Direkt zum Seiteninhalt springen

Europäische Autonomie im Weltraum

Satellitensysteme als Pfeiler europäischer Verteidigung

SWP-Aktuell 2025/A 54, 18.12.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A54

Forschungsgebiete

Weltraumfähigkeiten gehören zu jedem modernen Verteidigungsarsenal. Doch die militärischen Weltraumfähigkeiten in Europa bestehen oft nur ansatzweise, und die Abhängigkeit von den USA ist groß. Europa muss eigene Fähigkeiten aufbauen, um Abhängigkeiten zu reduzieren, seine Handlungsfähigkeit zu vergrö­ßern und so euro­päische Autonomie zu schaffen. Um den Aufbau eigener Weltraum­fähigkeiten effi­zient zu gestalten, sollte ermittelt werden, welche Abhängigkeiten von den USA be­son­ders schwerwiegend sind und welche Hürden einem euro­päischen Aufbau ent­gegen­stehen. Den Fähigkeiten Weltraumlageerfassung, militärische Aufklärung, Naviga­tions­resilienz und Raketenfrühwarnung sollte Priorität eingeräumt werden.

Europäischen Entscheidungsträger:innen sind im Laufe des russischen Krieges gegen die Ukraine und nach der Wie­derwahl Donald Trumps zwei Dinge klar geworden: zum einen, dass die durch den Welt­raum er­möglichten militärischen Fähigkeiten in einem potenziellen Krieg zwischen Russ­land und der Nato entscheidend wären. Und zum anderen, dass die Ver­füg­barkeit amerikanischer Weltraum­fähig­keiten nicht unter allen Umständen garantiert ist.

Der Krieg in der Ukraine hat verdeutlicht, dass Satellitendaten für militärische Aktivi­täten essenziell sind, etwa für die Identifizierung von Zielen. Damit sind solche Fähig­keiten nicht nur als Angriffsziel für Gegner interessant, sondern können auch politisch instrumentalisiert werden. So enthielt die Regierung Trump ukrai­ni­schen Truppen im Früh­jahr 2025 Satelliten­daten vor und nutzte sie als Hebel, um die ukrainische Regierung unter ungünstigen Bedingungen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die Ukraine ist hier nicht allein – viele Fähig­keiten, auf die Europa in der Verteidigung angewiesen ist, beruhen auf amerikanischen Satelliten­systemen, zum Beispiel in der Auf­klärung und der Navigation. In Anbetracht der steigenden Bedrohung durch Russland und des ver­ringerten Vertrauens gegenüber den USA ist es un­umgänglich, dass Europa eigene Welt­raumfähigkeiten auf- und aus­baut.

Europas Handlungsfähigkeit im Weltraum

In der Verteidigung gibt es vier grund­legende Fähigkeiten, die auf Satel­liten­diensten grün­den: Kommunikation, Aufklärung, Navigation und Rake­ten­frühwarnung. Um überhaupt von dem Nutzen von Satellitensystemen profitieren zu können, braucht es darüber hinaus Startmöglichkeiten sowie Fähigkeiten für eine genaue Erfassung der Weltraumlage. Europa ist vor allem in der Auf­klärung, der Navigation und der Früh­warnung extrem abhän­gig von den USA. Zudem werden zur Erfassung der Weltraum­lage Daten aus den USA hin­zugezo­gen, und europäische Satelliten gelangen oft mit ameri­kanischen Privatunternehmen ins All.

Die eigenen Fähigkeiten auszuweiten und somit die Handlungsfähigkeit zu ver­größern, ist ein Prozess und das damit ver­bun­dene Streben nach Autonomie nicht zwangs­weise mit einem festen Endpunkt versehen. Für Europa beginnt dieser Prozess damit, Abhängigkeiten zu minimieren. Hier muss abgewogen werden: Eine Fähigkeit, die schnell aufgestockt wer­den kann, ist nicht zwangsläufig auch die am nötigsten ge­brauchte. Die Notwendigkeit einer Fähig­keit ergibt sich einerseits daraus, wie groß die Abhängigkeit ist, andererseits daraus, wie verheerend es wäre, wenn die USA sie nicht mehr zur Verfügung stellten.

Der nun zu erarbeitende Zeitplan muss dieser Gratwanderung zwischen dem Mög­lichen und dem Notwendigen gerecht wer­den. In der mili­tärischen Aufklärung kön­nen Fähigkeiten relativ schnell aufge­stockt werden, indem kom­mer­zielle Daten einge­speist werden. In der weltraum­gestütz­ten Raketenfrühwarnung dagegen ist es sinn­voll, eigene Fähig­keiten aufzubauen. Diese könnten die amerikanischen zunächst er­gänzen, statt sie gleich gänzlich zu ersetzen.

Europa ist kein homogener Handlungsakteur im Weltraum. Europäische Staaten verfügen über eigene Weltraumfähigkeiten und sind innerhalb multilateraler Strukturen aktiv, bei­spielsweise der Nato und der Europäischen Union (EU). Die Nato beschafft und betreibt keine eigenen Satel­liten, son­dern koordiniert die bestehenden Fähigkeiten ihrer Mitgliedstaaten. Die EU hingegen hat bereits zwei eigene Satellitennetzwerke, sogenannte Konstellationen, die der Erd­beobachtung (Copernicus) bzw. der Naviga­tion (Galileo) dienen. Sie strebt zudem eine Kommunikationskonstellation (IRIS2) an.

Startfähigkeiten

Die Fähigkeit, mit eigenen Raketen ins All zu starten, ist eine Grundvoraussetzung für autonome Weltraumakteure. Zurzeit wird die Mehrheit der europäischen Satel­liten von dem amerikanischen Unter­neh­men SpaceX ins All befördert. SpaceX ist, auch dank seiner wiederverwendbaren Raketentriebwerke, der Dienstleister mit den regel­mäßig­sten Starts in den Weltraum – und überdies vergleichsweise günstig.

Bisher hat sich SpaceX als zuverlässig erwiesen, dennoch birgt die Abhängigkeit von einem kommerziellen amerikanischen Anbieter Risiken. Dies gilt umso mehr, sollte SpaceX zum einzelnen Ausfallpunkt (Single Point of Failure) werden. Aus rein wirtschaft­licher Sicht ist es un­wahrschein­lich, dass das Unternehmen europäischen Kunden den Rücken kehrt, jedoch ist ein Ausfall aus politischen Gründen nicht aus­zuschlie­ßen. Zum Beispiel könnte amerika­nischen Satel­liten, die für militärische Zwe­cke ver­wendet werden, Vorrang einge­räumt werden. Zwar ist das Risiko, dass SpaceX gänzlich ausfällt, gering, doch hätte ein sol­ches Ereignis schwerwiegende Kon­sequen­zen, da Europas Möglichkeiten, Satelliten allein ins All zu bringen, sehr begrenzt sind.

Die europäische Schwerlastrakete Ariane 6 wurde von den Mitgliedstaaten der Europä­ischen Weltraumorganisation (ESA) finan­ziert und entwickelt und würde auch die strategisch wich­tige geostationäre Umlaufbahn (in ca. 36.000 km Entfernung zur Erde) erreichen. Allerdings ist nicht klar, wie oft sie genutzt werden kann. So wurde die Ambi­tion formuliert, dass die Ariane 6 bald bis zu zehn Mal im Jahr star­ten soll, aber noch ist ungewiss, wann und ob dieser Takt eingehalten werden kann.

Einige Hürden erschweren es Europa, einen eigenen Markt für Raketenstarts zu etablieren. Zum einen ist der Satellitenmarkt in Europa vergleichsweise klein, sodass die Nachfrage nach Raketenstarts mit etwa einem Prozent des globalen Startmarktes bisher niedrig aus­fällt. Die Symbiose zwischen Satellitenmarkt und Startfähigkeiten bedeutet aber, dass die Pläne für aus­geweitete europäische Welt­raumfähigkeiten sowie das kommerzielle Wachstum sich positiv auf den europä­ischen Startmarkt auswirken dürften.

Zum anderen braucht es einen strukturellen Wandel, die europäische Nach­frage muss gebündelt werden. Nur so kann genug Nachfrage geschaffen und der Start­markt wettbewerbsfähig gestal­tet werden. Zu die­sem Zweck wurden die European Launcher Challenge der ESA und die European Flight Ticket Initiative von ESA und EU ins Leben gerufen. Beide Initiativen unterstützen Startunternehmen finanziell, wobei die ESA letztendlich als Ankerkunde fungiert. Da beide Initiativen sich noch in ihrer Anfangs­phase befinden, ist noch nicht abzusehen, wie erfolgreich sie sein werden.

Europa hat bewiesen, dass es eigene Rake­ten bauen und starten kann – jetzt liegt es vor allem an der ESA und der EU, den Start­markt wirtschaftlich effizient zu gestalten, damit europäische Startfähigkeiten für regionale Unternehmen attraktiv werden.

Weltraumlageerfassung

Die Erfassung der Weltraumlage ermöglicht es, Geschehnisse und Bedrohungen im Welt­raum nachzuverfolgen und die eigenen Satel­liten im Auge zu behalten. Zu Bedrohungen zählen beispielsweise andere Satelliten, die mit Waf­fen­systemen oder Abhörtechnik aus­­gestat­tet sind. So berichtete Deutschland von der Annäherung eines russischen Satel­li­ten an einen von der Bundeswehr genutz­ten Kommunikationssatelliten, vermutlich zu Abhörzwecken. Für den Schutz eige­ner Satel­litensysteme ist es daher extrem wich­tig, sich kontinuierlich einen Überblick über die Weltraumlage zu ver­schaffen.

Europäische Weltraumakteure sammeln Daten zur Weltraumlage mithilfe erdbasierter Radarstationen. Einige dieser Daten werden durch multilaterale Foren geteilt, zum Beispiel das System der EU zur Beob­achtung und Ver­folgung von Objekten im Weltraum (EU Space Surveillance and Tracking, EU SST). Um gefechtsrelevante Daten zu erhalten, wie sie etwa benötigt werden, wenn sich feindliche Satelliten den eigenen nähern, reichen die europäischen Fähigkeiten indes nicht aus – Europa ist auf die detail­reiche­ren Daten des US-Mili­tärs angewiesen. Hier gibt es also eine Lücke in der europäischen Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit im Weltraum.

Es liegt im Interesse der USA, den Datenaustausch mit Europa fortzuführen, da er ein siche­reres Umfeld erschafft. Doch be­steht das Risiko, dass die USA nicht mehr in der Lage sein könnten, ihre Daten bereitzustellen, oder nur mit Zeitverzögerung (was fatal sein könnte). Denkbar wäre dies, wenn die USA in einen Konflikt involviert sind, vor allem aber, wenn ame­rikanische Satel­litensysteme selbst an­gegriffen werden.

Ein umfassendes Weltraumlagesystem aufzubauen, ist ein komplexes Vorhaben und erfordert massive Investitionen. Des­halb sind die Hürden zum Aufbau eigener Fähigkeiten enorm, insbesondere mit Blick auf die europäische Ausgangslage. Selbst in den USA gilt der Aufbauprozess nicht als been­det – hier werden in den nächsten vier Jahren 1,7 Milliarden Dollar allein für die bodenbasierten Radarfähigkeiten aus­gegeben. Mit umfangreichen finanziellen Mitteln könnte Europa seine eigenen Fähig­keiten ausbauen, jedoch sind auch struk­tu­relle und politische Fra­gen zu beantworten. So ist unklar, ob einzelne Staaten weiterhin in ihre eigenen Fähigkeiten inves­tieren wollen oder ob ein multi­lateral geführtes System innerhalb der EU oder der ESA an­ge­strebt werden sollte.

Kommunikation

Satellitenkommunikation ist essenziell für moderne Verteidigung, etwa für die Truppen­führung und die Vernetzung der Sensorik. Es gibt vereinzelte nationale Fähig­keiten in Europa, die Satellitenkommunikation er­mög­lichen. Zudem bündelt die Nato die Kom­munikations­satel­litensysteme von Frank­reich, Groß­britan­nien, Italien und den USA.

Somit ist die Abhängigkeit Europas von den USA im Bereich Kommunikation der­zeit vergleichsweise gering. Doch die Anfor­de­rungen an Kommunikationsnetzwerke wach­sen: Mehr Bandbreite ist notwendig, da durch ein sensorenreiches Ge­fechts­feld die zu verarbeitende Daten­menge immer größer wird. Praktisch bedeutet das, dass die Vernetzung von Sensoren und die zeit­kritische Weiterleitung von Daten ein resi­lientes Netzwerk erfordern. Das Zielbild der Bundeswehr, die Multi-Domain Opera­tions (MDO), die auch die Nato an­strebt, unter­streicht dies. MDO heißt, dass militä­rische Aktivitäten über alle Dimensionen hinweg geschehen, wofür eine Synchronisation Voraussetzung ist. Dafür braucht es ein Netzwerk, das nicht nur genügend Band­breite zur Verfügung stellt, sondern außer­dem resi­lient und interoperabel ist. Um diese Band­breite zu erreichen, wird sehr wahrscheinlich zumindest ein Teil des Netz­werkes weltraumbasiert sein. Der Krieg in der Ukraine gibt einen ersten Hinweis darauf, wie dies, zumindest mit Bezug auf Drohnen, aussehen könnte: Die Satelliten­konstellation Starlink aus dem Hause SpaceX bietet eine Vernetzung mit einer hohen Band­breite mittels einer Internetverbindung und kann so für den Einsatz von Drohnen genutzt werden. Durch die einfache Inter­net­verbindung ist das System interoperabel, ohne weitere Verknüpfungen herstellen zu müssen. Des Weiteren hat es sich mithilfe von Softwareupdates als äußerst resilient erwiesen.

Eine europäische Abhängigkeit von Star­link wäre jedoch risikoreich – nicht nur weil es einen (noch dazu kom­mer­ziellen) ein­zelnen Ausfallpunkt darstellt. Laut anony­men Quellen hat die Trump-Regierung Starlink schon einmal instrumen­talisiert und als politisches Druckmittel be­nutzt, auch wenn SpaceX Geschäftsführer Elon Musk dies bestritt. Berichten zufolge tat die Trump-Administration dies gegenüber der Ukra­ine, obwohl Polen etwa 50 Millionen Dollar pro Jahr an SpaceX zahl­te, um die Dienst­leistung für die Ukraine aufrechtzuerhalten. Auch wenn der Dienst in diesem Fall letzt­lich nicht eingestellt wurde, zeigt die Drohung damit, dass politische Beweg­gründe der US-Regierung die wirt­schaft­lichen Interessen eines Unternehmens über­wiegen könnten.

Europa verfügt über mehrere Kommu­nikationssalliten­systeme, die mili­tä­rische Kommunikationswege ermöglichen. Diese Systeme sind überwiegend Teil der Fähig­keiten der größeren europäischen Weltraumakteure Frankreich, Großbritannien, Ita­lien und Deutschland. Doch selbst wenn die Systeme eine hohe Bandbreite und schnelle Über­tragung bieten, ist es unwahr­scheinlich, dass der komplette Bedarf ohne die Dienste kommerzieller Anbieter erfüllt werden kann. Hinzu kommt die Frage der Resilienz: Um ein resilientes System aufzu­bauen, sind Diversität und Redundanz nötig.

Europa bräuchte ein ähnliches System wie Starlink, um eine große Menge an Sen­soren über Satellitennetzwerke zu verbin­den und eine reibungslose Interoperabilität zu garantieren. Potenzielle europäische Alter­nativen, etwa die kommerzielle Kon­stel­lation OneWeb oder die geplante EU-Konstellation IRIS2, sind jedoch entweder noch qualitativ unterlegen, oder es ist un­gewiss, wann sie fertiggestellt wer­den. Das bedeutet, dass Europa in der Satellitenkommunikation zwar in puncto Truppenführung unabhängig ist, nicht aber in der Ver­netzung der Sensorik.

Will Europa diesen seinen Bedarf decken, kommt es nicht darum herum, eine Kon­stellation herzustellen, mit anderen Worten Hunderte Satelliten. Hier sieht es sich mit mehreren Schwierigkeiten konfrontiert, vor allem hinsichtlich der Produktionskapazität und der Skalierung. Euro­päische Unterneh­men haben bisher keine Erfahrung mit der Massenproduktion von Satelliten, da hier­für bislang die Nachfrage fehlte. Hinzu kom­men Defizite in den Liefer­ketten. Vieles wird importiert: Europa bezieht unter ande­rem elektrische, elektronische und elektro­mecha­nische Bauteile, aber ebenso Software außer­halb der Region. Dies wäre in einem Kon­flikt­fall kritisch. Folglich sollten Staaten ihre hei­mische Wirtschaft anregen zu prü­fen, ob Komponenten auch in Krisenzeiten ver­füg­bar wären. Überdies wäre es hilf­reich, wenn Unternehmen versichern könn­ten, dass Kom­ponen­ten, insbesondere sicherheits­relevante und hochinnovative, ausreichend vor Sabo­tage und Industriespionage geschützt sind.

Einige dieser Probleme, etwa der Pro­duk­tion und Skalierung, könnten schlichtweg mit mehr Finanzierung gelöst werden. Die Kosten für die neu geplante Satelliten­fabrik des amerikanischen Unternehmens Planet Labs in Deutschland liegen im achtstelligen Bereich – dies zeigt, wie hoch die Anfangs­kosten beim Bau dieser Infrastrukturen sind. Solche Vor­haben müssen von europä­i­schen Staaten, aber auch vonseiten der EU finanziell unter­stützt werden, um europäische Unter­neh­men in der Region zu halten und von ihren Pro­duk­ten und Dienst­leistun­gen profitieren zu können.

Nicht zuletzt erschweren bürokratische Hürden die Zusammenarbeit europäischer Unternehmen. Bis dato fehlt ein einheit­licher Rechtsrahmen. Zwar hat die EU einen Entwurf für ein europäisches Welt­raum­gesetz veröffentlicht, doch soll es erst 2030 in Kraft treten. Mithin bleibt abzuwarten, inwieweit die Gesetz­gebung bessere Rah­menbedingungen für die Industrie schafft, um Kapazitäten zu bündeln und die Ska­lierung zu erleichtern.

Militärische Aufklärung

Satellitenbilder ermöglichen eine sichere, schnelle und präzise Aufklärung und sind dementsprechend ein wichtiger Bestandteil der Kriegs­führung, zum Beispiel für die Ziel­erfassung. Derzeit werden Aufklärungsdaten in der Nato geteilt, wobei die USA mit Abstand über die meisten Aufklärungssatelliten verfügen. Deren Anzahl ist relevant, denn im Bereich Aufklärung zählt nicht nur die Auflösung eines Satellitenbildes, son­dern auch die sogenannte »Revisit Rate«, also die Häufigkeit, mit der ein Satellit den gleichen Punkt auf der Erde überfliegt und somit die Daten­lage aktua­lisiert werden kann.

Zudem muss bedacht werden, dass die USA den Austausch bzw. die Bereitstellung von Aufklärungsdaten schon ein­mal zu politischen Zwe­cken ge­nutzt haben, näm­lich als sie im März 2025 den Zufluss von Satellitendaten für die Ukraine ein­stellten. Betroffen waren nicht nur Daten des US-Militärs, sondern auch die des kommer­ziel­len Anbieters Maxar. Selbst wenn die Bereit­stellung der Daten für die Ukraine nicht im Rahmen der Nato statt­fand, son­dern bilate­ral, kann nicht ausge­schlossen werden, dass die USA auch euro­päischen Nato-Staaten Aufklärungsdaten vorenthalten würden – zumin­dest tempo­rär –, etwa um euro­pä­i­sche Staaten zu ani­mieren, mehr in eigene Fähigkeiten zu investieren.

Hinzu kommt, dass der Prozess der Daten­teilung innerhalb der Nato bereits jetzt, »im Normalzustand«, nicht reibungslos funk­tioniert. Unterschied­liche IT-Systeme er­schweren ihn, zum Teil ist keine Echtzeit­übertragung möglich. Außerdem müssen Aufklärungsdaten gar nicht gezielt vor­ent­halten werden – ver­zögern die USA ihre Freigabe, könnte schon dies eine europäische Mission unter­graben. Und ähnlich wie bei der Welt­raum­lage­erfassung könnten Daten auch aufgrund eines erhöh­ten Eigenbedarfs der USA ver­zögert oder nur eingeschränkt über­tragen werden.

Europas eigene Aufklärungsfähigkeiten sind begrenzt. Sie bestehen aus kleinen Kon­stellationen, die Deutschland, Frankreich und Italien gehören und militärische Aufklärung durch optische und Radar­sensoren ermöglichen. Groß­britannien, Spanien und Polen planen Fähigkeiten in diesem Bereich. Die »Revisit Rate« der euro­päischen Fähigkeiten ist somit begrenzt, wodurch ein umfassendes, allzeit verfüg­bares Lagebild nicht erstellt werden kann.

Die Hürden, in großem Umfang eigene Aufklärungssatelliten zu bauen, sind ähn­lich gelagert wie bei Kommunikations­satelliten: Lücken gibt es vor allem in der Produktionskapazität, der Skalierung und bei Lieferketten. Allerdings sind, anders als im Bereich Kommunikation, schon heute geeignete kom­merzielle Anbieter auf dem Markt, die diese Lücken schließen könnten, beispielsweise das finnische Unternehmen ICEYE. Im Unterschied zu den USA werden in Europa kommerzielle Dienste jedoch nur langsam in militärische Strukturen ein­ge­bettet. Die Nato will das zwar ändern, aber noch ist unge­wiss, inwieweit die geplanten Initiativen erfolgreich sein werden.

Die größten Hürden für eine Integration sind fehlende Investitionen und ein not­wendiger Kulturwandel. Das, was Europa in den letzten 40 Jahren für die Raumfahrt ausgegeben hat, entspricht lediglich 15 bis 20 Prozent der Investitionen, die im glei­chen Zeitraum in die amerikanische Raum­fahrt geflossen sind. In den USA wurde der potenzielle Wert kommerzieller Akteure früh erkannt und Beschaffungsprozesse modernisiert. Wenn Europa seine kommerziellen Fähigkeiten militärisch stärker ein­beziehen will, bedarf es einer stärkeren Förderung auf nationaler wie auf EU-Ebene. Das bedeutet Langzeit­verträge, mit denen die Industrie sich auf­stellen kann, aber auch eine Überholung der Beschaffungsprozesse. Zudem liegt es an der Nato, diese Partner in militärische Infrastrukturen zu integrieren und eine einheitliche und zeit­kritische Datenübertragung zu ermög­lichen. Außerdem muss Fachpersonal für die Auswertung ausgebildet werden und eine Prozessoptimierung stattfinden.

Positionierung, Navigation und Timing

Dienste für Positionierung, Navigation und Timing (PNT) sind überaus wichtig für die Trup­penführung sowie entscheidend für Waffensysteme, die für die Steuerung auf Navigations­signale angewiesen sind, zum Beispiel präzisionsgelenkte Munition. Die Nato verwendet das amerikanische Naviga­tionssatellitensystem GPS für die Truppen­führung, darüber hin­aus ist es in alle Waffensysteme eingebaut, die durch ein satellitengestütztes Naviga­tions­signal ge­steuert werden. Damit haben die USA theo­retisch die Möglichkeit, die Fähig­keit von gelie­ferten Waffensystemen, GPS-Signale zu empfangen, zu vermindern oder gar auszu­schalten, zumeist durch Softwareupdates.

Das genaue Ausmaß der Abhängigkeit Europas hinsichtlich Softwareupdates in Waffensystemen kommt letztlich auf das jeweilige System an – doch solange Europa amerika­nische Waffensysteme beschafft, sind Ein­schränkungen in der Reichweite oder der Zielgenauigkeit zumindest eine theo­re­ti­sche Möglichkeit. Mit einer Ein­schrän­kung wäre vor allem dann zu rech­nen, wenn die USA politisch nicht damit über­einstimmen, dass oder gegen welches Ziel die Waffen­systeme eingesetzt werden. Auch wenn der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Ver­trags ausgerufen wird, könnten die USA be­stimmte Ziele als zu eskalationsgefährdet emp­finden, besonders wenn sie selbst nicht zur Kriegspartei werden.

Die EU verfügt über ein eigenes Navigationssatellitensystem, Galileo, das die momen­tane Abhängigkeit Europas von den USA verringern könnte, zumindest in der Theorie. Das Sys­tem wurde ursprünglich für den zivilen Gebrauch konzipiert, doch garantiert die Einführung des Galileo Public Regulated Service ein verschlüsseltes Signal für staat­liche Nutzer. In der Folge will die Bundeswehr multifunktionale Empfänger für ihr Equip­ment entwickeln lassen, so­dass sie neben GPS-Signalen auch Signale von Galileo empfangen kann. Wie lange die Fertig­stellung dauert, ist je­doch noch nicht bekannt. Des Weiteren ist unge­klärt, ob die Empfänger in ameri­kanischen Systemen ver­baut werden kön­nen, die einen großen Teil des europäischen Arsenals ausmachen.

Zudem muss garantiert werden, dass die Signale Galileos auch in einem Konfliktfall zu empfangen wären: denn Satellitensignale können relativ einfach gestört werden. Über elektromagnetische Fähig­keiten wie etwa Störsender verfügen die rus­sischen Streitkräfte in erheblichem Um­fang. Sollte es zu einer Ausein­ander­setzung mit Russ­land kommen, müss­ten sich europäische Sys­teme gegen russi­sche be­wei­sen, in die lange und viel investiert wurde und die seit Jahren kampf­erprobt sind.

Zwar gibt es bereits europäische Projekte, die die Resilienz in der Navigation ausbauen sollen, doch be­finden sie sich noch in der Planungsphase. Die britische Regierung hat währenddessen angekündigt, ein terrestrisches Lang­strecken­navigationssystem zu ent­wickeln, das 2028 einsatzfähig sein könnte. Auch andere euro­pä­ische Staaten sollten in erdbasierte Alter­nativen inves­tieren, die wiederum in die Nato-Navi­ga­tionsinfrastruk­tur integriert wer­den sollten. Die Technologie stellt hier keine Hürde dar, denn bis vor weni­gen Jah­ren wurden Langstreckennaviga­tions­systeme noch in Europa bedient. Die Hinder­nisse sind vor allem politischer Natur: Es fehlt an der Erkenntnis, wie an­greifbar das elektro­magnetische Spektrum ist.

Raketenfrühwarnung

Infrarotsensoren im Weltraum können die Hitzesignatur, die von einem Raketenstart ausgeht, erkennen. Sie bilden somit eine Frühwarnkapazität und geben dem Ange­griffenen in der Regel mehr Zeit zu reagie­ren als erdbasierte Radarfähigkeiten. Welt­raum­basierte Sensorik ermöglicht es außer­dem, sich einen globalen Überblick über Raketen­starts zu verschaffen. Derzeit sind die USA der einzige westliche Staat, der ein solches System im Einsatz hat.

Solange die USA Teil der Nato sind, kann man erwarten, dass sie ihre Daten zur Rake­tenfrüherkennung im Falle eines Angriffs an die Alliierten weiterleiten. Die USA haben kein Interesse daran, dass europäisches Ter­ri­torium zerstört wird, nicht zuletzt weil europäische Infrastrukturen Teil der ameri­kanischen Fähigkeiten sind: zum Beispiel die Radarstation RAF Fylingdales im Norden Großbritanniens und das Nato-Haupt­quar­tier für die Füh­rung von Luft­streitkräften in Ramstein, Deutschland. Bedenken über die Verfügbar­keit von Daten zur Früherkennung bezie­hen sich daher in erster Linie auf eine poten­zielle Überlastung auf amerika­nischer Seite, durch die die Weiter­leitung der Daten nach Europa verzögert werden könnte.

Sollte es dazu kommen, müsste Europa sich allein auf erdbasierte Radarfähigkeiten verlassen. Extrem manö­vrierfähige sowie neuere Raketensysteme wie Hyperschall­raketen könnten erst spät erkannt werden. Mehrere Projekte zielen darauf ab, die europäischen Radar­fähig­keiten um Satel­liten­sensorik zu erweitern, etwa TWISTER mit der Weltraum­kompo­nente Odin’s Eye oder JEWEL, das Deutsch­land und Frankreich kürzlich angekündigt haben und das auf Odin’s Eye aufbaut. Ein genauer Zeit­rahmen für diese Projekte ist allerdings nicht bekannt, weshalb die euro­päische Raketenabwehr, insbesondere im Bereich weltraumbasierter Sensorik, zumin­dest mittelfristig auf die USA angewiesen bleibt.

Die Hürden, um in der Raketenfrüh­war­nung unabhängiger von den USA zu wer­den, sind überschaubar. Europa hat bereits in Infrarottechnik inves­tiert und besitzt das technische Know-how. Weitere Investitionen sind nötig, doch stellen politische Fragen die größere Heraus­forderung dar: Ähnlich wie bei der Weltraumlageerfassung muss ge­klärt werden, ob Fähigkeiten multi­lateral beschafft werden sollen und wie sie schluss­endlich betrieben werden. In An­betracht dessen, wie Prozesse der Datenteilung und der Warnung der Alliierten ablaufen, kann Raketen­frühwarnung nur im Rahmen der Nato geschehen. Mittelfristig ist die realis­tischste Option, dass die europäischen Daten die amerikanischen ergänzen.

Handlungsempfehlungen

Die europäischen Abhängigkeiten in der Welt­raumtechnologie von den USA sind gravierend. Um eigene Fähigkeiten auf- und auszubauen, muss Europa eine Priori­sierung der Weltraumsysteme vornehmen, um nicht an der Größe der Aufgabe zu schei­tern.

Navigationssignale, Daten zur Weltraumlageerfassung, zur Aufklärung und Raketen­früherkennung sind Fähigkeiten, deren Ver­fügbarkeit aufgrund politi­scher Dyna­miken am meisten gefährdet ist. Dabei können die Anforderungen der mili­täri­schen Aufklärung mit kommerziellen Mit­teln relativ schnell erfüllt werden, sofern private Unter­nehmen ausreichend gefördert werden. Auch die Resilienz der Navigations­signale kann kurz­fristig verbes­sert werden, wenn das Thema mehr politi­sche Aufmerksamkeit erfährt. Die Erwei­te­rung europäischer Fähig­keiten in der Weltraumlage­erfassung und der Rake­ten­früherkennung ist hingegen ein lang­fristi­ger Prozess; hier sind überdies struk­tu­relle Fragen des Besitzes und der Inte­gration zu klären. In der Lageerfassung müssen nicht nur Fähigkeiten ausge­baut, sondern eben­falls neue Pro­zesse auf­gestellt werden; dies ist mit mehr Aufmerksamkeit und Geldern mach­bar. Auch die bereits angestoßenen Projekte zur Früh­erkennung brauchen grö­ßere Aufmerksamkeit und höhere Investi­tionen. Obwohl die Liste lang ist, sollten diese Vorgänge zeit­gleich ange­gangen wer­den – da die Pro­zesse an ver­schie­denen Stellen ansetzen, kann mit guter Koordinierung ein paralleler Aufbau angestrebt wer­den, ohne Res­sour­cen zu erschöpfen.

Bei Startfähigkeiten und Kommunikations­satelliten sind amerikanische wirtschaftliche Interessen noch im Einklang mit der euro­päischen Nachfrage. Dennoch sollte in beiden Bereichen eine vollkommene Ab­hängigkeit von den USA vermieden werden. Bestehende Prozesse im europäischen Fähig­keitenaufbau müssen weiterver­folgt und finanziell unterstützt werden. Zudem gilt es, vor allem bei Raketenstarts, die euro­pä­ische Nachfrage zu bün­deln, um die euro­pä­ische Weltraumindustrie insgesamt wett­bewerbsfähiger und ein organisches Wachs­tum des Start­marktes möglich zu machen.

All dies erfordert neben dem Auf- und Ausbau der Fähigkeiten auch die Koordination inner­halb Europas sowie Signale gen USA, dass Weltraumsicherheit ernst genom­men wird. Um Fähigkeiten zielgerichtet aus­zuweiten, müssen nationale Einschätzungen der vorhandenen Expertise und des Stan­des der heimischen Industrie erstellt wer­den. Die britische Regierung hat in ihrer Integrated Review von 2021 die Beschaf­fungsmatrix »own, collaborate, access« eingeführt. Eine solche Heran­gehens­weise empfiehlt sich für alle euro­päischen Staa­ten, die – auch mit­hilfe von Weltraum­sicher­heits­strate­gien – entschei­den soll­ten, wel­che Fähigkeiten benötigt und wie diese am bes­ten beschafft werden kön­nen: ob natio­nal, in Zusammen­arbeit mit Part­nern oder in Form kommer­zieller Dienste. Dieser natio­nalen Bewertung muss eine effi­ziente Koor­dination und Kom­mu­ni­kation folgen. So können Doppe­lungen auf euro­päischer Ebene ver­mieden und die Lasten­teilung in der Nato gemanagt wer­den. Weil die Ansätze von EU und Nato un­terschied­lich sind, ist ein kon­ti­nuier­licher Austausch unerlässlich, dar­über hin­aus wäre ein Geheimschutz­abkommen zwi­schen den beiden förderlich.

Da die Prozesse auf einen langen Zeitraum angelegt sind und amerikanische Weltraumfähigkeiten kurz- bis mittelfristig für Europa unersetzbar bleiben, muss dieses bereits jetzt signalisieren, dass es gewillt ist zu investieren und Fähigkeiten aufzubauen. Diese könnten später in amerikanische Pro­zesse einfließen, etwa der mili­tärischen Aufklärung und der Raketenfrühwarnung innerhalb der Nato.

Deutschland hat beim Thema Weltraum in Europa eine Vorreiterrolle eingenommen – eine Rolle, die die Regierung in ihrer jüngst ver­öffentlichten Weltraum­sicher­heits­strategie beschreibt. Die Ver­teidigungs­aus­ga­ben sind 2025 um mehr als 10 Milliar­den Euro gewachsen im Vergleich zu 2024. Ver­teidigungsminister Pistorius hat zudem an­ge­kündigt, dass die Bundes­regie­rung in den nächsten fünf Jahren 35 Mil­li­arden Euro für militärische Welt­raum­fähigkeiten aus­geben will.

Diese Rolle gilt es für die Bundesregierung zu nutzen, um Ent­scheidungsprozesse inner­halb Europas voranzutreiben und Ko­opera­tion effizient zu gestalten. Dies geschieht, in­dem Wissen zugänglich gemacht, transpa­rent mit neuen Fähigkeiten umgegangen und Inter­operabi­li­tät von Anfang an mitge­dacht wird. Außer­dem muss geklärt werden, wel­che Fähig­keiten multilateral geteilt werden kön­nen, oder, wie im Bereich der Raketenfrühwarnung, bilateral (mit Partner Frank­reich). Mit Blick auf die »europäische Welt­raumsicher­heitsarchitektur«, von der die deutsche Welt­raumsicherheitsstrate­gie spricht, scheint die­ser Gedanke bereits Fuß zu fassen. Not­wendig sind überdies ein ehr­licher Aus­tausch mit der eigenen Indus­trie und eine Ressort­abstimmung zwi­schen Ver­teidigungs­minis­terium, Auswärtigem Amt und dem Minis­terium für For­schung, Tech­nologie und Raum­fahrt. Um den regio­nalen Ansatz vor­an­zubringen, ist es Auf­gabe der Bundes­regierung, mit europäischen Part­nern (poten­ziell schwie­rige) Gespräche zu füh­ren. Deren Ziel ist es, sich über das Bedrohungsbild klarzuwerden und ein Be­wusstsein für die Wichtigkeit der Dimen­sion Weltraum zu schaffen.

Juliana Süß ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Das Aktuell entstand im Rahmen des Projekts STAND (Strategic Threat Analysis and Nuclear (Dis-)Order).

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

ISSN (Print) 1611-6364

ISSN (Online) 2747-5018