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Die EU im fiskal-geopolitischen Teufelskreis

Kurz gesagt, 07.11.2025 Forschungsgebiete
  • Paweł Tokarski

    Paweł Tokarski

Die wachsende Schuldenlast Europas und geopolitische Spannungen verstärken sich gegenseitig: Fehlender Haushaltsspielraum schwächt die strategische Handlungsfähigkeit der EU, während äußere Faktoren die öffentlichen Finanzen weiter unter Druck setzen, meint Paweł Tokarski.

Die wachsende Staatsverschuldung ist nicht mehr nur das Ergebnis vorübergehender Krisen, sondern ein anhaltender, struktureller Trend, der in Europa bis in die 1970er Jahre zurückreicht. Antreiber sind eine alternde Gesellschaft, geringes Wirtschaftswachstum und die politische Unfähigkeit, die Ausgaben zu begrenzen. Die Krise in den Jahren 2010–2015 hat die Schwächen der Währungsunion offenbart – makroökonomische Ungleichgewichte, Fehler in der Haushaltspolitik und das Fehlen gemeinsamer Unterstützungsmechanismen. Die Pandemie wiederum hat die Verschuldung der Staaten noch weiter erhöht. Nach dem jüngsten Bericht des IWF droht ohne wachstumsfördernde Reformen in Europa ein deutlicher Anstieg der Staatsschulden. Bis 2040 könnten diese im Durchschnitt 130 Prozent erreichen, also 40 Prozentpunkte mehr, als der IWF für stabil hält. Bei externen Schocks wäre sogar ein noch höherer Wert möglich.

Neben den Altlasten struktureller Probleme werden die Haushaltsprobleme zunehmend durch geopolitische Faktoren verstärkt. Einerseits besteht ein dringender Bedarf an höheren Ausgaben für Verteidigung, Energietransformation, Industriesubventionen und Ukraine-Hilfe als Reaktion auf die Aggression Russlands und die wirtschaftliche Konkurrenz Chinas. Andererseits schränken die weltweit steigenden Zinssätze für Staatsschulden die Möglichkeiten der EU-Länder zur Kreditaufnahme ein. Damit schließt sich der Kreis: Der Mangel an fiskalischem Spielraum vertieft die geopolitische Abhängigkeit, und die geopolitische Abhängigkeit erzwingt weitere Ausgaben.

Versteckte Kosten der Staatsverschuldung

Im Zusammenhang mit dem Anstieg der Verschuldung wird in der Regel auf die steigenden Kosten für den Schuldendienst hingewiesen. Diese verringern den Spielraum für die Haushaltspolitik und verdrängen wachstumsfördernde Investitionen wie Forschung und Bildung.

Die steigende Verschuldung hat jedoch auch versteckte geopolitische Kosten: Sie mindert die Fähigkeit der EU-Staaten zum gemeinsamen Handeln, verstärkt Konflikte – etwa zwischen Nord und Süd oder zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten – und schwächt das Vertrauen in zentrale Institutionen wie die Europäische Kommission, die über die Einhaltung der Fiskalregeln wacht, und die Europäische Zentralbank, deren Geldpolitik zunehmend auf die Stabilisierung der Schulden der Mitgliedstaaten ausgerichtet werden könnte.

Zudem macht eine hohe Staatsverschuldung die EU-Staaten anfälliger für externe Faktoren wie Veränderungen der globalen Zinssätze. Die Staatsverschuldung kann auch zu einem Instrument der externen Einflussnahme auf die EU-Mitgliedstaaten werden. Das zunehmende Engagement von Investoren aus Drittstaaten – darunter aus China und den Golfstaaten – auf den europäischen Anleihemärkten erhöht das Risiko, dass finanzielle Abhängigkeiten politisch ausgenutzt werden. 

Ein schwieriger Ausweg aus dem Teufelskreis

Im Gegensatz zu den USA und China verfügt die EU nur über begrenzte Möglichkeiten zur Kapitalmobilisierung. Der begrenzte fiskalische Spielraum und schwache Kapitalmärkte machen sie anfällig für externe Schocks. Die Integration der Finanzmärkte und die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa kommen – entsprechend den Schlussfolgerungen der Berichte von Enrico Letta und Mario Draghi – nur schleppend voran. Mit einem schnellen Durchbruch, der zu einem spürbaren Kapitalzufluss nach Europa führen würde, ist nicht zu rechnen. 

Die EU ist ein stark dezentralisiertes fiskalisches System, in dem die Zukunft der Wirtschaftsmodelle der drei größten Mitgliedstaaten – Deutschland, Frankreich und Italien – entscheidend ist. Zusammen sind diese Länder für etwa zwei Drittel der Staatsverschuldung der Eurozone verantwortlich. Angesichts des begrenzten haushaltspolitischen Spielraums sind sie jedoch nicht mehr in der Lage, ihre Wirtschaftsmodelle umzugestalten und auf geopolitische Herausforderungen zu reagieren. In Frankreich führt die Verschlechterung der öffentlichen Finanzen zu wachsendem Populismus in den wirtschaftspolitischen Debatten. Dies untergräbt nicht nur das Vertrauen in die wirtschaftspolitische Steuerungsfähigkeit des Landes, sondern könnte auch die ohnehin fragile Konstruktion der Währungsunion auf eine harte Probe stellen.

Im globalen Finanzwettbewerb zählen die Stabilität des Euro und der Binnenmarkt zu den wenigen »harten« Aktiva der EU, die leicht verloren gehen können. Eine neue Eurokrise, in der Deutschland keine stabilisierende Rolle mehr spielt und die Maßnahmen der EZB möglicherweise nicht mehr so wirksam sind, wäre für die EU nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine geopolitische Katastrophe. Daher muss die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen auch zu einem unverzichtbaren Bestandteil der geopolitischen Resilienz werden.

 

Dr. Paweł Tokarski ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa.