbaut – seine bisherige Sicherheits- und Verteidigungspolitik beibehalten bzw. sich stärker in deren beiden Dimensionen engagieren. Zum einen soll die Zusammenarbeit mit den USA vertieft werden, sowohl diejenige im multilateralen Rahmen der Nato als auch die bilaterale; zum anderen soll Europa ein schlagkräftiger, jedoch Nato-kompatibler Sicherheitsakteur werden.

Gegenüber der Trump-Administration will Polen zeigen, dass es weiterhin ein wert­voller Partner ist: Selbst und gerade wenn die USA nach Entlastung in Europa suchen, so die Überlegung, könnte Polen sich ihnen gegenüber mittelfristig als treuer Partner profilieren. Unter anderem wird es seine hohen Verteidigungsausgaben und die in­tensive Rüstungskooperation mit den USA anpreisen. Ministerpräsident Tusk betonte Ende März bei der Unterzeichnung eines Regierungsabkommens im Zusammenhang mit dem Kauf von Patriot-Systemen, dass Polen sein sicherheitspolitisches Engage­ment mit Milliardenbeträgen illustriere. Polen möchte also hinsichtlich der Nato bewahren, was möglich ist, und gleichzeitig die bilaterale Zusammenarbeit als parallele Schiene der Verteidigungs- und Mili­tär­kooperation ausbauen. Dass Washington die etwa vom polnischen Präsidenten Duda ins Spiel gebrachte Ausweitung der nuklea­ren Teilhabe auf Polen weiterhin ablehnt, deutet indes darauf hin, dass das polnische Werben schnell an Grenzen stoßen kann.

In der EU zielt Polen darauf ab, die Gemeinschaft sicherheitspolitisch zu ertüch­tigen. Im Zuge der polnischen EU-Ratspräsi­dentschaft sollen etwa viele altbekannte Ideen zu Rüstungskooperation, militärischer Mobilität oder Resilienzsteigerung vorangebracht bzw. mit neuen Initiativen der Europäischen Kommission kombiniert werden. Polens Fokus liegt insbesondere darauf, eine adäquate finanzielle Unterfütte­rung für europäische Verteidigungsaus­gaben zu schaffen – von der es auch selbst profitieren würde. Polen versucht daher, die im Kommissionsvorschlag ReArm Europe unterbreiteten Vorschläge zu konkretisie­ren und auszuweiten. Die im Mai erfolgte Einigung über die in diesem Kontext vor­gesehene SAFE-Verordnung war ein Erfolg für den polnischen Vorsitz. Polen war unter anderem daran interessiert, Nicht-EU-Staa­ten (mit denen es intensiv kooperiert) in die neuen Finanzierungsprogramme einzubeziehen. Polen möchte aber weitergehen.

Da es sich der Widerstände gegen die Aufnahme gemeinsamer (EU-weiter) Schul­den zur Rüstungsfinanzierung bewusst ist, möchte Polen ein intergouvernementales Finanz- und Planungsinstrument bilden, den sogenannten Europäischen Verteidigungs­mechanismus (EDM). Der EDM würde dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ähneln und im Umfang über die 150 Milliar­den Euro von SAFE hinausgehen. Polen strebt überdies eine elastische Handhabung be­stehender EU-Mittel an, um sicherheitsrele­vante Projekte abzudecken; Anfang April beantragte Warschau, 6,1 Milliarden Euro aus Next-Generation-Geldern für solche Zwecke verwenden zu dürfen. Und schließlich drängt Polen auf die »Europäisierung« eigener Projekte. Warschau kann für sich verbuchen, dass ein an der polnischen Grenze zu Belarus und Russland geplantes System von Befestigungsanlagen, der »Schutzschild Ost«, in das Verteidigungsweißbuch der Kommission aufgenommen wurde, womit ein erster Schritt für den Zugang zu künftigen Mitteln gemacht ist.

Mittelfristig dürfte es Polen darum gehen, dass beim nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU zusätzliche Gelder eingestellt werden, die für den Schutz kritischer Infrastrukturen und Ähnliches genutzt werden können – dass also die Kohäsionspolitik »versicherheitlicht« wird, ohne dass dies auf Kosten klassischer Trans­fers geschieht, von denen Polen profitiert.

Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass aufgrund der innenpolitischen Spal­tung in Polen sehr unterschiedlich auf die Trump-Administration geblickt wird. Die Regierung präferiert einen euroatlantischen Kurs, sie setzt in der Sicherheitspolitik zu­nehmend auf die europäische Dimension und will die Kooperation mit den USA nicht zusätzlich belasten. Die nationalkonservative Opposition hingegen sucht den Kontakt zur Trump-Administration und zum »Make America Great Again (MAGA)«-Lager, mit denen sie ideologisch verwandt ist. Sollte der nationalkonservative Kandidat Nawrocki sich bei den laufenden Präsidentschaftswahlen durchsetzen, hätte Trump weiterhin – wie mit Duda – einen engen Ansprech­partner in Warschau. Nawrocki erhielt wäh­rend des Wahlkampfs sogar einen Termin bei Trump. Ob dies hilfreich ist, bleibt frag­lich. Einer Umfrage des Meinungsforschungs­instituts CBOS vom April zufolge sank der Anteil derer in Polen, die das polnisch-ame­rikanische Verhältnis positiv beurteilen, seit Frühjahr 2023 von 80 auf 31 Prozent.

Regionale und bilaterale Kooperationen

Begleitet werden Polens Aktivitäten in der EU durch die verstärkte Zusammenarbeit mit europäischen Partnern. Augenfällig ist hierbei die Regionalkooperation mit bal­tischen und nordischen Staaten. Die erst­malige Teilnahme von Ministerpräsident Tusk an einem Gipfeltreffen der Nordic-Baltic Eight (NB8) in Schweden Ende No­vember 2024 oder die enge Kooperation mit den baltischen Staaten im Format 1+3 (die Verteidigungsminister der vier Staaten ent­schlossen sich gemeinsam, den Ausstieg aus der Ottawa-Konvention gegen die Verwendung von Anti-Personen-Minen bekannt zu geben) verdeutlichen: Im nördlichen und östlichen Ostseeraum ist ein enge verteidi­gungspolitische Abstimmung »ähnlich denkender Staaten« unter aktiver Beteiligung Polens im Gange.

Mit der Ukraine sowie mit der Türkei könnte die Rüstungskooperation intensiviert werden. In seiner Grundsatzrede Anfang März kündigte Tusk an, man wolle ins­besondere im Drohnenbau mit der Ukraine zusammenarbeiten. Mitte März besuchte Tusk die Türkei, die er zu einer aktiven Rolle bei den Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine aufforderte; bei dem Besuch wurden auch Gespräche über eine mögliche Rüstungszusammenarbeit geführt.

Erkennbar ist, dass Polen mit wichtigen Partnern in Europa bilaterale Sicherheitsabkommen anstrebt. Mit Großbritannien wird ein neuer Vertrag ausgehandelt, bei dem es um Militärzusammenarbeit, Migra­tion und Energieversorgung geht. Mit Schwe­den wurde Ende November 2024 eine »stra­tegische Partnerschaft« vereinbart, deren Schwerpunkt auf Sicherheit und Verteidi­gung liegt. Ein bilaterales Abkommen mit Frankreich, der Anfang Mai unterzeichnete »Vertrag über vertiefte Zusammenarbeit und Freundschaft«, räumt Verteidigungs­fragen viel Raum ein und beinhaltet unter anderem ein Bekenntnis zu mehr sicherheitspolitischer Abstimmung und zu Rüs­tungskooperation sowie eine gegenseitige Beistandsklausel für den Fall eines bewaff­neten Angriffs auf eines der Länder. Frank­reich ist mit Blick auf seine nuklearen Fähigkeiten besonders attraktiv für Polen. Die von Frankreich gemachten Angebote für atomare Schutzzusagen in Europa wur­den in Polen grundsätzlich positiv aufge­nommen. Es kann damit gerechnet werden, dass Polen in nächster Zeit den Kauf von Rüstungsgütern aus französischer Produktion verkündet. Darüber hinaus soll mit den Niederlanden ein neuer Vertrag abge­schlossen werden, bei dem Sicherheit eben­falls eine wichtige Rolle spielen könnte.

In diesem Kontext wäre auch eine Ver­einbarung dieses Typs mit Deutschland zu sehen, sollte diese als Teil der Aktualisierung des deutsch-polnischen Nachbarschafts­vertrages oder in anderer Gestalt angestrebt werden. Polen ist offensichtlich dabei, ein Netz markant sicherheitspolitisch geprägter Vertragswerke mit Schlüsselpartnern in Europa aufzubauen.

Im Sinne der Stärkung seiner europäischen Sicherheitsdimension dürfte Polen in nächster Zeit auch durch Beschaffungs­politik europäische Akzente setzen. Im Zusammenhang mit dem Treffen zwischen dem Airbus-CEO und dem polnischen Ver­teidigungsminister wurde über einen Kauf von Airbus-Transport- und ‑Luftbetankungs­flugzeugen spekuliert. Mit Blick auf die Anschaffung von U-Booten (Programm Orka) stehen die Chancen für europäische Bieter, inklusive der deutschen TKMS, gut.

Polnische Aporien

Polen ist in der gegenwärtigen geopolitischen Gefährdungs- und Gemengelage gezwungen, seine Interessen – jenseits eines basalen Schutz- und Solidarinteresses vor Russland – neu zu denken. Angesichts eines bedrohlichen Russlands, eines unbe­rechenbaren und nichtlinear agierenden strategischen Partners USA und eines sich sicherheitspolitisch aktivierenden Europas bzw. einer dergestalt handelnden EU wird Polen versuchen, eine Reihe von Entwicklungen abzuwenden oder abzumildern.

So möchte es in Europa nicht marginalisiert werden, etwa indem sich die beiden europäischen Nuklearmächte Großbritannien und Frankreich mittelfristig mit Deutschland als sicherheitspolitische Triade in Europa etablieren. Polen möchte keinen »schlechten Deal« für die Ukraine, sondern eine Abmachung, die die Staatlichkeit der Ukraine effektiv absichert. Außerdem ist Polen daran gelegen, einen amerikanisch-russischen Reset zu verhindern, der die US-Präsenz an der Nato-Ostflanke reduzieren oder generell die Nato-Zusagen für die Frontline-Staaten entsprechend russischer Forderungen verwässern würde.

Als Positivinteresse wird Polen ungeachtet aller Kümmernisse weiterhin die Kon­solidierung und Modernisierung der Nato unterstützen und dabei den Ruf nach einem größeren Beitrag Europas im Sinne einer Lastenverschiebung mittragen. Polen ist an einem handlungsfähigen europäischen Pfei­ler in der Nato interessiert und an einer sicherheitspolitisch aufgewerteten, aber nicht von der Allianz bzw. den USA entkop­pelten EU. Über allem steht das Kerninter­esse, amerikanisches Engagement in Europa aufrechtzuerhalten und dazu beizutragen, dass amerikanische Sicherheitsversprechen fortbestehen und überzeugend bleiben.

Schwierig ist hierbei nicht nur, dass Polen (ebenso wie Europa in toto) nur begrenzten Einfluss darauf hat, seinen Belangen Geltung zu verschaffen. Vielmehr steht das Land vor spezifischen sicherheitspolitischen Aporien.

Auch Polen möchte Europa sicherheits­politisch rasch aufwerten, will es doch die USA als europäische Macht auf dem Konti­nent halten. Die Erhöhung der europäischen Verteidigungsfähigkeit wird nach wie vor als Faktor für intensivere Bündnisbeziehun­gen zu den USA gesehen. In seiner jährlichen Grundsatzrede konstatierte Polens Außen­minister Sikorski im April so klassisch wie lapidar: »Ein stärkeres Europa ist ein glaub­würdigerer Verbündeter der USA.« So zu­treffend diese Einschätzung ist, kann mehr »Autonomie« Europas in Verteidigungsfragen gleichzeitig den USA eine Begründung lie­fern, sich aus Europa zurückzuziehen. Ein sicherheitspolitisch handlungsfähiges Europa, das seine Fähigkeitslücken über­windet, könnte Washington mittelfristig Argumente dafür an die Hand geben, dass es sich weniger um Europa »kümmern müsse«. Fakt ist: In der polnischen Sicher­heitspolitik gilt weiter der »transatlantische Vorbehalt« – allein die transatlantischen Beziehungen sind brüchig.

Polen sieht sich als Schwungrad der euro­päischen Integration und betont, etwa im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft, die Bedeutung von verbesserter sicherheitspolitischer Kooperation in der EU. Warschau lehnt zahlreiche Schritte der Trump-Admi­nistration ab und übt teils offen Kritik dar­an, möchte aber seine Beziehungen zu den USA nicht aufs Spiel setzen, beispielsweise durch eine harte europäische Antwort bei Konflikten zwischen den USA und der EU.

Polen will und muss seine Rüstungs­kooperation mit den USA fortführen, wird aber damit nicht nur seine rüstungswirtschaftliche Abhängigkeit von Washington verstärken, sondern auch seine politische.

Es ist noch nicht absehbar, wie Polen ver­suchen wird, sich aus diesen Zwangslagen zu befreien. Vieles wird davon abhängen, wie sich die Erwartungsverlässlichkeit der USA entwickelt und welche geopolitischen Setzungen Washington vornimmt. Aus dieser Situation resultieren aus deutscher Sicht auch Chancen. So ist Polen angesichts transatlantischer Fragwürdigkeiten zuneh­mend sicherheitspolitischer Demandeur, in Europa wie auch gegenüber Deutschland. Daher bieten sich Möglichkeiten für Kom­promisse und »Tauschgeschäfte« an.

Polen durchläuft mit seiner Verunsicherung ein europäisches Moment und ent­wickelt neue Ownership für die europäische Sicherheits-, Verteidigungs- und Rüstungspolitik. Diese Öffnung kommt Deutschland prinzipiell entgegen, weil Berlin ähnlich wie Warschau sich nicht von den USA ab­koppeln will. Sollten die Differenzen zwi­schen den USA und der EU eskalieren, wird allerdings darauf zu achten sein, ob Polen möglicherweise »einknickt«, wenn sein sicherheitspolitischer Gewährsmann Druck ausübt: etwa wenn Washington Sicherheits­garantien nicht nur von der Höhe der Ver­teidigungsausgaben, sondern gleicher­maßen von der Gefolgschaft bei Streitig­keiten mit der EU abhängig machen sollte. Die ersten Signale aus Warschau im Kon­text des Zollkonflikts mit den USA deuten darauf hin, dass Polen grundsätzlich daran interessiert ist, eine einheitliche europäi­sche Antwort mitzugestalten.

Zugleich ist aus deutscher Perspektive zu bedenken, dass eine wachsende »Europäi­sierung« der polnischen Sicherheitspolitik nicht gleichbedeutend ist mit einer zuneh­menden Orientierung an Deutschland. So bringt man Großbritannien und mittlerweile auch Frankreich sowie den nordisch-balti­schen Partnern mehr Vertrauen entgegen als dem westlichen Nachbarn. »Zeitenwende«, Ukraine-Hilfen und Finanzpakete zur Wehr­finanzierung haben die polnische Reserviertheit gegenüber deutscher Vertrauens­würdigkeit keineswegs ausgeräumt.

Deutschland und Polen

Deutschlands Sicherheit ist mit der polni­schen unmittelbar verknüpft. Ein verwund­bares Polen schwächt die Sicherheit der Nato-Ostflanke, Europas und damit auch Deutschlands. Nach wie vor gilt, die Sicher­heit Polens ist deutsche Staatsraison (siehe SWP-Aktuell 68/2022). Daraus leitet sich eine Reihe sicherheitspolitischer Interessen Deutschlands ab.

Zuvorderst ist Deutschland an einem sicheren und wehrhaften Polen interessiert. Polens Bemühungen zur Hebung seiner eigenen Verteidigungsfähigkeit – sei es in Kooperation mit Partnern aus Nato und EU oder durch nationale Anstrengungen – wirken sich grundsätzlich positiv auf die deutsche Sicherheit aus. Denn Polen ist nicht nur »strategische Tiefe« für Deutsch­land, sondern zudem regionaler Sicherheits­produzent am Ostsaum von Nato und EU sowie perspektivisch im Ostseeraum. Ähn­lich wie Polen ist Deutschland ein robuster und nachhaltiger sowie »fairer« Frieden in der Ukraine wichtig. Genau wie Polen arbei­tet Deutschland auf mehr Abschreckung und effektive Vorneverteidigung an der Nato-Ostflanke hin. Und wie Polen ist Deutschland daran gelegen, dass die Nato weiterhin intakt bleibt, gleichzeitig aber auch die EU neues sicherheitspolitisches Gewicht erhält, im Rahmen einer Neuverteilung transatlan­tischer Lasten.

Überdies hat Deutschland ein Interesse daran, dass Polen mit seiner sicherheits­politischen Fixierung auf die USA nicht in außen- und europapolitischen Fragen durch Washington instrumentalisierbar wird. Auch dürfe die US-amerikanische Sicherheits­kooperation Polen nicht einen Sonderstatus verleihen, der zum Beispiel mit speziellen Sicherheitszusagen einherginge; dadurch entstünde eine Differenzierung von Zonen der Sicherheit in Europa. Deutschland wird ferner darauf bedacht sein, dass Polen bei seinem Engagement an der Nato-Ostflanke oder im Ostseeraum nicht nur Initiativen ohne deutsche Einbindung verfolgt, also etwa als NB8 + Polen oder in einem Szena­rio Joint Expeditionary Force (JEF) + Polen.

Alles in allem lässt sich somit zwar keine deutsch-polnische Interessenidentität, aber die Basis für eine neue deutsch-polnische Interessengemeinschaft ableiten, die sicher­heits- und verteidigungspolitisch unter­füttert ist. Eine solche deutsch-polnische Sicherheitspartnerschaft sollte nicht allein auf Kooperation abheben. Denn Polen wird – solange es nicht zu weiteren Disruptio­nen kommt – beim Thema Sicherheit an seinem US-Bezug festhalten und in Europa eher auf Großbritannien, Frankreich oder die nordisch-baltischen Partner zugehen.

Unter diesen Bedingungen wird es daher neben Konsultationen, Infrastruktur-, Mobi­litäts- oder Resilienzthemen vornehmlich um ein Modell der Arbeitsteilung gehen: Polen, das durch eigene Fähigkeiten und enge Zusammenarbeit mit den USA für seine Sicherheit sorgt, Deutschland, das eine Füh­rungsrolle in der Absicherung der baltischen Staaten übernimmt. Beide Länder, die zusammen mit anderen Partnern etwa die Abwehr hybrider Gefahren in der Ostsee organisieren. Wenn es indes zu substantiellen US-Truppenabzügen auch aus Polen käme, würden sich – so Deutschland dazu in der Lage wäre – neue Formen der mili­tärischen Kooperation und Verschränkung ergeben, bis hin zu Stationierungsfragen.

Um diesen Herausforderungen gemeinsam entgegenzutreten, könnten folgende Schritte getan werden:

  • Deutschland und Polen könnten einen bilateralen Sicherheits- und Verteidigungsrat etablieren, der auf Minister­ebene tagt und die Außen-, Verteidigungs- und Innenressorts umfasst sowie gegebenenfalls die Leitungen nationaler Sicherheitsgremien (des Büros für Nationale Sicherheit in Polen und eines künf­tigen Bundessicherheitsrates). Dies wäre eine Institutionalisierung der im deutsch-polnischen Aktionsplan vorgesehenen Möglichkeit von Konsultationen zwischen Außen- und Verteidigungsministern, gleichzeitig aber auch ein sicht­bares, strategisches Leitgremium im deutsch-polnischen Sicherheitsdialog.

  • Beide Länder könnten eine High Level Working Group zur Verteidigung der Nato-Ostflanke und der Sicherheit im Ostseeraum einrichten. Sie könnte lau­fende Veränderungen der Sicherheitslage und der transatlantischen Beziehungen analysieren sowie über mögliche Erfor­dernisse etwa infolge einer Reduktion der US-Militärpräsenz in Europa beraten.

  • Beide Länder könnten gemeinsame For­schungs-, Entwicklungs- und Produktions­programme in der Rüstungswirtschaft mit der Ukraine anstoßen, zum Beispiel ein trilaterales Drohnenkonsortium.

  • Deutschland und Polen könnten, beispiels­weise locker angebunden an die deutsch-polnische Regierungskommission für regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, ein »Regionalforum Sicherheitspolitik« mit Schwerpunkt Zivil­schutz ins Leben rufen. Darin würden Bundesländer, Woiwodschaften und Kommunen, aber auch staatliche Stellen über die regionale Dimension von Resilienz- und Sicherheitspolitik diskutieren und Erfahrungen austauschen.

  • Sollten beide Seiten eine vertragliche Zusatzvereinbarung oder eine Erklärung zum Nachbarschaftsvertrag von 1991 anstreben, könnte hierin als Richtschnur für Europa eine deutsch-polnische Sicher­heitspartnerschaft verankert werden. Ent­hält diese eine bilaterale Solidar­klausel, wäre zu prüfen, wie sie sich zum Gebot einheitlicher und kohärenter Sicherheit in Europa verhält – zumal die verteidigungspolitische Solidarität, die Deutschland und Polen vertiefen wollen, andere Teile von Nato und EU nicht ausschließen sollte.

Dr. Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa.

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