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Polen als aufstrebender Weltraumakteur

SWP-Aktuell 2025/A 40, 05.09.2025, 4 Seiten

doi:10.18449/2025A40

Forschungsgebiete

Der Krieg in der Ukraine hat deutlich gemacht, wie wichtig weltraumbasierte Kom­munikations- und Aufklärungsdienste für die eigene Verteidigung sind. Europa baut seine Verteidigungs­fähigkeiten aus und inves­tiert vermehrt in Weltraumfähigkeiten, hinkt jedoch, was Letztere angeht, im welt­weiten Vergleich hinterher. Die Republik Polen ist ein relativer Neuling im Weltraum. Das Land ist bestrebt, eigene Weltraumfähigkeiten aufzubauen, und legt den Fokus dabei auf Erdbeobachtung und die Erfas­sung der Weltraumlage. Dies kann helfen, regionale Fähigkeitslücken zu schließen. Zudem könnten Möglichkeiten zur bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Deutschland entstehen.

Seit der russischen Vollinvasion der Ukraine im Februar 2022 ist Polen zu einem zentra­len Ak­teur in der europäischen Sicherheit gewor­den und hat zum generellen Trend der Aufrüstung in Europa beigetragen. Auch im Weltraum will Polen sich stär­ker engagieren. Der Krieg in der Ukraine hat vor Augen geführt, wie stark moderne Ver­teidigung von Satelliten abhängt – zum Beispiel ist das Starlink-Netzwerk, das Zu­gang zum Inter­net bietet, entscheidend für die Kommunikation der ukra­inischen Trup­pen – und wie die Dimen­sion Welt­raum selbst zur Zielscheibe wer­den kann: So stört Russland immer wieder Sig­nale des Naviga­tions­satellitensystems GPS.

Die Entwicklungen in den Bereichen Mili­tär und Weltraum dürfen nicht separat, son­dern müssen verknüpft betrachtet wer­den. Im Jahr 2024 verfügte Polen über den fünftgrößten Verteidigungshaushalt unter den Nato-Staaten, hinter den USA, Groß­britannien, Deutschland und Frankreich. Der für 2025 geplante Anstieg auf 4,7 Pro­zent des Bruttoinlandsproduktes würde 41 Milliarden Euro für das polnische Militär bedeuten. Polens Pläne für die Dimen­sion Weltraum, vorgestellt in seiner Welt­raum­strategie, zei­gen, dass das Land anstrebt, seine Welt­raumaktivi­tä­ten zu erweitern.

Polens Weltraumstrategie und ‑fähigkeiten

Die polnische Weltraumstrategie von 2017 legt die Ziele für die Entwicklung der pol­nischen Raumfahrt bis 2030 dar. Die Strate­gie bleibt bei der Setzung der Prioritäten (siehe unten) realis­tisch und enthält eine Beurtei­lung der Stär­ken und Schwächen des Lan­des. Seine Stärken sieht Polen in der gut ent­wickelten Infor­mationstechnologie, in seiner Erfahrung in der Ver­arbei­tung satellitengestütz­ter Daten sowie seinem Know-how in verwandten Sektoren, zum Beispiel der Elektronik. Zu den von Polen selbst wahr­genom­menen Schwächen ge­hören die ver­gleichsweise geringen staat­lichen Investi­tionen im Bereich Weltraum und der Kapital­mangel auf diesem Gebiet tätiger polni­scher Unter­nehmen. In der Strategie wird unter­strichen, dass die Ent­wicklung des Raum­fahrtsektors in Polen auch die Berei­che Sicherheit und Verteidigung umfasse.

Weltraumfähigkeiten in der Verteidigung können in vier grobe Kate­gorien unter­teilt werden: (1) Kommunika­tion, (2) Auf­klä­rung (unter anderem für nachrichtendienstliche Zwecke), (3) Navi­gation und Timing sowie (4) Sensoren für Frühwarnung. Erste Prio­ri­tät hat für Polen, Fähigkeiten in der Auf­klärung durch die Entwicklung von Erd­beob­achtungssatelliten aufzubauen, da die rest­lichen Kategorien zunächst durch Part­ner abgedeckt werden können. Eine weitere Prio­rität Polens ist die Schaffung von Fähig­keiten zur Weltraumlageerfassung (Space Situational Awareness, SSA). Zur Weltraumlageerfassung gehört es zum Beispiel, mit­hilfe erdbasierter Radare Welt­raumobjekte zu erfassen und mögliche Kolli­sionen mit Satelliten oder Weltraumschrott zu erken­nen, sodass diese vermieden werden können. Die Erfassung der Weltraumlage dient nicht nur dem Schutz von Satellitensystemen, sondern ist eine Voraussetzung für den Aufbau weiterer Fähigkeiten aus allen vier oben genannten Kategorien. Bei­de von Polen prioritär be­han­delten und mit Inves­titionen geför­der­ten Felder wer­den drin­gend auf euro­päi­scher Ebene gebraucht.

In den letzten Jahren hat die polnische Weltraumagentur POLSA ihr eigenes Welt­raumlagezentrum eingerichtet, um ihr eige­nes Netzwerk zur Welt­raumüber­wachung und ‑verfolgung zu betreiben. Ein Teil der gewonnenen Daten fließt bereits in das System der Europäischen Union (EU) zur Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Weltraum (EU Space Sur­veillance and Tracking, EU SST) ein.

Die Entwicklung eigener Erdbeobachtungs­satelliten dient Polen nicht nur dazu, eigene Weltraumfähigkeiten aufzubauen, son­dern soll auch der heimischen Industrie zugute­kommen. So wird eines der Projekte, das vor allem auf zivile Zwecke ausgerichtet ist, von der Europäischen Weltraumorganisa­tion (ESA) geleitet, jedoch werden die Satel­liten von polnischen Unternehmen ge­baut und be­trie­ben werden. Polnische Erdbeob­achtungssatelliten werden zudem Teil des Pro­jekts »Schutz­schild Ost« sein, mit dem Polens Grenze zu Belarus und der russi­schen Ex­klave Kalinin­grad verstärkt und somit die Ab­schreckung ver­bessert werden soll. Dies ist im Inter­esse der Nato. Für Deutschland ist der »Schutz­schild Ost« im Hinblick auf die elektromagnetischen An­griffe Russ­lands auf GPS-Signale im Ost­see­raum relevant, deren Ursprung in Kalinin­grad vermutet wird.

Polen als Teil der europäischen Raumfahrt

Mario Draghis Bericht vom September 2024 zur Wettbewerbsfähigkeit der EU listet et­liche Defizite im Bereich Weltraum auf, unter anderem unzureichende Förderung und Koordination, wenig Geld für For­schung und Entwicklung, eine kontinuierliche Ab­hängigkeit von Nicht-EU-Ländern, beispiels­weise den USA. Den­noch sieht Polen Europa und die damit verbundenen Foren, etwa die EU und die ESA, als zentrale Möglichkei­ten, seine Welt­raumaktivitäten auszu­weiten. Dies ist kein Widerspruch: Als auf­steigender und ambitionierter Welt­raum­akteur in Europa ist es sinnvoll, erste Erfah­rungen im regionalen Rahmen zu sammeln.

Multilaterale Projekte bieten die Möglich­keit, Nischenexpertise einzubinden und zu­gleich Kosten zu spa­ren. Auch wenn euro­pä­ische Verbündete Polens wie Deutschland und Frankreich in der Raumfahrt bereits weiter­ entwickelt sind, befinden sie sich den­noch auf dem gleichen Pfad der Aufrüs­tung mit dem Ziel, sich im Ernstfall ver­tei­digen zu können, und teilen Polens Bedro­hungswahrnehmung. Dies wiederum er­leich­tert Kooperation und den Austausch von Exper­tise. So arbeitet zum Beispiel das pol­nische Unternehmen Sybilla Technol­ogies an Odin’s Eye II mit, der Welt­raum­kom­po­nente des zukünftigen Raketen­frühwarn­systems der EU. Laut seiner Welt­raumstrategie hofft Polen zu­dem, sich an den Erfolgsprojekten Galileo (Navigation) und Copernicus (Erdbeobachtung) zu betei­ligen und die neuesten Gene­rationen mit­zuentwickeln. Dies wären für polnische Unternehmen wert­volle Erfah­rungen, die für einen vergleichs­weise kleinen Weltraum­akteur auf globaler Ebene schwerlich zu gewinnen wären.

Diplomatische Aktivitäten

Obwohl sich Polens Weltraumfähigkeiten noch im Aufbau befinden, hat sich das Land in der Weltraumdiplomatie bereits etab­liert. So zählte Warschau 1958 zu den 18 Gründungsmitgliedern des Ausschusses der Vereinten Nationen für die friedliche Nut­zung des Weltraums (UNCOPUOS) und 1960 zu den Gründungs­mitgliedern des Abrüstungsausschusses der Vereinten Natio­nen, aus dem später die Genfer Abrüstungskonfe­renz (CD) hervorgegangen ist. Polen hat die vier grund­legenden Weltraumverträge – den Welt­raumvertrag von 1967, das Über­einkommen über die Rettung und Rückführung von Astronauten von 1967, das Haftungsübereinkommen von 1972 und das Registrierungsübereinkommen von 1976 – sowie den Partiellen Teststopp-Ver­trag von 1963 unterzeichnet. Es ist außer­dem Mit­glied der Internationalen Fern­meldeunion (ITU), die die Positionierung von Satelliten genehmigt. Des Weiteren unterstützt Polen die von den USA gestar­tete Initiative für die nächste Mondmission, indem es 2021 die Artemis-Vereinbarungen unterzeichnete.

Polens Position auf internationaler Ebene ist kaum überraschend, sind Sicherheit und Nachhaltigkeit im Weltraum doch für moderne Wirt­schaftsmächte wichtig, auch wenn sie (noch) nicht über eigene Weltraum­fähigkeiten ver­fügen. Somit folgt Polen dem euro­päischen Konsens.

Der Blick aus Europa und den USA

Polens Entwicklung in der Raum­fahrt er­öffnet neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit sowohl in Europa als auch mit den Vereinigten Staaten.

Die Herausforderung für Europa besteht darin, beim Ausbau seiner Weltraumfähigkeiten kostenaufwendige Doppelungen zu vermeiden und gleichzeitig seine Fähig­keiten zu maximieren. Polens Bemühungen in den Bereichen Erdbeobachtung und Erfas­sung der Weltraumlage tragen dazu bei, regionale Lücken zu füllen, weshalb es für Europa vorteilhaft ist, Polen auch mit be­grenz­ten eigenen Fähigkeiten zu integrie­ren. Drei Wege multilateraler Zusammenarbeit innerhalb Europas bieten sich an: in der Nato, der EU und der ESA.

Die Nato verfügt über keine eigenen Welt­raumsysteme, sondern nutzt diejenigen ihrer Mitgliedstaaten sowie kom­merzielle Dienstleistungen. Das bedeutet zum einen, dass es auf die Stärke und die Kapazitäten der einzelnen Staaten ankommt, und zum anderen, dass Integration und Kooperation im Idealfall von Anfang an mitgedacht wer­den, um Inter­operabilität zu erleichtern – vor allem auf den Gebie­ten Kommunika­tion, Auf­klärung und Welt­raumlagefähig­keiten. Polens Fokus auf die effiziente Auf­bereitung von Daten zur Welt­raumlage ist hier besonders aussichtsvoll.

Die EU-Weltraumstrategie für Sicherheit und Verteidigung ist Ausdruck dafür, dass die EU den Weltraum zunehmend auch mit militärischem Interesse betrachtet – und militärisch nütz­liche Weltraumfähig­kei­ten ausbauen und ihre Systeme, wie etwa das Navigationssystem Galileo, schüt­zen will. Für Staaten wie Polen, deren Raum­fahrt­entwick­lung noch am Anfang steht, ist es daher sinnvoll, sich an der EU und ihren Vorhaben zu orientieren. Aus Sicht der EU wiederum ist es förderlich, bei diesen auch kleinere Akteure in gemeinschaftliche Pro­zesse einzubeziehen. Von Polen bereit­ge­stellte Daten zur Weltraumlage, die schon heute zu den Weltraumlagefähigkeiten der EU beitragen, sind ein guter Anfang.

Polens Beiträge zur ESA machten bis 2022 weniger als 1 Prozent des ge­sam­ten ESA-Budgets aus; doch hat das Land seine Bei­träge seit 2023 erhöht und 2025 ein neues Hoch von fast 4 Prozent er­reicht. Dies signa­lisiert Polens Willen, sich stär­ker in die Orga­nisation einzubringen. Inner­halb der ESA findet ebenfalls ein Um­denken statt: Eine Erdbeobachtungs­konstel­lation, die auch für die militärische Nut­zung gedacht ist, befin­det sich in der Anfangs­phase. Polens Pro­jekte im Bereich Erd­beob­achtung könnten hierfür wertvolle Erfah­rungen liefern.

Die USA und Polen arbeiten bereits im Rah­men einer Vereinbarung über SSA-Dienste und den Austausch von SSA-Daten zu­sammen. Jüngste Berichte deuten darauf hin, dass sich die amerikanisch-polnische Zusammenarbeit im Weltraum auch auf die Satel­litenkommunikation erstreckt. Diese hat Polen in seiner Natio­nalen Sicher­heitsstrategie von 2020 zu einer seiner Prioritäten erklärt. Japan und Polen haben sich im November 2024 dem militärischen US-Satellitennetzwerk Wide­band Global SATCOM (WGS) angeschlossen. Dadurch kann Polen Kommunikationsdienste nut­zen, ohne in naher Zukunft eigene Fähig­keiten in diesem Be­reich aufbauen zu müssen.

Schlussfolgerungen für Deutschland und Europa

Europa rüstet auf, und der Weltraum ist ein wichtiger Bestandteil davon. Auch in Deutschland erhält der Weltraum eine neue militärische Bedeutung, wie die Natio­nale Sicherheitsstrategie von 2023 und der Koali­tionsvertrag von 2025 betonen. So­wohl Deutschland als auch Polen müssen bei der Verteidigung Prio­ritäten setzen; dasselbe gilt in der Di­mension Welt­raum, denn nur so können sie ihre Fähig­keiten dort effi­zient aus- bzw. aufbauen und nutzen.

Es liegt im Interesse Deutschlands, Polens Projekte für den Aufbau seiner Weltraumfähigkeiten zu verfolgen, vor allem die Ent­wicklung der Erdbeobachtungssatelliten, die in Polen gebaut und betrie­ben wer­den. Denn diese Vorhaben bieten die Möglichkeit, die bi­laterale Kooperation mit der pol­ni­schen Raumfahrtindustrie zu suchen, was für beide Seiten lohnenswert sein dürf­te. Ein Bei­spiel aus dem Bereich Aufklärung: Deutschland verfügt nicht über opti­sche Aufklärungssatelliten, wie Polen sie an­strebt, könnte jedoch Radaraufnahmen bereit­stellen und im Gegenzug von den künf­tigen polnischen Fähigkeiten profitieren.

Nicht zuletzt sollte Deutschland seine geplante Weltraumsicherheitsstrategie nut­zen, um die eigenen Stärken und Schwächen zu beur­teilen, ähnlich wie Polen es in seiner Weltraumstrategie getan hat.

Prioritätensetzung und mehr Fähig­keiten sind jedoch nur ein Aspekt. Es gilt zudem, europa­weite Inte­gration zu erreichen. Er­wei­terte Fähig­keiten und eine erhöhte Ver­net­zung sind gut, mehr Daten können aber nur Vor­teile bringen, wenn sie effizient ver­arbeitet und zeitnah in Entscheidungs­prozesse ein­gebracht werden. Polen hat sich hierzu bereits vor allem in EU-Strukturen inte­griert. EU und Nato streben Strukturen an, die Informationen aus Mitg­liedstaaten bün­deln. Dieser Infor­mations­fluss muss opti­miert werden.

Hinzu kommt ein weiteres Element, nämlich Be­dro­hungen von Satellitensystemen. Beson­ders hier können neuere Welt­raumakteure von den erfahreneren lernen. Ein regel­mäßiger Austausch über Bedrohungen, potenzielle Angriffe und die eige­nen Anfor­derungen ist essenziell und sollte schon während des Auf- und Ausbaus der Fähig­keiten stattfinden, damit Satelliten­systeme aus­rei­chend geschützt werden kön­nen. Dieser Austausch sollte in erster Linie im Rahmen der Nato ge­schehen, deren Mit­glieder für ihre eigenen Systeme verantwort­lich sind. Der bestehende Aus­tausch von SSA-Daten unter den Nato-Staaten könnte zu diesem Zweck ausgeweitet werden.

Juliana Süß ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der SWP. Robert Sam Wilson ist der Direktor für Strategie und Nationale Sicherheit am Center for Space Policy and Strategy der Aerospace Corporation. Das Aktuell entstand im Rahmen des Projekts STAND (Strategic Threat Analysis and Nuclear (Dis-)Order) und in Koopera­tion mit dem Center for Space Policy and Strategy der Aerospace Corporation. Eine ausführlichere englische Version des Textes wurde als Country Brief veröffentlicht unter https://csps.aerospace.org/papers/poland-country-brief.

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