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»Afrikanische Lösungen« nach dem Mali-Einsatz

Nach ihrer als gescheitert empfundenen Mission in Mali will die Afrikanische Union (AU) eine schnelle Eingreiftruppe aufbauen. Ihrem Ziel, eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent zu spielen, wird sie damit kaum näher kommen, meint Judith Vorrath.

Kurz gesagt, 08.10.2013 Forschungsgebiete

Nach ihrer als gescheitert empfundenen Mission in Mali will die Afrikanische Union (AU) eine schnelle Eingreiftruppe aufbauen. Ihrem Ziel, eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent zu spielen, wird sie damit kaum näher kommen, meint Judith Vorrath.

Mit dem 1. Juli ist die kurzlebige, afrikanisch geführte Unterstützungsmission für Mali (AFISMA) in die UN-Mission MINUSMA überführt worden. Dies ist das vorläufige Ende einer Phase von Rückschlägen für "afrikanische Lösungen", die nach dem Selbstverständnis der Afrikanischen Union (AU) Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent garantieren sollen. Besonders der Stachel der französischen Intervention, mit der im Januar 2013 auf Bitten der malischen Regierung gegen vorrückende Rebellen vorgegangen wurde, sitzt tief. Denn sie machte die im Dezember 2012 mandatierte und noch im Aufbau befindliche AFISMA weitgehend zum Statisten. Schon zu einem früheren Zeitpunkt war es nicht gelungen, eine Truppe der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS zu entsenden. Eine African Standby Force mit regional verankerten Brigaden ist zwar im Aufbau, aber noch nicht einsatzfähig. Letztlich wurde AFISMA zwar im Sog der Ereignisse schneller entsandt als vorgesehen; doch der Eindruck ihres Scheiterns hat sich festgesetzt.

Die AU musste vor allem erkennen, dass die zentrale politische Rolle, die sie weiterhin für sich beanspruchte, andere spielen würden. Ein Großteil der UN-Blauhelmsoldaten kommt zwar aus afrikanischen Staaten, doch die wichtigsten Posten der neuen UN-Mission wurden überwiegend nicht mit Afrikanern besetzt. Ganz offiziell beklagte der Friedens- und Sicherheitsrat der AU im April 2013, dass im laufenden Transformationsprozess afrikanische Anliegen kaum Gehör finden. In der Zentralafrikanischen Republik zeichnet sich nun ein ähnliches Szenario ab: Während die Sicherheits- und Versorgungslage stetig erodiert, ringt die AU noch um den Aufbau einer im Juli autorisierten, afrikanisch geführten Unterstützungsmission, so dass Frankreich nun offenbar eine Initiative im UN-Sicherheitsrat unternimmt. So wurde der Ruf nach einer schnellen AU-Eingreiftruppe laut, um in derartigen Krisen künftig handlungsfähig zu sein.

Eine schnelle Eingreiftruppe ab 2015

Eine solche schnelle Eingreiftruppe, die sogenannte "African Capacity for Immediate Response to Crises (ACIRC)", soll ab 2015 zur Verfügung stehen. Die im Mai 2013 auch offiziell von der AU-Versammlung der Staats- und Regierungschefs verabschiedete Initiative sieht die Bündelung militärischer und polizeilicher Kräfte vor, die binnen 14 Tagen nach Mandatserteilung mobilisiert werden können. Truppen und Ausstattung sollen im Wesentlichen auf freiwilliger Basis von den Mitgliedstaaten gestellt werden, die auch die finanzielle Last des Einsatzes tragen. Was vordergründig sinnvoll erscheint, ist allerdings bei näherem Hinsehen problematisch.

Zum einen wird die ACIRC der AU kaum zusätzlichen Handlungsspielraum eröffnen, sondern den Fokus auf die kurzfristige Stabilisierung weiter verstärken. Seit der ersten Mission in Burundi in den Jahren 2003 und 2004 gehört es zum Profil der AU, mit ihren Friedensoperationen auch in unsicheren Kontexten ohne tragfähigen Friedensprozess einzugreifen. Ihre Exit-Option sind dabei in der Regel die UN, die nach einer kurzfristigen Stabilisierung übernehmen. Funktioniert die Transformation, verliert die AU an Handlungsspielraum und tritt beim mittel- und längerfristigen Peacebuilding wenig in Erscheinung. Kommt die Übergabe nicht zustande wie in Somalia, bleibt die Organisation gefangen in einer Situation, die sie nur mithilfe regionaler Mächte und internationaler Geber mehr schlecht als recht kontrollieren kann. An diesem Schema wird die schnelle Eingreiftruppe wenig ändern.

Zum anderen, und das wiegt besonders schwer, würde die ACIRC zu Verschiebungen innerhalb der afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur führen. Denn anders als die Debatte glauben machen will, geht es nicht nur um militärische Kapazitäten, sondern um handfeste politische Interessen. Die ACIRC stünde zwar unter AU-Ägide und ist als Übergangslösung bis zur vollen Einsatzfähigkeit der African Standby Force (ASF) gedacht. Allerdings würde sie die vorgesehenen regionalen Strukturen umgehen, auf denen die ASF aufbaut. Nur wenige afrikanische Staaten wären überhaupt in der Lage, eine schnelle Eingreiftruppe anzuführen und diesen Beitrag gegebenenfalls selbst zu finanzieren. Das Ergebnis wäre ein gesteigerter Einfluss einzelner Länder oder kleinerer Allianzen. Einen Vorgeschmack darauf, was das bedeuten kann, gibt die Situation in Somalia, wo die AU den Interessen der truppenstellenden Länder und Nachbarstaaten wenig entgegenzusetzen hat.

Neue Struktur, alte Probleme

Nicht zuletzt würde eine schnelle Eingreiftruppe die grundlegenden Probleme militärischer Kapazitäten innerhalb der AU – wie die fehlenden Lufttransportkapazitäten für die Verlegung von Truppen – nicht lösen. Auch auf den Umgang mit terroristischen Bedrohungen, deren ganzes Ausmaß jüngst bei dem Anschlag der Al-Shabaab auf ein Einkaufszentrum in Nairobi deutlich wurde, wäre die ACIRC schwerlich besser vorbereitet als die bislang entsandten Missionen. So oder so würde sie kaum logistisch und finanziell ohne externe Beiträge agieren können.

Sollte die ACIRC letztlich gar nicht zustande kommen, so wird die Debatte um die Konsequenzen aus dem Mali-Einsatz die AU-Strukturen für Frieden und Sicherheit dennoch verändern. Dem Ideal "afrikanischer Lösungen" wäre in diesem Zusammenhang weitaus mehr mit einem kontinuierlichen weiteren Ausbau der bestehenden Strukturen gedient. Auch wenn die AU militärische Kapazitäten braucht, um ihrem Anspruch gerecht zu werden, sollte sie ihren Schwerpunkt auf die Gestaltung des politischen Rahmens legen. Besonders kommt es darauf an, diplomatische Aktivitäten und zivile Instrumente zu stärken. "Afrikanische Lösungen" dürfen sich nicht auf afrikanische Truppen reduzieren.

Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.