Das Programm François Hollandes lässt auf eine bessere deutsch-französische Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hoffen, meint Ronja Kempin.
Kurz gesagt, 19.04.2012 ForschungsgebieteRonja Kempin
Dass François Hollande als der schlechtere Partner für die Bewältigung der europäischen Krise gesehen wird, ist zu kurz gegriffen, meint Ronja Kempin. Sein Programm lässt auf eine bessere deutsch-französische Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hoffen.
François Hollande, der sozialistische Bewerber um das Amt des französischen Staatspräsidenten, gilt vielen politischen Beobachtern in Deutschland als die "schlechtere Wahl" der Franzosen. Merkozy ist uns lieb geworden; dem Gespann Merkel und Sarkozy trauen wir diesseits des Rheins zu, Europa aus seiner schwersten Krise zu führen, nicht zuletzt, weil Präsident Sarkozy bei der Behebung der Finanz- und Schuldenkrise seine Impulsivität abgelegt und sich in einen willfährigen Unterstützer deutscher Positionen verwandelt hat. Dass er kurz vor dem ersten Urnengang zu den Präsidentschaftswahlen die Wahlkamphilfe der deutschen Bundeskanzlerin dankend ablehnt, dass er an den Fundamenten der EZB rüttelt und meint, Europa seinen Stempel aufdrücken zu sollen, wenn er mit einer neuen "Politik des leeren Stuhls" in den Budgetverhandlungen droht – geschenkt. Alles nur wahltaktische Manöver. Hollande hingegen hat der deutschen Europa-Politik von Anfang an die Stirn geboten. Europa gemeinsam mit ihm aus der Krise führen? Unmöglich! Den Fiskalpakt neu verhandeln? Unerhört!
Ein Blick auf ein anderes Politikfeld verdeutlicht, dass die Einteilung beider Kandidaten in einen deutschlandfreundlichen Amtsinhaber und einen deutschlandkritischen Herausforderer schon bald differenzierter ausfallen könnte. In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Präsident Sarkozy bisher nur selten als Partner Berlins aufgetreten. Ein erster Paukenschlag seiner Amtszeit war die Ankündigung, Frankreich in die integrierten Strukturen der Nato zurückzuführen. Die militärischen Strukturen der Allianz hatte das Land 1966 verlassen, um wieder eigenständig über seine Streitkräfte verfügen zu können. Seither bedurften Frankreichs Regenten der Bundesrepublik, um ihrer Vision eines Europe de la défense nachgehen zu können. Durch die vollständige Rückführung seines Landes in die militärische Nato-Integration ist es Nicolas Sarkozy gelungen, außenpolitischen Handlungsspielraum zu gewinnen. Die Beziehungen zu Washington sind so gut wie selten zuvor. Seine transatlantische Volte hat es Sarkozy zudem ermöglicht, die Kooperation mit dem Vereinigten Königreich auf eine neue Grundlage zu stellen. Zwei bindende Verteidigungsverträge, die militärische Offensive, die zum Sturz des libyschen Machthabers Ghaddafi geführt hat, eine kritische Distanz zu dem in London ungeliebten Projekt einer europäischen Fähigkeit zur Planung und Führung von EU-Operationen und -Missionen sind die sichtbarsten Zeichen der neuen französisch-britischen Partnerschaft. Die Wiederbelebung der Entente Cordiale geht einher mit einem Abwenden von Berlin. Unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys ist es nicht gelungen, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU voranzubringen. Wegweisende Projekte der bilateralen Kooperation vermochten nicht angestoßen zu werden. Bereits die Verhandlungen über die Rückführung Frankreichs in die militärische Nato-Integration nutzte Präsident Sarkozy dazu, deutlich zu machen, dass er Berlin allenfalls in der "zweiten Liga" sicherheits- und verteidigungspolitischer Partner verortet. Die entscheidenden Fragen der Reintegration französischer Streitkräfte in die Nato verhandelte er ausschließlich mit Washington und London.
Unter Hollande könnte die deutsch-französische Achse in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wieder an Bedeutung gewinnen
Im Gegensatz zu Nicolas Sarkozy schlägt der sozialistische Herausforderer Hollande kritische Töne gegenüber der Atlantischen Allianz an. Im Falle seiner Wahl will er bereits auf dem Nato-Gipfel Ende Mai in Chicago verhandeln, dass Frankreichs Truppen noch in diesem Jahr aus Afghanistan abziehen. Zudem kündigt er an, die vollständige Nato-Zugehörigkeit seines Landes kritisch evaluieren zu wollen. Die Kooperationsbeziehung zu Großbritannien will er weiterführen. Gleichsam stellt er heraus, die deutsch-französische Achse in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wiederbeleben, ja entscheidend stärken zu wollen. Dass Hollande auch nach einem Einzug in den Elysée-Palast an einer Rückkehr zu den traditionellen Leitplanken französischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik festhalten wird, darauf wird mit Jean-Luc Mélenchon der ultralinke Shootingstar des Wahlkampfes achten. Er lehnt die Anlehnung seines Landes an die USA ab. François Hollande hingegen ist im zweiten Wahlgang von einer Empfehlung des Front-de-Gauche-Kandidaten abhängig.
Dass Berlin von einem möglichen sozialistischen Präsidenten außen- und sicherheitspolitisch als satisfaktionsfähig angesehen wird, sollte auch hierzulande neue Energien freisetzen, die bilateralen Beziehungen zu festigen und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU entscheidend voranzubringen. Die Zukunft der EU hängt nicht allein an der Bewältigung der Schuldenkrise. Mit der GSVP erodiert ein weiterer zentraler Bereich europäischer Politik. Deutsch-französische Initiativen zugunsten eines strategischen Reflexionsprozesses über die Ziele und Entwicklung der GSVP sind ebenso notwendig wie ein bilateraler Vorstoß zugunsten eines verbesserten Aufbaus ziviler und militärischer Fähigkeiten. Gewinner einer vermeintlich rückwärtsgewandten Sicherheits- und Verteidigungspolitik Hollandes wird die Handlungsfähigkeit Europas sein. Dem europäischen Gedanken steht der sozialistische Kandidat aufgeschlossener gegenüber als vielfach angenommen wird.
Dieser Text ist auch bei EurActiv.de und Tagesspiegel.de erschienen.
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Französisch-britischer Bilateralismus in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik