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EU-Asylpolitik: Faire kollektive Aufnahmeverfahren schaffen

Die Asylsysteme vieler EU-Staaten müssen entlastet werden, gleichzeitig muss das Sterben im Mittelmeer verhindert werden. Steffen Angenendt (SWP) und Jan Schneider (SVR-Forschungsbereich) schlagen hierzu die Einführung quotenbasierter kollektiver Aufnahmeverfahren vor.

Kurz gesagt, 12.05.2015 Forschungsgebiete

Die Asylsysteme vieler EU-Staaten müssen entlastet werden, gleichzeitig muss das Sterben im Mittelmeer verhindert werden. Steffen Angenendt (SWP) und Jan Schneider (SVR-Forschungsbereich) schlagen hierzu die Einführung quotenbasierter kollektiver Aufnahmeverfahren vor.

Um die Asylsysteme der EU-Staaten zu entlasten, könnten Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, Eritrea und Somalia, die in Asylverfahren häufig anerkannt werden, im Rahmen europäischer Kontingente direkt aus dem Ausland aufgenommen werden. Das würde ihnen die lebensgefährlichen irregulären Zuwanderungen ersparen. Zudem würde ein solcher Schritt zur Verringerung der humanitären Probleme in den Nachbarstaaten der Krisenländer wie Libanon, Türkei und Jordanien beitragen. Diese tragen derzeit die größte Last der Flüchtlingsaufnahme, sind aber von Überlastung und Destabilisierung bedroht.

Bei kollektiven Aufnahmeverfahren müssen zwei Grundsätze beachtet werden: Erstens dürfen sie nicht zum Ersatz für das individuelle Recht auf Asyl werden, sondern lediglich Entlastungsmechanismus für offensichtliche Fälle sein. Zum anderen muss sichergestellt werden, dass es sich tatsächlich um eine solidarische europäische Antwort auf das Flüchtlingselend handelt. Ein faires System der Verantwortungsteilung könnte sicherstellen, dass sich alle EU-Staaten an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen.

Kollektive Aufnahme durch Resettlement und temporäre Schutzprogramme

Der europäischen Politik stehen zwei Instrumente zu Verfügung, die bisher nur wenig oder gar nicht genutzt werden: Resettlement-Programme und Programme zur temporären Aufnahme von Flüchtlingen.

Über sogenannte Resettlement-Programme kann Menschen Schutz geboten werden, die aus Kriegs- oder Verfolgungssituationen in Nachbarländer geflohen sind und deren Schutzbedarf bereits nachgewiesen ist. Der betreffende Aufnahmestaat kann einer bestimmten Zahl von Flüchtlingen die dauerhafte Niederlassung ermöglichen. Im vergangenen Jahr haben zwar fünfzehn EU-Mitgliedstaaten Resettlement-Kontingente angeboten, diese waren aber oft nur sehr klein.

Programme zur temporären Aufnahme von Flüchtlingen sollen in akuten humanitären Krisen mit einer hohen Zahl Vertriebener pragmatisch, schnell und unbürokratisch Schutz bieten. Im Gegensatz zum Resettlement geht es hier um eine vorübergehende Aufnahme mit Rückkehr ins Herkunftsland nach Ende des Konflikts. Die EU verfügt mit der so genannten Massenzustromrichtlinie (2001/55/EG) bereits seit fast fünfzehn Jahren über eine Rechtsgrundlage zur temporären Aufnahme. Obwohl die Krise in Syrien einen Fall für die Richtlinie darstellen könnte, hat der Rat sie bislang nicht angewendet.

Unfaire Verteilung der Flüchtlinge hemmt gemeinschaftliche Lösungen

Ein Grund für die bisherige Zurückhaltung der EU-Staaten, kollektive Aufnahmeverfahren anzuwenden, sind die schlechten Erfahrungen mit dem Dublin-System, durch das vor allem die Länder an den südlichen und östlichen EU-Außengrenzen für die Aufnahme der Asylsuchenden zuständig sind. Diese kommen jedoch teilweise ihren Verpflichtungen nicht nach, gleichzeitig nehmen einige west- und nordeuropäische Staaten weit überdurchschnittlich Flüchtlinge auf. In den stark betroffenen Ländern wächst der Unmut über jene EU-Mitglieder, die sich ihrer Verantwortung für den Flüchtlingsschutz entziehen. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft, nach gemeinschaftlichen Wegen zur Bewältigung der Flüchtlingszuwanderung zu suchen. Dieser Widerwille kann nur überwunden werden, wenn es gelingt, die bestehenden Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Flüchtlingen zu beseitigen.

Ein fairer Verteilungsschlüssel für die Kontingentaufnahme

Voraussetzung für ein faires Verteilungsverfahren wäre die Einigung auf einen Verteilungsschlüssel, der die Bedingungen in den Mitgliedstaaten berücksichtigt. Die Stiftung Wissenschaft und Politik sowie der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration haben bereits 2013 ein Mehrfaktorenmodell zur Bestimmung fairer Quoten für die Flüchtlingsaufnahme vorgelegt. Es berücksichtigt die Wirtschaftskraft, die Bevölkerungsgröße, die Landesfläche und die Arbeitslosigkeit der jeweiligen EU-Staaten. Dieses Verfahren könnte auch bei Resettlement-Programmen und bei Programmen zur temporären Aufnahme angewendet werden.

Am Beispiel eines kleinen fiktiven Gesamtvolumens von 10.000 Menschen können die Verteilungswirkungen gut beobachtet werden: Die meisten EU-Staaten müssten weniger als 300 Flüchtlinge aufnehmen, ein Drittel sogar weniger als 100. Neben Deutschland würden nur auf drei der größten EU-Länder jeweils knapp über 1.000 Personen entfallen. Gerade die bei der bisherigen Flüchtlingsaufnahme zurückhaltenden Mitgliedstaaten könnten durch ein solches Verfahren dem Vorwurf der Tatenlosigkeit begegnen und zeigen, dass sie ihre humanitäre Verantwortung ernst nehmen. Gleichwohl ergäbe sich in der Summe ein signifikantes europäisches Gesamtkontingent.

Pilotprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien

Die EU könnte mit einer an Quoten orientierten Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien – praktiziert an einem überschaubaren Kontingent – in eine faire Verantwortungsteilung einsteigen. Ein solches Pilotprogramm hätte hohe Symbolkraft, weil es die Leistungsfähigkeit des gemeinsamen Schutzsystems und die Tragfähigkeit des Solidaritätsgedankens bekräftigen würde.

Die politische Einigung auf ein solches Programm wäre der erste wichtige Schritt. Im Anschluss müsste die EU-Kommission die grundsätzlichen Modalitäten für kollektive Aufnahmeverfahren ausarbeiten. Entscheidend hierbei sind objektive Kriterien, nach denen die Flüchtlinge ausgewählt werden. So könnten zum Beispiel auch Familienbezüge in bestimmte Aufnahmeländer oder die Präferenzen der Flüchtlinge berücksichtigt werden. Sowohl beim Resettlement als auch bei temporären Schutzprogrammen müsste die EU eng mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) zusammenarbeiten; das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), dessen Mandat solche Aufgaben ausdrücklich umfasst, könnte die Bemühungen koordinieren. Nach einer erfolgreichen Erprobungsphase könnten die Programme ausgebaut werden.

Dr. Jan Schneider leitet den Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Dr. Steffen Angenendt forscht in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Demografie, Entwicklungszusammenarbeit und Migration.

Eine erweiterte Fassung des Textes erscheint zeitgleich als Kurzinformation des SVR-Forschungsbereichs.

Der Text ist auch bei EurActiv.de und Zeit.de erschienen.