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Geostrategie von rechts außen

Wie sich EU-Gegner und Rechtsaußenparteien außen- und sicherheitspolitisch positionieren

SWP-Aktuell 2024/A 08, 01.03.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A08

Forschungsgebiete

Rechtsaußenparteien gewinnen europaweit an Zustimmung. In immer mehr Staaten der Europäischen Union (EU) sind sie an natio­nalen Regierungen beteiligt, und für die Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) im Juni 2024 wird erwartet, dass sie weitere Zuwächse erreichen. Angesichts der zunehmenden Mitentscheidungs­rolle dieser Par­teien ist es für die außen- und sicherheitspolitisch herausgeforderte EU wich­tig, wie sie sich in diesem Politikfeld positionieren. Ein genauerer Blick zeigt, dass die geo­strategische Positionierung sehr unterschiedlich ausfällt und zur Frag­men­tierung des Rechts­außenspektrums beiträgt. Die Positionen reichen von trans­atlanti­scher Orien­tierung und deutlicher Unterstützung für die angegriffene Ukraine, wie sie die Euro­pä­ischen Konservativen und Reformer (EKR) vertreten, bis hin zu fundamentaler Op­position mit antiwest­licher Ausrichtung unter Teilen der rechts­populistisch bis rechts­extremen Par­teien der Fraktion Identität und Demokratie (ID). Bedeutend für die Hand­lungsfähigkeit und Kohärenz der EU-Außen- und ‑Sicher­heits­politik werden die natio­nalen Wahlen und Koalitionsentscheidungen sein.

Die Europawahlen im Juni werden unter dem Schatten zweier zentraler politischer Trends stattfinden:

Zum einen ist die EU außen- und sicherheitspolitisch herausgefordert wie kaum jemals zuvor in ihrer Geschichte. Gründe sind der anhaltende russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, in dem angesichts ab­nehmender US-ameri­kanischer Hilfe das Kräfteverhältnis zu Un­gunsten der Ukraine zu kippen droht; der Krieg in Gaza, der die Gefahr einer regionalen Eskalation birgt; militärische Konflikte wie etwa um Berg­karabach sowie Instabilität im West­lichen Balkan. Und über all dem liegen die zu­nehmende sino-amerikanische Rivalität und die potenzielle Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus.

Zum anderen erhalten die europäischen Rechtsaußenparteien stetig mehr Zulauf. Als rechts außen werden hier alle Parteien betrachtet, die sich rechts der christdemo­kratisch-konservativen Euro­päischen Volks­partei (EVP) positionieren. Schon bei den Europawahlen 2019 gewan­nen Parteien dieses Spektrums knapp 25 Prozent der Sitze im EU-Parlament. Dies hat die Mehr­heits­bildung in der laufenden Legislatur­periode erschwert – für Mehrheiten sind derzeit jeweils mindestens drei Fraktionen not­wen­dig. Laut aktueller Umfragen könnten Rechtsaußenparteien bei den Europa­wahlen 2024 sogar 30 Prozent der Sitze erreichen (Stand: Februar 2024).

Heterogener ist das Bild auf nationaler Ebene. Italien, drittgrößter EU-Staat, wird seit 2022 von einer Rechtsaußen-Mitte-rechts-Koalition aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia regiert, wohingegen die natio­nal­konservative Partei Recht und Gerechtig­keit (PiS) in Polen die Wahlen ver­loren hat. Nach dem Wahlsieg von Geert Wilders und seiner Partij voor de Vrijheid (PVV) in den Niederlanden besteht zudem erst­mals die Möglichkeit, dass ein Mitglied der rechtspopulistisch bis rechtsextremen Partei Identität und Demokratie die Regie­rung eines EU-Landes führt. In Finn­land sind ›Die Finnen‹ als kleiner Koali­tions­part­ner an der Regie­rung beteiligt, die Schweden­demokraten tolerieren die schwe­dische Minderheits­regierung. Nicht zuletzt sind der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und die Regierungspartei Fidesz spätestens seit ihrem Aus­tritt aus der EVP im März 2021 deutlich nach rechts außen gerückt. Alle diese Regierungen entscheiden im Rat und im Europäischen Rat über die EU-Außen- und ‑Sicherheits­politik mit und werden nach den Europawahlen je­weils Kan­didaten für die EU-Kommission nominieren.

Während die EU also vor großen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen steht, setzt sich intern der Prozess der partei­politischen Fragmentierung und der Abkehr von den Parteien fort, die lange die EU-Integration dominiert haben, das heißt von den Mitte-rechts- und Mitte-links-Par­teien. Umso wichtiger ist ein Blick darauf, wie sich Rechtsaußenparteien in außen- und sicherheitspolitischen Fragen positionieren.

Das Rechtsaußenspektrum bleibt europaweit gespalten

Betrachtet man das Spektrum von Parteien rechts der EVP in der EU und ihren Mit­glied­staaten, hat sich dieses in der ablaufenden EU-Legis­laturperiode nicht wesentlich verändert. Versuche der Einigung sind bisher an den unterschiedlichen Positionen gescheitert, auch und gerade zu Russland. So verteilen sich die europäischen Rechtsaußenparteien weiterhin auf drei Gruppierungen:

Die erste bilden die Europäischen Konser­vativen und Reformer (EKR), die mit zur­zeit 68 Abgeordneten die fünftgrößte Frak­tion im EP stellen. In dieser Fraktion / Partei ver­sam­meln sich vor allem nationalkonser­va­tive Parteien wie die polnische PiS, Giorgia Melonis Fratelli d’Italia und die spanische VOX. In den EU-Institutionen beteiligen sich Vertreter der EKR-Parteien in einigen Fällen an der Kompromissbildung, so zum Beispiel 2019 an der Wahl Ursula von der Leyens zur Kom­missions­präsidentin. Die EKR sind aber nicht Teil der europäischen »großen Koali­tion« aus EVP, Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (Renew). Die EKR-Parteien lehnen weitere Integrationsschritte ab und fordern in der Regel eine Rück­kehr zu mehr Kompetenzen für die National­staaten, aber keine Austrittsperspektive für ihre jeweili­gen Länder.

Die zweite Partei / Fraktion, Identität und Demokratie (ID), ist aktuell mit 59 Abge­ordne­ten im EP vertreten und damit sechst­größte Fraktion. In ihr haben sich rechtspopulistische bis rechtsextreme Par­teien zusammengefunden. Dominiert wird sie von drei großen nationalen Grup­pen: dem fran­zösischen Rassemblement Natio­nal (RN) von Marine Le Pen, der italie­ni­schen Lega und der Alternative für Deutsch­land (AfD). Wei­tere wichtige ID-Par­teien sind die nieder­län­dische PVV sowie die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ).

In den EU-Institutionen nehmen ID-Mit­gliedsparteien bislang weit­gehend eine Op­posi­tionsrolle ein. Keine nationale Regie­rung wird bisher von einer ID-Partei geführt, so dass die ID nicht direkt im Euro­päischen Rat vertreten ist. Im EP trägt sie nicht zur Kompromissfindung bei und ist nur selten an Mehrheiten beteiligt. Eine for­melle euro­päische »Brandmauer« hat zwar nie exis­tiert, aber auf Grund ihrer eindeutig extre­meren Haltung steht die ID im Parla­ment erheb­lich weiter rechts außen als die EKR. In vielen Fragen sind die ID-Mitglieds­parteien gespal­ten, so auch in ihrer Hal­tung zur EU: Wäh­rend etwa die Lega, der RN sowie zum Teil die PVV ihre Funda­mental­opposition zur EU abgeschwächt haben, um ihre Regie­rungsfähigkeit zu be­kunden, geben sich die AfD und teilweise die FPÖ offen für die Option eines Referendums über einen EU-Aus­tritt ihres jeweili­gen Landes.

Zuletzt gibt es noch unter den fraktionslosen Abgeordneten (Non-Inscrit/NI) im EP einige, deren Parteien rechts außen verortet werden; dies trifft aber nicht auf alle frak­tionslosen Mit­glie­der des EP zu. Die größte fraktionslose Partei, die dem Rechtsaußen­spektrum zuzurechnen ist, ist die un­gari­sche Fidesz, die während der aktu­ellen Legislaturperiode aus der EVP aus­getreten ist. Obwohl auf oberster Ebene Treffen statt­gefunden haben und Anfang 2024 aus den Reihen der EKR und der ID Einladungen aus­gesprochen wurden, ist Fidesz bisher keiner der beiden Fraktionen beige­treten. Das politische Spektrum rechts der EVP bleibt daher gespalten. Jedoch sind Frak­tions­wechsel einzelner Parteien vor und nach den Europawahlen nicht aus­geschlossen.

Die geostrategische Positionierung

Ein zentraler Streitpunkt zwischen den ver­schiedenen europäischen Rechtsaußen­parteien war und bleibt das Verhältnis zu Russ­land. Doch die Unterschiede gehen tiefer, betreffen auch weitere Themen und lassen sich nicht nur zwischen EKR, ID und NI-Parteien finden, sondern ebenso inner­halb der drei Gruppierungen.

Um besser zu verstehen, wie sich die Rechtsaußenparteien geostrategisch positio­nieren, wurde das Abstimmungsverhalten ihrer Abgeordneten im Europaparlament in der aktuellen Legislaturperiode analysiert. Außen- und sicherheitspolitische Beschlüsse des EP sind oft nicht bindend, geben den Parteien aber gerade deswegen die Möglich­keit, sich durch namentliche Ab­stimmung der Abgeordneten zu positionieren. Insge­samt wurden für diese Publikation 74 Ab­stimmungen zwischen Juli 2019 und Dezem­ber 2023 untersucht. In keiner davon waren EKR- oder ID-Par­teien zwingend notwendige Mehr­heits­beschaffer, die Abstimmungen wären ohne sie also nicht gescheitert.

In diesen Abstim­mungen ging es um folgende fünf außen- und sicherheitspolitische Dimen­sionen: das Verhältnis der EU zu Russ­land, zu China und zu den USA bzw. zur Nato, die sicherheits- und vertei­di­gungs­politische Zusammen­arbeit der EU sowie die Erweiterung der EU um die Ukra­ine und Moldau, potenziell auch um Geor­gien und die Staaten des Westbalkans. Die Grafik auf Seite 4 zeigt, wie stark die prozentuale Zu­stimmung bei Abstimmungen im EP zu diesen Schlüsseldimensionen war, und zwar von Seiten der EKR, der ID sowie der Fidesz als größter fraktionsloser Partei.

Die nationalkonservativen EKR

Die nationalkonservativen Europäischen Konservativen und Reformer nehmen über den Erhebungszeitraum hin­weg in der Außen- und Sicherheitspolitik eine größ­ten­teils konstruktive und anschlussfähige Rolle ein. In vier der fünf betrach­teten außen- und sicherheits­poli­ti­schen Dimensionen stimmte die Fraktion der EKR in der überwiegenden Zahl der Fälle mit der Parla­mentsmehrheit und unterstützte mehr­heit­lich geschlossen die vorgebrachten Resolu­tio­nen und Beschlüsse.

Blickt man auf das Verhältnis zu Russland, so wird schnell deutlich, dass die EKR-Parteien die rechtsstaatliche und humanitäre Lage in der Russischen Föde­ration ebenso wie den Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Folgen überwiegend geschlossen ver­urteilen. Dies entspricht der Position der Mehrheit im Europaparlament. Die dezi­diert russlandkritische Einstellung der EKR-Fraktion insgesamt wird etwa dadurch il­lust­riert, dass sie im Januar 2024 mit EVP, S&D, Renew und Grü­nen eine gemeinsame Er­klä­rung zur weiteren militärischen Unter­stüt­zung der Ukraine unterzeichnet hat. Ledig­lich bei Resolutionen, welche die Dimen­sionen Flucht und Vertreibung oder den besonderen Schutz von Frauen und Mäd­chen im Zusammenhang mit dem An­griffs­krieg thematisierten, haben sich große Teile der EKR-Fraktion enthalten.

Wird nach Parteien differenziert, stellt man fest, dass sich insbesondere die beiden großen deutlich russlandkritisch positionieren, die polnische PiS und die Fratelli d’Italia. Auch die EP-Abgeordneten der belgischen Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) stimmten tendenziell bei russlandbezogenen Abstim­mungen zu. Für die Schwedendemokraten, die spanische VOX und die niederländische JA21 ergibt sich ein weniger eindeutiges Bild, da sie sich entgegen der Fraktionslinie in Abstimmungen zu Russland häufiger enthielten.

Was die Beziehungen zur Volksrepublik China angeht, hat sich das EP im untersuchten Zeitraum vor allem mit der menschenrechtlichen Lage in Hongkong und der China-Strategie der EU befasst sowie chine­si­sche Sanktionen gegen EP-Ab­geordnete und EU-Einrichtungen verurteilt. Hier konn­ten in der EKR-Fraktion über die gesamte Zeit­ lediglich eine ein­zige Gegenstimme und nur sehr wenige Enthal­tungen gezählt wer­den. PiS, VOX, Schweden­demokraten und Fratelli d’Italia nehmen als größte Parteienblöcke eine distanzierte Position zu Peking ein und stimmten stets mit der Parlamentsmehrheit.

Grafik

Grafik: Zustimmung von Rechtsaußenparteien im Europäischen Parlament bei Abstimmungen zu Schlüsseldimensionen der EU-Außen- und -Sicherheitspolitik

Die hieraus abzulesende grundsätzlich kritische Einstellung gegenüber der Volks­republik schlägt sich auch in diversen Presse­statements der EKR-Fraktion nieder. Darin wird sogar betont, dass die Positionen der EKR und der Mehrheit der im EP vertretenen Parteien bezüglich China nahe beiein­ander­liegen, zudem wird die Charakterisierung Chinas als »systemischer Rivale« über­nom­men. Dazu passt ferner die Entscheidung Melonis, dass Italien aus der chinesischen Ini­tia­tive »Neue Seiden­straße« ausgetreten ist.

Ähnlich klar ist das Abstimmungsverhalten der EKR hinsichtlich der trans­atlanti­schen Beziehungen. Die überwiegende Mehr­heit der EKR-Parlamen­tarier schloss sich der Mehrheitsmeinung des EP an, Ent­haltungen und Gegenstimmen waren nur wenige zu verzeichnen. Im Einklang mit ihrer traditio­nell starken transatlantischen Bindung und ihrer wie­derholt formulierten Nähe zur Nato ist die Zustimmung der PiS und der Fratelli d’Italia offenkundig und ohne Ab­weich­ler. Veröffentlichungen der EKR-Frak­tion unter­streichen zusätzlich, welche Be­deu­tung die transatlantische Part­ner­schaft für sie hat.

Bei jeglichen Fragen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zeigt sich, dass die EKR-Fraktion eine weitere Vertiefung der EU ab­lehnt. Beim überwiegenden Teil der betrach­teten Abstimmungen hat sie mehrheitlich nicht für die eingebrachten Vorhaben ge­stimmt. Bei solchen, die die jährlichen Um­set­zungsberichte zur GASP / GSVP oder den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) be­trafen, hat sie sich meist enthalten. Schwe­dendemokraten, VOX und JA21 votier­ten sogar zu einem großen Teil gegen die Reso­lu­tionen und Vorhaben.

Inter­essant ist in diesem Kontext jedoch, dass die EKR-Frak­tion bei bestimmten Ab­stim­mun­gen weitestgehend geschlossen dafür votierte, nämlich wenn es sich um kon­krete außen- und sicherheitspolitische Instrumente wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) handelte, um die Verordnung zur Förderung der Munitionsproduktion (ASAP) oder um Strategiedokumente wie den Strategischen Kompass.

Auch bei Fragen der EU-Erweiterung stimmten die EKR mit großer Mehr­heit für die eingebrachten Fortschritts­berichte, die Erweiterungsstrategien der Kommission sowie die Assoziierungsabkom­men mit der Republik Moldau und der Ukraine. Aus­nahmen bildeten die Schweden­demokraten, die niederländische JA21 und gelegentlich VOX, die sich entweder ent­hielten oder mit Nein votierten. Lediglich wenn es um den Bei­tritt der Türkei und Bos­nien und Herze­gowinas ging, konnte inner­halb der EKR-Fraktion eine ein­deutige und über die Zeit stabile Ten­denz zur Ent­haltung beobachtet wer­den; dies gilt ebenfalls für die sonst mit dem Mainstream stimmenden Parteien PiS und Fratelli d’Italia.

Identität und Demokratie

In starkem Kontrast dazu steht die Fraktion Identität und Demokratie. In keiner der untersuchten Dimensionen stimmte die ID-Fraktion eindeutig und konsistent mit der Parlamentsmehrheit. Vielmehr zeigt sich die ID auch in der Außen- und Sicherheitspolitik als Zweckbündnis, das oft gespalten ist und anders als die EKR so gut wie keine gemeinsamen Stellungnahmen abgibt.

Auf der einen Seite steht die italienische Lega, die die außenpolitischen Leitlinien der mehrheitstragenden Fraktionen im Europaparlament meist unterstützt, auf der anderen Seite die AfD und der französische Rassemblement National als Parteien der Fundamental­opposition.

Die Frage der Beziehungen der EU zu Russland spiegelt diese Spaltung gut wider: Abgeordnete der Lega und der finnischen Perussuomalaiset (›Die Finnen‹) trugen die zu diesem Thema im EU-Parlament einge­brach­ten Vorhaben zum Großteil geschlossen mit. Letztere verließen im Frühjahr 2023 jedoch die ID-Fraktion und wechselten zu den EKR, nachdem Differenzen inner­halb der ID zum Umgang mit Russ­land und dessen Angriffskrieg immer offen­sichtlicher wurden. Die russlandkritische Position der Lega ist vor allem Aus­druck des Prag­ma­tis­mus der Partei, die sich als Regie­rungspartei in Italien nun der Mehr­heits­meinung an­schließt, obwohl sie und ihr Parteivorsitzen­der Matteo Salvini in den 2010er Jahren noch eine besondere Nähe zu Russland und Wladimir Putin suchten.

RN und AfD hingegen enthielten sich in Bezug auf Russland-Reso­lutionen häufig oder stimmten geschlossen gegen die Parla­mentsmehrheit. Allerdings lässt sich hierbei keine eindeutige Tendenz der koordinierten Stimmabgabe zwischen beiden Parteien fest­stellen. Oft genug kam es zur Enthal­tung des RN und zur Ablehnung durch die AfD oder umgekehrt. Dieses beobachtbare Abstimmungsverhalten reiht sich ein in ein zumindest ungeklärtes Nähe­verhältnis der beiden Parteien zu Putins Russland.

Etwas anders gelagert ist das Abstimmungsverhalten der ID-Fraktion mit Blick auf die europäisch-chinesischen Bezie­hungen. Hier kann man zumindest beim Thema Verurteilung der menschenrecht­lichen Lage in Hongkong Tendenzen erken­nen: zur Zu­stimmung auf Seiten der Lega und der belgischen Vlaams Belang, zur Ent­haltung auf Seiten von RN und AfD. Was die grundsätzliche Positionierung gegenüber China und die Unterstützung der China-Strategie der EU an­betrifft, wan­delt sich die Enthaltung von RN und AfD in strikte Ablehnung.

RN und AfD kommen bezüglich China also zu keiner klaren zustimmenden Hal­tung. Dagegen kritisiert der Präsident der ID-Fraktion, der der Lega angehört, in Fraktionsstatements die menschenrecht­liche Lage in Festland-China und Hongkong sowie den Einfluss der Volks­republik auf kritische Infrastruktur in der EU was als weite­rer Beleg für die Spaltung der Fraktion inter­pretiert werden kann.

Die transatlantischen Beziehungen stel­len gleichfalls ein kontroverses Thema inner­halb der ID-Fraktion dar. Hier stimm­ten die Ab­geordneten der Lega über den Unter­suchungs­zeitraum hinweg geschlossen für die eingebrachten Resolutionen und Stra­tegie­dokumente. Die Abgeordneten von Vlaams Belang, der tschechischen Svoboda a přímá demokracie und des RN votierten so­wohl bei Abstimmungen über die Bezie­hungen der EU zu den USA als auch bei denen über die Beziehungen zur Nato sämt­lich mit Nein.

Konkrete außen- und sicherheitspolitische Instrumente der GASP und GSVP stie­ßen bei den Abgeordneten der ID-Fraktion auf ebenso wenig Begeisterung. Hier kam es mehr­heitlich zur Ableh­nung, allen voran durch die Parlamentarier von RN und AfD. Die­jenigen der Lega schwankten zwischen Ent­haltung, etwa bei Abstimmungen zu PESCO oder zu der im Strategischen Kom­pass vor­gestellten schnellen Eingreiftruppe, und Zustimmung, beispielsweise bei ASAP.

Auch die jährlichen Umsetzungsberichte zur GASP und GSVP wurden mehrheitlich abgelehnt und lediglich von der Lega unter­stützt. In allen Abstimmungen, die die Akti­vi­täten des EAD zum Thema hatten, so wie die Budget­planung oder klimaaußenpolitische Erwägungen, stimmten die Abgeordneten der ID mehrheitlich mit Nein, selbst in den meis­ten Fällen diejenigen der Lega (ähnlich wie diejenigen der EKR).

In der fünften untersuchten Dimension, der Erweiterung, votierte die ID-Fraktion ebenfalls bei keiner der Abstimmungen mehrheitlich für die eingebrachten Fort­schrittsberichte oder die Strategie­papiere zur Erweiterungspolitik der EU. Auch hier lässt sich konstatieren, dass die Abgeord­neten der Lega zwischen Enthaltung und Zustim­mung wechselten. Wenn Teile der ID-Frak­tion erwei­terungsbezoge­ne Vorhaben mit einem Ja unterstützten, dann waren dies ausschließlich Abgeordnete der Lega. Die bereits beschriebene De-facto-Allianz zwi­schen RN und AfD ist in dieser Frage stark ausgeprägt; beide Blöcke stimm­ten über­wiegend gegen erwei­terungs­bezogene Be­richte und Vorhaben  und FPÖ, Vlaams Belang und Svo­boda folgten diesem Vorbild.

Fraktionslose Rechtsaußenparteien

Die Betrachtung der Rechtsaußen- und / oder populistischen Parteien ohne Fraktions­zuge­hörigkeit im Europaparlament ist des­halb notwendig, weil zwei dieser Parteien, die italienische Fünf-Sterne-Bewe­gung und die ungarische Fidesz, an Regie­rungen in Mitgliedstaaten beteiligt waren bzw. sind. Die Fidesz-Partei von Viktor Orbán ist im März 2021 nach lan­gem poli­tischem Streit aus der EVP-Fraktion ausge­treten; daher wird sie in dieser Analyse auch erst ab die­sem Zeitpunkt berücksichtigt.

Die Fünf-Sterne-Bewegung entzieht sich dem klassischen Rechts- / Links-Spektrum. Sie war in der letzten EU-Legislaturperiode (2014–2019) Teil der rechtspopulistischen Fraktion Europa der Freiheit und der direk­ten Demo­kratie (EFDD), die sich 2019 aller­dings nicht mehr als eigene Fraktion konsti­tuieren konnte. Die Fünf-Sterne-Bewe­gung wird heute eher als (links-)po­pulistisch und euroskeptisch ein­gestuft. Mit Blick auf die Außen- und Sicher­heitspolitik lässt sich fest­halten, dass sie beim überwiegenden Teil der Abstimmungen und über alle be­trach­teten außen­politischen Dimensionen hinweg mehrheitlich mit der Parlamentsmehrheit votierte. Sie reiht sich somit ein in das konstruktive Ab­stimmungsverhalten von Fratelli d’Italia und Lega.

Das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten von Fidesz hängt jedoch deut­licher von der jeweiligen außenpolitischen Dimension ab und bewegt sich zwischen Ablehnung, Enthaltung und Zustimmung.

In der Frage der Beziehungen der EU zu Russland zeigt sich die ambivalente Hal­tung Ungarns zum russischen Angriffskrieg. Die Fidesz trägt einen nicht unwesentlichen Anteil der Abstimmungen hinsichtlich Russ­land mit. So votierten ihre EP-Abgeordne­ten im März 2022 geschlossen für die erste Resolu­tion zur Verurteilung des Angriffskrieges. Auch die Kritik an der Inhaf­tie­rung des nunmehr verstorbenen Alexei Nawalny und am Zusam­men­ziehen rus­si­scher Streit­kräfte an der ukra­inischen Grenze im Jahr 2021 unterstützten sie. Auf­fällig ist jedoch, dass Fidesz ihre Unterstützung versagt, so­bald eine gewisse Hürde der Ver­urteilung rus­sischen Regie­rungshan­delns überschritten wird: zum Beispiel als Russ­land als staat­­licher Unterstützer von Terro­ris­mus ein­gestuft oder als über einen Sonder­gerichts­hof für das Ver­brechen der Aggres­sion gegen die Ukraine abgestimmt wurde.

Eine deutliche und konsistente Ablehnung der EU-Russlandpolitik lässt sich bei den beiden slowakischen rechtsextremen Kleinst­parteien Slovak Patriot und Hnutie Republika sowie der französischen Recon­quête beobachten. Alle drei haben aller­dings nur jeweils einen Sitz im EP; die Recon­quête ist im Februar 2024 den EKR beigetreten und würde dort außen- und sicherheitspolitisch im Widerspruch zur bisherigen Fraktionslinie stehen. Dieses grundsätzlich ablehnende Abstimmungsverhalten betrifft alle fünf unter­suchten Dimensionen.

Die europäisch-chinesischen Beziehungen stellen mit Blick auf die Fidesz einen Sonderfall dar. Hier konnte für den Unter­suchungszeitraum bzw. die Zeit nach Aus­tritt der Fidesz aus der EVP festgestellt werden, dass ihre Abgeordneten Resolutionen zur menschenrechtlichen Lage in Hongkong einmütig ablehnten. Das gilt auch für solche, die die Sanktionsbelegung von EU-Einrichtungen und EP-Abgeord­ne­ten durch China zum Inhalt hatten. Ande­ren chinabezogenen Abstimmungen blie­ben die Fidesz-Abgeordneten geschlossen fern. Dies ist durchaus damit zu erklären, dass die Regierung in Budapest in jüngster Zeit ver­stärkt die Nähe zur Volksrepublik sucht, und steht im Gegensatz nicht nur zur Haltung der EKR, sondern auch zu der der ID-Fraktion.

Ein weniger eindeutiges Bild lässt sich bezüglich der transatlantischen Bezie­hun­gen zeichnen. Die Fidesz steht der Ko­ope­ra­tion mit der Nato prinzipiell positiv gegen­über, enthielt sich allerdings bei Abstimmungen, die die Beziehungen der EU zu den USA betrafen. Dies reflek­tiert unter anderem das in letzter Zeit küh­lere Verhält­nis zwischen Orbán und der aktuellen US-Regierung, bedingt durch die Debatte um die Rechts­staatlichkeit und auf Grund der Frage des Nato-Beitritts Schwedens.

Ein ebenso volatiles Abstimmungsverhalten der Fidesz lässt sich beim Thema GASP und GSVP erkennen. Die hierzu jährlich vorgelegten Berichte werden grundsätzlich geschlossen abgelehnt. In­stru­menten wie ASAP oder dem Strategischen Kompass stimmten die Fidesz-Abgeordne­ten zu, wohin­gegen solche wie die schnelle Ein­greif­truppe bzw. EU-Battlegroups auf Neut­ralität stoßen und eine eindeutige Positionierung bei Abstimmungen zum EAD nicht erfolgte. Dies entspricht der Politik Ungarns unter Viktor Orbán, der zwar eigene Waf­fen­liefe­rungen an die Ukraine ablehnt, aber Initia­ti­ven zur Stär­kung europäischer mili­täri­scher Fähig­keiten in der Regel unterstützt hat.

In Fragen der Erweiterungspolitik zeigt sich ein interessantes Muster. Die Ab­ge­ordneten der Fidesz votierten in einzelnen Abstimmungen sämtlich gegen die einge­brachten Jahresberichte oder Strategie­doku­mente, etwa bei den Fortschritts­berichten zu Serbien. Letzteres liegt allerdings nicht daran, dass sie die Beitrittsperspektive Ser­biens ablehnen, sondern daran, dass sie die Fortschrittsberichte als zu kritisch ansehen, insbesondere in puncto Rechts­staatlichkeit. Auch die im November 2022 im EP be­spro­chene neue EU-Strategie zur Erweiterungspolitik fand keine Zustimmung. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Fidesz, trotz der Blockadepolitik Orbáns, bei der Reso­lution zum Kandidatenstatus der Ukraine noch im Sommer 2022 geschlossen dafür gestimmt hat.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Analyse der außen- und sicherheitspolitischen Positionierung von Rechtsaußen­parteien im Europäischen Parlament unter­streicht die Notwendigkeit zu differenzieren, denn auch und gerade in außen- und sicher­heitspolitischen Fragen bleibt das Rechtsaußenspektrum tief gespalten: Auf der einen Seite stehen die national­konser­vativen Parteien der EKR. Sie sind in diesem Bereich weitgehend einmütig aufgetreten und haben sich bei den Themen Beziehungen zu Russland, zu China, zu den USA sowie der EU-Erweiterung dem euro­pä­ischen Mainstream angeschlossen. Nennens­werte Ausnahmen bildeten Frauenrechtsfragen und die Unterstützung der EU-Integ­ration in der Sicherheits- und Verteidigungs­politik. Doch auch hier hat die Mehrheit der EKR-Parteien konkreten Initiativen (wie zum Beispiel PESCO oder ASAP) zugestimmt.

Auf der anderen Seite stehen die rechtspopulistisch bis rechtsextremen Par­teien der ID-Fraktion, die in der Außen- und Sicherheitspolitik auch innerhalb der Frak­tion gespalten sind. In der Mehrheit neh­men sie eine oppo­sitionelle, zum Teil sogar explizit antiwestliche Hal­tung ein, so hin­sichtlich des Umgangs mit Russland oder China. Bedeutende Aus­nahme ist die in Ita­lien an der Regie­rung betei­ligte Lega. Da­gegen lehnen insbesondere der fran­zösische RN, die AfD, die FPÖ und die niederländische PVV den Großteil der außen- und sicher­heitspolitischen Grund­linien der EU ab.

Auf Basis dieser Unterschiede sind auch die Wahlprognosen für das kommende Europäische Parlament differenziert zu betrachten. Diese erwarten aktuell (Stand: Februar 2024) nicht nur insgesamt deut­liche Zuwächse für Rechtsaußenparteien, son­dern ebenfalls, dass sowohl die ID als auch die EKR weitere Sitze gewinnen und eine der beiden Fraktionen zur drittstärksten im EP aufsteigen könnte. Mit ihrer antiwest­lichen Grundhaltung würde die ID unter anderem in der Außen- und Sicherheits­politik die EU-Grundsatzpositionen wesent­lich stärker in Frage stellen als die EKR. Da gleich­zeitig eine wachsende Fragmentierung erwartet wird, werden die Parteien links und rechts der Mitte klären müssen, unter welchen Umständen sie auch und gerade in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zur Zusam­menarbeit mit der EKR-Fraktion bereit wären, die in Zukunft poten­ziell sogar als Mehr­heitsbeschaffer fun­gie­ren könnte.

Für das Kräfteverhältnis zwischen EKR und ID dürfte darüber hinaus wichtig sein, ob und, wenn ja, welcher der beiden Frak­tionen sich die un­garische Fidesz unter Viktor Orbán an­schließt. Medienberichten zufolge strebt Fidesz nach den Europawahlen eher eine Mitglied­schaft bei den EKR an, würde aber deren russ­landkritische und prowest­liche Positionierung schwächen. Zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik ist die Fidesz näher an der ID-Frak­tion, in der China-Politik allerdings noch weiter entfernt von den anderen Parteien im EP als EKR oder ID.

Die größte Herausforderung für die Ein­heit­lichkeit und Handlungsfähigkeit der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik resul­tiert indes aus den Entwicklungen auf natio­naler Ebene. Das hier analysierte Ab­stim­mungsverhalten im EP ist ein Indikator für Positionierungen; die eigentlichen Ent­schei­dungen zu den untersuchten Themen wer­den aber nicht im Europaparlament, son­dern von den nationalen Regierungen im Rat getroffen. Hier ist das Disruptionspoten­zial angesichts nationaler Vetos – siehe Viktor Orbán – erheblich größer. Denn mitt­lerweile ist eine Reihe von Rechts­außen­parteien an Regierungen in EU-Staaten be­tei­ligt, bisher allerdings, mit Aus­nahme der Lega, nur solche aus dem EKR-Spektrum.

2024 könnten jedoch nach dem Wahlsieg von Geert Wilders in den Niederlanden sowie dem aktuellen Vorsprung der FPÖ in Öster­reich (Wahlen im Herbst 2024) erst­mals ID-geführte Regierungen hinzukommen. Aus dieser Perspektive ist es umso wichtiger, auf Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik hinzu­arbeiten (siehe SWP-Aktuell 60/2022). Initia­tiven zur Stärkung der EU-Handlungs­fähig­keit sollten möglichst rasch, und nicht erst nach einem möglichen Wahlsieg Donald Trumps, auf den Weg gebracht werden.

Max Becker ist Forschungsassistent, Dr. Nicolai von Ondarza Leiter der Forschungsgruppe EU / Europa.
Wir möchten uns ausdrücklich bei Paul Bochtler für die ausgezeichnete Unterstützung bei der Datenanalyse bedanken.

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