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Indiens Pakistan-Dilemma

Die Rückkehr des Kaschmir-Konflikts auf die internationale Bühne

SWP-Aktuell 2025/A 25, 28.05.2025, 4 Seiten

doi:10.18449/2025A25

Forschungsgebiete

Der Terroranschlag in Pahalgam, bei dem am 22. April insgesamt 26 Menschen ermor­det wurden, hat den Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan zurück auf die internationale Bühne gebracht. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern und die diplomatische Intervention der USA haben eine Reihe von Dilemmata Indiens im Umgang mit Pakistan offenkundig werden lassen. Auf natio­naler Ebene gelingt es Indien nicht, den Terror in Jammu und Kaschmir dauerhaft ein­zudämmen. Im regionalen Kontext ist das Land trotz seiner konventionellen Überlegen­heit nicht imstande, eine wirksame Abschreckung gegenüber Pakistan aufzubauen. Auf internationaler Ebene ist die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, im Kaschmir-Konflikt zu vermitteln, für Indien ein herber diplomatischer Rückschlag.

Der Anschlag in Pahalgam im indischen Unionsterritorium Jammu und Kaschmir war gemessen an der Zahl der zivilen Opfer der schwerste Terrorangriff seit dem An­schlag in Mumbai 2008. In beiden Fällen gilt die Terrorgruppe Lashkar-e-Toiba (LeT) als Drahtzieher. Zu dem Anschlag in Pahal­gam hat sich zunächst die Gruppe »Die Widerstandsfront« (The Resistance Front) bekannt. Die Widerstandsfront tötete bei dem Angriff gezielt Hindus. Sie rechtfertigte ihre Aktion mit dem demografischen Wandel, der seit den Änderungen des Status von Kaschmir im Jahr 2019 durch eine wachsende Zahl von Hindus in der Region stattgefunden habe. Wenige Tage später widerrief die Gruppierung allerdings ihr Bekenntnis. Indischen Sicherheitsexperten gilt die Wider­standsfront als lokaler Ab­leger der LeT. Die verbotene Terrorgruppe hat wiederum Verbindungen zum pakis­ta­nischen Geheimdienst Inter-Services Intelli­gence (ISI). Im Jahr 2016 hatte der frühere pakis­tanische Präsident und Chef des Gene­ralstabs Musharraf erklärt, dass der ISI die LeT trainiere.

Der Angriff in Pahalgam reiht sich ein in eine Reihe ähnlicher Anschläge, zu deren Zielen es unter anderem gehört, eine regio­nale Krise zwischen Indien und Pakistan heraufzubeschwören, die dann zu einer internationalen Vermittlung in der Kasch­mir-Frage führen soll. Im Unterschied zu früheren Krisen, wie zum Beispiel 1999, 2001/02 oder 2019, scheint der Plan dieses Mal aufgegangen zu sein. Der Ausgang der Krise offenbart die Probleme Indiens im Umgang mit Pakistan auf nationaler, bilateraler und internationaler Ebene.

Die nationale Ebene: keine Normalisierung in Kaschmir

Im August 2019 setzte die hindu-nationalis­tische Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi ein lang­jähriges Wahlversprechen um. Sie teilte den mehrheitlich muslimischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir in zwei neue Unions­territorien, Jammu und Kaschmir sowie Ladakh. Beide werden nun direkt von Neu-Delhi aus verwaltet und verlieren eine Reihe von Sonderrechten. Dieser Schritt löste hef­tige Proteste in Pakistan aus, das darin eine Verletzung der Resolutionen der Vereinten Nationen sah.

Die indische Regierung hat sich seit 2019 um eine Normalisierung der Situation im neuen Unionsterritorium Jammu und Kasch­mir bemüht. Die Wirtschaft der Region pro­fitierte von einer Erholung der Tourismuszahlen und der Eröffnung einer Eisenbahnverbindung mit Neu-Delhi, die die Integra­tion mit Indien vertiefte. Was die poli­tische Entwicklung betrifft, so war die Wahlbeteiligung bei den Land­tagswahlen 2024 mit über 60 Prozent trotz aller Pro­teste ver­gleichsweise hoch. Die Hurriyat-Konferenz, ein loser Zusammenschluss pro-pakistani­scher Parteien und Gruppen im indischen Kaschmir, die teilweise auch Kontakte zu Terrorgruppen unterhielten, hat nicht zu­letzt auch auf Druck Indiens in den letzten Jahren an Einfluss verloren. Auch die Sicher­heitslage in dem Gebiet hatte sich zunächst verbessert, bevor sie sich 2024 wieder ver­schlechterte. Indische Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass 2024 im Kaschmir-Tal circa 80 ausländische, das heißt vor allem aus Pakistan stammende Terroristen aktiv waren. Die pro-indischen Parteien in Kasch­mir wiederum hatten 2019 zwar vehement gegen die Auflösung des Bundesstaats pro­testiert, kritisierten aber ebenfalls den Ter­ror­anschlag in Pahalgam, der den Tourismus, die Haupteinnahmequelle der Region, traf.

Der Anschlag in Pahalgam unterstreicht, dass Indien auch weiterhin nicht in der Lage ist, in Jammu und Kaschmir Sicherheit zu gewährleisten. Trotz einer verstärkten Über­wachung gelingt es der Regierung in Neu-Delhi nicht, die Infiltration von Kämpfern aus Pakistan zu unterbinden. Kaschmir ist somit weit entfernt von einer Normalisierung, wie sie die Regierung Modi propa­giert hat. Die indischen Sicherheitskräfte verhaf­teten zwar rund 1.500 Personen und zer­stör­ten Häuser von Familien von Verdäch­tigen. Es gelang ihnen allerdings nicht, die Attentäter aufzuspüren und festzunehmen. Experten wiesen darauf hin, dass sich die Verhaftungen und Zerstörungen als kontra­produktiv erweisen könnten, da sie die Ver­ärgerung über die Sicherheitskräfte neu anheizen und es diesen weiter erschwe­ren könnten, im Kampf gegen den Terroris­mus verwertbare Informationen aus der Bevöl­kerung zu beziehen.

Die bilaterale Ebene: die begrenzte Abschreckung

Als Reaktion auf den Anschlag startete In­dien am 7. Mai die Operation Sindoor und führte zunächst Luftschläge auf eine Reihe von Einrichtungen terroristischer Gruppen in Pakistan durch. Premierminister Modi etablierte damit ein neues »Normal« als Reaktion auf Terroranschläge. Im Unterschied zu früheren Operationen 2016 und 2019 attackierte Indien nun auch gezielt das Hauptquartier der LeT in Muridke und das der Organisation Jaish-e-Mohammed (JeM) in Bahawalpur, die unter anderem für den Anschlag in Pulwama 2019 verantwortlich zeichnete. Erstmals seit dem Krieg 1971 griff Indien damit jenseits der internationalen Grenze Orte in Pakistan in der Provinz Pun­jab an. Pakistan reagierte mit Raketen- und Drohnenangriffen auf Militäranlagen in Indien, was eine Eskalation in Gang setzte. Aufgrund der Pressezensur auf beiden Seiten gibt es keine verifizierbaren Informationen über Schäden und Verluste. Pakis­tan behauptete, sechs indische Kampfjets abgeschossen zu haben, während indische Medien zu­nächst den Absturz von drei Flugzeugen meldeten. Der amerika­nische Nachrichtensender CNN berichtete mit Verweis auf eine französische Quelle über den Verlust eines Rafale-Kampfjets.

Die militärischen Konfrontationen zeig­ten, dass die indische Luftwaffe offensicht­lich nicht die Überlegenheit hatte, von der sie ausgegangen war. Pakistan hat in den letzten Jahren mit Hilfe Chinas seine Fähig­keiten in der Luftverteidigung verbessert. Die indischen Verluste wurden vermutlich durch chinesische Kampfjets und Raketen der pakistanischen Luftwaffe verursacht. Sofern sich der Abschuss eines Rafale-Kampf­jets bestätigt, dürfte dies für Indien ein her­ber Rückschlag sein, gilt doch dieses Flug­zeug als Symbol für die Modernisierung der indischen Luftwaffe. Die indische Armeeführung gestand indirekt Verluste ein, betonte aber, dass sie ihre Ziele, die Zer­störung terroristischer Basen, erreicht habe.

Die indischen Streitkräfte haben zwar unter Beweis gestellt, dass sie terroristische Infrastruktur in Pakistan angreifen können, stehen aber vor dem Dilemma, dass sie trotz ihrer quantitativen Überlegenheit keine dauerhafte Abschreckung gegenüber Pakistan herstellen können.

Die internationale Ebene: Die USA als ungeliebter Vermittler

Die USA gelten bei Krisen zwischen Indien und Pakistan als der klassische Vermittler hinter den Kulissen, wie zum Beispiel 1999, 2001/02 und 2019. Die neue Trump-Admi­ni­stration zeigte sich anfangs zurück­haltend gegenüber einer möglichen Inter­vention in den Konflikt. Presseberichten zufolge rief der indische Angriff auf eine Militärbasis in Rawalpindi, dem Haupt­quartier der pakis­tanischen Streitkräfte, das Ein­greifen der USA auf den Plan. Denn in der Nähe dieses Ziels befindet sich auch die Abteilung für Strategische Planungen (Stra­tegic Plans Division, SPD), die für den Ein­satz von Nuklearwaffen zuständig ist.

Am 10. Mai vermeldete Präsident Trump auf seiner Plattform Truth Social einen von den USA arrangierten Waffenstillstand zwischen Indien und Pakistan. Zugleich kündigte er an, zwischen beiden Staaten im Kaschmir-Konflikt zu ver­mitteln. Während dieser Tweet in Pakistan als diplomatischer Erfolg gefeiert wurde, war die Nachricht für Indien ein schwerer Rückschlag.

Indien lehnt seit dem Friedensvertrag von Simla 1972 eine externe Vermittlung in der Kaschmir-Frage ab. Seitdem hat es eine Reihe von bilateralen Verhandlungen ge­geben, die allerdings ohne Erfolg blieben. Nach den Terroranschlägen von 2016 hat die Regierung Modi deutlich gemacht, dass Gespräche mit Pakistan erst stattfinden können, wenn das Land seine Unterstützung für Terrorgruppen beendet.

Das Vermittlungsangebot von Präsident Trump in der Kaschmir-Frage war deshalb ein herber außenpolitischer Dämpfer für Indien und dürfte die Beziehungen zu den USA für einige Zeit belasten. Indien gilt in der amerikanischen Indo-Pazifik-Strategie als einer der wichtigsten Partner, um dem Aufstieg Chinas in der Region zu begegnen.

Für Premierminister Modi ist das amerikanische Vorgehen eine empfindliche Schlappe. Modi gilt als Meister der öffent­lichen Diplomatie und inszeniert sich gerne als starker Mann. Ausdruck dieses Selbstverständnisses ist nicht zuletzt auch das militärische Vorgehen gegen Pakistan. Dass Präsident Trump den Waffenstillstand als Erster bekanntgab, ließ in Indien den Ein­druck entstehen, man sei nicht in der Lage gewesen, ein Ende der Kampfhandlungen herbeizuführen. Demgegenüber lautet das offizielle indische Narrativ, dass Pakistan über die Hotline zwischen den beiden DGMOs (Director General Military Opera­tions) um einen Waffenstillstand nach­gesucht habe.

Modi sah sich nun mit dem Protest hindu-nationalistischer Gruppen konfrontiert, die den Waffenstillstand kritisierten und eine Fortführung der Militärschläge forderten. Die Diskussion über die Inter­nationalisie­rung Kaschmirs ist auch ein Rückschlag für Modis Ambitionen, Indien als Großmacht und Pol in einer multipolaren Welt zu prä­sentieren. Die indische Regierung wollte mit der Operation Sindoor auch unter Beweis stellen, dass Indien wie andere Großmächte eigenständig gegen terroristische Bedrohun­gen vorgehen kann. Die öffentliche Inter­vention der USA und die Internationalisie­rung des Kaschmir-Konflikts bergen aber jetzt die Gefahr, dass Indien wieder auf einer Stufe mit Pakistan gesehen wird, eine Rang­zuordnung, der das Land seit Jahren zu ent­rinnen versucht. Schließlich wird der Trump-Tweet auch jenen Stimmen im außen­poli­tischen Establishment in Neu-Delhi Auf­trieb geben, die die USA aufgrund historischer Erfahrungen, im Unterschied zu Russ­land, als unzuverlässigen Partner sehen.

Ausblick: Indiens künftige Pakistan-Politik

Nach den kriegerischen Auseinandersetzun­gen vom Mai 2025 befinden sich die Bezie­hungen der beiden Länder auf einem histo­rischen Tiefpunkt. Indiens Reaktion auf den Anschlag in Pahalgam hat einige grund­legende Dilemmata im Umgang mit Pakis­tan offengelegt. Die Normalisierung der Situation in Kaschmir ist brüchig, die Ab­schreckung gegenüber dem Nachbarn funk­tioniert nur begrenzt und international kann die Regierung in Islamabad durch den Trump-Tweet einen unerwarteten diplo­matischen Erfolg verbuchen.

Indien hat mit seinen Sanktionen die letzten politischen, wirtschaftlichen und gesell­schaftlichen Kommunikationskanäle mit Pakistan gekappt. Dabei könnte sich die Aussetzung des Indus-Wasservertrags, der seit 1960 die Wasserverteilung des Indus und seiner Nebenflüsse zwischen beiden Ländern regelt, für Indien als zweischneidiges Schwert erweisen. So könnte Pakistan den seit über siebzig Jahren schwelenden Terri­torialstreit künftig als Ressourcen­konflikt thematisieren und damit einen größeren internationalen Beistand erhalten. Die Aussetzung des Vertrags spielt indirekt auch islamistischen Hardlinern in Pakistan in die Hände. So rief Hafiz Saeed, der An­führer der mittlerweile verbotenen LeT, bereits in der Vergangenheit zu einem hei­ligen Krieg um Wasser (Water Jihad) gegen Indien auf. Langfristig stellt sich die Frage, ob die Konzentration auf rein militärische Maßnahmen genügt, um Pakistan von seiner Unterstützung für terroristische Gruppen abzubringen. Die Regierung von Premierminister Modi hat sich damit auch unter Zugzwang gesetzt, auf den nächsten Terror­anschlag militärisch noch massiver zu re­agieren, was entsprechende pakistanische Gegenmaßnahmen zur Folge haben wird.

Zugleich könnte sich auch das hybride Kriegsszenario zwischen beiden Staaten ausweiten. So hat Pakistan bereits seine Beziehungen zu Bangladesch nach dem Umsturz 2024 ausgebaut. Sofern in Dhaka nach den Wahlen eine indien­kritische Re­gierung an die Macht käme, könnte Pakis­tan Aufstandsbewegungen im Nord­osten Indiens unterstützen, was bereits früher der Fall gewesen sein soll. Um In­diens Terro­rismusvorwürfen zu kontern, beschuldigt Pakistan Indien wiederum, separatistische Gruppen in Balutschistan und die aus Afghanistan heraus operierenden pakistanischen Taliban zu unterstützen, die für eine Reihe schwerer Anschläge verant­wort­lich sind. Darüber hinaus sind in den letz­ten Jahren eine Reihe von LeT-Führern in Pakistan Anschlägen zum Opfer gefallen, die dem indischen Geheimdienst Research and Analysis Wing (R&AW) zugeschrieben werden.

Deutschland und Europa haben in den letzten Jahren ihre Beziehungen zu Indien deutlich ausgebaut. Sie sollten weiterhin auf eine friedliche Lösung des Kaschmir-Konflikts zwischen Indien und Pakistan hinwirken. Die Resolutionen der Vereinten Nationen haben ihre Bedeutung verloren, unter anderem weil China durch seine ter­ritorialen Ansprüche seit den 1960er Jahren zu einem Teil des Konflikts geworden ist, der keine Berücksichtigung in den Reso­lutionen findet.

Der amerikanische Präsident Bill Clinton bezeichnete Kaschmir im Jahr 2000 als den gefährlichsten Ort der Welt. Es bleibt zu hoffen, dass die militärische Konfrontation vom Mai 2025 nicht der Auftakt zu einem neuen Krisenzyklus in Südasien wird.

Dr. habil. Christian Wagner ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien.

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