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EU-Gipfel: Konsensformeln verdecken Richtungsstreit in der Energie- und Klimapolitik

Die Differenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten in der Energie- und Klimapolitik sind seit Jahren gleichbleibend groß, doch die Klärung offener Konflikte wird vermieden. So gelingt es nicht, Kompromisse auszuhandeln. Deshalb sind die Bremser strategisch im Vorteil.

Kurz gesagt, 21.03.2014 Forschungsgebiete

Die Differenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten in der Energie- und Klimapolitik sind seit Jahren gleichbleibend groß, doch die Klärung offener Konflikte wird vermieden. So gelingt es nicht, Kompromisse auszuhandeln. Deshalb sind die Bremser strategisch im Vorteil, meinen Oliver Geden und Severin Fischer.

Der Frühjahrsgipfel der 28 europäischen Staats- und Regierungschefs verlief wegen der Ukraine ganz anders als ursprünglich geplant. Nur die Energie- und Klimapolitik konnte sich noch als Themenschwerpunkt behaupten, auch wegen der offensichtlichen Verknüpfung mit der aktuellen Krise. Zwar hat die Furcht vor einer zu großen Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen grundsätzliche Gemeinsamkeiten in der europäischen Energiepolitik wieder stärker hervortreten lassen. Doch weitreichende Beschlüsse hatte dies nicht zur Folge.

Bei der Frage, die ursprünglich im Mittelpunkt des EU-Frühjahrsgipfels hatte stehen sollen – die EU-Energie- und Klimaziele für das Jahr 2030 –, unterscheiden sich die Präferenzen der Mitgliedstaaten immer noch sehr deutlich. Nord- und Westeuropäer verfolgen nach wie vor eine anspruchsvolle Nachhaltigkeitsagenda, während die mittelosteuropäischen EU-Mitglieder von Klimaschutz und Erneuerbaren-Ausbau nicht mehr viel wissen wollen. Das Problem ist aber nicht etwa, dass dies permanent zu offenen Konflikten zwischen den Staats- und Regierungschefs führen würde, sondern vielmehr, dass diese seit Jahren vermieden werden. Statt pragmatisch tragfähige Kompromisse auszuhandeln, schieben die Mitgliedstaaten wichtige Entscheidungen auf und flüchten sich tunlichst in Konsensformeln – so auch bei diesem Gipfel.

Über die Formulierung ist man sich einig – nicht aber über ihre Auslegung

Dies wird vor allem dort deutlich, wo die EU den Zeitplan nicht alleine bestimmen kann: bei den VN-Klimaverhandlungen. Die Hoffnung, die EU werde vor dem für September 2014 anberaumten Gipfel des VN-Generalsekretärs über ihr Klimaziel für 2030 entscheiden, um ihre angestammte Vorreiterrolle zu wahren, hat sich inzwischen verflüchtigt. Um in New York vor der Weltöffentlichkeit nicht mit komplett leeren Händen dazustehen, hat sich der Europäische Rat nun auf die Formulierung verständigt, das neue EU-Klimaziel für 2030 werde »mit dem vereinbarten EU-Ziel für 2050 in Einklang stehen«. Doch was genau das »vereinbarte EU-Ziel« eigentlich ist und was daraus für das EU-Klimaziel 2030 folgen könnte, wird in beiden Lagern völlig unterschiedlich interpretiert – ohne dass dies offen ausgesprochen wird.

Im Norden und Westen Europas wird das 2050-Ziel in der Regel schlicht als Emissionsminderungsvorgabe von 80 bis 95 Prozent (im Vergleich zu 1990) interpretiert. Da dieser Korridor dem 4. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC von 2007 entnommen wurde, bilden die »80 bis 95« in vielen Mitgliedstaaten einen zentralen und unhinterfragten Eckpunkt der nationalen Energiekonzepte, so auch in Deutschland. In Mittelosteuropa hingegen wird auf den exakten Wortlaut der Zielformel verwiesen, wie sie – vor allem auf Betreiben Polens – beim Europäischen Rat erstmals 2009 beschlossen wurde. Darin heißt es, man unterstütze als Ziel der EU, »im Rahmen der laut Weltklimarat (IPCC) erforderlichen Reduzierungen seitens der Gruppe der Industrieländer die Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu verringern«.

Auf den ersten Blick mag es tatsächlich so scheinen, als bestehe ein Konsens darüber, dass der Europäische Rat nichts anderes als ein wissenschaftsbasiertes EU-Ziel von 80 bis 95 Prozent bis 2050 beschlossen hat. Tatsächlich aber enthält die Formel aus Sicht der Mittelosteuropäer eine entscheidende Sollbruchstelle: den expliziten Bezug auf Emissionsminderungen »im Rahmen der […] Gruppe der Industrieländer«. In dieser Lesart ist nicht die Reduktion der europäischen Emissionen um 80 bis 95 Prozent das eigentliche Ziel der EU, sondern dass sich alle Industrieländer weltweit – also etwa auch die USA, Kanada, Australien und Japan – auf dieses Anspruchsniveau verpflichten. Agiert die »Gruppe der Industrieländer« nicht gemeinsam als Gruppe, dann wäre dementsprechend auch die EU politisch nicht gebunden. Dass sich aber alle Industrieländer beim mutmaßlich entscheidenden Weltklimagipfel in Paris Ende 2015 auf gleichermaßen ehrgeizige Verpflichtungen einlassen werden, kann schon jetzt ausgeschlossen werden.

Keine gemeinsame Marschrichtung trotz Ukraine-Krise

Was also folgt aus der jüngsten Ankündigung des Europäischen Rats, das neue EU-Klimaziel für 2030 werde mit dem vereinbarten EU-Ziel für 2050 in Einklang stehen? Aus Sicht der Nord- und Westeuropäer eine Reduktion um 40 Prozent, aus Sicht der Mittelosteuropäer ein Abwarten, ob weltweit überhaupt alle Industrieländer beim ehrgeizigen Klimaschutz mitmachen.

Der entscheidende politische Konflikt innerhalb der EU besteht also in der Frage, in welchem Maße die eigenen Emissionsminderungen zukünftig von Fortschritten bei den internationalen Klimaverhandlungen abhängig sein sollen. Dieser Konflikt schwelt schon seit dem gescheiterten Weltklimagipfel von Kopenhagen 2009, ernsthaft ausgetragen wird er nicht. Beide Seiten beharren auf ihrer Sicht der Dinge. Doch weil die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat stets einstimmig entscheiden, haben die Bremser letztlich die besseren Karten in der Hand.

Wer geglaubt hatte, dass sich das Thema Versorgungssicherheit im Zuge der Ukraine-Krise zum verbindenden Kern europäischer Energiepolitik entwickeln könnte, musste sich beim Blick auf die Detailvorschläge eines Besseren belehren lassen. Beinahe jeder Mitgliedstaat sieht sich durch die Krise in seinen Ansichten bestätigt. Während die einen auf eine Verringerung des Energieverbauchs und den Ausbau der Erneuerbaren setzen, wollen die anderen Russland durch andere Öl- und Gaslieferanten ersetzen und die Förderung fossiler Brennstoffe im eigenen Land ausbauen. Insofern ist die EU der Entwicklung einer gemeinsamen Energie- und Klimapolitik auch mit diesem Gipfel keinen Schritt näher gekommen. Eine vertane Chance.

Der Text ist auch bei EurActiv.de und Handelsblatt.com erschienen.