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Der Quadrilaterale Sicherheitsdialog (Quad) zwischen Australien, Indien, Japan und den USA

Mehr Symptom als Lösung des Problems wachsender Instabilität im Indo-Pazifik

SWP-Aktuell 2023/A 35, 02.06.2023, 7 Seiten

doi:10.18449/2023A35

Forschungsgebiete

Nach offiziellen Verlautbarungen besteht der Hauptzweck des Quadrilateralen Sicher­heitsdialogs (Quad) darin, die Zusammenarbeit der vier Partnerländer Australien, Indien, Japan und die USA bei der Bewältigung dringlicher Herausforderungen zu intensivieren; dazu zählen unter anderem Klimaschutz, Gesundheitspolitik oder maritime Sicherheit. In erster Linie ist es aber der Aufstieg Chinas und die mit ihm verbundene Infragestellung der US-Hegemonie in der Region, welche die vier Partner zusammenbringen. Minilaterale Kooperationsformate wie der Quad gewinnen zwar global an Bedeutung. Aber auch mehr als 15 Jahre nach dem Beginn formeller Diskus­sionsrunden und trotz verstärkter Zusammenarbeit erscheint der Sicherheitsdialog zwischen den vier ungleichen Partnern mehr als Symptom regionaler Instabilität denn als Abhilfe gegen sie.

Wegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit der USA hatte Präsident Joe Biden seine Reise zum Quad-Gipfel nach Sydney Ende Mai kurzfristig absagen müssen. Stattdessen trafen sich die Regierungschefs Australiens, Indiens, Japans und der USA am Rande des unmittelbar davor stattfindenden G7-Gip­fels am 20. Mai in Japan. Es war das fünfte Treffen der Teilnehmer des Quadrilateralen Sicherheitsdialogs (»Quad«) auf dieser Ebene. Auf der Agenda standen regionale Herausforderungen wie Klimaschutz, kritische und neue Technologien, Cybersicherheit, Infra­struktur, regionale Gesundheitssicherheit, Sicherheit im maritimen und im Weltraum, Terrorismusbekämpfung sowie humanitäre und Katastrophenhilfe. China jedoch wird bisher in keiner offiziellen Verlautbarung explizit erwähnt.

Diese Tatsache ist insofern bemerkenswert, als der Großmächtekonflikt zwischen den USA und China und die damit verbun­dene Eskalationsspirale derzeit die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung der Region darstellt. Abgesehen davon wurde der Quad im Jahre 2007 auf Initiative von Japans damaligem Premier Shinzo Abe ins Leben gerufen, um dem wachsenden Ein­fluss Chinas in der Region entgegenzuwirken, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Territorialdisputs um die Diaoyu-/Senkaku-Inseln und Pekings historisch bedingt wenig freundlicher Haltung gegenüber Japan. Mehrere aufeinanderfolgende japa­nische und US-amerikanische Regierungen teilten deshalb die Ansicht, dass Indien in die regionale Ordnung eingebunden wer­den müsse, die von den USA angeführt wird und bislang auf bilateralen Militärbündnis­sen und Partnerschaften beruht. Ziel war dabei, Chinas Einfluss zu beschränken und so die Region zu stabilisieren. Leitend ist die Annahme, dass regionale Stabilität nur über die Bewahrung einer hegemonialen Stellung der USA (US primacy) zu sichern sei.

Ein erstes Vierer-Treffen im Mai 2007 und ein gemeinsames Marinemanöver konn­ten die heterogene Gruppe von Staaten noch nicht von einer dauerhaften minilateralen Zusammenarbeit überzeugen. Zum einen erschien das Forcieren einer verstärk­ten Sicherheitskooperation zu konfrontativ gegenüber China. Peking hatte den Quad von Anfang an als eine gegen China gerich­tete Initiative kritisiert. In Tokio setzten die damals neue, von der Demokratischen Partei Japans (DPJ) geführte Regierung eben­so wie in Washington die Administration von Präsident Barack Obama und in Austra­lien die Regierung von Premier Kevin Rudd wieder ver­stärkt auf diplomatische Annä­herung. Zum anderen trübte vor allem die Weigerung Australiens, Uran nach Indien zu exportieren, die Zusammenarbeit. Indien, das klandestin Nuklearwaffen entwickelt hatte, ist bis heute keinem der völkerrecht­lichen Non-Proliferations-Verträge beigetre­ten. In den anschließenden zehn Jahren fanden deshalb keine Treffen auf politischer Ebene statt. Ihre bilateralen Kontakte verstärkten die vier Staaten jedoch stetig.

Als die Regierung Shinzo Abes, der seit 2012 in Tokio wieder an der Macht war, 2017 eine Revitalisierung des Quad ins Ge­spräch brachte, hatten die zwischen Quad-Mitgliedern und der Volksrepublik (VR) China schwelenden Konflikte im Südchine­sischen Meer, im Ostchinesischen Meer und an der indisch-chinesischen Grenze massiv an Schärfe gewonnen. Zudem hatten sich die chinesisch-amerikanischen Beziehungen unter Präsident Donald Trump auch als Folge von dessen Wirtschaftskrieg generell abgekühlt. Eine Konvergenz der Wahrnehmung Chinas als sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Bedrohung wie auch der Wahl der Mittel, mit denen wachsenden chinesischen Machtansprüchen entgegen­getreten werden sollte, führte Ende 2017 zur Wiederaufnahme des Quad. Zunächst lediglich auf Arbeitsebene der Außenminis­terien angesiedelt, trafen sich ab 2019 die Außenminister der vier Mitgliedstaaten per­sönlich. Nachdem die Biden-Administration den Quad zu einem Hauptinstrument für die Umsetzung ihrer Indo-Pazifik-Politik auf­gewertet hatte, wurde die Zusammenarbeit ab März 2021 durch regelmäßige Quad Leaders Summits quasi zur Chefsache. Mit­tels fester Arbeitsgruppen, die von der Be­reit­stellung von Covid-19-Impfstoffen bis hin zur Governance des Weltraums ein brei­tes Spektrum von Politikfeldern abdecken, wurde die Quad zudem stärker institutio­nalisiert. Welche Rolle spielt der Quad fak­tisch bei der Stabilisierung der regionalen Ordnung?

Quad und regionale Sicherheit

Die bisherige regionale Sicherheitsordnung, die auf einem System US-geführter Militär­allianzen unter anderem mit Japan und Australien basiert, bezeichnete Chinas Staatspräsident Xi Jinping als Relikt des Kalten Krieges. Als Alternative forderte er die Bildung einer neuen Sicherheitsarchi­tektur »von Asiaten für Asiaten«. Seit 2014 hat die VR China unter Xi Jinping deshalb eigene Ideen zur Zukunft der regionalen Ordnung entwickelt und damit begonnen, diese zumindest partiell umzusetzen. Dazu gehört die umfassende Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee, die forcierte Milita­risierung des Südchinesischen Meeres eben­so wie der Ausbau bilateraler Partnerschaften, unterfüttert durch verstärkte wirtschaft­liche Zusammenarbeit im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI).

Dass China die historisch gewachsene US-amerikanische Hegemonialstellung in der Region infrage stellt, ist also die Heraus­forderung, die gerade diese vier Staaten überhaupt erst zusammenbringt. Der Qua­drilaterale Sicherheitsdialog ist demnach in erster Linie ein Format zur Koordinierung einer Koalition von »Gleichgesinnten« (like-minded) mit dem Ziel, die US-geführte regio­nale Ordnung zu bewahren. Manche Beob­achter sehen in der Quad sogar einen Bei­trag zur Eindämmung (containment) Chinas.

Der Quad steht zudem sinnbildlich für das Eingeständnis Washingtons, das erklärte strategische Ziel, die regionale Vormachtstellung der USA im Indo-Pazifik zu bewah­ren, allein nicht mehr erreichen zu kön­nen. Da die USA gegenüber China zuse­hends an Macht verlieren, reicht selbst das etablierte System bilateraler Militärallianzen nicht mehr aus. Das Geflecht an Koope­rationen muss vielmehr um gleichgesinnte Partner wie Indien erweitert werden.

Im Unterschied zu den existierenden, vorwiegend militärischen bilateralen For­maten sollen im Rahmen der Quad vor allem gemeinsame regionale Interessen gefördert werden. Diese mehr auf Gestal­tung als nur auf Bewahrung ausgerichtete Strategie umfasst die Sicherung der See­wege, den freien Handel, die Förderung der Demokratie und den Schutz der Menschenrechte. Eine erfolgreiche Umsetzung dieser Agenda ist auf Unterstützung und Akzeptanz angewiesen, und dies über die vier gleichgesinnten Quad-Partner hinaus.

Unter dem Eindruck der Covid-19-Pan­demie kam es im März 2020 zu einem ers­ten virtuellen »Quad-Plus-Treffen«. Unter den Teilnehmern waren Vertreter Vietnams, das den ASEAN-Vorsitz innehatte, Neuseelands, das Mitglied im Five-Eyes-Verbund der angelsächsischen Nachrichtendienste ist, und Südkoreas, eines weiteren wichtigen US-Verbündeten in der Region. Im Mai 2021 waren Israel und Brasilien zu Beratun­gen über Impfstrategien eingeladen worden.

Dies zeigt, dass die Quad-Partner unter Führung von Präsident Biden seit Anfang 2021 vermehrt darum bemüht sind, der Kritik vor allem aus Südostasien und sei­tens der pazifischen Inselstaaten entgegenzuwirken, der Sicherheitsdialog sei ledig­lich ein Instrument der Großmächtepolitik. In Washington und auch in Tokio hatte man erkannt, dass zahlreiche asiatische Staaten zwar eine aktive Rolle der USA in der Region begrüßen. Dies aber nur, wenn deren Engagement langfristig ist, glaubwürdig erscheint und in einer Weise erfolgt, die nicht dazu führt, dass die Fronten mit China sich weiter verhärten, was die Zwei­teilung der Region fördern würde. Um diese kritischen Stimmen zu beschwichtigen und den eigenen Anspruch zu bekräftigen, öffentliche Güter zum Wohl aller bereit­zustellen, haben die Quad-Staaten im März 2021 sechs Arbeitsgruppen eingerichtet. Sie befassen sich mit den Themenbereichen Gesundheitssicherheit, Klima, kritische und neue Technologien, Weltraum, Infrastruktur und Cybersicherheit.

Die Debatte über den eigentlichen Zweck und die Weiterentwicklung des Quad bleibt lebhaft, weil der kleinste gemeinsame Nen­ner der vier Partner noch relativ schmal ist. Er besteht darin, Chinas Einfluss zu begren­zen – und so gleichzeitig den eigenen Sta­tus und Einfluss in der Region zu stärken.

Doch dieser Gemeinsamkeit wohnen potenzielle Interessenkonflikte inne. Und trotz der ostentativ einvernehmlichen Auf­tritte herrschen unterschiedliche Ansichten selbst darüber, welche Art Bedrohungen von China ausgehen und mit welchen Prio­ritäten und Mitteln ihnen entgegengetreten werden soll. Ein Beispiel dafür ist Indiens Herangehensweise an die Herausforderungen im Indo-Pazifik.

Indiens Schlüsselposition und die unterschiedlichen Interessen der Quad-Mitglieder

Im Rahmen des Quad besetzt Indien die Schlüsselposition. Ohne Indien hätte das Format keinen Mehrwert, da bereits andere bi- und trilaterale Formate existieren, die dazu dienen, die Kooperation der USA mit ihren japanischen und australischen Ver­bündeten zu verstärken. Nun vertritt Indien dezidiert eigene Standpunkte, und dies trotz seiner großen Besorgnis über die chi­nesische Marinepräsenz im Indischen Ozean und wiederholter Auseinandersetzungen mit militärischen Einheiten Chinas an um­strittenen Grenzabschnitten im Himalaya. Aus Sorge vor einem allzu konfrontativen Auftreten gegenüber China verwendete Delhi die Bezeichnung »Quad« lange Zeit nicht einmal in Regierungsdokumenten. Indien gilt auch nach wie vor als Bremser einer Entwicklung der Quad, die sich mili­tärisch stärker gegen China richtet. Dies zum einen, weil Delhi für den Indo-Pazifik ein sehr viel inklusiver angelegtes Konzept verfolgt. Zum anderen, weil Indien als wirt­schaftlich schwächster Partner der Quad, der zudem als einziger der vier Staaten direkt an China grenzt (der Grenzverlauf ist umstritten), eine weitere Verschlechterung der Beziehungen mit China vermeiden will.

Im Unterschied zu Japan und Australien ist Indien auch kein Verbündeter der USA, steht bilateralen militärischen Bündnissen kritisch gegenüber und betont regelmäßig seine eigenständige Rolle in einer inter­nationalen Ordnung, die aus seiner Sicht zusehends multipolar wird. Dies zeigt sich unter anderem in der offiziellen indischen Haltung zur russischen Invasion in die Ukraine: Indien trägt weder westliche Sank­tionen gegen Russland mit, noch hat es bis­her Russland als Aggressor klar verurteilt.

In einer ganz anderen Situation befinden sich Japan und Australien. Beide unterhalten seit den 1950er Jahren dank ihrer Bünd­nisse sehr enge Beziehungen mit den USA. Obwohl diese stark vom Ost-West-Konflikt in der Zeit des Kalten Krieges geprägt waren, verloren sie nach dem Niedergang der Sow­jetunion kaum an Bedeutung. Im Gegenteil: Schon vor Beginn des globalen Krieges gegen den Terrorismus, an dem Australien aktiv teilnahm und der in Japan die Abkehr von einer Sicherheitspolitik einläutete, die strikt auf Territorialverteidigung ausgerichtet war, wurde die militärische Zusammenarbeit mit Blick auf das erstarkende China vertieft.

Dabei zeigte sich über die letzten drei Dekaden, dass die Sicherheitspolitik Austra­liens und Japans – je nach weltpolitischer Lage und parteipolitischen Konstellationen geringfügig variierend– auf beiden Seiten des Pazifiks regelmäßig von Sorgen um die Beständigkeit und Stärke der jeweiligen Bündnisse dominiert waren. Die Angst, als schwächerer Bündnispartner allein gelas­sen zu werden, verstärkte sich mit jeder Ver­schlechterung der Beziehungen zwischen China und den USA – wegen des auch his­torisch schwierigen chinesisch-japanischen Verhältnisses zuweilen aber auch in Phasen der Entspannung.

Australien war grundsätzlich immer bereit, US-amerikanische Strategien zur Wahrung der globalen Sicherheit auch mili­tärisch zu unterstützen. Darum blieb der Widerspruch zwischen der immer stärker werdenden Abhängigkeit Australiens von Agrar- und Rohmaterialexporten nach China einerseits und dem – besonders im Zuge des Kriegs gegen den Terrorismus – enger werdenden Bündnis mit den USA an­dererseits lange ohne große Konsequenzen.

Japanische Entscheidungsträger befanden sich seit Ende des Ost-West-Gegensatzes in einer ungleich schwierigeren Lage. Aus­schlaggebend dafür waren Japans geographi­sche Nähe zu Russland, ungelöste Probleme im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Expansionskrieg vor 1945, anhaltende Streitigkeiten mit Russland, Südkorea, China und Taiwan um maritime und territoriale Gebietsansprüche sowie das in der Verfas­sung verankerte Verbot, sich an militäri­schen Auslandseinsätzen zu betei­ligen.

Das wirtschaftliche Erstarken und die militärische Aufrüstung Chinas haben Japans sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA in dramatischer Weise weiter verstärkt. Gleichzeitig trat der Gegensatz zur wirtschaftlichen Abhängigkeit von China in den 2010er Jahren offen zutage. Für die japanische Außen- und Sicherheitspolitik wurde es immer schwieriger, die USA sowohl in Asien wie auch auf Japans Seite zu halten und Chinas politischen Einfluss wann immer möglich zu begrenzen. Mehr noch als Australien schien die Einbindung Indiens für Japan eine Option zu eröffnen, mit diesem Dilemma künftig besser umgehen zu können. Dies wurde möglich durch die Ausdehnung militäri­scher Aktivitäten über den Asien-Pazifik hinaus in den wiederentdeckten geopoli­tischen Raum des Indo-Pazifiks.

Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA im Jahre 2016, dessen Japan-Bild durch Erinnerungen an den amerika­nisch-japanischen Wirtschaftskrieg in den 1980er Jahren geprägt war, hätte daher nicht ungelegener kommen können. Pre­mier Abe sah sich gezwungen, alle Register zu ziehen, Trump bei guter Laune zu halten, um wirtschafspolitischen Druck ebenso abzuwenden wie Forderungen, deutlich höhere Beiträge für die Aufrechterhaltung der US-Militärpräsenz zu leisten. Gleich­zeitig ließ sich Präsident Trump auch von der durch Abe propagierten Idee des Indo-Pazifiks überzeugen.

Den USA würde die Ausdehnung des strategischen Raums von Asien-Pazifik in den Indischen Ozean nicht nur die Unterstüt­zung Indiens sichern, um ein Gegengewicht gegen China zu bilden. Auch Australien und Japan könnten als regional viel akti­vere Partner stärker in das Vorhaben einbe­zogen werden, die US-amerikanische Hege­monialstellung in der Region zu bewahren.

Andere Staaten der Region haben eine eigene Sicht auf die Ursachen für die Insta­bilität in ihrem Umfeld und für mögliche Gegenmaßnahmen. Bei ihnen dominiert vor allem die Sorge vor einer zunehmend instabilen regionalen Ordnung, die aus einer eskalierenden Großmächterivalität und einer daraus resultierenden erneuten Blockbildung hervorgehen könnte. Diese Bedrohungswahrnehmung eint eine ganze Reihe ansonsten heterogener regionaler Akteure wie Südkorea, seinerseits US-Alli­ierter, oder auch die ASEAN-Staaten und die Inselstaaten des Südpazifiks.

Die Quad als Symptom regionaler Unsicherheit

Das Quad-Format, ebenso wie andere mini­laterale Initiativen, erscheint zusehends komplementär sowohl zu den auf militä­rischen Beistand ausgerichteten, traditio­nell bilateralen Bündnissen als auch zu den bislang wenig effektiven, ASEAN-zentrier­ten multilateralen Foren wie dem East Asia Summit (EAS) oder dem ASEAN Regional Forum (ARF). Aus einer funktionalen Per­spektive ist der Quad insofern durchaus robust: Er basiert auf engen bilateralen Beziehungen der Partner und ist im Unter­schied zu den etablierten multilateralen Foren der Region viel stärker output- als pro­zessorientiert. So versucht beispielsweise die Indo-Pacific Partnership for Maritime Domain Awareness der Quad, die Staaten der Region bei der Bekämpfung illegaler maritimer Aktivitäten zu unterstützen. Dies vor allem durch Bereit­stellung von Satelli­tendaten über Schiffsbewegungen, die mit den Daten der auto­matic identification systems abgeglichen wer­den können. Da viele ille­gale Fischerboote ihre automatic identification systems gezielt abschalten, bieten die bereit­gestellten Satel­litendaten neue Möglichkeiten, sie dennoch zu orten und aufzubringen.

Infolgedessen verfügt der Quad mittlerweile über ein gewisses Maß an Legitimität über den engen Mitgliederkreis hinaus. Der Präsident Indonesiens, das derzeit den ASEAN-Vorsitz innehat, bezeichnete den Quad denn auch unlängst als »Partner, nicht Wettbewerber« bei den Bemühungen der ASEAN, regionale Stabilität und Frieden zu bewahren. Minilaterale Formate wie der Quad werden auch für Staaten wie Vietnam oder Indonesien immer interessanter. Grund dafür sind die Flexibilität, die Out­put-Orientierung und der Umstand, dass diese Formate unterhalb der Schwelle mili­tärischer Allianzen angesiedelt sind. Da­durch wiederum verlieren die etablierten multilateralen ASEAN-zentrierten Organisationen weiter an Bedeutung.

Ungeachtet dessen ist der Quad mehr als 15 Jahre nach dem ersten Treffen und trotz verstärk­ter Zusammenarbeit – vor allem zur Wah­rung maritimer Sicherheit – eher ein Symptom für regionale Instabilität als eine Lösung für dieses Problem.

Dies liegt vor allem daran, dass der Quad keine Antwort auf das strukturelle Problem der rivalisierenden Machtansprüche der USA und Chinas bietet. Das Format ist in erster Linie eine institutionelle Reaktion auf diese Rivalität. Chinesische Hegemo­nialansprüche, die sich auf die gesamte Region richten, stoßen auf Bestrebungen, die Vorherrschaft der USA (US primacy) in eben dieser Region aufrechtzuerhalten; die damit verbundene Konfrontation folgt zwingend einer Nullsummenlogik.

Wenngleich seine Mitglieder den Quad als Beitrag zu regionaler Stabilität und Kooperation preisen, ist das Format in­sofern fester Bestandteil der strategischen Rivalität zwischen den USA und China. Er kann deshalb nur unter der Prämisse als Beitrag zur Lösung des Problems regionaler Instabilität gelten, dass regionale Stabilität durch ein Zurückdrängen Chinas erreicht werden soll. Diese Prämisse wird allerdings weder von der Mehrzahl der Staaten in der Region noch überall in Europa geteilt. Selbst im Falle kurzfristiger Erfolge bei der Zurückdrängung des chinesischen Einflusses bleibt zudem fraglich, ob eine solche Eindämmungsstrategie – sollte sie in Zu­kunft genügend Unterstützung finden – dauerhaft durchgesetzt werden könnte. Implizit liegt dieser Strategie die Annahme zugrunde, dass China als Reaktion seine als nationale »Kerninteressen« deklarierten machtpolitischen Ziele aufgibt oder zumin­dest deren Verfolgung temporär einstellt. Keine dieser Reaktionen ist aber derzeit er­kennbar. Im Gegenteil: Nahezu ausnahms­los sind größere Spannungen das Resultat.

Mehr noch: Durch die militärische Auf­rüstung der letzten Jahrzehnte und unter dem politischen Imperativ, seine »Kerninter­essen« zu verteidigen, vermag China seine Nachbarschaft jederzeit zu destabilisieren. Dabei verlagert es die Rivalität jedoch ver­stärkt auch auf die geoökonomische Ebene. Mittels Initiativen wie der BRI und anderer außenwirtschaftspolitischer Instrumente versucht die chinesische Führung, die Inter­essen ärmerer Staaten an schnellem Wirt­schaftswachstum und Infrastrukturausbau für sich zu nutzen. Die Quad-Mitglieder konnten hierauf bislang weder qualitativ noch quantitativ zufriedenstellende Antwor­ten geben. Neben erheblich größeren Inves­titionen in Entwicklungshilfe und höheren Beiträgen an deren Projekte müssten etwa auch die Funktionsweise der Kapitalmärkte und die Regeln des Welthandels im Sinne der Interessen ärmerer Staaten reformiert wer­den; außerdem müssten die Quad-Mitglie­der eigene protektionistische Maßnahmen redu­zieren und die bilateralen Beziehungen zu den ärmeren Staaten über viele Politik­felder hinweg umfassend intensivieren.

Aus der Sicht deutscher Außen­politik muss unabhängig hiervon jedoch beachtet werden, dass minilaterale Kooperations­formate wie der Quad in einer regionalen Ordnung, die sich in einer Übergangsphase befindet, zusehends an Bedeutung gewinnen.

Quad: Implikationen für Deutsch­land und die Europäische Union

Die wachsende Bedeutung der Quad wurde bereits 2021 auf europäischer Ebene ersicht­lich. In ihrer Indo-Pazifik-Strategie bekun­dete die Europäische Kommission Interesse an einer Kooperation im Rahmen des Formats. Der Umgang mit dem Quad stellt Deutschland und die EU zumindest vorder­gründig vor ein Dilemma. Einerseits propa­gieren europäische Akteure – Deutschland zum Beispiel in den Indo-Pazifik-Leitlinien – unter dem zentralen Begriff der regelbasier­ten Ordnung einen VN-zentrierten effek­tiven Multilateralismus und Inklusivität. Andererseits tendieren viele der sogenann­ten gleichgesinnten Quad-Partner in der Region zu exklusiven bi- und minilateralen Kooperationsansätzen. Dies obwohl eigent­lich alle Arbeitsgruppen der Quad Problembereiche bearbeiten, die auch – eventuell sogar nachhaltiger – auf regionaler oder gar globaler multilateraler Ebene behandelt werden könnten. Der Stellenwert multilateraler regionaler Institutionen wie der ASEAN oder dem Pacific Islands Forum sinkt gleich­zeitig weiter.

Auch die angeblich gemeinsamen demokratischen Werte der Quad-Mitglieder, eines der zentralen Merkmale des Formats, stehen oft nicht im Einklang mit dem Demokratie­verständnis der meisten politischen Ak­teure in Europa.

Denn die Betonung dieses Merkmals dient im Kontext der Sicherheitspolitik im Indo-Pazifik hauptsächlich dazu, sich gegen das autokratische China abzugrenzen. Tat­sächlich waren bis zu den letzten Regierungswechseln zu den amtierenden Ad­ministrationen in Washington, Tokio und Canberra keine der vier Quad-Führungen durch demokratiefreundliche Politik auf­gefallen. Im Gegenteil: Indem sie den Fokus auf das autoritäre China und dessen ille­gitime und illegale Praktiken richteten, wurden nicht selten Angriffe der regieren­den Parteien auf eigene demokratische Institutionen relativiert und unterschätzt; das gilt vor allem für die USA und Indien. Im letzten Vision Statement der Quad werden die vormals sehr stark betonten gemein­samen demokratischen Werte denn auch nicht mehr erwähnt.

Das erwähnte Dilemma für die EU ist allerdings eher theoretischer als praktischer Natur. Da insbesondere Europas sicherheits­politische Gestaltungsmacht im Indo-Pazi­fik äußerst gering ist, ist die EU in der Pra­xis längst zu mehrheitlich exklusiven, vor allem bilateralen Kooperationen mit »gleich­gesinnten« Quad-Partnern übergegangen. Beispiele dafür sind neu ins Leben gerufene sogenannte 2+2-Dialogformate, etwa der deutschen Außen- und Verteidigungsministerinnen oder ‑minister mit ihren Amtskol­leginnen und ‑kollegen sowie Teilnahmen der Marine, Luftwaffe und des Heeres der Bundeswehr an Übungen unter anderem mit den Streitkräften Australiens und Japans.

Die wesentliche Frage scheint daher eine viel pragmatischere zu sein: Welchen Mehr­wert bietet die Quad, und gegebenenfalls die Kooperation mit ihr, wenn es darum geht, die regionale Stabilität im Indo-Pazifik zu bewahren? Eine Antwort hierauf ist janusgesichtig. Denn die Quad versucht einerseits immer öfter, mit funktionalen Ansätzen auf konkrete regionale Herausforderungen in verschiedenen nichtmilitärischen Politikfeldern zu reagieren. Diese funktionalen, output-orientierten Ansätze werden in der Region zusehends positiv ge­wertet und haben die Legitimität der Quad erhöht. Die Quad könnte daher künftig entsprechende minilaterale Initiativen für andere Staaten öffnen. Dies böte die Mög­lichkeit, die Rolle der Quad in der Region inklusiver zu gestalten und gegebenenfalls sogar zur Multilateralisierung einzelner Quad-Initiativen durch aktive Mitwirkung anderer Staaten beizutragen, die dem For­mat nicht angehören.

Auf der anderen Seite ist der Quad aber mehr Symptom als Lösung des Problems regionaler Instabilität. Unabhängig davon, ob hauptsächlich die Führung in Peking oder die chinesisch-amerikanische Groß­mächterivalität für die Instabilität der Region verantwortlich gemacht wird: Klar ist, dass weder Regierungen in Peking noch in Washington in der Lage sein werden, die Eskalationsspirale zu durchbrechen.

Zweifellos sind chinesische Gebiets­ansprüche im Ost- und Südchinesischen Meer und auf Taiwan unmittelbare Ur­sachen für Spannungen. In anderer Hin­sicht vergrößern wiederum die Spannungen zwischen China und den USA mittelbar auch die Sorgen vor allem Japans und Australiens, die ihnen ihre stetig wachsenden sicher­heitspolitischen Abhängigkeiten vom zu­neh­mend unverzichtbaren, aber auch un­berechenbaren Verbündeten USA bereiten.

Als Konsequenz dieser destabilisierenden Wechselwirkung zwischen China und den USA (sowie Japans und Australiens als Ver­bündeten der USA) ist es ratsam, dass euro­päische Entscheidungsträger darauf achten, die Kooperation mit regionalen Akteuren nicht auf die Quad-Mitglieder zu begrenzen. Das bedeutet nicht, die Augen vor der wach­senden Bedeutung der Quad und anderer minilateraler Initiativen zu verschließen. Eine Entschärfung der wechselseitigen Eskalation erscheint derzeit aber nur mög­lich, indem mit einer Vielzahl von Partnern in der Region kooperiert wird, vorzugsweise jenen, die keine großmachtpolitischen Am­bitionen hegen. Im Rahmen eines solchen Kreises von Akteuren müssten gemeinsam Ideen für ein Management der Großmächte­rivalität entwickelt werden; das Hauptaugen­merk sollte darauf liegen, den Ausbruch militärischer Konflikte zu verhindern. Deutschland und andere europäische Staa­ten sollten schon jetzt signalisieren, dass sie derartige künftige Initiativen unterstützen.

Dr. Felix Heiduk ist Leiter der Forschungsgruppe Asien, Dr. Christian Wirth Wissenschaftler in dieser Forschungsgruppe.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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ISSN (Print) 1611-6364

ISSN (Online) 2747-5018

DOI: 10.18449/2023A35