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Die Transformation transnationaler organisierter Kriminalität

Neue Risiken verlangen neue Antworten von Europa

SWP-Aktuell 2025/A 37, 31.07.2025, 6 Seiten

doi:10.18449/2025A37

Forschungsgebiete

In ihrer 2025 neu erstellten Bedrohungseinschätzung (Serious and Organized Crime Threat Assessment, SOCTA) konstatiert die europäische Polizeibehörde Europol einen deutlichen Wandel der Bedrohungslage durch organisierte Kriminalität. Gegen­über dem Vorgänger­bericht von 2021 stellt Europol sogar eine veränderte DNA der organi­sierten Kriminalität fest. Diese hat sich besonders im Zuge der Covid-19-Pande­mie ver­stärkt auf digitale Kanäle verlagert, wo kriminelle Dienstleistungen einfach und mit niedrigen Zugangsschranken angeboten werden. Transnational organisierte krimi­nelle Lieferketten verbinden Deutschland und Europa inzwischen fest mit ande­ren Welt­regionen. Das zeigt sich an der aktuellen Kokainschwemme und der wach­senden Konkurrenz auf europäischen Märkten. Auch benutzen gerade autoritär regierte Staaten organisierte Kriminalität zunehmend als geopolitisches Vehikel, etwa um Sabotageakte zu verüben, Spionage zu verschleiern oder Sanktionen zu um­gehen. Davon sind die Mit­gliedstaaten der Europäischen Union (EU) und ihre direkte Nach­barschaft beson­ders betroffen. Neben engerer internationaler Zusammenarbeit bedarf es besse­rer Abstimmung von Instrumenten des Innen- und Außenhandelns.

Lange galt organisierte Kriminalität als eine Art notwendiges Übel der Globalisierung, der Freizügigkeit von Personen und des Freihandels. Die Auswirkungen organisierter Kriminalität auf die innere Sicherheit Deutschlands und in Europa wurden zumindest als beherrschbar eingeschätzt und als nachrangig gegenüber Gefahren durch Terrorismus und Extremismus. Dies hat sich verändert. Der globale Index für organisierte Kriminalität zeigt, dass keine Weltregion eine relativ stärkere Zunahme des organisierten Ver­brechens zwischen 2021 und 2023 erfahren hat als Europa. Treiber waren vor allem Finanz- und Cyber­kriminalität sowie die Zunahme der Drogen­ökonomie und des Menschenschmuggels. Häufig stehen besonders gut sichtbare Phä­nomene im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung wie spektakuläre Diebstähle, Sicherstellungen großer Mengen an Drogen oder brutale Gewaltakte. Faktisch entzieht sich jedoch organisierte Kriminalität in weiten Teilen dem öffentlichen Blick. Einschätzungen zum tatsächlichen Umfang illegaler Geschäfte und zum genauen modus operandi krimineller Gruppierungen bleiben daher lückenhaft. Auf der Basis bekannter Fälle und verfügbarer Analysen lassen sich jedoch drei Entwicklungen identifizieren, auf die deutsche und europäische Politik ihr Augenmerk richten sollten.

Covid-19-Pandemie als Innovationsmotor

Die Disruption globaler Lieferketten während der Covid-19-Pandemie führte kurzfristig auch zur Unterbrechung zahl­reicher illegaler Handelsströme und mit­unter zur Verknappung illegaler Güter. Sie war also nicht generell ein »Paradies für Gangster«, erhöhte aber verschiedene Risi­ken. Zudem stellte sie sich in der Nach­betrachtung als Innovationsmotor für orga­nisierte Kriminalität heraus. Kriminelle Netzwerke passten sich schnell den neuen Rahmenbedingungen an. Ähnlich der Situ­ation im legalen Wirtschaftsleben nutz­ten sie verstärkt digitale Kommunikations­technik, richteten ihre Netzwerkstrukturen neu aus und entwickelten eine kriminelle Dienstleistungsstruktur – inzwischen unter dem Begriff crime as a service etabliert.

Die zunehmende Dezentralisierung von Netz­werken des organisierten Verbrechens erwies sich im Verlaufe der Pandemie nicht nur als Strategie des Über­lebens, sondern auch des Wachstums. Auf dem Markt wer­den mit steigender Tendenz kriminelle Dienstleistungen angeboten. Dazu zählen die Beschaf­fung großer Mengen von Drogen oder Waffen, deren Lagerung und Transport, deren Ausschleusung aus Häfen, das Bestechen von Mitabeiter:innen aus Behör­den und kritischer Infrastruktur oder Gewaltakte wie Auftragsmorde. So muss etwa ein kriminelles Netzwerk in Deutschland keine eigene Präsenz mehr in Süd­amerika aufbauen, um Kokain in Euro­pa zu beziehen und handeln zu können. Dieser Effekt hatte eine Art »Demokratisierung« der Kriminalität zur Folge, weg von oligo­polistischen Strukturen, hin zu einem offe­nen Markt illegaler Güter und Dienst­leistungen. Gekennzeichnet ist er durch stark gesunkene Zugangsschranken und mehr Partizi­pationsmöglichkeiten.

Kryptierte digitale Kommunikations­kanäle haben maßgeblich dazu beigetragen, dass transnationale Lieferketten ohne physischen Kontakt organisiert werden können. Die Entschlüsselung der Plattformen EncroChat im Jahr 2020 und Sky ECC im Jahr 2021 durch europäische Ermittlungsbehörden offenbarte, wie zentral neue Technologie für organisierte Kriminalität ist. Ihre Nutzung erschwert die Strafverfolgung weiter. Kriminelle Wertschöpfung aus dem »Home Office« heraus ist weitaus schwieriger zu verfolgen als physisch sicht­bare Transaktionen. Eine massive Verschiebung etwa von Drogenmärkten auf Online-Marktplätze ist längst Realität in Europa. Online-basierte Betrugs­maschen sind im Alltag eines Großteils der europäischen Bevölkerung angekommen. Geldwäsche hat sich zusehends auf Krypto­währungen ver­lagert, wo klassische Kon­trollmechanismen kaum mehr greifen.

Während der vergangenen Jahre haben sich Dezentralisierung, Dienstleistungs­strukturen und Digitalisierung organisierter Kriminalität auf ver­schiedenen illegalen Märkten in Deutsch­land und Europa ver­breitet. Hierzu gehö­ren etwa der quasi-industrialisierte Men­schen­schmuggel, im Bereich Umweltkriminalität boomende Online-Märkte für illegale Flora- und Fauna­produkte oder der enorme Anstieg organi­sierten Betrugs zulasten von Firmen und Privatpersonen.

Besonders offensichtlich aber sind diese Trends in der transnationalen Drogenökonomie und ihren bisweilen geografisch sehr lang gestreckten Wertschöpfungsketten. Ihre Produktionszentren sind stark zentra­lisiert, während die globale Streuung der Nachfrage von wenigen Ausnahmen ab­gesehen wächst. Das globale Angebot von Kokain stammt aus einer Handvoll latein­amerikanischer Länder, das von Heroin aus wenigen süd- und südostasiatischen sowie südamerikanischen Ländern. Auf dem Staatsgebiet der Niederlande und Belgiens konzentriert sich ein großer Teil der globa­len Produktion von MDMA (Ecstasy) und Amphetamin. In Marokko wird die größte Menge Cannabisharz weltweit hergestellt. Konnten früher nur wenige global agieren­de kriminelle Gruppierungen eine Vor-Ort-Präsenz in den Angebotszentren aufbauen, ermöglichen nun dezentrale, lokal agieren­de Dienstleister den Zugang zum Markt, ohne dass eine physische Präsenz etwa in Kolumbien, Marokko oder den Nieder­landen notwendig wäre. Diese Rolle als Dienstleister übernehmen vorwiegend kriminelle Netz­werke aus dem westlichen Balkan und Italien, aber auch solche aus Nigeria oder den Niederlanden. Besonders deutlich werden diese neue krimi­nellen Dienst­leistungsstrukturen am Beispiel des globalen Kokainmarktes.

Kokainschwemme und kriminelle Konkurrenz in Europa

Seit 2016 und dem Friedensschluss mit der FARC-Guerilla in Kolumbien sind der Kokaanbau und die Kokainproduktion in Kolumbien und seinen Nachbarländern enorm gestiegen. Zwar haben die Sicherstellun­gen von Kokain in Europa während der vergangenen zehn Jahre kontinuierlich zugenommen, doch blieb die Rein­heit bei stabilen Preisen hoch. Das deutet auf ein Überangebot hin. Derzeit sinken die Groß­handelspreise in einigen westeuropäischen Ländern sogar deutlich. Parallel dazu stieg dort die Nachfrage, teil­s getrieben von einer Crack-Epidemie, die seit der Covid-19-Pan­demie beträchtlich an Dynamik gewon­nen hat. Zu den euro­päischen Ländern mit den größten Zu­wächsen im Kokain­konsum gehört neben Frankreich und Großbritannien auch Deutschland. Kokain ist der ille­gale Drogen­markt mit den weltweit höchs­ten Gewinnspannen. So ent­standen durch den Kokain­boom der letzten Jahre bislang ungekannte Gewinnmargen für das organi­sierte Ver­brechen. Trotz der sich verschärfenden Kon­kurrenz auf dem Markt sorgt das wegen des hohen Verfolgungsdrucks erhebliche Risiko der Markt­teilnehmenden für stabil hohe Preise. Kurz gesagt verfügen kriminelle Netzwerke im Kokainhandel über nie dagewesene Liquidität.

Dieser Boom zog viele Wettbewerber an, die sich dank neuer Dienstleister und digi­taler Kommunikationsmechanismen einen Marktzugang verschaffen konnten. Neben den ernsten Auswirkungen auf die öffent­liche Gesundheit haben sich dadurch neue Sicherheitsherausforderungen für Europa ergeben: Die gesunkenen Zugangsbarrieren haben mitunter starke Konkurrenz auf dem europäischen Kokainmarkt hervorgebracht, die sich auch in Gewalt manifestiert. Vor allem in Belgien, Frank­reich, Schweden, Spanien und den Nieder­landen sind Ten­den­zen massiver Gewalt zu verzeichnen. Sie beschränken sich zwar nicht auf den Kokain­markt, treten dort aber häufiger auf. In Frankreich wird bereits von einem »weißen Tsunami« gesprochen, den der Staat mit hohem Ressourcenaufwand be­kämpft. In den Niederlanden hat die Regie­rung den Kampf gegen »Kriminalität, die die Gesell­schaft unterminiert« ausgerufen.

Die Destabilisierung von Gemeinwesen durch Gewalt, wachsende Korruption bei Behörden und Infiltration des legalen Wirt­schaftslebens galten in Europa lange als ein Problem des Globalen Südens. Derzeit ver­ändert sich diese Wahrnehmung. Die euro­päische Sicherheitsstrategie von 2025 identifiziert organisierte Kriminalität als eine der zentralen Bedrohungen europäischer Sicherheit: Demnach »breiten sich mächtige Netze der organisierten Kriminalität in Europa aus, werden online gefördert und wirken sich auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft aus«.

Verstärkt haben sich in manchen Ursprungs- und Transitregionen auch die Unterwanderung staatlicher Strukturen und die Infiltration legaler ökonomischer Infrastruktur durch die Verbreitung krimi­neller Akteure und Netzwerke. Ein beson­ders eklatantes Beispiel für diese Dynamik ist die Eska­lation krimi­neller Gewalt und Korruption in Ecuador.

Auch Europol stellt in seinem Serious and Organized Crime Threat Assess­ment (SOCTA) 2025 fest, dass die neue DNA des orga­nisierten Verbrechens weitaus destabi­lisierender wirkt als in der Vergangenheit. Die mangelnde Resilienz von Staaten vis-a-vis professionell agierenden kriminellen Netzwerken ist ein entscheidender Faktor für die Herausbildung globaler illegaler Wert­schöpfungsketten. Europa ist nicht nur in diese Ketten eingebunden, sondern als wichtiger and rasant wachsender Ziel­markt für Drogen wie Kokain inzwischen direkt mit den fatalen Folgen der Trans­formation organisierter Kriminalität kon­frontiert. Zudem bilden sich nicht einfach nur transnationale Bezüge in den Liefer­ketten ab, sondern eine Geopolitik des Illegalen. Verstärkt wird sie da­durch, dass staatliche Akteure Struk­turen organisierter Kriminalität gezielt instrumentalisieren.

Staatliche Instrumentalisierung und politisch-kriminelle Verbindungen

Seit jeher haben Staaten kriminelle Grup­pierungen für ihre Zwecke genutzt, nicht nur bei der Unterdrückung interner Opposi­tion, auch außenpolitisch. Im Kalten Krieg etwa wurden Waffen von Staaten über kri­minelle Netzwerke an verbündete Kon­flikt­parteien geschmuggelt. Ab den 1990er Jahren stand besonders das Problem des »state capture« im Blickpunkt. Kriminelle Gruppierungen übernahmen in einigen Ländern staat­liche Institutionen oder infil­trierten sie, oft im Zuge politischer Über­gangsphasen wie zum Beispiel auf dem Westbalkan. Auf der anderen Seite mach­ten sich Regierungen, Militärs und weitere Offi­zielle immer wieder illegale Geschäftsstrukturen zu eigen. Handelte es sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um systematische staatlich-kriminelle Verbindungen, wurde auch von »Mafiastaaten« gesprochen, etwa in Russland und im postsowjetischen Raum. Diese recht plakati­ve Bezeichnung verweist im Grunde auf die extreme Aus­formung eines weiter verbreiteten Phänomens: der Verschränkung von politischer und krimineller Sphäre, wie sie im Falle italienischer Mafiagruppen seit langem bekannt ist. Besondere Aufmerksamkeit ziehen diese vorwiegend dann auf sich, wenn staatliche Strukturen durch die Ver­flechtung mit organisierter Kriminalität erodieren und Instabilität und Gewalt auf­treten, so in Nord-Mali um 2012. Solche Auswirkungen in der erweiterten süd­lichen und östlichen Nachbarschaft standen für die EU lange im Vorder­grund, wobei oft der Bezug zum Terrorismus betont wurde.

Mittlerweile hat sich die Lage für Deutsch­­land und Europa weiter gewandelt, denn das geopolitische Umfeld ist heute ein anderes. Verschiedene Aspekte machen kriminelle Akteure vor allem für autoritär regierte Staaten interessant. Dort fehlen weitgehend innere Kontrollmechanismen und Transparenzregeln, die staat­liches Handeln binden oder beschränken. So haben in Russland Cyberkriminelle nicht nur einen sicheren Hafen, um ihre Attacken – vornehmlich im europäischen und US-amerikanischen Ausland – durchzuführen, sondern der Staat und seine Geheimdienste setzen kriminelle Akteure gezielt ein.

Für diese Art von Instrumentalisierung, auch als »Geokriminalität» bezeichnet, gibt es in erster Linie zwei Gründe. Zum einen wollen die betreffenden Staaten den Ur­sprung bestimmter Aktivitäten wie Spio­nage und Sabotage im Ausland verschleiern. Zum anderen kompensieren einige Staaten damit schwin­dende Kapazitäten. So verfuhr beispiels­weise Russland, als nach Februar 2022 eine große Zahl an diplomatischem Perso­nal – bekannte oder vermutete Mit­arbeitende von Geheimdiensten – aus west­lichen Staaten ausgewiesen wurden. Krimi­nelle Akteure werden auch genutzt, um Sanktio­nen zu umgehen oder deren Aus­wirkungen zu kompensieren. Für Russland geht es dabei neben der Finanzierung destabilisierender Aktivitäten im Ausland vorrangig darum, sanktionierte Güter einzuführen. Dabei spielen Unternehmen und Händler des Graumarktes sowie kriminelle Gruppierungen eine wichtige Rolle – auch bei Geldtransfer oder Geldwäsche. Das syrische Assad-Regime profitierte von der enormen Aus­weitung der Produktion und des Handels mit Captagon. Vor allem in Reaktion auf die Folgen der US-Sanktionen wurde die Armee in die grenzüberschreiten­den Netz­werke des Handels mit der Droge integriert. Das Regime nutzte dies offenbar auch als Verhandlungschip gegenüber betroffenen arabischen Staaten.

Auch Iran und Nordkorea haben infolge der gegen sie verhängten Sanktionen Prak­tiken entwickelt, um Zugang zu Finanz­mitteln und Märkten zu gewährleisten. Doch die Bezüge zu kriminellen Akteu­ren gehen darüber hinaus. So dienen nord­kore­anische Cyberoperationen durch Hackergruppen, die der Geheimdienstorganisation »Reconnaissance General Bureau« unterstellt sind, neben der Generie­rung von Einkommen auch der Spionage. Hier geht es allerdings nicht ein­fach um staatlich-kriminelle Verbindungen. Viel­mehr fördert und organisiert der Staat selbst die illegalen Cyberoperationen, so dass auch von einem nation-state crime syndi­cate gesprochen wird. Iran dagegen nutzt unter anderem bestehende kriminelle Gruppen, darunter solche in Irland, Schwe­den und den Niederlanden, für Angriffe auf Personen und Institutionen in Europa.

Solch eine Rekrutierung krimineller Akteure ist manchmal nicht nur eine nahe­liegende, sondern auch kostengünstige Lösung. Die eingangs beschriebene Ent­wicklung zu crime as a service vereinfacht dies weiter, zumal einige Netzwerke be­stimmte Dienstleistungen speziell für diese Nachfrage anbieten – etwa zu Spionagezwecken.

Für die EU ist dies im Innern wie in der direkten Nachbarschaft eine außergewöhnliche Herausforderung. In einigen Mitgliedstaaten nimmt die Resilienz ab, besonders wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unter Druck geraten. Zudem ist nicht klar, wie die künftige Kooperation mit der US-Adminis­tration aussehen wird, die viele angestamm­te internationale Formate, aber auch Unab­hängigkeit und Akzeptanz der eigenen Justiz in Frage stellt. Letztlich werden so­wohl internationale Zusammenarbeit über Europa hinaus als auch neue Ansatz­punkte notwendig sein.

Gefahr erkannt, aber nicht gebannt

Die Europäische Sicherheitsstrategie und das SOCTA 2025 zeigen, dass auf europäischer Ebene die neue Dimension und Gefahr der organisierten Kriminalität durchaus erkannt worden ist. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat angekündigt, das Europol-Mandat zu reformieren und auszu­bauen sowie den Personalbestand der euro­päischen Polizeibehörde zu verdoppeln.

Auch im Koalitionsvertrag der Bundes­regierung wird mehrfach auf das Thema eingegangen: Angekündigt wird die lange geforderte Beweislastumkehr bei der Ver­mögenseinziehung sowie die entschiedene Bekämpfung der Geldwäsche, Finanzkriminalität, Umweltkriminalität und hybrider Bedrohungen. Die Ansatzpunkte sind aller­dings überwiegend altbekannt, und es bleiben Leerstellen beim Um­gang mit trans­nationalen Bedrohungen, die sich den gängigen Mitteln der Strafverfolgung ent­ziehen oder dieser allenfalls eine Behandlung von Symptomen erlauben.

Die EU-Kommission hat zwar einen Prozess angestoßen, die EU-Regeln zur Bekämpfung organisierter Kriminalität zu novellieren. Doch der zu reformierende Rahmenbeschluss des Rates datiert von 2008 und gilt weithin als veraltet und wenig wirksam.

Wichtig bleiben eine Aufstockung von Ressourcen und eine Angleichung von Rechtsvorschriften unter den Mitgliedstaaten sowie eine verbesserte Kooperation innerhalb und mit der EU. Denn die Pro­blemwahrnehmung zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist bisweilen ebenso unter­schiedlich wie die rechtlichen Rahmen­bedingungen für die Bekämpfung krimineller Netzwerke. Aufgrund der veränderten Risiken werden die genannten Maßnahmen allein aber nicht reichen.

Erstens bedarf es besserer internationaler Zusammenarbeit. Dies gilt etwa für die oben erwähnte anhaltende Kokainschwem­me und damit die exorbitanten Finanzzuflüsse an das organisierte Verbrechen und an kriminelle Dienstleister, die besonders im Kokainhandel Verbreitung gefunden haben. Da die US-Regierung im Februar 2025 einige kriminelle Gruppierungen als »ausländische terroristische Vereinigungen« eingestuft hat, dürfte künftig eine Zusammenarbeit mit US-Behörden schon aus recht­lichen Gründen schwieriger werden. Umso wichtiger ist es, organisierte Krimina­lität in den Außen­beziehungen sowie beim Auf- oder Ausbau internationaler Partnerschaften stärker einzubeziehen. Von deut­scher Seite sollte konkret der unter der Vorgängerregierung begonnene Ausbau des Verbindungsbeamtennetzes an deutschen Auslandsvertretungen konsequent fort­geführt werden. Er sollte sich am Lagebild der organisierten Kriminalität orientieren, das im Wandel begriffen ist.

Dem Thema sollte auch im politischen Dialog mit besonders betroffenenLändern Vorrang ein­geräumt wer­den. Zudem sollten dort Defi­zite identi­fiziert werden, gerade wo orga­nisierte Kriminalität nicht nur aufgrund schwacher Kapazitäten floriert. Im Umgang mit der politischen Instrumentalisierung organisierter Kriminalität setzt die EU in jüngster Zeit auch auf Instrumente des Außenhandelns. Ein Beispiel ist die 2023 eingerichtete Partnerschaftsmission in Moldau. Sie soll die Resilienz des dortigen Sicherheitssektors gegen hybride Bedrohungen und Desinformation wie Einflussnahme aus dem Aus­land steigern, die auch, aber nicht nur über das Vehikel organisierte Kriminalität erfolgt. Solche Erfahrungen gilt es zu nut­zen, gerade wenn es um die Vernetzung mit anderen Ansätzen geht.

Zweitens sollten wirksame Antworten auf transnationale organisierte Kriminalität als Querschnitts­aufgabe verstanden werden. Denn die Auf­klärung von Gruppierungen, die etwa bei Spionage und Sabotage in Europa relevant sind, ist nicht nur eine polizeiliche, son­dern auch eine nachrichtendienstliche Aufgabe. Der Kampf gegen geopolitisch instrumentalisierte Krimina­lität bedarf einer engeren Verzahnung der entsprechenden Instrumente und auf nationaler Ebene der Ressorts. Bei der Über­wachung von Sanktionen etwa kommen zu den Polizeien und Nachrichtendiensten weitere Behörden hinzu, wie in Deutschland das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr­kontrolle.

Zudem beschränken sich notwendige Ansatzpunkte nicht auf repressive Mittel. Verschiedene von Drogenhandel und Gewalt besonders betroffene Länder auch innerhalb der EU greifen wieder vermehrt auf »harte« Maßnahmen zurück, die schon in der Vergangenheit wenig erfolgreich waren, wie zuletzt härtere Strafen für minderjährige Gewalttäter in Schweden.

Drittens können europäische Staaten Ursprungs- und Transitländer in vielerlei Hinsicht dabei unterstützen, ihre Resilienz gegen kriminelle Akteure und Handelsströme zu erhöhen. Hierzu ist jedoch eine verbesserte Evidenzgrundlage vonnöten. Europol etwa hat sein Netzwerk von Liaison-Beamten aus Partnerländern außer­halb Europas in großem Stil ausgebaut und bündelt dieses Personal an seinem Haupt­sitz in Den Haag. Trotzdem bestehen in der EU gravie­rende operative Mängel und Wissenslücken bezüglich krimineller Netz­werke und Märkte jenseits von Europa. Diese Defizite beeinträchtigen direkt die Sicherheit in der EU.

Seit längerem gibt es Bemühungen, die Bekämpfung der Problematik über die europäischen Außengrenzen hinaus vor­zuverlagern, etwa über das Global Illicit Flows Programme der EU. Dabei spielen auch entwicklungspolitische und zivil­gesellschaftliche Ansätze eine relevante Rolle. Notwendig ist allerdings eine bessere Abstimmung von Innen- und Außenhandeln und der entsprechenden Instrumente, die auf einem umfassenden und ressortübergreifenden Sicherheitsverständnis beruht. Ein mög­licher Ort dafür in Deutsch­land wäre der neu einzurichtende Natio­nale Sicherheitsrat.

Daniel Brombacher ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Dr. Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

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