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»Der Frieden kommt aus dem Osten«

Die Slowakei zwischen Russlandnähe und pragmatischer Ukrainepolitik

SWP-Aktuell 2025/A 44, 02.10.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A44

Forschungsgebiete

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico gehört zu den lautstarken Kritikern der Russlandpolitik der Europäischen Union und des Westens insgesamt. Fico, der seit Herbst 2023 einem linksnationalen Regierungsbündnis vorsteht, fordert eine Kurs­wende gegenüber Moskau und eine »friedensorientierte« Neuaufstellung des Westens bei der Unterstützung der Ukraine. Für Ficos russlandfreundliches Gebaren gibt es historische und innenpolitische Gründe. Sein Agieren ist Bestandteil einer von ihm selbst so bezeichneten »Außenpolitik in alle vier Himmelsrichtungen«. Trotz der zur Schau gestellten Russlandnähe, einer Übereinstimmung mit Moskau in Fragen der sicherheitspolitischen Ordnung und zahlreichen Konflikten mit der Ukraine unterstützt Fico den EU-Beitritt des Nachbarlands und bilaterale Kooperationsformate. Für Deutschland ist von Bedeutung, ob die Slowakei zu einem Veto-Player in der EU-Russ­landpolitik wird oder ob sie ihre Kombination aus Russlandnähe, verbaler Kritik an der Sicherheitspolitik des Westens, doch gleichzeitig auch pragmatischer Unter­stützung für die Ukraine fortführen wird.

Seit Robert Fico mit seiner Partei Smer-SSD (Richtung – Slowakische Sozialdemokratie; nachfolgend Smer) im Rahmen einer links­nationalen Koalition im Oktober 2023 in Regierungsverantwortung gelangt ist, hat er die Kritik an der Russlandpolitik des Westens zu einem zentralen Punkt seiner Agenda gemacht. Der slowakische Minister­präsident und Mitglieder seiner Regierung haben zwar Russlands Aggression gegen die Ukraine als völkerrechtswidrig bezeichnet, sehen aber die tieferen Ursachen für den Konflikt in einer expansiven Politik der Nato und der mangelnden Berücksichtigung russischer Sicher­heitsinteressen nach 1989 bzw. 1991. Gleich­zeitig hat Fico immer wieder die Ukraine für den Krieg mitverant­wortlich gemacht und eine angebliche »Dämonisierung« des russischen Präsidenten Vladimir Putin angeprangert. Noch im Wahlkampf vor den letzten Parlaments­wahlen hatte Fico denn auch eine Revision der slowakischen Politik gegenüber dem Nachbarland bzw. eine Reduktion der Mili­tär­hilfen und Rüstungsexporte an­gekündigt und erklärt, keine einzige Patrone mehr aus seinem Land in die Ukraine liefern lassen zu wollen.

Ganz anders dagegen die Haltung gegenüber Russland, mit dem Fico ungeachtet des Angriffskriegs weiterhin kooperative, ja freundschaftliche Beziehungen unterhält. Fico und seine Umgebung unterstreichen ihre Haltung gegenüber Russland nicht zuletzt durch die Pflege persönlicher und politischer Kontakte zu Vertretern Russ­lands und durch Reisen nach Russland. Für ein großes Echo sorgten Ficos direkte Tref­fen mit dem russischen Staatspräsidenten. So kam Fico mit Putin im Dezember 2024 in Moskau zu einem bilateralen Treffen zusammen. Im Mai 2025 nahm Fico an den offiziellen russischen Feierlichkeiten zum Jahrestag des Siegs über das nationalsozialistische Deutschland teil. Anfang Sep­tem­ber 2025 reiste Fico, abermals als ein­ziger Regierungschef eines EU-Landes, nach Peking, um dort an den Gedenkzeremonien zum Ende des Kriegs in Asien teilzunehmen. Fico traf sich in diesem Kontext erneut zu einem Zweiergespräch mit Putin. Während der Zusammenkunft mit Putin Ende 2024 bezeich­nete Fico »standardisierte« Beziehungen seines Landes zu Russland, also eine Art Normalisierung des beiderseitigen Verhältnisses, als Ziel seiner Politik.

Zusammen mit Ungarn sieht sich die Slowakei als aktiver Sprecher eines »Frie­dens­lagers« in den Strukturen des Westens, das die militärische Unterstützung für die Ukraine lediglich als eine Verlängerung des Kriegs ohne Aussicht auf Erfolg betrachtet. Gleichzeitig spricht sich die Regierung Fico prinzipiell gegen die Sanktionspolitik der EU bzw. die Kappung vor allem wirtschaftlicher Beziehungen zu Russland aus. Mit den Stimmen der meisten Koalitionsabgeord­neten nahm das slowakische Parlament im Juni 2025 einen Beschluss an, der die Regie­rung dazu verpflichtet, in internationalen Organisationen keinen neuen Sanktionen oder Handelsbeschränkungen gegen Russ­land mehr zuzustimmen, wobei jedoch vage formuliert wurde, dass dies nur für Maß­nahmen gelten solle, die negative wirt­schaft­liche Auswirkungen für die Slowakei nach sich ziehen. Insbesondere die Sanktionen im Energiesektor bringen aus Sicht Bratisla­vas Kosten mit sich. Die Slowa­kei ist tradi­tionell in hohem Maße auf die Einfuhr rus­sischer Energieträger (Erdöl, Gas, nukleare Brennstoffe) angewiesen und möchte diese auch weiterhin nutzen. Die komplette Ab­kehr von russischen Gas- und Öleinfuhren bis Ende 2027, wie sie die EU im Rahmen ihres REPowerEU-Plans anstrebt, und ebenso ein Vorziehen des Verbots von russischen Flüssiggas­importen auf Ende 2026, wie es im 19. Sank­tionspaket der EU vorgesehen ist, wird daher von der Slowakei im Grund­satz abgelehnt. Im Sommer 2025 gelang es der slowakischen Regierung mit ihrer Dro­hung, das 18. Sank­tionspaket der EU gegen Russland mit einem Veto zu verhindern, das Zugeständnis einer Ausnahmeregelung im Hinblick auf den kompletten Importstopp zu erwirken.

Dass Fico gegen den westlichen »Main­stream« eine Kooperation mit Russland pro­pagiert und in Teilen auch praktiziert, ist auf gesellschaftliche bzw. innenpolitische, weltanschauliche und wirtschaftliche Fak­to­ren zurückzuführen.

Russophile Strömungen in der Slowakei

Ähnlich wie in anderen europäischen bzw. mitteleuropäischen Ländern gibt es auch in der Slowakei starke illiberale und anti­westliche Stimmungen. Doch in kaum einem anderen Land im östlichen Mittel­europa fallen diese mit ausgeprägt slawo­philen und insbesondere prorussischen Strömungen zusammen. Letztere gehören zu den langen Linien der slowakischen Identität. Auch wenn sie nicht immer domi­nant waren, so haben sie seit der Formierung des slowakischen Nationalgedankens im 19. Jahrhundert einen wichtigen Platz im nationalen Bewusstsein. Für zahl­reiche Verfechter des Slowakentums, allen voran den Schriftsteller und Sprachwissenschaftler Ľudovít Štúr, war das zaristische Russ­land ein natürlicher Verbündeter oder gar eine Schutzmacht gegen die Habsburger oder die ungarische Herrschaft. Auch in der kommunistischen Bewegung der Slowakei gab es starke russlandfreundliche Grup­pen, in denen Mitglieder noch zu Ende des Zwei­ten Weltkriegs den Anschluss der Slowakei an die UdSSR als Sowjetrepublik erwogen. Die Niederschlagung des Prager Frühlings und die darauffolgende Phase der sogenann­ten »Normalisierung« wiederum waren für große Teile der slowakischen Gesellschaft kein vergleich­barer Schock wie für ihre tschechischen Mitbürger. Denn sie brachte zum einen nominell die Föderalisierung der Tschechoslowakei und zum anderen konnte der schwächere östliche Teil des Gesamt­staats in dieser Zeit seinen Industrialisierungs­prozess fortsetzen. Nach dem Erreichen der Unab­hängigkeit im Jahr 1993 stützten sich nationalis­tische, konservative und links­patriotische Parteien in der Slowakei mit ihrer Kritik am liberalen Wes­ten und an der Nato sowie dem Vorschlag, die Zusam­menarbeit mit Russland zu vertiefen, auf die historisch gewachsene Russ­land-Affini­tät von Teilen der Gesellschaft.

Eine besondere Rolle in der Erinnerungs­politik der Slowakei spielt die Bedeutung der Sowjetunion im Kampf gegen den slo­wakischen Vasallen-Staat des national­sozialistischen Deutschlands bzw. gegen die deutsche Besatzung in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Aus dem Gedenken an diese Zeit werden außenpolitische Ablei­tungen vorgenommen. Die von Fico und Smer-Politikern wie dem Europaabgeordneten Ľuboš Blaha verwendete Parole, der zufolge aus Sicht der Slowakei »der Krieg immer aus dem Westen kommt und der Frieden aus dem Osten«, bringt diese poli­tische Kontextualisierung auf den Punkt. Im Herbst 2024 trat Fico mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, in der Slowakei ein Denk­mal für den sowjetischen Marschall Konjev zu errichten, eine Idee, die Putin bei Ficos Besuch in Moskau anlässlich der Feier­lich­keiten zum 80. Jahrestag des Kriegsendes am 9. Mai 2025 ausdrücklich begrüßte. Konjev war Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte während der Ostkarpatischen Operation, die 1944 zur Entlastung des Slowakischen Nationalaufstands beitrug. Geschichts- und erinnerungspolitische The­men sind – zumindest unter den Vor­aus­setzungen einer Regierung der Smer oder nationalistischer Par­teien – ein Faktor des Zusammenhalts im Verhältnis zu Russland.

Die von Fico erklärte Bereitschaft zur Ko­operation mit Russland, die mehr noch eine erklärte Nähe zu Moskau ist, und die Kritik an der Nato bzw. am Westen gründen sich somit auf ein festes weltanschauliches Fundament. Die historisch gewachsenen Prägungen und Wahrnehmungen der slo­wa­kischen Gesellschaft schlagen sich auch in Umfragen nieder. Knapp ein Drittel der Anfang 2025 befrag­ten Slowaken sieht Russland als »strategischen Partner« (an zweiter Stelle, hinter Deutschland). Fast zwei Drittel wenden sich gegen Waffen­lieferungen an die Ukraine. Während in der Bevölkerung eine deutliche Mehrheit die Mitgliedschaft des Landes in der Nato gut­heißt, sind es in der Anhängerschaft der nationalistischen Parteien bis zu drei Vier­tel, die sich dagegen aussprechen (Koalitions­partei SNS: 76%; oppositionelle Republika: 59%). Zwei Fünftel der Smer-Sympathisan­ten sind gegen einen Verbleib im Bündnis, 52 Prozent sind dafür. Das Gros der Smer-Wählerschaft (82%) gibt an, Russland sei für die Slowakei keine Bedrohung.

Antifaschismus und »souveräne Außenpolitik«

Robert Fico folgte in seiner politischen Kar­riere zumeist dem Primat des Machterhalts. Seine Weltanschauung und die programma­tische Ausrichtung der von ihm 1999 gegründeten Partei Smer-SSD hat sich denn auch als anpassungsfähig erwiesen. Fico hat die Partei zunächst von einer »unideologischen« politischen Kraft, die für einen »drit­ten Weg« eintrat, zu einer sozialdemokra­tisch etikettierten Gruppierung europäischer Prägung umgebaut. Im Jahr 2018 musste er als Ministerpräsident zurück­treten, nachdem der Mord an dem Journa­lis­ten Ján Kuciak und dessen Verlobter Massen­proteste aus­gelöst hatte. Spätestens seit diesem Moment und im Zuge der gesellschaftlichen Polari­sierung während der Corona-Pandemie haben sich Fico und seine Partei zumindest verbal radikalisiert und kulturkonservative sowie linksnationale Positionen eingenommen. Anlässlich des Feiertags zum Gedenken an die Apostel Kyrill und Method im Juli 2024 forderte Fico die Errichtung eines »riesigen Damms« gegen »progressive und liberale Ideologien, die sich wie Krebs vermehren«. Hier zeigen sich zumindest implizit Überlappungen mit der antiwestlichen Liberalismuskritik, wie sie auch von Moskau betrieben wird.

Ebenfalls mit Kreml-Propaganda kompatibel ist die pauschale Kritik an Nichtregierungsorganisationen oder liberalen Medien, denen antistaatliches oder antislowakisches Verhalten vorgeworfen wird, sowie Ficos Warnung vor einer »Majdanisierung« der Slowakei und anderer europäischer Staaten, also der angeblichen Aspirationen liberaler Kräfte, den Sturz missliebiger Regierungen durch fremdgesteuerte Protestkundgebungen zu erzwingen.

Charakteristisch für die Smer ist die Kom­bination konservativ-traditionalis­tischer Haltungen mit einer sozial ausgerichteten wirtschaftspolitischen Rhetorik und einer nominell linken Identitätspolitik, deren harter Kern ein schon im Kommunismus jahrzehntelang eingeübter »Antifaschis­mus« ist. Sowohl für linkspatriotische als auch rechtsnationale Gruppierungen in der Slowakei konstituieren insbesondere der Slowakische Nationalaufstand (SNP) und das Vorrücken der Roten Armee eine Art Gründungsmythos der modernen slowakischen Staatlichkeit. Für die Linke sind der SNP und die militärischen Erfolge der Sowjetunion Teil einer antifaschistischen Befreiungsnarra­tion, die durch symbolische Akte und Feierlichkeiten regelmäßig be­stärkt und erneuert wird, aber auch als ideologisch und außenpolitisch richtungweisend gilt. Smer-Vize Blaha etwa sprach davon, dass der Faschismus nun in »Regen­bogenfarben« daherkomme, oder redete vom »libe­ralen Faschismus«.

Schließlich ergeben sich Anknüpfungspunkte zu Russland auch beim außen­politischen Selbstverständnis der slowakischen Regierung. Ficos zentrale Leitlinie ist die Vorstellung einer »souveränen slowakischen Außenpolitik«. Hinter dieser Parole steht die Auffassung, als kleines Land müsse die Slowakei ungeachtet ideologischer Para­meter mit Partnern »aus allen vier Himmels­richtungen« zusammenarbeiten. Fico be­tont immer wieder, dass man die Verpflichtungen, die sich für Bratislava aus der EU- und der Nato-Mitglied­schaft ergäben, ein­halte und die Europäische Union der »Lebens­raum« der Slowakei sei; gleich­zeitig möchte er sich aber Kooperationschancen mit anderen Staaten nicht ein­schränken lassen. Zu dieser souveränen Außenpolitik gehört auch der Import rus­sischer Energieträger oder das Eintreten für eine »Friedens­politik« in Sachen Ukraine-Krieg. Faktisch geht sie vor allem mit dem Ausbau von diplomatischen und teils wirtschaft­lichen Kontakten zu Russland, China und anderen zentral- oder ostasiatischen Ländern einher.

Energiewirtschaftliche Verflechtungen

Die Slowakei bezieht traditionell einen Groß­teil ihrer Öl- und Gaslieferungen aus Russland. Im Jahr vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erhielt die Slowakei etwa 85 Prozent ihrer Erdgas­einfuhren und fast ihren kompletten Öl­import aus Russland. Da das Land kaum über Eigenproduktion verfügt, decken Importe den Ver­brauch weitgehend ab. Nach 2022 begann die Slowakei vor allem im Gassektor mit ersten Diversifizierungsbemühungen, so dass der Anteil der russi­schen Einfuhren phasenweise auf etwa 50 Prozent absank. Durch Pipeline-Anbin­dungen an sämtliche Nachbarländer ver­fügt die Slowakei theoretisch über gute Voraussetzungen, um Erdgas aus anderen Quellen zu beziehen. Allerdings steckt der größte slowakische Gasversorger, die SPP, in einem bis 2034 laufenden Langfristvertrag mit der russischen Gazprom fest. Die SPP deckt etwa zwei Drittel des slowakischen Jahres­verbrauchs, der 2024 bei etwa 4,3 Mil­liarden Kubikmeter lag. Zu einer Zuspitzung der Spannungen zwischen der Slowakei und der Ukraine in Sachen Gas kam es, als Kiew erklärte, die Erlaubnis für den Gastransit aus Russland ab Anfang 2025 nicht mehr verlängern zu wollen. Die Regierung Fico möchte am Kauf von Gas aus Russland fest­halten und machte die Ukraine für höhere Kosten verantwortlich, die die Slowakei wegen längerer Transport­wege zu zahlen habe. Fico warf Kiew über­dies vor, dass dem slowakischen Staatshaushalt durch die Beendigung des Transits von Gas aus Russ­land nach Mitteleuropa Transitgebühren in Höhe von 500 Millionen Euro entgingen. Er drohte der Ukraine unter anderem damit, Stromlieferungen (die fast ein Fünftel des ukrainischen Bedarfs ausmachen) einzustellen.

Parallel dazu liegt die Slowakei mit der EU im Clinch. Der REPowerEU-Fahrplan zum kompletten Ausstieg aus dem Bezug von russischen Energieträgern bis Ende 2027 bzw. die im Rahmen des 19. Sanktions­pakets angestrebten Maßnahmen werden aus Sicht der slowakischen Regierung un­angemessene Nachteile für die eigene Wirt­schaft mit sich bringen. Im Juli 2025 erklär­te Fico, er werde den EU-Plan »nie unterstützen«, da er die Slowakei eine halbe Milliarde Euro kosten werde. Zeitgleich verknüpfte er seine Zustimmung zum 18. Sanktionspaket der EU gegen Russland mit der Forderung nach Erleichterungen für die Slowakei bei der Umsetzung des REPower­EU-Plans. Als die Kommissions­präsidentin Maßnahmen zur Abmilderung möglicher Negativeffekte für die Slowakei in Aussicht stellte, lenkte Fico tatsächlich ein. Die Kommission bot der Slowakei unter ande­rem Rechtshilfe bei Arbitragestreitigkeiten mit Gazprom oder die Nutzung von EU-Geldern zur Abfederung eventueller Be­lastungen für Privathaushalte und Firmen an. Auch soll die Slowakei die Möglichkeit erhalten haben, Strompreissenkungen für Haushalte aus EU-Geldern mitzufinanzieren. Trotzdem steht die Regierung Fico dem REPowerEU-Programm weiterhin ablehnend gegenüber und bis auf Weiteres ebenso dem 19. Sanktionspaket. Nur in der Sanktionspolitik gilt allerdings Einstimmigkeit, daher können über die Vetodrohung auf diesem Feld indirekt auch Konzessionen bei RE­PowerEU herausgeholt werden. Fico machte im Kontext des 19. Sanktionspakets deut­lich, dass niedrige Energiepreise und An­passungen in der Klimapolitik – etwa für die Automobil- und Schwerindustrie – für die Slowakei Voraussetzungen für die Zu­stimmung sein könnten.

Was den Bezug von russischem Erdöl be­trifft, hatten schon die Vorgängerregierungen von Robert Fico wie auch Ungarn und Tschechien eine Ausnahmeregelung er­kämpft. Die Raffinerie Slovnaft, die sich im Eigentum der ungarischen MOL befindet, verarbeitet weiterhin vorwiegend russisches Erdöl. Bis Mitte 2025 konnte Slovnaft Pro­dukte, die aus russischem Erdöl hergestellt wurden, auch exportieren. Die technische Umrüstung, die das Raffinerieren anderer Ölsorten erlaubt, ist mit Kosten verbunden, soll aber bis 2027 so weit vorangeschritten sein, dass eine vollständige Substituierung russischen Öls möglich wäre. 2024 stammte laut Firmenangaben etwa ein Fünftel der verarbeiteten Rohölmengen nicht aus Russ­land. Durch die an der kroatischen Küste beginnende Adria-Pipeline verfügt Slovnaft via Ungarn über eine alternative Import­route zur Druschba-Leitung aus der Ukraine. MOL bzw. Slovnaft verweisen aller­dings auf angeblich hohe Transitgebühren des kroa­tischen Pipelinebetreibers. Außerdem zeig­ten Testläufe angeblich, dass die Kapazität der Adria-Leitung nicht ausreiche, um die Raffinerien in Ungarn und der Slowakei vollends zu versorgen. Der Transportweg über die Druschba hat mehrfach zu Ver­werfungen zwischen der Slowakei (und Ungarn) und der Ukraine geführt. Im Som­mer 2024 kam es zum Streit, da die Ukraine sich weigerte, Erdöl von der sanktionierten russischen Lukoil über ihr Territorium zu verfrachten. Teil der Lösung war dann offenbar, dass andere russische Firmen als Lieferanten eintraten oder das zu trans­portierende Erd­öl bereits an der russisch-ukrainischen Grenze formal in den Besitz von EU-Firmen ge­langt. Im Sommer 2025 hingegen belasteten Angriffe der Ukraine auf Infrastrukturen der Druschba-Pipeline in Russland aber­mals das Verhältnis zur Slowakei (und zu Ungarn), da es zu Liefer­ausfällen kam.

Die Slowakei begibt sich also nur schwerfällig auf den Weg der energiewirtschaft­lichen Diversifizierung. Obschon es auch in Fach- und Wirtschaftskreisen des Landes unterschied­liche Auffassungen über die Vorteil­haftigkeit von Importen aus Russ­land gibt, dominiert in der Rhetorik des Regierungslagers weiterhin das Argument, der Bezug von Energieträgern aus Russland sei günstig. Prin­zipiell will die Slowakei daher in allen Sektoren die Kooperation mit Russland auf­recht­erhalten. Dem Druck, der von der EU ausgeht, etwa von der Kommission, die die Abwendung von russischen Energieträgern priorisiert, oder von der Mehrheit im Rat, der man sich auch zu­sammen mit Ungarn numerisch nicht widersetzen kann, wird sich die Slowakei nicht entziehen können. Überdies drängt auch die Trump-Administration sowohl in Brüssel als auch gegenüber der Slowakei (und Ungarn) vermehrt darauf, die Ein­fuhren von Gas und Öl aus Russland kom­plett einzustellen. Stärker als Signale aus Washington könn­ten weitere Engpässe in der Lieferinfrastruktur wirken. Die bulga­rische Regierung kündigte Ende September an, den Transit über die TurkStream-Trasse bis Ende 2027 zu beenden, womit es für die Slowakei und Ungarn noch einmal deutlich schwieriger würde, am Bezug von russischen Lieferungen festzuhalten. Doch wird Bratislava ver­suchen, Sonderregelungen und Kompensa­tionen auszuhandeln.

Folgen für die Politik der Slowakei in der EU und der Nato

Während sich Fico in seiner Kritik an der Haltung des Westens mehr und mehr verbal radikalisiert, er diplomatische Kon­takte zu Russland und Vladimir Putin ostentativ zur Schau stellt und sogar mit einem Ausstieg aus der Nato kokettiert, bleibt sein außen- und europapolitischer Kurs insgesamt doppeldeutig und in Teilen pragmatisch. Dies gilt in erster Linie für seinen Umgang mit der Ukraine. Die Über­nahme russischer Narra­tive zu den Kriegs­ursachen und zu Entwicklungen in der Ukraine kontrastiert mit einer Agenda der bilateralen Kooperation mit dem Nachbarland und der Unterstützung Bratislavas für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine (nicht aber für eine Aufnahme in die Nato, die Fico immer strikt abgelehnt hat). Symptomatisch für den ambivalenten Kurs der slo­wakischen Regierung ist auch die Rüstungs­exportpolitik in Sachen Ukraine. Die Aus­fuhr von Waffensystemen (wie etwa der Panzerhaubitze Zuzana 2), Munition (bei der Produktion von 155-mm-Artillerie­geschos­sen ist die Slowakei eines der füh­ren­den Länder in Europa) und Panzerfahrzeugen, deren Gros vermutlich direkt oder indirekt in die Ukraine gelangt, hat sich 2024 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Verteidigungsminister Kaliňák erklärte die Steigerung mit der Linie der Regierung Fico: Diese habe sich zwar von Anfang an gegen staat­liche Lieferungen von Waffen an die Ukraine ausgesprochen, werde die Rüs­tungsfirmen aber nicht daran hindern, Geschäfte zu machen und Arbeitsplätze zu sichern. Ministerpräsident Fico traf sich im Rahmen gemeinsamer Kabinettssitzungen mehrfach mit seinem ukrainischen Amts­kollegen Denis Šmyhal. Anfang September 2025 kam Fico im ukrainischen Uschhorod erstmals zu einem Vieraugengespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Selensky zusammen. Im ost­slowakischen Michalovce vereinbarten die beiden Regierungen im April 2024 eine Roadmap zur Umsetzung einer Reihe von Projekten. Die slowakische Regierung übergab der Ukraine im Rahmen »humanitärer Hilfe« auch fünf Minenräumgeräte vom Typ Božena. Sie verfolgt also parallel zu ihrer russlandaffinen Rhetorik in der Praxis eine Hilfs- und Kooperations­agenda gegenüber der Ukraine. Irritationsthemen wie etwa der Öl- und Gastransit haben bislang nicht dazu geführt, dass die von Fico angekündigten Drohungen gegen­über der Ukraine in die Tat umgesetzt wurden. Bei seinem Treffen mit dem ukrai­nischen Staatspräsidenten Anfang September 2025 drohte Fico nicht mehr mit dem Ende slowakischer Energielieferungen ins Nach­barland – und das trotz neuerlicher ukrainischer Angriffe auf das Druschba-Pipelinenetz.

Auch in der EU-Politik gegenüber Russland geht Fico trotz seiner Kreml-nahen Stellungnahmen zur Ukraine und seines Kontakts zum rus­sischen Präsidenten einst­weilen nicht auf vollen Konfrontationskurs. Bis­lang blockierte die Slowakei trotz ihrer scharfen Ansagen keines der EU-Sanktions­pakete gegen Russland. Das bislang einzige Veto legte Bratislava (ebenso wie die unga­rische Regierung) gegen Sanktionen ein, die die EU Ende 2024 der georgischen Regierung auferlegen wollte. Seine Kritik an dem geplanten 19. Sanktionspaket der EU gegen Russland verband Fico abermals mit der Forderung Richtung Brüssel, für eine Sen­kung der hohen Strompreise zu sorgen, die eine Folge der europäischen Klimapolitik seien. Seine Regierung drängt überdies darauf, nationale Beihilfen zur Linderung steigender Energiekosten aus EU‑Mitteln mitfinanzieren zu lassen. Dies deutet an, wie stark die innenpolitische Komponente der slowakischen Haltung in der europäi­schen Sanktionspolitik ist.

Außerhalb des westeuropäischen Main­streams begibt sich die Slowakei dann, wenn es um regierungsoffizielle militäri­sche Unterstützung für die Ukraine, die Perspektiven des Kriegsendes sowie das Ver­hältnis des Westens zu Russland geht. In­sofern distanziert sich die Slowakei von den Koalitionen der Willigen, die die Ukraine finan­ziell und verteidigungspolitisch unterstützen möchten. Was eine Nato-Mit­gliedschaft der Ukraine betrifft, ist Fico mit seiner Ablehnung wiederum alles andere als isoliert – sie wird auch von den USA und zahlreichen europäischen Partnern nicht unterstützt. Seine häufig im innen­politischen Diskurs geäußerte Kritik an einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben hat sich aber nicht dahingehend nieder­geschlagen, dass die Slowakei während des 2025er Gipfels der Nato das dort verein­barte 5-Prozent-Ziel abgelehnt hätte; sie strebte nicht einmal eine Sonderregelung ähnlich der spanischen an.

Perspektiven: Den Westen kritisieren, aber nicht lahmlegen

Robert Fico wird an den Grundzügen seiner Russ­landpolitik und damit auch seines Ansatzes gegenüber der Ukraine auch in nächster Zukunft festhalten. Dies bedeutet: Geißelung der Eindämmungs- und Ab­kopp­lungspolitik des »liberalen Westens« gegen­über Russland, Anmahnung eines raschen Verhandlungsfriedens mit Zuge­ständnissen seitens der Ukraine, Ablehnung einer kon­tinentalen Sicherheitsordnung, die ohne Inklusion Russlands auskommen will, Op­position gegen eine ukrainische Nato-Mit­gliedschaft; aber auch: Weiterentwicklung der bilateralen Kooperation mit der Ukraine und Unterstützung für den EU-Beitritt des Landes nach strikter Erfüllung der Auf­nahme­bedingungen. Die Instabilität seiner Koalition, die Erwartungen eines beacht­lichen Teils seiner Wählerschaft sowie die Konkurrenz seitens nationalistischer Grup­pierungen zwingen Fico dazu, sein fakti­sches Nicht-Blockieren der Russland- und Sicherheitspolitik der EU durch zornige Verbalattacken gegen den Weg der meisten europäischen Partner und durch diploma­tische Inszenierungen zu kompensieren. Hinzu treten harte wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Faktoren. Nach Ficos Einschätzung wird die Abkehr von rus­sischen Energieträgern Preissteigerungen bei Energiekosten zur Folge haben, die die slowakische Industrie und Teile des »sozia­len Elektorats« der Smer treffen könnten. Ficos Politik mag dabei von außen inkonsis­tent wirken, will er doch Westbindung, Russ­landnähe und multivektorale Politiken unter einen Hut bringen. Nach innen ist dieser Ansatz aber durchaus probat. Denn so kann er unterschiedliche Teile der Wähler­schaft ansprechen, die in Teilen ebenfalls in­konsistent wirkt. Charakteristisch ist eine Umfrage von Anfang 2025, in der sich 70 Prozent der Befragten für die Nato-Mitgliedschaft der Slowakei aus­sprachen, aber die Hälfte für eine mili­tärische Neutralität optierte.

Tendenziell kann es aber künftig zu mehr Verhärtungen kommen. Denn Fico dürfte sich durch seine Vernetzung in alle vier Himmelsrichtungen, nicht zuletzt durch seine guten Beziehungen zu Großmächten wie China, politisch aufgewertet fühlen, auch wenn er daraus bislang de facto wenig außenpolitisches Kapital schlagen konnte. Zusammen mit Ungarn und vermutlich mit Tschechien unter einem möglichen Minis­terpräsidenten Andrej Babiš wird Fico zu dem Schluss kommen, dass die Gruppe derer, die in der EU eine Kurskorrektur in der Russ­land- und Ukrainepolitik fordern, größer wird. Die Konkurrenz durch natio­nalistische Parteien verstärkt auf Seiten der Smer die Notwendigkeit einer russlandfreundlichen Profilierung. Der Koalitionspartner Hlas, der sich lange als moderates Regulativ in der Europa- und Außenpolitik darstellte, wird diese Rolle, wie sich in­zwi­schen zeigt, ebenso wenig spielen wie der aus dieser Partei stammende Staatspräsi­dent Peter Pellegrini. Diese Kräfte begnügen sich mit dem Bekenntnis des Regierungschefs zur Verankerung der Slowakei in der EU und der Nato, wie es etwa in einem Memo­randum zur slowakischen Außen­politik ver­ankert ist, das die drei wichtigsten Ver­treter des Staates (Staatspräsident, Parlamentspräsident und Ministerpräsident) im September 2024 unterschrieben haben. Massive Kritik etwa an den Besuchen Ficos in Moskau oder Peking kommt aber weder von Pellegrini noch von der Hlas.

Sollte die Regierung Fico infolge um­strittener innenpolitischer Maßnahmen in einen schärferen Konflikt mit der Europäischen Kommission hinsichtlich der Rechts­staatlichkeit geraten, könnte Fico versucht sein, in der Russlandpolitik, aber auch in anderen Fragen der internationalen Politik seinen Worten mehr Taten folgen zu las­sen, etwa häufiger und real auf Veto­möglich­keiten zurückzugreifen.

Die Russlandpolitik bietet für die Regierung Fico weiterhin Chancen zur innen­politischen Mobilisierung, wirtschaftlichen Koope­ration und außenpolitischen Profi­lierung. Eventuell wird sie aber auch im »broader picture« des Verhältnisses zwi­schen der EU und der Slowakei eine Rolle als Verhandlungsmasse spielen, wenn die EU die slowakische Regierung durch die Androhung von Mittelsperrungen aufgrund von Rechtsstaatsdefiziten in Bedrängnis bringen würde.

Für Deutschland bedeutet dies alles, den Austausch mit der Regierung, konkret mit Robert Fico, nicht abreißen zu lassen und dabei die Relevanz der Russland- und Ukrainepolitik beständig zu betonen. Deutsch­land ist daran interessiert, die Slowakei nicht zu einem Veto-Akteur in Sachen Russland werden zu lassen. Gleich­zeitig muss der Bundesregierung daran gelegen sein, die kooperative Haltung der Slowakei bei den Beitrittsbemühungen der Ukraine und bei bilateralen Hilfen etwa im Energiesektor zu unterstützen. Ungeachtet des prinzipiellen Gleichklangs zwischen Brati­slava und Budapest im Hinblick auf die Russ­landsanktionen oder die »Friedens­politik« unterscheidet sich der slowakische Ansatz vom ungarischen vor allem in der Frage der EU-Erweiterungspolitik. Dies er­öffnet die Mög­lichkeit, die Slowakei in einem wichtigen Politikfeld in Abgrenzung zu Ungarn einzubinden, das seinerseits ver­suchen wird, nach einem eventuellen Regie­rungswechsel in Tschechien im Herbst 2025 die Gruppe der »Ukraine-realistischen« EU-Staaten zu verstärken. Die nichtmilitärische Hilfe für die Ukraine, insbesondere Energie- und sonstige Infrastrukturprojekte, und die Anstrengungen des Landes, in die EU aufgenommen zu werden, könnten eben­so wie die Erweiterungspolitik der EU und die slowakischen Energie- und Diversifizierungsstrategien zu Brücken­themen zwi­schen Deutschland und der Slowakei ge­macht werden. Damit ließe sich auch der Verstärkte Dialog beider Länder revitalisieren. Parallel hierzu könnte der Austausch über den kommenden MFR der Slowakei die Chancen einer aktiven Inter­aktion mit Deutschland vor Augen führen. Gleichzeitig kann der Slowakei gegenüber signalisiert werden, dass eine tatsäch­liche, über eine kämpferische Sprache hinausgehende Verweigerungshaltung in Sachen Russland dazu führen kann, dass die Slowakei bei wichtigen europa- oder außenpolitischen Anliegen nur begrenzt mit deutscher Unterstützung rechnen kann.

Dr. Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa.

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