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Im Schneckentempo zur vertieften transatlantischen Wirtschaftsintegration

Im US-Wahlkampf ist es derzeit wenig populär, sich für eine engere transatlantische Wirtschaftskooperation einzusetzen, meinen Sabine Mair und Stormy-Annika Mildner. Mit nennenswerten Integrationsschritten ist daher nicht zu rechnen.

Kurz gesagt, 05.07.2012 Forschungsgebiete
  • Stormy-Annika Mildner (Portraitfoto)

    Stormy-Annika Mildner

Im US-Wahlkampf ist es derzeit wenig populär, sich für eine engere transatlantische Wirtschaftskooperation einzusetzen, meinen Sabine Mair und Stormy-Annika Mildner. Mit nennenswerten Integrationsschritten ist daher nicht zu rechnen.

Seit einiger Zeit wird wieder lauter über die Idee eines EU-US-Freihandelsabkommens nachgedacht, das der transatlantischen Wirtschaft neuen Schwung verleihen soll. Zwar sind die durchschnittlichen Industriegüterzölle im transatlantischen Handel mit 3,5 Prozent in den USA und 5 Prozent in der EU im internationalen Vergleich sehr niedrig. Jedoch liegt bei einem Drittel der EU-Zölle die Rate bei über 5 Prozent; bei einigen Gütern wie der Transportausrüstung fallen schon mal 20 Prozent Zollgebühren an. Ähnliches gilt für die USA. Ein noch größeres Handels- und Investitionshemmnis als Zölle stellen die unterschiedlichen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen an Güter und Dienstleistungen dar. Unterschiedliche Standards und Regulierungen verursachen amerikanischen und europäischen Unternehmen jedes Jahr Kosten in Milliardenhöhe.

Aufgabe des 2007 gegründeten Transatlantischen Wirtschaftsrats (TEC) ist es daher, für den Abbau dieser Barrieren zu sorgen, indem Standards harmonisiert, gegenseitig anerkannt oder, bei neuen Technologien, gleich zusammen entwickelt werden. Weil Erfolge auf sich warten lassen, ist auf dem TEC Gipfel im November 2011 die hochrangig besetze "EU-U.S. High Level Working Group on Jobs and Growth" (EU-US HLWG) eingerichtet worden. Bis November 2012 soll die vom U.S.-Handelsbeauftragten Ron Kirk und dem EU-Handelskommissar Karel de Gucht geleitete Arbeitsgruppe einen umfassenden Maßnahmenkatalog erstellen. Ziel ist es, die transatlantische Wirtschaft zu stärken, Wachstum anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen.

Am 19. Juni legte die Arbeitsgruppe einen ersten Zwischenbericht vor, der jedoch wenig Substanzielles enthält. Er identifiziert lediglich grobe Kooperationsziele wie die Reduktion von Zöllen und die Aushandlung von besseren Investitionsschutzstandards. Konkrete Handlungsempfehlungen enthält er nicht. Der Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen und die Verbesserung der Kompatibilität von Regularien werden ausführlich als Ziele benannt, auch hier jedoch ohne inhaltliche Empfehlungen abzugeben. Stattdessen werden der Gesundheits-, Umwelt- und Sicherheitssektor als Kooperationsbereiche identifiziert und Unternehmensvertreter aufgefordert, bis Ende des Jahres konkrete Empfehlungen zu entwickeln. Immerhin kommt der Bericht zu dem Schluss, dass ein umfangreicher transatlantischer Vertrag über Handels- und Investitionsmaßnahmen von hohem wirtschaftlichem Nutzen für die EU und die USA wäre.

Die Kooperation mit dem europäischen Patienten lässt sich im Wahlkampf schlecht verkaufen

Von Erfolg gekrönt werden die Bemühungen des TEC und der EU-US HLWG indes nur dann sein, wenn sie von höchster politischer Ebene unterstützt werden. Während sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Großbritanniens Premierminister David Cameron zusammen mit ihren europäischen Kollegen öffentlich zu einem umfassenden Handels- und Investitionsabkommen bekannt haben, sind die Amerikaner bislang zurückhaltender. Zwar lobte Barack Obama auf dem G20-Gipfel den Zwischenbericht der EU-US HLWG als wichtigen Schritt und bekannte sich zur transatlantischen Initiative: "Auch wenn wir gerade dabei sind, einen neuen Rahmen für Handel innerhalb der asiatisch-pazifischen Region (…) aufzubauen, arbeiten wir auch daran, unseren Handel mit Europa auszuweiten“. Doch am 6. November wird in den USA gewählt. Aus wahltaktischen Erwägungen ist es für Präsident Obama zurzeit klüger, die Schuld für das schleppende Wirtschaftswachstum und die hohe Arbeitslosigkeit in den USA Europa zuzuweisen, anstatt dem Wähler eine engere Kooperation mit dem europäischen Patienten schmackhaft zu machen. Die Berichterstattung in den USA über Europa ist zurzeit so negativ, dass sich ein transatlantischer Marktplatz schlecht verkaufen ließe.

Dies ist angesichts der Wohlfahrtseffekte, die eine tiefere Integration verspricht, bedauerlich. Einziger Vorteil der Haltung Obamas: Sollte sein republikanischer Konkurrent Mitt Romney bei der Wahl im November das Rennen machen, wäre das Thema nicht vorbelastet. Denn neue Präsidenten distanzieren sich gerne von den Themen ihrer Vorgänger.

Momentan bleibt den Europäern nur, weiter für die transatlantische Initiative zu werben. Im Mittelpunkt dieser Kampagne sollten nicht nur Washington, sondern auch die US-Bundesstaaten stehen. Erstens kann so Kongressmitgliedern verdeutlicht werden, welche Bedeutung die europäische Wirtschaft für ihren Wahlkreis oder Bundesstaat hat. Dies ist insofern wichtig, als die Kompetenz für die Handelspolitik in den Händen des Kongresses liegt. Zweitens könnten US-Bundestaaten als Kooperationspartner für die EU gewonnen werden und langfristig, gemäß dem Bottom-up-Prinzip, als Mittler zwischen europäischen Interessen und der US-Administration agieren.

Gleichzeitig müssen in den kommenden Monaten in der EU-US HLWG substanziellere Empfehlungen entwickelt und Projekte identifiziert werden, um zu einer Roadmap für die Zeit nach den US-Wahlen zu gelangen. Dabei besteht die erste Herausforderung darin, sich auf ein gemeinsames Ziel für diese Roadmap zu einigen. Zurzeit scheiden sich hieran noch die Geister: Bevorzugen die Europäer ein umfassendes und ambitioniertes Handels- und Investitionsabkommen, sprechen sich die Amerikaner für einen pragmatischen Ansatz des Machbaren aus. Der U.S.-Handelsbeauftragten Ron Kirk warnte kürzlich vor einer "Alles oder Nichts“-Haltung und warb dafür, dass auch ein kleineres Abkommen durchaus vielversprechend sei. Bis November bleibt also noch viel zu tun.

Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.