Die halbjährlich stattfindenden ASEAN-Gipfeltreffen sind fester Bestandteil der regionalen Gipfeldiplomatie. International finden sie aber nur wenig bis gar keine Beachtung. Das liegt zum einen daran, dass sie, als »talk shops« verschrien, selten konkrete Ergebnisse liefern; zum anderen daran, dass strukturelle und institutionelle Schwächen der ASEAN, die häufig bei Gipfeln zutage treten, grundsätzliche Zweifel an ihrer Wirksamkeit bestärken. Dass dem ASEAN-Gipfel im Oktober 2025 in Kuala Lumpur größere internationale Aufmerksamkeit geschenkt wurde, hat mehrere Gründe: US-Präsident Trump nahm zum ersten Mal an einem Gipfeltreffen der Regionalorganisation teil und trat als Schirmherr des im Rahmen des Gipfels unterzeichneten thailändisch-kambodschanischen Friedensabkommens auf. Am Rande des Gipfels führten die USA und China zudem Verhandlungen über die Begrenzung ihrer Handelsstreitigkeiten. Die Aufnahme Timor-Lestes als elftes Mitglied der ASEAN unterstreicht die Attraktivität des Verbunds. Viele konkrete Herausforderungen wie das Management regionaler Konflikte oder die Reform des Konsensprinzips sind allerdings noch immer nicht bewältigt. Trotzdem bleibt die ASEAN aufgrund ihrer »convening power«, ihres inklusiven Multilateralismus und der wachsenden strategischen Bedeutung Südostasiens für Deutschland und Europa wichtig.
Besondere Schwerpunkte lagen bei dem 47. Gipfeltreffen in Kuala Lumpur auf der Stärkung der »ASEAN-Zentralität« durch Ausbau eigener Kooperationsmechanismen, auf der Vertiefung regionaler Integration und der Diversifizierung wirtschaftlicher und politischer Partnerschaften. »ASEAN-Zentralität« bedeutet, dass die ASEAN – nicht extraregionale Akteure wie die USA oder China – im Zentrum der regionalen Zusammenarbeit in Südostasien stehen soll. Die südostasiatischen Staaten wollen im Sinne dieses Prinzips verhindern, dass sie zum Spielball rivalisierender Großmachtinteressen werden.
Vorbereitet wurde der Gipfel wesentlich von Malaysia, das 2025 turnusmäßig den ASEAN-Vorsitz innehat. Vor dem Gipfel hat die ASEAN bereits die »ASEAN Community Vision 2045« verabschiedet, in der sie sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2045 eine zentrale Rolle zu spielen, wenn es um Fragen regionaler Sicherheit, wirtschaftlicher Entwicklung und Resilienz, digitaler Transformation und Nachhaltigkeit geht; außerdem soll der Prozess der regionalen Integration vertieft werden.
Der Gipfel brachte diverse konkrete Ergebnisse hervor. Abgesehen von der Erweiterung der ASEAN um Timor-Leste und dem »Friedensabkommen« zwischen Kambodscha und Thailand wurden eine Reihe weiterer Abkommen vorangetrieben, die sich positiv auf die regionale Zusammenarbeit auswirken dürften. Beispielsweise einigten sich die ASEAN-Staaten darauf, 2026 das ASEAN Digital Economy Framework Agreement (DEFA) zu verabschieden. Das DEFA soll die Harmonisierung von Regelwerken für digitalen Handel, Datenflüsse, E-Commerce, digitale Identitäten sowie Zahlungs- und Rechnungssysteme fördern. Ein Abschluss würde sich einerseits positiv auf die regionale Integration der digitalen Wirtschaft auswirken – Schätzungen zufolge könnte sich das digitale Wirtschaftsvolumen der ASEAN-Region bis 2030 verdoppeln. Andererseits hätte DEFA auch eine strategische Dimension, indem es die ASEAN bei der Setzung eigener Normen und Standards in der globalen digitalen Wirtschaft stärker als eigenständigen Akteur positionieren würde.
Auch für die Umsetzung des seit langem geplanten ASEAN power grid (APG) wurden wichtige Beschlüsse getroffen. So ist insbesondere ein überarbeitetes »Memorandum of Understanding« unterzeichnet und eine entsprechende Finanzierungsinitiative angestoßen worden. Im Rahmen des APG-Vorhabens sollen die Stromnetze der ASEAN-Mitgliedstaaten stärker vernetzt werden, insbesondere um den aus erneuerbaren Energiequellen erzeugten Strom grenzüberschreitend besser zugänglich zu machen; aber es geht auch darum, regionale Energiesicherheit und Nachhaltigkeit zu fördern.
Die hochrangigen internationalen Besucher des Gipfels – neben Donald Trump waren das unter anderem die Regierungschefs Brasiliens, Südafrikas, Japans, Kanadas und Australiens – unterstrichen die Bedeutung der ASEAN als wichtiger Stabilitätsanker und als Plattform für internationalen Dialog. Die strategische Lage der ASEAN-Staaten im Zentrum wichtiger maritimer Handelswege und die wachsende wirtschaftliche Bedeutung der Organisation als fünftgrößter Wirtschaftsblock der Welt macht sie zu einem wichtigen Schauplatz des Wettbewerbs der Großmächte USA und China um Macht und Einfluss in Asien. Dabei bemüht sich die ASEAN konsequent, ihre Neutralität zu wahren, um nicht zum Spielball externer Einflussmächte zu werden, auch wenn einzelne Mitgliedstaaten durchaus eng mit den USA oder China verbunden sind.
Unter anderem deswegen ist die ASEAN für Deutschland von großem strategischem Interesse: Die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung von 2020 betonen ausdrücklich die Notwendigkeit, Partnerschaften zwischen der EU und ASEAN auszubauen, regionale Stabilität zu fördern und die Handlungsfähigkeit der ASEAN in einem zusehends fragilen regionalen Umfeld sicherzustellen.
Die EU, die erstmals zu einem ASEAN-Gipfel eingeladen war, wurde von António Costa vertreten, dem Präsidenten des Europäischen Rats. Nachdem die EU kurz vor dem Gipfel ein Freihandelsabkommen mit Indonesien abgeschlossen hatte, bemüht sich Brüssel nun darum, in naher Zukunft weitere Freihandelsabkommen mit den ASEAN-Mitgliedern Thailand, Malaysia und den Philippinen zum Abschluss zu bringen.
Der Trump-Faktor, China und die Grenzen der »ASEAN-Zentralität«
Obwohl seine Teilnahme bis zum letzten Moment ungewiss blieb, veränderte Trump schon mit der Ankündigung seiner Teilnahme ein Stück weit die Dynamiken und Prioritäten des Gipfels. Mit seiner unverhofften Bekundung, einer zeremoniellen Unterzeichnung eines »Friedensabkommens« zwischen Thailand und Kambodscha beiwohnen zu wollen, brachte der US-Präsident ein von vielen Beobachtern nicht erwartetes Thema auf die Agenda. Kurz zuvor waren die beiden Konfliktparteien noch weit von einer Einigung entfernt. Der thailändische Premierminister Anutin Charnvirakul hatte einem solchen Abkommen zunächst eine Absage erteilt und wollte auch nichts von einer Schirmherrschaft der USA wissen. Mit seinem Vorgehen brachte Trump jedoch Bewegung in die Verhandlungen, in deren Verlauf er zudem darauf bestand, dass die chinesische Delegation von der Unterzeichnungszeremonie ausgeschlossen wurde. Damit war die mediale Aufmerksamkeit vollends auf Trumps Vermittlerrolle gelenkt.
Der seit Jahren schwelende Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha, der vor allem das Gebiet nahe dem Preah-Vihear-Tempel betrifft, war im Mai wieder aufgeflammt. Dabei kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Grenzpatrouillen. Die Kämpfe eskalierten Ende Juli 2025, als beide Seiten schwere Artillerie und Thailand Kampfflugzeuge einsetzte. Hunderttausende flohen daraufhin aus der Grenzregion. In der Folge versuchte Malaysias Premier Anwar Ibrahim zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Donald Trump erhöhte schließlich den politischen Druck auf die Konfliktparteien, indem er damit drohte, jedwede Verhandlungen über die Senkung der für Einfuhren aus Kambodscha und Thailand geltenden US-Zölle so lange auszusetzen, wie die Kampfhandlungen anhielten. Nach Tagen intensiver Gefechte wurde dann ein Waffenstillstand vereinbart, in der Folge wurden auch die Verhandlungen mit den USA über die Senkung von US-Zöllen abgeschlossen. Auch wenn der Druck aus Washington sicherlich eine Rolle bei den Waffenstillstandsverhandlungen gespielt hat: Die wesentliche Vermittlungsarbeit leistete Malaysia als ASEAN-Vorsitz. Kambodschas Premierminister Hun Manet würdigte ungeachtet dessen Trumps »außerordentliche Statesmanship« und schlug ihn für den Friedensnobelpreis vor.
Trumps Anwesenheit wurde auch im Kontext des sich verschärfenden amerikanisch-chinesischen Handelskrieges große Bedeutung beigemessen. Am 9. Oktober 2025 hatte Beijing schärfere Kontrollen für den Export seltener Erden angekündigt, die am 1. Dezember in Kraft treten sollen. Trump reagierte, indem er Zölle in Höhe von 100 Prozent auf die Einfuhr chinesischer Güter androhte. Mit den neuen Exportkontrollen wendete China erstmals die sogenannte Foreign Direct Product Rule (FDPR) an – ein Instrument, das zunächst die USA 1959 eingeführt und bislang vor allem dazu genutzt hat, den Export von Halbleitern nach China zu beschränken. China kopierte also mehr oder weniger den US-Ansatz und wendete ihn gegen dessen Urheber USA an. Da China rund 80 Prozent der globalen Förderung und 90 Prozent der Verarbeitung seltener Erden kontrolliert, könnten die chinesischen Exportkontrollen erhebliche geopolitische und sicherheitspolitische Folgen für die USA und viele andere Staaten haben. Denn Engpässe bei der Lieferung seltener Erde würden wichtige Komponenten der Rüstungsindustrie negativ betreffen.
Am Rande des ASEAN-Gipfels führten der US-Finanzminister Scott Bessent, der US-Handelsbeauftragte Jamieson Greer und der chinesische Vizepremier He Lifeng Gespräche über eine Deeskalation der Handelsstreitigkeiten. Auch diese Gespräche veränderten die Dynamik des Gipfels. Ein dabei verhandeltes »Framework Agreement« werteten beide Seiten als Zeichen des gegenseitigen guten Willens, die Gefahr einer Eskalation der Handelsstreitigkeiten deutlich zu verringern. Im Zuge dessen kündigten die USA an, die gegenüber China verhängten Zölle von 100 Prozent zurückzunehmen; China wiederum ließ verlauten, es werde die geplanten Exportkontrollen um ein Jahr aufschieben. Das Treffen diente nicht zuletzt auch der Vorbereitung des persönlichen Treffens zwischen Donald Trump und Xi Jinping im Rahmen des APEC-Gipfels, der Anfang November in Südkorea stattgefunden hat.
Unter den ASEAN-Staaten wurde dies mit Erleichterung aufgenommen. Denn China und die USA sind ihre beiden wichtigsten Handelspartner. Mehr noch: Als Folge des US-chinesischen Handelskonflikts hatten die USA alle Länder in der Region dazu gedrängt, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China einzuschränken. Gleichzeitig wurden die Märkte in Südostasien mit billigen chinesischen Konsumgütern überschwemmt, die aufgrund höherer Zölle nicht mehr in die USA gelangten, was viele lokale Hersteller unter Druck setzte. Und hätte China seine Androhung wahrgemacht, den Export seltener Erden zu beschränken, hätte das nicht nur den USA, sondern auch den ASEAN-Staaten geschadet.
Der »Trump-Faktor« war für den Gipfel vor allem wegen der sino-amerikanischen Rivalität bestimmend, und dies zeigt dem Prinzip der »ASEAN-Zentralität« die Grenzen auf. Der ASEAN gelang es zwar, ihre »convening power« auszuspielen und hochrangige Teilnehmer zu gewinnen, für Südostasien wichtige weitreichende politische Prozesse fanden jedoch am Rande des Gipfels statt, ohne Partizipation der ASEAN-Mitglieder.
In einigen Belangen, denen international weit weniger Beachtung geschenkt wurde, konnte die ASEAN aber durchaus Erfolge für sich verbuchen. Dazu gehören das Freihandelsabkommen der ASEAN mit China (ACFTA 3.0) und das bereits im September verabschiedete ASEAN Framework Agreement on Competition (AFAC). Mit ACFTA 3.0, das lange hinausgezögert worden war, haben die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen ASEAN und China eine neue Tiefe erreicht. Schwerpunkte des Abkommens sind die digitale Wirtschaft, »grüne Transformation« und die Konnektivität regionaler Lieferketten. Außerdem sieht es den Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse und die Harmonisierung technischer Standards vor. Das Abkommen soll nicht zuletzt auch einen Anstieg der chinesischen Investitionen in die erwähnten Sektoren und eine Verlagerung von Produktionsschritten in die ASEAN-Staaten bewirken. Außerdem soll es südostasiatischen Waren erweiterte Zugänge nach China verschaffen, insbesondere aus den Sparten Elektronik, Pharmazeutika und »grüne Energie«, aber auch für Landwirtschaftserzeugnisse und Rohstoffe. China versuchte sich auf diese Weise auch – in Abgrenzung zu den USA – als verlässlicher Partner der ASEAN darzustellen.
AFAC wiederum soll die Zusammenarbeit und Koordination zwischen den Wettbewerbsbehörden der ASEAN-Mitgliedstaaten fördern. Der Anteil des Warenhandels am Handelsaustausch innerhalb der ASEAN blieb lange Zeit trotz eines bereits bestehenden ASEAN-Freihandelsabkommens verhältnismäßig gering. 2023 betrug der Intra-ASEAN-Warenhandel 769,9 Milliarden US-Dollar. Dagegen belief sich der Warenhandel unter den EU-Mitgliedstaaten im selben Jahr auf 4,135 Billionen US-Dollar. Viele ASEAN-Mitgliedstaaten treiben weitaus mehr Handel mit Partnern außerhalb Südostasiens (allen voran mit China und den USA) als mit Partnern innerhalb der ASEAN. Der Anteil des Intra-ASEAN-Handels macht 21,2 Prozent (EU mehr als 60 Prozent) des gesamten Handelsvolumens des Blocks aus.
Integration trotz Divergenz: Timor-Leste tritt der ASEAN bei
Einer der Höhepunkte des diesjährigen ASEAN-Gipfels war der formelle Beitritt Timor-Lestes zur ASEAN, dem mehr als zwei Dekaden andauernde Debatten vorausgegangen waren. Schon kurz nach der Unabhängigkeit Timor-Lestes 2002 hatte dessen politische Führung, die aus einer nationalen, gegen die indonesische Besatzung kämpfenden Befreiungsbewegung hervorgegangen war, die stärkere Integration des Landes in die Region Südostasien auf ihre Agenda gesetzt; als Mittel sollte der ASEAN-Beitritt dienen. Seit 2005 nahm Timor-Leste am ASEAN Regional Forum teil, einem multilateralen Forum für sicherheitspolitische Kooperation, in dem die zehn ASEAN-Mitgliedstaaten sowie 17 weitere Partnerstaaten vertreten sind (inklusive der EU). 2007 unterzeichnete Timor-Leste den ASEAN Treaty of Amity and Cooperation (TAC) und stellte 2011 ein formelles Beitrittsgesuch.
Den langwierigen Beitrittsprozess beschrieb Timor-Lestes Präsident José Ramos-Horta sarkastisch mit den Worten: »Es ist einfacher, in den Himmel zu kommen, als der ASEAN beizutreten«. Einige Mitgliedstaaten hatten lange Zeit Bedenken gegen einen Beitritt Timor-Lestes, obwohl das Land schon seit 2014 die in der ASEAN-Charta festgelegten Kriterien für einen Beitritt erfüllte. Die Bedenken galten unter anderem dem geringen wirtschaftlichen Entwicklungsgrad des Landes und dem Mangel an administrativen Kapazitäten, die zur Erfüllung der Aufgaben und Pflichten eines ASEAN-Mitglieds erforderlich sind; sie betrafen aber auch die Offenheit, mit der timoresische Politiker Menschenrechtsverletzungen und Demokratiedefizite in der Region angesprochen haben. Manche ASEAN-Staaten werteten dies als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. In Timor-Leste wiederum wurde ein ASEAN-Beitritt seit der Unabhängigkeit parteiübergreifend unterstützt.
Timor-Leste ist mit nur 1,4 Millionen Einwohnern gemessen an der Bevölkerung der kleinste und auch ärmste Mitgliedstaat der Regionalorganisation. 33,7 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre (2024), die Alphabetisierungsrate liegt bei 72 Prozent. Nach 450 Jahren portugiesischer Kolonialherrschaft und 24 Jahren indonesischer Besatzung wurde das Land nach einem 1999 von den VN durchgeführten Referendum erst im Jahr 2002 unabhängig. Timor-Leste ist nach gängigen Indizes die einzige liberale Demokratie Südostasiens. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen seiner geringen Größe und Wirtschaftskraft hat sich seine Regierung vielfach international für Demokratie, Menschenrechte und internationales Recht starkgemacht. So erkannte Timor-Leste als einziger Staat der Region nach dem Militärputsch in Myanmar 2021 die demokratische Opposition – das National Unity Government (NUG) – als rechtmäßige Regierung an. Die Folge waren massive Spannungen im Verhältnis zur Militärjunta. Und im Kontext des Konflikts im Südchinesischen Meer, der zwischen China, Taiwan und den vier ASEAN-Staaten Vietnam, Philippinen, Malaysia und Brunei um territoriale Ansprüche über und die Kontrolle von Inseln, Riffen, Sandbänken und ausschließlichen Wirtschaftszonen besteht, setzt sich Timor-Leste für die Geltung internationalen Rechts ein. Angesichts der jüngeren Geschichte des Landes mag dies nicht verwundern – schließlich war es ein von den VN gesteuerter Transitionsprozess, der die indonesische Besatzung beendete und die Unabhängigkeit ermöglichte. In Bezug auf demokratische Normen und die Geltung des Völkerrechts ist international auch in Zukunft eine hohe Konvergenz der Position Timor-Lestes mit jener der EU und der Mehrheit ihrer Mitgliedstaaten zu erwarten. Das Interesse in Europa am neuen Mitglied ist bislang gering. Deutschland hat beispielsweise keine Botschaft in Dili, die staatliche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit wurde 2023 eingestellt.
Wirtschaftlich ist Timor-Leste nach wie vor extrem abhängig von Erschließung und Export der meerseitig vorgelagerten Erdöl- und Gasvorkommen: Nahezu der gesamte Staatshaushalt wird aus den entsprechenden Einnahmen bestritten. Zentraler wirtschaftlicher Partner des Landes ist – auch als Folge des seit Jahren nachlassenden Engagements der USA und anderer westlicher Geberländer – die Volksrepublik China, insbesondere im Rahmen seiner Belt and Road Initiative (BRI). Vor allem die extrem marode Infrastruktur des Landes wird verstärkt durch China und mit dessen Hilfe ausgebaut. Weitere wichtige Handelspartner Timor-Lestes sind die Nachbarländer Indonesien und Australien sowie Japan und Südkorea.
Timor-Leste, das in der Außenpolitik Neutralität wahrt, pflegt traditionell enge politische Beziehungen zu den USA und zu US‑Alliierten, allen voran Australien, aber auch zu ASEAN-Mitgliedern wie Indonesien, Malaysia, Vietnam und den Philippinen. Dies erklärt auch zum großen Teil, warum Timor-Leste trotz Bedenken einiger Mitglieder nun der ASEAN beitreten konnte: Denn der Beitritt Timor-Lestes bietet auch die Möglichkeit, Chinas Einflussnahme ein Stück weit einzudämmen, und zwar durch stärkere regionale Integration, die auch den Beitritt zur ASEAN Free Trade Area (AFTA) und zur Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) einschließt, dem derzeit größten Freihandelsabkommen der Welt.
Der Beitritt Timor-Lestes ist einerseits eine Herausforderung für die ASEAN – schon allein wegen der geringen materiellen Kapazitäten des Landes. Er bietet andererseits aber auch Möglichkeiten, die regionale Integration zu vertiefen, und nicht zuletzt ist er ein Beleg für die fortbestehende Attraktivität der ASEAN als Regionalorganisation.
Ist die ASEAN weiterhin relevant?
Ungeachtet der erfolgreichen Erweiterung der ASEAN um Timor-Leste sind über die Jahre sowohl innerhalb der ASEAN wie auch außerhalb Zweifel an ihrer Funktionsfähigkeit gewachsen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und betreffen sowohl strukturelle wie institutionelle Faktoren, die sich konkret auf aktuelle praktische Herausforderungen der ASEAN auswirken. Der Gipfel hat sich mit diesen Fragen nicht befasst. Die strukturellen Faktoren beruhen vor allem auf der Heterogenität der ASEAN-Staaten: In der Organisation gibt es neben liberalen Demokratien wie in Timor-Leste und defekten, illiberalen Demokratien wie in Indonesien und den Philippinen auch hybride Regime wie in Singapur, die sowohl demokratische wie autoritäre Elemente aufweisen, außerdem leninistische Einparteiensysteme (Vietnam, Laos), Militärdiktaturen (Myanmar) und absolute Monarchien (Brunei). Auch wirtschaftlich sind die Unterschiede zwischen den Mitgliedern immens: Timor-Leste ist eines der ärmsten Länder der Welt, Singapur eines der reichsten. Viele ASEAN-Mitglieder sind außerdem strukturell von China und/oder den USA abhängig. Das betrifft wirtschafts- und handelspolitische, aber auch technologische und verteidigungspolitische Belange. Diese strukturellen Faktoren und damit einhergehend divergierende Interessenlagen der unterschiedlichen Mitglieder erschweren nach wie vor die regionale Integration und Kooperation.
Zu den institutionellen Faktoren, die ASEANs Handlungsfähigkeit beeinträchtigen, gehört deren geringer Institutionalisierungsgrad. Im Unterschied zur EU verfügt die ASEAN nicht über supranationale Institutionen, sondern ist intergouvernemental organisiert; ihre Mitglieder behalten folglich ihre volle staatliche Souveränität. Infolgedessen gibt es auch keine verbindlichen Sanktionsmechanismen oder übergeordnete Einrichtungen, um gemeinsame Beschlüsse auch gegenüber Mitgliedern durchzusetzen, die sich nicht an gemeinsam getroffene Absprachen halten. Das ASEAN-Sekretariat in Jakarta hat nur eine koordinierende Funktion und keine Entscheidungsgewalt. Ein weiterer Faktor ist der sogenannte »Asean way« – er beruht auf dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Mitgliedstaaten, dem Verbot zwischenstaatlicher Gewaltausübung und der Entscheidungsfindung nach dem Konsensprinzip. Dank des Konsensprinzips konnten Mitgliedstaaten missliebige Politiken auf institutioneller Ebene selbst dann blockieren, wenn die Mehrheit der ASEAN-Staaten sie befürwortete. Und das Prinzip der Nichteinmischung machte es für die ASEAN oftmals extrem schwierig, an der Lösung intraregionaler Probleme wie etwa innerstaatlicher Gewaltkonflikte mitzuwirken.
Strukturelle ebenso wie institutionelle Faktoren wirken sich auf den Umgang der ASEAN mit aktuellen Herausforderungen aus. Da Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, können einzelne ASEAN-Mitglieder die Festlegung gemeinsamer Positionen blockieren. Dies war zum Beispiel der Fall, als es um die Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer ging, die zwischen vier Mitgliedstaaten auf der einen und China auf der anderen Seite bestehen: Kambodscha und Laos verhinderten eine allzu »chinakritische« Positionierung der ASEAN. Auch zu gemeinsam abgestimmten Stellungnahmen der ASEAN zu extraregionalen Konflikten wie in Gaza oder der Ukraine kommt es aufgrund divergierender Interessen der Mitgliedstaaten nicht.
Am deutlichsten zeigte sich die Schwäche der ASEAN laut Beobachtern an ihrem Versagen im Umgang mit dem Bürgerkrieg in Myanmar nach dem Militärputsch 2021. Mitglieder, die der Militärdiktatur eher wohlwollend gegenüberstehen, konnten aufgrund des Konsensprinzips und unter Verweis auf das Nichteinmischungsgebot verhindern, dass die ASEAN eine härtere Haltung gegenüber der Junta einnahm, obwohl die Junta zentrale ASEAN-Prinzipien verletzte. Im Frühjahr 2021 einigten sich die ASEAN-Staaten auf einen »Five-Point Consensus« (der unter anderem einen Waffenstillstand vorsah), dem auch die myanmarische Junta zustimmte. Doch das Militärregime ignorierte anschließend diese Vereinbarung, und die ASEAN hat keine Möglichkeit, deren Umsetzung zu erzwingen. Die Uneinigkeit der ASEAN-Mitglieder in Bezug auf die Myanmarkrise zeigte sich auch beim Gipfel in Kuala Lumpur: Die von der Junta für Dezember 2025 geplanten Wahlen, die inmitten eines fast alle Landesteile betreffenden Bürgerkriegs abgehalten werden sollen und zu denen die Opposition nicht zugelassen ist, wurden lediglich »zur Kenntnis genommen«. Kritisiert wurde die aller Voraussicht nach weder freie noch faire Wahl nicht. Einer ASEAN-Wahlbeobachtermission, die die Junta im Interesse der Steigerung der Legitimität der Wahlen durch internationale Beobachter ins Spiel brachte, wurde zwar eine Absage erteilt. Aber den ASEAN-Mitgliedstaaten »steht es frei, Wahlbeobachter zu entsenden«.
Auch im Grenzkonflikt zwischen Kambodscha und Thailand spielte die ASEAN keine signifikante Rolle. Vielmehr war es wie erwähnt Malaysias Premier Anwar Ibrahim, dessen diplomatische Initiative, unterstützt von diplomatischem Druck aus Washington, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch brachte. Als Reaktion auf die von US-Präsident Trump verhängten Zölle im Rahmen des von ihm ausgerufenen »Liberation Day«, die alle ASEAN-Staaten betrafen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, verständigten sich die ASEAN-Staaten zunächst darauf, »gemeinsam« gegen die USA vorzugehen. Doch schon am Tag darauf nahmen einzelne Mitgliedstaaten mit Washington Verhandlungen über bilaterale Zollvereinbarungen auf.
Die Relevanz der ASEAN für Deutschland und die EU dürfte auch in Zukunft vor allem in ihrer »convening power« liegen. Dank ihrer anerkannten Neutralität im amerikanisch-chinesischen Großmächtekonflikt und ihres inklusiven Multilateralismus bietet die ASEAN Raum für Dialog und Konfliktmanagement. Dies hat der Gipfel in Kuala Lumpur durch Deeskalation im sino-amerikanischen Handelsstreit unterstrichen. Darüber hinaus ist die ASEAN ein Partner, wenn es um Multilateralismus und regelbasierte internationale Zusammenarbeit geht. Die seit 2020 bestehende strategische Partnerschaft mit der EU bietet für eine solche Partnerschaft eine breite Basis.
ASEAN-Mitglieder wie Vietnam, Malaysia oder Thailand sind für deutsche und europäische Unternehmen wichtige Produktions-, Logistik- und Investitionsstandorte im Kontext ihrer Diversifizierungsstrategie (»China +1«), mit der sie ihre Abhängigkeit von China reduzieren wollen. Generell dürfte Südostasien politisch weiter an Bedeutung gewinnen angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Macht ihrer Mitglieder und der strategischen Lage der Region als zentraler Schauplatz der Großmächterivalität zwischen den USA und China in Asien.
Aus diesem Grund, und weil die ASEAN bemüht ist, die regionale Integration zu vertiefen und enger mit externen Partnern auch in Europa zu kooperieren, wird die ASEAN – vor allem aber viele ihrer Mitgliedstaaten– ein wichtiger Partner für Deutschland und Europa bleiben. Das gilt insbesondere im Kontext der rapide voranschreitenden ordnungspolitischen Veränderungen in Asien. Auch dies ist unter anderem mit dem Beitritt Timor-Lestes und der erstmaligen Einladung der EU im Rahmen des ASEAN-Gipfels in Kuala Lumpur deutlich geworden.
Dr. Felix Heiduk ist Leiter der Forschungsgruppe Asien. Nora Hell ist von Oktober bis Dezember 2025 Praktikantin der Forschungsgruppe Asien.
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DOI: 10.18449/2025A49